Herr Palmer, es heißt, der Klimawandel sei eine globale Herausforderung und erfordere internationale Anstrengungen und Vereinbarungen. Das erzeugt den Eindruck, lokal könne man kaum etwas bewirken. Sie hingegen haben den Klimaschutz zur kommunalen Hauptaufgabe erklärt. Ein Tropfen auf den heißen Stein?
Auch ein kleiner Tropfen kühlt oder lässt im Zweifelsfall das Fass überlaufen. 75 Prozent der menschgemachten CO²-Emmissionen stammen aus den Städten. Davon können zwei Drittel vor Ort beeinflusst werden, also 50% der Gesamtemissionen. Wenn man die lokalen und kommunalen Möglichkeiten nicht nutzt, wird der Klimaschutz nicht gelingen. Natürlich gibt es viele Städte und jede muss für sich viele Einzelentscheidungen treffen und vor allem ihre Bürger zu vielen Einzelentscheidungen ermutigen.
Das klingt mühsam.
Das ist es auch. Aber internationale Verhandlungen sind ebenfalls mühsam und werden oft nur unzureichend umgesetzt. Wenn ein Tübinger Immobilienbesitzer sein Haus modernisiert und dabei Klimaschutzmaßnahmen trifft, dann wird sofort etwas Konkretes bewirkt.
Was sind denn die wichtigsten kommunalen Maßnahmen für den Klimaschutz?
Das Beispiel Immobilie war nicht zufällig. Der Energiebedarf für Wärme und Heißwasser in Gebäuden und der daraus resultierende CO²-Ausstoß machen 40 Prozent der Gesamtemissionen aus und liegen damit vor Verkehr und Industrie. Die Stadt Tübingen ist selbst ein großer Immobilienbesitzer und setzt bei öffentlichen Gebäuden Beispiele.
Was machen Sie da konkret?
Konkret haben wir das Tempo der Modernisierung verdreifacht mit dem Schwerpunkt auf Energieeinsparung aber auch Stromerzeugung auf öffentlichen Dächern. Zum Beispiel haben wir das größte Tübinger Gymnasium im Zuge einer Modernisierung mit Solarzellen gedeckt, ebenso die Aischbachschule. Der Energiebedarf der Gebäude wurde auf 40% reduziert. Außerdem sind wir Anteilseigner kommunaler Gesellschaften wie zum Beispiel der Stadtwerke. Wir investieren dort in Wind-, Wasser- und Sonnenenergie auch im Verbund mit anderen Kommunen und sorgen vor allem dafür, dass die lokale Energie- und Wasserversorgung nicht an internationale Konzerne verkauft wird, wie das andere Städte schon getan haben. Auf die Klimaschutzpolitik hat man dann keinen Einfluss mehr.
Bei diesen Beispielen können Sie als Stadt direkt entscheiden, bei vielen anderen Maßnahmen müssen Sie überzeugen…
In der Tat, die Stadt kann nur Vorbild sein, der größere Brocken sind die Privatleute. Wir haben inzwischen in Tübingen fünfmal mehr Ökostromkunden als 2006 zu Beginn meiner Amtszeit, nämlich zehn Prozent der Haushalte. Die Photovoltaik-Fläche hat sich verdoppelt, liegt aber immer noch hinter Freiburg und Marburg, und wir gehören zu den zwei oder drei Städten mit dem höchsten Anteil an Car-Sharing.
Müssen Sie dazu Geld in die Hand nehmen?
Für Information und Aufklärung ja, aber wir fördern keine Maßnahmen. Klimaschutz muss sich direkt beim Verursacher bezahlt machen. Allerdings kann man den Bürgern die Finanzierung von Maßnahmen erleichtern, bei der eine Investition am Anfang steht, die Einsparung sich aber erst im Laufe der Zeit ergibt.
Ein Beispiel?
Alle Gebäude mit einer Warmwasserzentralheizung haben eine Heizpumpe, die das warme Wasser im Heizsystem umwälzt. Diese Pumpe ist der größte Einzelverbraucher im Haus und für den Strom für alle Heizpumpen in Deutschland benötigt man zwei Atomkraftwerke. Herkömmliche Pumpen laufen ständig, aber seit etwa zehn Jahren gibt es Pumpen, die nur noch arbeiten, wenn Bedarf besteht. Sie sparen 70 Prozent Strom. Unsere Stadtwerke bieten den Hausbesitzern einen Austausch der alten Pumpe an, finanziert wird über vier Jahre durch einen Aufschlag auf die Stromrechnung, der in etwa der Stromersparnis entspricht. Der Hausbesitzer hat also keine Zusatzkosten und ab dem fünften Jahr spart er echtes Geld.
Die meisten Bürger sind Mieter, wie können die denn Einfluss auf den CO²-Ausstoß ihres Gebäudes nehmen?
Direkt über den Energieverbrauch elektrischer Geräte. Bei der Anschaffung energiesparender Großgeräte können Stromanbieter ähnliche Modelle anbieten, wie unsere Stadtwerke bei der Heizpumpe. Standby-Strom kann man durch Einsatz einer abschaltbaren Steckdosenleiste leicht in den Griff bekommen. Die sind übrigens in allen städtischen Büros Tübingens in Gebrauch.
Der große Brocken ist aber die Wärmeisolierung und Modernität der Heizung eines Hauses. Darauf haben Mieter ebenso wenig Einfluss wie auf Solarenergie auf dem Dach.
Für Vermieter ist es tatsächlich schwer, in Energiesparmaßnahmen und Ökologisierung des Gebäudes zu investieren, da sie diese Investitionen selten über eine Mieterhöhung finanzieren können. Die Einsparung an Energie kommt finanziell nur dem Mieter zugute. Eine Möglichkeit besteht darin, dass Mieter eine Erhöhung der Kaltmiete bis zur Höhe der erwarteten Einsparung bei den Nebenkosten in Kauf nehmen oder sogar anbieten. Sie haben nicht gleich einen finanziellen Vorteil aber auch keinen Nachteil und tragen zum Klimaschutz bei. Wenn die Energiepreise weiter steigen – was sie unweigerlich tun werden – dann sparen auch die Mieter im Vergleich zum alten Zustand.
Sie haben vor allem Privatleute im Visier, weniger die lokale Wirtschaft. Warum?
Die lokale Wirtschaft trägt nur zu 15% zum CO²-Ausstoß bei und in der Regel haben Unternehmen ihre Kosten gut im Blick und damit auch die Energiekosten und die Einsparungsmöglichkeiten. Da muss man weniger aufklären und motivieren als bei Privatleuten.
75 Prozent der menschgemachten CO²-Emmissionen stammen aus den Städten. Davon können zwei Drittel vor Ort beeinflusst werden.
Welche Rolle spielt der Verkehr?
Jedenfalls sind da die Veränderungen am schwersten herbei zu führen. Das Auto als individuelles Verkehrsmittel hat in unserem Land einfach einen sehr hohen Stellenwert. Dennoch kann man mit einem besseren Nahverkehrssystem, Radwegen und Car-Sharing einiges bewirken.
Sie haben mit einem Toyota-Prius als Dienstwagen bundesweit Schlagzeilen gemacht. Wie sieht es mit Energie für den Schiffstransport aus, haben Sie den in die Ökobilanz eingerechnet?
Die Verschiffung von Japan nach Deutschland macht gegenüber Produktion und Betrieb des Fahrzeuges vielleicht einen Anteil von 0,5 Prozent aus, das ist vernachlässigbar bei einer Einsparung von mehreren Litern pro hundert Kilometer gegenüber dem alten Dienstwagen.
Und der Effekt für deutsche Arbeitsplätze?
Den schätze ich als positiv ein. Meine Entscheidung hat öffentlich daraus aufmerksam gemacht, dass die deutschen Autohersteller im Bereich umweltfreundliche Fahrzeuge kein überzeugendes Angebot hatten und haben. Damit gefährden diese Hersteller heimische Arbeitsplätze. Es war nicht meine Entscheidung alleine, aber sie hat sicher einen Teil dazu beigetragen, dass sich die deutschen Automarken auf diesem Gebiet inzwischen mehr anstrengen. Kürzlich bin ich auf einen Smart umgestiegen, der allerdings einen Liter mehr verbraucht. Wenn möglich fahre ich ohnehin mit dem Rad.
Haben sich die Bürger Tübingens daran gewöhnt, dass ihr Oberbürgermeister sich auch bei wichtigen Terminen verschwitzt und erhitzt vom Radfahren präsentiert?
Mittlerweile fahre ich ein Elektrofahrrad, bei dem mein eigener Krafteinsatz durch einen Elektromotor unterstützt wird. Damit kann ich die vielen Steigungen in Tübingen relativ unerhitzt bezwingen und cool zum Termin erscheinen. Dem Elektrofahrrad gebe ich eine große Zukunft, weil es bei minimalem Energieverbrauch einen großen Aktionsradius und Komfort bietet. Für die Mitarbeiter des Klinikums Tübingen haben der Klinikchef und ich die Vorteile solcher Geräte demonstriert. Das Klinikum hat viel zu wenig Parkplätze, liegt aber auf einem Berg, da kann man ein normales Fahrrad nicht jedem zumuten. Mit dem Elektro-Bike verliert der Berg seine Schrecken, der Klimaschutz gewinnt und wir sparen uns den Flächenverbrauch für einen größeren Parkplatz.
Sie haben mit dem Thema Klimaschutz die Wahl zum Oberbürgermeister gewonnen und auch zum Hauptthema Ihrer Amtsführung gemacht. Beschwert sich keiner, dass andere Themen zu kurz kommen?
In der Praxis kommen die anderen Themen ja nicht zu kurz, nur in der Präsentation. Natürlich würden sich manche Bürger und Repräsentanten wünschen, ich würde auch mal beim Spiel der Tübinger Fußballer erscheinen oder bei anderen Vereinsangelegenheiten oder diese und andere Aktivitäten in meinen Reden mehr erwähnen. Mir liegt das aber nicht und dann würde ich da auch wenig überzeugend wirken. Zudem haben wir keinen Euro bei der Kultur- und Sportförderung oder sonst wo gekürzt und dem Thema Klimawandel zugeschlagen. Das Thema Klimawandel behandeln wir mit politischer Priorität aber finanziell neutral.
Sie geben Ihrer Aktion die Farbe Blau und bezeichnen Sie als Farbe des Klimaschutzes. War die Farbe des Umweltschutzes, Grün, nicht mehr gut genug?
Grün kam nicht in Frage, weil das nun mal auch die Farbe einer politischen Partei ist. Blau als Farbe des Klimaschutzes haben wir nicht allein erfunden. Solarzellen sind blau, ein gut gedämmtes Haus erscheint blau auf dem Wärmebild einer Infrarotkamera. Die CO² reduzierenden Features der Autoindustrie tragen oft Namen mit „Blue“, der blaue Himmel ist ein Symbol für gutes Klima, blau ist eine kühle Farbe – als Kontrast zur Klimaerwärmung. Unser Slogan „Tübingen macht blau“ weckt verschiedene und vor allem angenehme Assoziationen.
Gibt es Widersprüche zwischen Umweltschutz und Klimawandel?
Im Großen und Ganzen nicht. Beim Landschaftsschutz bzw. Tierschutz gibt es manchmal Interessenkonflikte, etwa beim Bau von Windkraftanlagen wegen der Optik und der Vögel. Oder wegen der Fische und Feuchtgebiete beim Bau von Staustufen für Wasserkraftwerke.
Was ist mit der Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken, damit wir Kohlekraftwerke erst später und dann mit CO² effizienterer Technologie erneuern müssen?
Man wird wohl zumindest nicht gleichzeitig aus Kohle und Atomenergie aussteigen können. Viel wichtiger aber sind Regelungen, die Effizienz im Umgang mit der erzeugten Energie und Energieeinsparungen erzeugen.
Gibt es auch mal Widerstreit zwischen den Interessen verschiedener Kommunen? Ihre grünen Parteifreunde in Stuttgart wollen den Ausbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes verhindern, obwohl Tübingen die dann bessere Anbindung brauchen könnte.
Die bessere Anbindung steht nur auf dem Papier der Bahn AG. Die dort versprochenen 40 Minuten nach Stuttgart haben wir doch schon jetzt. Und man kann das Geld nur einmal ausgeben. Wird alles zentral im Projekt Stuttgart 21 vergraben, dann steht es in der Fläche nicht mehr zur Verfügung und wir brauchen ja nicht nur gute Verbindungen nach Stuttgart als Zentrale sondern auch quer zu anderen Nebenzentren. Tübingen könnte dringend einen Ausbau seines Bahnhofes gebrauchen. Insofern habe ich kein Problem mit der Position der Stuttgarter Grünen.
Wo und wie fühlen Sie sich bundes- oder europapolitisch eingeengt?
Dem Strombereich ebenso wie der Wasserversorgung tut es nicht gut, wenn Gesetze den Großkonzernen in die Hände spielen. In diesen Fragen der Grundversorgung geht es ja nicht primär um den internationalen Wettbewerb der Preise, sondern um die Qualität vor Ort und damit um die Wettbewerbsfähigkeit lokaler Anbieter, auf die die lokalen Nutzer Einfluss nehmen können. Gegenwärtig werden die Stadtwerke durch die Gesetze stranguliert. Auch wünsche ich mir eine höhere Besteuerung von Spritschleudern zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs. Solche ungünstigen Rahmenbedingungen sind aber keine Entschuldigung dafür, den kommunalen Entscheidungsspielraum in Fragen des Klimaschutzes nicht zu nutzen.
Sind Sie privat ein guter Klimaschützer?
Ich wohne in einem Niedrigenergiehaus, besitze kein Auto, lasse meist auch meinen Kühlschrank ausgeschaltet, weil da so wenig drin ist und esse bevorzugt biologisch erzeugte Produkte aus der Region. Privat liege ich bei etwa einem Drittel des durchschnittlichen CO²-Ausstoßes, habe also eine recht saubere Weste. Die Dienstweste ist natürlich nicht so sauber, da ich ja doch einige zig-tausend Kilometer für Termine außerhalb Tübingens reisen muss. Aber das muss man auf alle Bürger Tübingens umlegen.
Wo sehen Sie Ihre politische Zukunft?
Auf absehbare Zeit in Tübingen. Ich bin bis 2013 gewählt und es gibt noch viel zu tun!