Simon, stimmt es, dass du an deinem neuen Album „Black Sands“ zwei Jahre lang gearbeitet hast?
Green: Ja, das letzte Album ist ja auch schon drei Jahre her. Ich wollte eigentlich nicht so lange daran arbeiten, aber dann war ich lange auf Tour… Wobei ich dazu sagen muss, dass ich eigentlich nie aufhöre, Tracks zu produzieren, ich trenne die Zeiten nicht so ein, dass ich sage, jetzt gehe ich auf Tour und jetzt nehme ich ein Album auf.
Wie wirkt sich so eine lange Zeitspanne aus?
Green: Es gibt jetzt einen Unterschied zwischen dem, wie ich das Album am Anfang gedacht hatte und dem, was jetzt dabei rausgekommen ist. Die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, sind heute andere. Ich denke, wenn ich das Album in sehr kurzer Zeit gemacht hätte, wäre es ganz anders geworden.
Viele Live-Sounds hatte ich schon zu Beginn, wo ich einfach viele Instrumente ganz traditionell aufgenommen habe. Dann habe ich mit der Zeit aber wieder daran Gefallen gefunden, Beats zu programmieren.
Mal die grundsätzliche Frage: Warum bringst du ein Album raus? Du könntest die Tracks doch auch einzeln veröffentlichen…
Green: Klar, es gibt ja auch viele Leute, die einfach einen Track nach dem anderen veröffentlichen. Aber ich mag es immer noch, ein ganzes Album anzuhören, etwas, was mehr Sinn ergibt, wenn es zusammen strukturiert ist, auf 30 bis 45 Minuten, zu einer Art Gesamtwerk.
Doch die Entwicklung geht dahin, dass sich die Leute immer mehr Tracks einzeln herunterladen.
Green: Ja, das Album-Konzept ist irrelevanter geworden, die Leute laden sich nur bestimmte Tracks herunter… Mit Ausnahme von ein paar Alben bin ich genauso, ich suche mir die zwei, drei besten Songs und die anderen lasse ich beiseite. Ein Album ist heute nur so gut wie seine besten Tracks. Weil sich die Leute nur die Sahnehäubchen raussuchen. Deshalb kannst du es dir heute auch nicht leisten, schwache Tracks auf einem Album zu haben, alles muss relevant sein, es muss seinen Platz haben.
Aber wozu ist das Album-Format heute noch notwendig?
Green: Ich denke, für die Vermarktung von Musik, die Industrie braucht immer noch ein Produkt wie ein Album, um die Musik auch in die Öffentlichkeit zu bringen. Es hat eben eine größere Wirkung wenn du auf einmal 12 Tracks veröffentlichst.
Und wozu brauchst du es du als Musiker?
Green: Du brauchst das als Punktuierung. Es reflektiert, wo du gerade stehst, es ist so eine Art Markierung, ein neues Kapitel von dem, was du machst, was du mit Musik sagen willst. Es ist auch eine Sache, auf die man stolz ist, ein Werkkomplex den man lange konstruieren musste. Wenn man den am Ende als Album präsentiert ist das für einen persönlich viel dankbarer.
Ich habe auch viele Sachen gemacht, die auf keinem Album waren, ich habe Tracks von anderen Leuten produziert. Aber diese Sachen bekommen nicht so viel Aufmerksamkeit, die Leute kriegen es nicht mit, weil die Songs nicht so wie ein Album präsentiert werden.
Du hast einzelne Tracks unter dem Namen „Barakas“ veröffentlicht…
Green: Das ist ein Nebenprojekt, auf das ich zurückkomme, wenn ich gerade wieder einen Track habe, der dazu passt. Die Plattenfirma sagt dann aber auch immer zu mir: „Wir wollen ein Album“. Aber ich finde, das ist nichts, was man sich so normal anhört, es sind eher Tracks für, sagen wir 4 Uhr morgens…
Wenn du anderen Leuten erklärst, was du machst, welche Bezeichnung wählst du dann?
Green: Es ist nicht immer einfach, das den Leuten zu erklären. Das geht dann oft so, dass ich sage: „Ich bin ein Producer“ – Dann fragen mich die Leute: „Wen produzierst du?“, ich antworte: „Ich produziere mich selber.“ – „Aber was heißt das? Bist du ein DJ?“ – „Ich bin auch DJ, aber das ist nur ein Teil davon. Ich habe auch manchmal eine Band dabei.“ Also ja, das ist manchmal schwer zu erklären.
Andererseits, wenn die Leute jetzt nicht sofort wissen, was genau Bonobo ist, wer und wie viele Leute, dann mag ich das auch. Ich mag das, wenn die Sache für die Leute nicht gleich so eindeutig ist.
Was ist denn mit der Bezeichnung „Komponist“, benutzt du die manchmal?
Green: In letzter Zeit häufiger, ja. Früher nannte ich mich da eher noch „Beatmaker“, aber jetzt habe ich ein größeres Verständnis von Musik, vor allem bei bestimmten Aspekten, wie sie strukturiert ist…
Ein Album ist heute nur so gut wie seine besten Tracks.
Hast du das irgendwo gelernt?
Green: Nein, ich habe mir immer alles selbst beigebracht.
Wie bist du zur Musik gekommen?
Green: Als Teenager habe ich in Bands gespielt, ich war damals Schlagzeuger in einer Hardcore-Band… Später war ich dann sehr in dieser Beat-Digging-Kultur drin. Ich bin viel in Plattenläden gegangen, immer auf der Suche nach Breaks, die niemand anderes hat, ich war schon so ein richtiger Beat-Digger. Heute gibt es das ja so nicht mehr, das hat sich verändert, du musst heute nicht mehr den exklusivsten Break haben.
Aber damals, Anfang, Mitte der 90er, war es wirklich so, dass das Finden des raresten Sample etwa gleichbedeutend war wie wenn man einen guten Track gemacht hat. Leute wie DJ Shadow, die haben Platten ausgegraben, die niemand anderes hatte. Und davon zu samplen das war die größte Errungenschaft, das war für einen Track schon das Gütesiegel. Die raresten Platten zu haben war das Wichtigste. Bei mir ging das so weit: Wenn ich einen neuen Song gehört habe, aber dann ein bestimmtes Sample einer Snare-Drum darin erkannte, hab ich den Track zur Seite getan. Ich wusste dann schon, woher der Sound ursprünglich kommt, ob von einer Blue Note-Platte oder woanders her… Aber heute ist das nicht mehr so wichtig, alles ist offen, es ist eine aufregende Zeit fürs Musikmachen.
Woher kommt das Schlagzeug auf den Bonobo-Alben?
Green: Das kommt immer von verschiedenen Quellen, ich habe nicht den einen bestimmten Weg, wie ich das mache. Manchmal nehme ich einen Schlagzeuger auf und schneide das dann zurecht, manchmal programmiere ich Beats…
Deine Plattenfirma würde wahrscheinlich keine Platte veröffentlichen, auf der die Samples nicht gecleart sind.
Green: Nein. Aber dann muss man eben kreativ genug sein. Wir haben ja auch eine Post-Bootleg-Kultur, es ist schön, etwas zu hören, was sehr kreativ entstanden ist, wenn klug mit dem Ursprungsmaterial umgegangen wird.
Mir selbst geht es heute beim Samplen nicht um Exklusivität und nicht darum, wie rar ein Break ist. Wobei ich trotzdem nicht sehr offensichtliche Sachen sample.
Wir sprachen schon über dich als Komponist – woher kommt da deine Inspiration? Einflüsse?
Green: Das kommt von allen möglichen Sachen, aus ganz vielen Teilen der Musikgeschichte, die ich bis heute wahrgenommen habe. Ich bin mit amerikanischem Alternative Rock aufgewachsen, dann mit Musik die in den 90ern aus Großbritannien kam… Es gab in aller Musik, an der ich auf meinem Weg bisher vorbeikam, Aspekte, auf die ich mich heute beziehe. Ich war zum Beispiel ein großer Fan von A Tribe Called Quest, wie die Sounds aufgebaut und kombiniert haben, das war sehr ungeschliffen. Was wahrscheinlich auch an den begrenzten technischen Möglichkeiten lag, die sie ihrerzeit hatten. Die Art wie die Sounds bei ihnen aufeinanderprallen, das hatte eine Rohheit, die man heute mit Pro Tools einfach rausfiltern würde. Nur, dass es danach nicht mehr so gut klingt.
Bei der Musik auf deinen Alben „Black Sands“ und „Days To Come“ vermute ich, dass sie notiert ist, besonders bei den Streicherarrangements. Sind die von dir?
Green: Ja, klar. Ich kann Noten lesen aber ich schreibe keine Noten auf, so arbeite ich nicht. Es kann sein, dass sich die Tracks so anhören, als hätte ich sie aufgeschrieben, aber ich arbeite immer noch elektronisch. Das ist immer noch die Basis, samplen und Loops kreieren, so habe ich das schon immer gemacht. Es ist dann der Editing-Prozess der den Fluss in die Musik bringt und es so klingen lässt, als sei es ein live eingespielter Track. Doch wenn ich jetzt mehrere Musiker auf einmal hätte, die ein Stück gleichzeitig einspielen, dann würde das Ergebnis anders klingen, als wenn ich hier und da Samples nehme, diese forme und in den Song einpasse. Ich nehme Dinge aus einem anderen Kontext, aber in den Songs klingen sie, als wären sie dazukomponiert. Dabei sind es nur Elemente, die nicht notwendiger Weise zusammengehören.
Das heißt, auch die zum Teil komplexen Harmonien auf deinen Alben, die schreibst du nicht auf?
Green: Nein, ich finde Sounds … und mache sie passend. Wenn du es in deinem Kopf hörst, dann schaffst du es auch, es am Ende so aus den Lautsprechern kommen zu lassen, das ist das, was ich beim Musikmachen versuche.
Aber du musst die Sachen doch irgendwie an deine Musiker weitergeben…
Green: Nicht immer. Es gibt auf meinen Platten sowieso nicht so viele Musiker, wie man es vielleicht vermuten würde. Meine Live-Konzerte sind da was anderes, aber auf den Platten, das bin meistens ich. Ich manipuliere die Sounds und passe sie ein in das, was ich machen möchte. Oft suche ich auch sehr lange nach einem Sound, der passt. Ich habe zum Beispiel einen Groove von Bass und Schlagzeug und dann probiere ich Hunderte von Dingen aus, zum Beispiel wie dazu eine Gitarre durch einen Staubsauger klingt, oder ich baue ein Klavier auseinander, zupfe dann an den Seiten… Ich versuche ungewöhnliche Wege zu gehen, um ungewöhnliche Sounds zu finden.
Da würde mich jetzt spontan interessieren, mit welchem Instrument die Dreiklänge in „Recurring“ aufgenommen sind, dem letzten Song auf „Days To Come“?
Green: Das wird dich jetzt wahrscheinlich wundern, aber der Sound kommt von einer ziemlich kitschigen, spanischen 70er-Jahre-Cocktail-Platte. Die war allerdings schon sehr zerkratzt und dieses Gitarrenstück war im Ganzen auch ziemlich schlecht. Aber ich habe davon nur drei Noten rausgenommen, dazu ein bisschen Hall und das Knistern der Platte.
Das funktioniert mit diesen Samples manchmal so, wie wenn du sehr lange auf einen Gegenstand starrst: irgendwann verändert er sich, die Farben verschwimmen… Das heißt, wenn ich einen Musikausschnitt lange genug anhöre, dann höre ich irgendwann andere Noten dazu, Harmonien. Und dann musst du nur ein, zwei Bassnoten dazu spielen und schon verändert sich das Ganze.
Würdest du sagen, dass es in der elektronischen Musik heute insgesamt an Melodie mangelt?
Green: Ja. Und es ist halt das, was ich persönlich besonders mag bei Musik: Harmonie und Melodie, das war für mich immer das Wichtigste. Und man kann das so kreieren wie ich, mit Beats und Samples oder der gleiche Song kann auf ganz klassische Weise entstehen. Aber egal wie man vorgeht, ich denke, dass am Ende ein Track – egal aus welchem Genre – immer dann gelungen ist, wenn man sich ans Klavier setzen kann und ihn nachspielen kann und immer noch erkennt. Dann hat es funktioniert.