Bollywood

Kein Kino der kleinen Gesten

Oliver Mahn, Priya Esselborn und Sonja Majumder über das Festival "Bollywood and Beyond", die Faszination Bollywood, indische "Art Movies" und warum Bollywood-Filme mittlerweile auch außerhalb Indiens gedreht werden

Bollywood

© Tina Lange/bollywood-festival.de

Herr Mahn, wenn Sie auf das diesjährige Festival "Bollywood and beyond" zurückblicken: Welches Gefühl haben Sie, wie ist es gelaufen, stimmen die Zahlen?
Mahn: Ja. Im Vergleich zum letzten Jahr ist ein erheblicher Besucherzuwachs zu verzeichnen, und was auch interessant ist, dass Zuschauer aus der ganzen Bundesrepublik, auch aus Österreich, aus der Schweiz, England usw. angereist sind, um hier beim Festival dabei zu sein. Die Zahlen stimmen auf jeden Fall.

Ist Ihr Bollywood-Festival eigentlich das einzige seiner Art in Europa?
Mahn: Es gibt noch eins in Florenz, das "River to River" Festival, aber sonst ist es das einzige in Europa.

Wie finanziert sich so ein kleines ‚Nischen- oder Liebhaberfestival‘ eigentlich?
Mahn: Es wird zum Teil durch öffentliche Gelder von der Stadt Stuttgart, durch Sponsorengelder und natürlich durch die Einnahmen finanziert.

Und wie sind Sie dazu gekommen, ein indisches Filmfestival in Stuttgart zu leiten? Haben Sie einen persönlichen Bezug zu Bollywood?
Mahn: Das Film- und Medienbüro Baden-Württemberg hat ja noch andere Festivals. Die Idee kam durch die Städtepartnerschaft zwischen Bombay und Stuttgart und den Wunsch, die Verbindung zwischen Deutschland und Indien noch weiter zu verstärken. Und bei Indien bietet sich das Thema Filme natürlich an, wenn man im Festivalbereich ist!

Haben Sie einen persönlichen Favoriten unter den Bollywood-Filmen?
Mahn: Mein erster Bollywoodfilm war, glaube ich, "Kal ho naa ho" ("Indian Love Story") – den hatten wir letztes Jahr auch im Programm. Aber einer meiner liebsten Bollywoodfilme ist sicherlich auch "Devdas", den wir dieses Jahr als Open Air hier im wunderschönen und gemütlichen Hinterhof des Filmhauses gezeigt haben.

Es geht beim Festival aber nicht ausschließlich Bollywood…. ?
Mahn: Nein, wir haben ja auch das "beyond" im Namen und im Programm. Indien hat eine ganz unglaubliche Bandbreite an Themen, es ist ein Land, was zwischen Entwicklungsland und hochmodernem Industriestaat steht, es ist die größte Demokratie der Welt – und da gibt es eben eine Unmenge an Themen, die spannend sind und auch filmisch umgesetzt werden, im szenischen Bereich, aber auch im dokumentarischen Bereich.

Seit einiger Zeit werden Bollywoodfilme ja nicht nur in deutschen Kinos, sondern auch auf Fernsehsendern wie arte oder VOX ausgestrahlt. Für RTL II wurden sie sogar synchronisiert. Sollte es mehr davon geben, oder gehören die Filme Ihrer Meinung nach in die Kinos?
Mahn: Ich denke, dass es auch darum geht, erst einmal zu schauen, ob dieser Bollywood-Trend nachhaltig ist und dazu ist es natürlich wichtig, auch eine breite Masse zu erreichen. In Deutschland ist man es gewöhnt, die Filme synchronisiert zu haben und um eine breitere Masse zu erreichen, muss man sie synchronisieren. Für arte ist das nicht notwendig, arte hat ein anderes Publikum.
Wir hier versuchen ja auch, Unterhaltungssachen wie eine Modenschau, das Food Festival und eine Kunstausstellung mit dem Festival zu verbinden. Und wir erleben es dann auch immer wieder, dass die Besucher in Filme gehen, die in den "beyond"-Teil gehören, für den sie sonst von allein wahrscheinlich nicht gekommen wären.

Wird es im nächsten Jahr ein drittes "Bollywod and beyond"-Festival geben?
Mahn: So wie es momentan aussieht, wird es das Festival nächstes Jahr sicher wieder geben. Dieses Jahr gab es weit über 6000 Besucher, wesentlich mehr als im letzten Jahr. Wir haben schon mit unseren indischen Kuratoren gesprochen und Pläne ausgeheckt – und ich glaube, es wird nächstes Mal noch größer und noch schöner, wir wollen auch gern noch den Aspekt Musik verstärkt mit ins Programm nehmen.

Angenommen der Trend sollte anhalten und das Festival aus den Nähten platzen, gibt es für diesen Fall schon Expansionspläne? Das Filmhaus Stuttgart wird ja dann zu klein zu sein.
Mahn: Es gibt in Stuttgart noch weitaus größere und schöne Locations, also wenn man zum Beispiel auf den Schlossplatz geht, es gibt diverse Parks für Open Air – alles Orte, die sich hervorragend eignen. Das 200-Personen-Auditorium hier im Filmhausinnenhof würde sich dann sehr gut für kleinere Konzerte und ähnliches anbieten.

+++Sonja Majumder (Indologin aus Hamburg) und Priya Esselborn (Journalistin, Deutsche Welle) – beide haben indischen Familien – sprachen beim "Bollywood and beyond"-Festival über die Darstellung der Frau im indischen Film und die Stellung der weiblichen Filmstars in der indischen Filmindustrie. Tina Lange hat sie anschließend getroffen.+++

Frau Majumder, Frau Esselborn, was fasziniert Sie an Bollywood-Filmen?
Esselborn: Ich bin mit diesen Filmen aufgewachsen. Jedes Jahr, wenn ich nach Indien geflogen bin, haben wir diese Filme gemeinsam im Familienkreis angeguckt. Es wurden am Wochenende fünf Filme ausgeliehen, die ganze Familie saß drum herum, mal schlief der eine ein und der andere wachte wieder auf, aber es war ein Event, das die ganze Familie verbunden hat.
Ich merke auch, wenn diese Filme sehr emotional sind, hat das für mich, eine Art reinigende, kathartische Wirkung. Ich bin danach in einer ganz besonderen Stimmung und es tut mir einfach sehr, sehr gut, mitzuleiden, mitzuerleben, mitzufühlen – einfach alle Sinne angesprochen zu bekommen.
Majumder: Dem kann ich mich nur anschließen. Was mich besonders an diesen Filmen fasziniert, ist die besondere Erzählstruktur. Bei mir war es eher so, dass ich mit dieser Musik aufgewachsen bin, die fand ich schon immer großartig. Und die Einbindung dieser Musik in die Erzählstruktur und in die Tanzszenen, finde ich sehr interessant. Es wird nichts literarisiert, sondern alles wird nach außen getragen. Bollywood ist kein Kino der kleinen Gesten. Es ist auch kein Kino der Andeutungen, so dass man eigentlich problemlos der Geschichte folgen kann. Das Schöne daran ist, dass man so leicht mitfühlen und mitleiden kann, selbst wenn man die Dialoge nicht versteht.

Sie haben eben die Musik erwähnt – warum spielt sie eine so große Rolle? Liegt das in der indischen Mentalität, kommt es aus der indischen Tradition?
Esselborn: Ja, wir haben einfach sehr viele Feste – da gibt es Holi, Diwali, Feste, die Geburt eines Kindes, eine Hochzeit usw. – das sind alles Ereignisse, die mit Musik begleitet werden. Auch wenn man in den Tempel geht und gemeinsam betet, es wird immer gesungen, und auch getanzt. Zum anderen sind die Lieder in den Bollywoodfilmen natürlich eine Möglichkeit, das auszudrücken, was die Figuren nicht sagen oder nicht sagen können. Zum Beispiel, wenn ein Paar erkennt, dass es sich ineinander verliebt hat. Die Liedtexte unterscheiden sich sprachlich sehr oft vom Rest des Films. Da gibt es z.B. Dichter aller erster Klasse, die für die Filme die Songs schreiben.
Majumder: Es ist auch so, dass sich die Hindifilme mit ihrer Musik und ihren Tanzszenen in einer Performance-Tradition befinden. Es gibt in Indien traditionellerweise keine klare Trennlinie zwischen gesprochenem Theater, Drama einerseits und Musik, Choreografie, Tanz andererseits. Das reine gesprochene Theater ist ein Import, das haben die Engländer mitgebracht, das gab es vorher in Indien so nicht. Insofern befindet sich das Bollywoodkino in einer indigenen Performance-Tradition.

Neben den Bollywoodfilmen gibt es in Indien auch die sogenannten "Art Movies", die ohne Lied- und Tanz-Nummern auskommen. Sind die trotzdem "indisch" oder hauptsächlich vom Westen beeinflusst?
Majumder: Ich glaube, man kann gar nicht sagen, das ist jetzt rein indisch oder rein westlich. Gerade bei einem so komplexen und heterogenen Land wie Indien kann man bei keiner Sache sagen, das ist indisch und das nicht. Natürlich waren gerade die frühen Regisseure von indischen "Art Movies" wie Satyajit Ray sehr beeinflusst vom europäischen oder auch amerikanischen Kino – Ray zum Beispiel vom italienischen Neorealismus. Ich denke, man kann von keinem Film aus Indien sagen, er sei ‚nicht indisch‘ nur weil er vom Westen beeinflusst wurde. Sowohl Bollywood als auch die "Art Movies" haben ihre Existenzberechtigung, ihr Publikum, und beides ist indisches Kino.

Oft wundern sich westliche Zuschauer darüber, dass z.B. in den Schweizer Alpen getanzt wird – wie kommt es zur Wahl solcher Drehorte für indische Filme?
Esselborn: Das fing Ende der 70er an, mit dem Regisseur Yash Chopra und Anfang der 80er gab es den Film "Lamhe", der erstmals in der Schweiz gedreht wurde. Das lag zum einen am politischen Hintergrund, dass man in Kaschmir nicht mehr drehen konnte, was bis dahin der Drehort war. Wenn man aber in die indische Mythologie geht, da haben Berge schon immer eine ganz große Bedeutung gehabt. Der Gott Shiva hat z.B. in den Bergen meditiert, es gibt viele heilige Berge… Auch Gärten, ähnlich dem Garten Eden in der christlichen Tradition, spielen oft eine große Rolle.
Majumder: Aber gleichzeitig glaube ich auch, dass die Schweiz und überhaupt europäische Locations für die indischen Filmemacher exotisch sind, so wie für uns die Malediven exotisch sind – in der Schweiz ist es kühl, es gibt ein sattes Grün, die Luft scheint klar zu sein etc.
Es spielt also nicht nur die Mythologie, sondern auch der Spektakelcharakter der Filme hierbei eine Rolle – man will den Zuschauern ja immer etwas Neues bieten. Und der erste indische Film, der überhaupt im Ausland gedreht wurde, war einer in den 60ern von Raj Kapoor. Der hat damals einfach eine Europatour gemacht, Paris, die Schweiz usw. – das hat in Indien eingeschlagen wie eine Bombe. Weil einen Flug nach Europa konnten sich damals noch weniger Inder leisten als heute. Aber jetzt konnten sie eben im Kino diese exotischen Landschaften und Städte bewundern.
Esselborn: Die Begrenzungen durch Raum und Zeit sind in den Song- und Tanz-Sequenzen aufgehoben. Da wundert sich in Indien auch niemand über verschiedene Orte oder das Wechseln von Kleidern. Wenn man sich die Charakteristika von Bollywoodfilmen anschaut, dann passt das alles auch wunderbar zusammen.

Seit einiger Zeit werden Bollywood-Filme ja nicht nur in deutschen Kinos, sondern auch auf Fernsehsendern wie arte oder VOX ausgestrahlt, auf RTL II sogar synchronisiert. Wie steht ihr dazu?
Majumder: Ich finde die synchronisierten Filme grauenhaft, was aber wirklich nur daran liegt, dass ich es einfach nicht gewöhnt bin, die Schauspieler nach so vielen Jahren ohne ihre Originalstimme zu hören. Es gibt auch Leute, die es furchtbar finden, dass die Bollywood-Filme überhaupt auf RTL II laufen – ich finde das nicht, weil es eben auch kommerzielle Filme sind, die darauf angelegt sind, ein möglichst breites Publikum zu bedienen. In dieser Hinsicht passt RTL II einfach. Viele Menschen in Deutschland haben sicher während des Hypes der letzten Jahren diese Filme für sich entdeckt.
Esselborn: Ich finde es auch gut, dass die Filme verstärkt gezeigt werden. Was ich nicht gut finde, ist, dass sich alles nur auf den Schauspieler Shah Rukh Khan beschränkt, und dass man nur die großen Familienfilme zeigt – das ist ja nur ein kleiner Teilaspekt des indisches Kinos. Ich meine, Indien selbst produziert pro Jahr ca. 800-900 Filme, davon sind vielleicht 150 Hindifilme und davon wiederum zwei bis drei Filme mit Shah Rukh Khan. Da werden einfach ganz viele andere gute Schauspieler unterschlagen, die noch nicht einen so großen internationalen Erfolg haben, wie Shah Rukh Khan.

Hat Bollywood Eurer Meinung nach eine Zukunft in der westlichen Kinowelt? Wird es noch mehrere Festivals geben oder wird es immer bei einem "Nischenpublikum" bleiben?
Majumder: Wenn aus diesem Trend wirklich etwas entstehen soll, was die Leute regelmäßig in die Kinos lockt, dann wird das nur passieren, wenn das Publikum bereit ist, auch andere Geschichten zu akzeptieren. Momentan fokussiert sich alles noch viel zu sehr auf die sogenannte Exotik, die Opulenz, die Tanzsequenzen und auf ganz wenige Schauspieler – eben auf das Fremde. Und wenn es nicht gelingt, den Sprung zu schaffen, weg von dieser Faszination der Exotik – weil irgendwann ist das eben nichts Besonderes mehr – dann glaube ich nicht, dass Bollywood hier langfristig eine Zukunft hat.

Das "Bollywood and beyeond"-Festival hat eine recht ernsthafte Annäherung an das indische Kino versucht. Was hat Ihnen am Festival besonders gut gefallen?
Esselborn: Sehr gut finde ich, dass es "Bollywood and beyond" heißt. Gezeigt werden soll damit, dass Indien viel mehr zu bieten hat im Bereich Film. Hier laufen z.B. auch die großen Klassiker oder Dokumentarfilme. "Tea Talks" finden statt, zu Fragen, wie es in Indien aussieht in verschiedenen Bereichen, sei es wirtschaftlich oder kulturell.
Majumder: Jahrelang war es ja so, dass Bollywood, also das Hindi-Kino, keinerlei Beachtung erfahren hat. Vor fünf Jahren noch gab es keine Literatur darüber und Leute haben über meine Arbeit abschätzige Bemerkungen gemacht, obwohl sie nicht einen einzigen Film gesehen hatten. Von daher ist es natürlich ganz schön, dass sich die Wahrnehmung in Bezug auf den Hindifilm etwas geändert hat. Davor wiederum war das indische Kino nur das Autorenkino – es lief auf Festivals, auf der Berlinale, räumte Preise ab. Das kommerzielle Kino war nicht weiter beachtenswert. Jetzt hat sich das aber genau umgedreht. Jetzt wird hier unter indischem Kino Bollywoodkino verstanden, und alles andere wird nicht mehr wahrgenommen. Es ist nun genauso schief, wie es vorher schief war. Und das finde ich sehr schade.

Oliver Mahn

Saris in leuchtenden Farben, sich tanzend neckende Liebespaare, schrecklich viele Tränen und die Exotik eines fernen Landes - seit einiger Zeit gibt es auch in Deutschland ein Publikum für indische Masala-Filme, und in Stuttgart dafür das mehr

Priya Esselborn

Saris in leuchtenden Farben, sich tanzend neckende Liebespaare, schrecklich viele Tränen und die Exotik eines fernen Landes - seit einiger Zeit gibt es auch in Deutschland ein Publikum für indische Masala-Filme, und in Stuttgart dafür das mehr

Sonja Majumder

Saris in leuchtenden Farben, sich tanzend neckende Liebespaare, schrecklich viele Tränen und die Exotik eines fernen Landes - seit einiger Zeit gibt es auch in Deutschland ein Publikum für indische Masala-Filme, und in Stuttgart dafür das mehr

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.