Boris Reitschuster

Die Atmosphäre ist vergiftet.

Journalist Boris Reitschuster über das Arbeitsklima in Moskau, russische Propaganda, psychologische Kriegsführung gegen Journalisten und schlechte Zukunftsaussichten

Boris Reitschuster

© Focus Moskau

Herr Reitschuster, was sind aktuell die größten Probleme bei Ihrer Arbeit als Moskauer Focus-Korrespondent?
Reitschuster: Es gibt viele Probleme. Wenn man Sie ständig als Feind Russlands hinstellt und wenn es sogar so weit geht, dass Sie anonyme Morddrohungen bekommen, dann ist das erst mal ein psychologisches Problem. Wenn sogar hochrangige Beamte sagen, es sei gefährlich was man macht und man sollte sich Gedanken über die eigene Sicherheit machen.

Seit wann versucht man Sie so unter Druck zu setzen?
Reitschuster: Einen gewissen Druck gab es schon immer. Aber nach der Veröffentlichung meines letzten Buches „Putins Demokratur“ ist es eindeutig stärker geworden. Man hat mir klipp und klar gesagt, mit der politischen Kritik könne man leben, aber wirklich schlimm und gefährlich sei es, dass ich diese ganzen Leute aus dem Umfeld von Wladimir Putin aufzähle: die Geschäftsfreunde, diese Datschen-Kooperative, wo ich aufzeige, wie das Geld gemacht wird. Ich hätte damit mein Todesurteil unterzeichnet, wurde ich aus den Reihen der Opposition gewarnt.

Sie erzählen das alles mit einem Lächeln…
Reitschuster: Das ist eine normale Schutzreaktion. Wenn man sich zu sehr darüber Gedanken machen würde, dann würde man wahrscheinlich daran zerbrechen. Dieses Lächeln ist auch ein bisschen Galgenhumor.

Aber die Bedrohungen sind doch real.
Reitschuster: Man kann sie nicht einfach von der Hand weisen. Ich denke und hoffe zwar immer noch, dass das nur psychologische Kriegsführung ist. Aber nachdem, was mit Anna Politkowskaja passiert ist, fällt es mir etwas schwerer, daran zu glauben – ein Restrisiko kann man in der Tat nicht ausschließen. Es sind auch schon Kollegen auf mich zugekommen, die sich Sorgen um mich machen. Als Buchautor ist man natürlich in einer gewissen Art und Weise exponiert. Wobei ich denke, dass die kritischen, russischen Kollegen noch viel mehr riskieren. Die haben keine Botschaft, die hinter ihnen steht, die haben keinen Schutz…

…und publizieren auf Russisch während Ihr Buch nur in Deutschland und nur in deutscher Sprache veröffentlicht wurde.
Reitschuster: Es gab Pläne vom russischen Journalistenverband, es hier auf Russisch rauszugeben aber bislang traut sich niemand, die Verleger wenden sich alle ab mit Grausen. Und mir wurde gesagt: Wenn ich das Buch jetzt auch noch hier herausgebe, dann wäre der Rubikon endgültig überschritten, dann würde es in Sachen Sicherheit ernsthaft gefährlich.

Wie gestaltet sich die Situation für ausländische Journalisten insbesondere im Hinblick auf die vergangene Dumawahl und die nun anstehende Präsidentenwahl?
Reitschuster: Vor der Dumawahl ist ein Artikel in der „Komsomolskaja Prawda“ erschienen, in dem ausländische Journalisten de facto als Feinde Russlands hingestellt und als Spione bezeichnet wurden. Vier Journalisten wurden namentlich erwähnt, darunter auch ich. So etwas ist natürlich wenig angenehm und es erinnert in vielem an sowjetische Zeiten.

Wer steckt hinter so einem Artikel?
Reitschuster: Als sich die Kollegen von „Radio Liberty“ bei der Zeitung erkundigt haben, hieß es, der Autorenname sei ein Pseudonym und der Artikel sei als Wahlkampfwerbung von jemandem bezahlt worden – von wem hat man allerdings nicht gesagt. Bemerkenswert ist, dass der Artikel im redaktionellen Teil erschienen ist und nicht als Wahlkampfwerbung kenntlich gemacht wurde.

Und wen vermuten Sie als Autor?
Reitschuster: Das ist schwierig zu sagen. Ich persönlich habe meine Vermutungen, aber die öffentlich zu äußern ist schwierig, wenn man es nicht konkret belegen kann. Ich denke jedenfalls nicht, dass es der russische Hausfrauenbund war.

Steckt der Kreml hinter der öffentlichen Diskreditierung ausländischer Journalisten?
Reitschuster: Ich denke, das gehört zu dieser allgemeinen Stimmung, die momentan sehr anti-westlich ist. Zum einen möchte man der russischen Bevölkerung zeigen „Schaut her, so böse ist der Westen mit uns“ – und zum anderen kann es durchaus sein, dass so ein Artikel ein Warnschuss an die Adresse der ausländischen Journalisten sein soll.

Ist die Normalbevölkerung ausländischen Journalisten gegenüber inzwischen misstrauischer geworden?
Reitschuster: Das hat sich schon zugespitzt und es geht mir mittlerweile auch auf den Geist, wenn es immer gleich heißt, man sei Spion, man sei gekauft und nur dazu da, Russland im Westen schlecht zu machen. Das führt teilweise dazu, dass die Atmosphäre vergiftet ist. Ich habe das kürzlich bei einer Dienstreise erlebt, wo ich mit russischen Kollegen zusammen unterwegs war. Das war alles nett bis am Tisch wieder der Vorwurf aufkam, „ihr seid ja alle Spione, seid alle gegen Russland“ usw. Da wurde es dann richtig ungemütlich.

Zitiert

Es geht mir auf den Geist, wenn es immer gleich heißt, man sei Spion, man sei gekauft und nur dazu da, Russland im Westen schlecht zu machen.

Boris Reitschuster

Wird die repressive Stimmung der Opposition und kritischen Journalisten gegenüber also auch ein Stück weit von der Bevölkerung mitgetragen?
Reitschuster: Ja. Wobei ich mich immer frage: Wenn die wesentlichen Medien von Propaganda bestimmt sind, inwieweit ist das dann Folge der staatlichen Propaganda und inwieweit tut es das Volk als solches? Es ist in Russland heute ja überhaupt nicht mehr so, dass die Mehrheit der Menschen politisch unterdrückt werden, ganz im Gegenteil. In vielem sind die durchaus auf Seiten des Systems, dank der Propaganda.

Inwieweit behindert diese Stimmung Ihre Arbeit?
Reitschuster: Wenn in den Medien ständig antiwestliche Propaganda verbreitet wird, dann macht das die Arbeit ausgesprochen schwer. Ich habe in meinem Büro einen ganzen Aktenordner von Presse-Anfragen an russische Behörden, auf die nie eine Antwort kam. Zum Beispiel die Staatsanwaltschaft: Wenn man konkrete Fragen zu konkreten Verfahren hat, wird das einfach völlig ignoriert.
Besonders absurd wird es, wenn man berücksichtig, dass sich der Kreml und die offiziellen Stellen immer beklagen, wir ausländischen Journalisten würden einseitig berichten.

Insgesamt erinnern Ihre Beschreibungen sehr stark an den Zustand des Kalten Krieges…
Reitschuster: Ich denke, der Grund dafür ist, dass in Russland heute Menschen das Sagen haben, deren Weltbild vom KGB vermittelt wurde. Und in diesem Weltbild sind alle Journalisten Werkzeuge der jeweiligen Regierung oder der Kapitalisten im jeweiligen Land. Das heißt: Die russischen Machthaber nehmen uns nicht als Berichterstatter wahr, für sie ist es auch völlig unglaubwürdig, was wir hier schreiben. Wir sind aus deren Sicht ganz klar Hofschreiber, wir müssen eben so schreiben, weil uns der Kanzler oder die Kanzlerin …

…dazu beauftragt hat.
Reitschuster: Exakt. Deswegen macht es aus deren Sicht überhaupt keinen Sinn, sich mit uns zu unterhalten. Und es war ja schon oft so, dass sich Putin bei den Regierungschefs anderer Staaten über die Journalisten beschwert hat – in völliger Verkennung der Tatsachen.
Das ist glaube ich auch allgemein die Crux in diesem System: dass die russische Regierung den Leuten weismachen will, dass es überall so sei, dass überall auf der Welt die Journalisten im Auftrag der Regierung arbeiten und es gar nicht anders gehe.

Alexej Wenediktow, Chefredakteur von Echo Moskau, sagte uns in einem Interview, dass die Informationsfreiheit für die russische Bevölkerung nicht zu den Grundbedürfnissen gehört. Stimmen Sie ihm zu?
Reitschuster: Ganz eindeutig, das ist auch eine logische Folge der Jelzin-Zeit, in der man Demokratie als Chaos kennen gelernt hat. Unter Putin hat man jetzt eine autoritäre Entwicklung und wegen der hohen Ölpreise und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung glauben die Leute, autoritäres System sei gleich Stabilität.

Glauben Sie denn, dass Putin bzw. sein Nachfolger der Pressefreiheit langfristig eine Chance geben wird?
Reitschuster: Ich habe die Hoffnung inzwischen verloren. Putin redet immer von Pressefreiheit, doch seine Taten demonstrieren meistens das Gegenteil. Insofern fehlt mir nach den acht Jahren der Glaube an eine Verbesserung. Diese Tendenz zeigt uns ja auch die Geschichte: Wenn Regierende Freiheiten weggenommen bzw. eingeschränkt haben, waren sie später nur selten dazu geneigt, das wieder rückgängig zu machen. Eher war das Gegenteil der Fall.

Und was glauben Sie, wie sich die Situation kurzfristig, bis zur Präsidentenwahl, entwickeln wird?
Reitschuster: Ich fürchte, es wird eine Verschärfung der Lage geben. Weil nachdem der Westen die Dumawahlen zum ersten Mal nicht anerkannt und als undemokratisch bezeichnet hat, ist der Ruf sozusagen schon ruiniert. Insofern wird man zukünftig vielleicht weniger Hemmungen haben, auch mal gegen Journalisten etwas zu machen. Ich befürchte da durchaus eine gewisse Eskalation.

Sie haben eingangs über Drohungen gesprochen – hat man auch schon auf anderem Wege versucht, Sie auf Linie zu bringen?
Reitschuster: Solche Versuche gab es immer wieder. Ich bekomme Anrufe, wo man mich fragt, warum ich so schlecht schreibe…

…wo man Ihnen auch bestimmte Angebote macht?
Reitschuster: Es gab durchaus Sätze, die man so hätte auffassen können. Die Versuche, Einfluss zu nehmen, sind von offizieller Seite her aber eher sanft, eher ‚freundschaftliche’ Ratschläge. Was man dann aber teilweise im Hintergrund erfährt, z.B. dass ein hochrangiger Beamter über einen gesagt hat, man gehöre erschossen oder wenn sich der russische Botschafter in Deutschland ständig beschwert – dann ist das schon massiv.

Man erfährt den Missmut des Kreml also auch auf subtile Weise…
Reitschuster: Ja, absolut, nicht mit dem Hammer sondern viel mehr mit der Nadel.
Bei mir ist es zum Beispiel so: Mein Vermieter ist eine Tochterfirma des Außenministeriums und da gibt es auch ständig kleinere Nadelstiche oder Schikanen. Vor kurzem wurde mir wieder eine enorme Mieterhöhung aufgedrückt, obwohl man mir vorher versichert hatte, die Miete würde nicht erhöht. Dann bekam ich noch einen Anruf, dass die Miete nicht bezahlt sei, und ich damit rechnen müsse, dass ein Räumungskommando komme. Wenn man dem dann aber nachgeht, heißt es, das seien alles Missverständnisse.
Das ist schon eine subtile Taktik. Wobei ich mich frage, ob das jetzt gezielte Einschüchterung ist, oder ob diese Behörden wissen, dass Journalisten Freiwild sind und sie sich uns gegenüber deswegen so verhalten. Weil sie einfach zeigen wollen, dass sie am längeren Hebel sitzen.
Man weiß nie, wer oder was dahinter steckt. Jedenfalls wurde auch schon sanft angedeutet, wenn ich nicht so böse schreibe, dann wäre das mit den Mieterhöhungen nicht so, dann könnte man nochmal darüber reden.

Das hat Ihr Vermieter gesagt?
Reitschuster: Er hat es angedeutet

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