Mr. Setzer, im Text Ihrer Plattenfirma zum neuen Album „Gotta Have The Rumble“ las ich gerade, dass Ihnen die Ohren in den letzten zwei Jahren Probleme bereiteten. Wie geht es ihnen?
Brian Setzer: Meinen Ohren geht es schon viel besser. Es ist ein Tinnitus, der kann auftauchen, wenn man zu lange sehr großer Lautstärke ausgesetzt bist. Die Symptome sind bei jedem Menschen unterschiedlich, aber vielleicht stellen Sie sich kurz einen Dampfkessel vor, der die ganze Zeit pfeift – so in etwa hat es in meinem Kopf die ganze Zeit geklungen.
Auch nachts?
Setzer: Ja, klar. Das macht einen ziemlich verrückt. Ich weiß, dass auch viele andere Musiker das schon hatten, wie zum Beispiel Jeff Beck. Ich habe zwar Ohrstöpsel auf der Bühne verwendet, aber die waren offenbar nicht mehr so gut, haben nicht mehr richtig gepasst. Im Endeffekt musste ich eine Pause einlegen – nach 40 Jahren, die ich fast ununterbrochen gearbeitet habe. Diese Pause kam aber sozusagen zur ‚richtigen‘ Zeit, ziemlich genau in dem Moment, als mich auch die Corona-Pandemie zwang, eine Pause einzulegen.
Und der Ton im Ohr ist nun weg?
Setzer: Nein, der ist immer noch da, aber dein Gehirn gewöhnt sich mit der Zeit daran und du entwickelst verschiedene Methoden, um damit umzugehen. Es ist wie mit jeder anderen Krankheit auch: Man findet Wege, damit zu leben.
Wenn der kreative Moment kommt, ist es wie ein Zapfhahn, der sich schwer verschließen lässt.
Sie stehen schon seit Jahrzehnten auf der Bühne. Was sind andere ‚Opfer‘, die so eine lange Karriere erfordert?
Setzer: Ein Opfer, das du bringst, ist zum Beispiel, dass du viele Ereignisse im Leben deiner Kinder verpasst: Ich war nicht bei der Schulabschlussfeier meiner Tochter, weil ich tourte, ich konnte nicht beim ersten Baseball-Spiel meines Sohnes sein…
Viele Leute denken ja, so eine Karriere ist eine leichte Angelegenheit, es ist aber nicht so einfach wie man glaubt. Und doch würde ich diese Karriere gegen nichts eintauschen wollen.
Ihr kreatives Schaffen ist sehr umfangreich, mit diversen Bands und einer Menge Songs, die Sie geschrieben haben. Erfordert das viel Selbstdisziplin?
Setzer: Ich denke, ganz am Anfang, also wenn du beginnst, Gitarre zu spielen: Ja, in dem Moment erfordert es Disziplin. Denn niemand will sich hinsetzen, um Musiktheorie zu lernen, also wie man Musik liest und schreibt. Sondern die meisten wollen einfach drauf los spielen. Das kann man auch versuchen, aber was das ganze am Ende zusammenhält, sind die Grundlagen, die du am Anfang lernst. Insofern braucht es schon viel Disziplin am Anfang.
Erfolgreiche Songs zu schreiben, ist aber eine ganz andere Sache. Wenn es für einen Hit nur Selbstdisziplin bräuchte, dann hätte ich schon hunderte Hits veröffentlicht.
Jedenfalls staunt man nicht schlecht, wenn man Ihre umfangreiche Diskographie betrachtet: So viel Output scheint mit „Sex, Drugs, Rock’n’Roll“ schwer vereinbar…
Setzer: Ach, das Party-Leben, ja, das hast du vielleicht in deinen Zwanzigern. Andererseits ist das auch ein Mythos, mit dem die Leute oft versuchen, das Musikerleben zu glamourisieren. Am Ende muss sich ja auch einer hinsetzen und die ganzen Songs schreiben. Das ist das, was ich mache. Und wenn dann dieser kreative Moment kommt, ist es wie so ein Zapfhahn, der sich schwer verschließen lässt: Du lässt es einfach laufen und lässt diese Songs entstehen.
Auf Ihrem neuen Album singen Sie über „the one bad habit“, die eine schlechte Angewohnheit. Haben Sie noch welche?
Setzer: In dem Songtext, den Mike Himelstein geschrieben hat, geht es um eine Frau, die eigentlich keine schlechten Angewohnheiten hat – außer den Mann, mit dem sie zusammen ist.
Was mich angeht: Ich versuche, die schlechten Angewohnheiten abzulegen. Alkohol trinke ich seit zehn Jahren nicht mehr. Ob sie es glauben oder nicht, ich habe seit zehn Jahren kein Bier mehr angerührt. Als ich das letzte Mal mit den Stray Cats in Deutschland war, gab mir der lokale Promoter allerdings ein sehr gutes alkoholfreies Bier. Als er merkte wie gut mir das schmeckt, hat er angeboten, mir eine ganze Kiste zu besorgen. Aber da habe ich gleich gesagt: Nein, lieber nicht.
Ihre Musik ist handgemacht, bei dem neuen Album haben Sie vermutlich auch viel analoge Technik benutzt. Wie guckt jemand wie Sie auf Pop-Produzenten, die stets mit der neuesten Technologie arbeiten, mit Soundeffekten, Autotune, elektronischem Schlagzeug…
Setzer: Ich mag es, Neues und Altes zu benutzen, bei den Instrumenten wie auch bei der Technik. Wobei vieles von dem, was Sie jetzt erwähnen, für mich eher Gimmicks sind, Spielereien. So wie Pedale. Wenn ich verschiedene Gitarrenpedale ausprobiere, denke ich: Schönes Gerät, aber nicht für mich, das ist gut für andere. Wenn ich zu sehr von meinem Setup aus Gretsch-Gitarre, Bassman-Verstärker und der kleinen Echo-Box abweiche, macht es mir nicht mehr so viel Spaß.
Beim Analogen gefällt mir zum Beispiel, wenn man hört, wie das Tonband ein bisschen leiert, es muss für mich nicht alles makellos klingen.
Was jetzt bei diesem Album neu war, wo uns natürlich auch die moderne Technik geholfen hat: Während der Aufnahme waren wir Musiker aufgrund von Corona alle in verschiedenen Städten. Einer war in Memphis, während der Schlagzeuger in Nashville und das Studio in Minneapolis war. Ich habe aus diesem Grund erstmal nicht viel erwartet – aber dann hat mich das Ergebnis sehr überrascht, ich finde es klingt wunderbar.
Glauben Sie, dass heutige Pop-Musik genauso viele Jahrzehnte überdauern kann wie zum Beispiel ein Jazz-Standard?
Setzer: Ich denke, gute elektronische Musik wird genauso überleben wie auch gute Swing-, Blues-, oder Jazz-Stücke . Es gibt aber eben auch viel schlechten Blues, der vermutlich nicht überlebt. Es ist einfach nur die Frage, ob der Song gut ist. Die heutige Popmusik trifft nicht unbedingt meinen Geschmack, aber natürlich gibt es tolle Songs in diesem Genre.
Hätten Sie ein Beispiel für Popmusik, die Sie gerne hören?
Setzer: Da muss ich etwas überlegen… Spontan fällt mir Jack White ein, der immer wieder mit guten, neuen Songs um die Ecke kommt. Er probiert Dinge aus, ist sehr kreativ, macht es sehr durchdacht – solche Musik wird überleben.
Wie blicken Sie heute auf den Nachwuchs in der Rockabilly-Szene, gibt es genügend Interesse auch seitens der jungen Generation?
Setzer: Ja. Denn diese Musik ist echt, sie kommt aus dem Herzen, von der Seele. Da wird es immer junge Leute geben, die das begeistert. Ich kenne eigentlich auch kein anderes Genre, wo die Musiker so fanatisch sind wie bei Rockabilly. Jede größere Stadt hat eine Underground-Szene dafür und wenn ich auf Tour bin, kommen diese ganzen jungen Männer, und bitten mich, ihre Gitarre zu signieren und zu erklären, wie ich mir bestimmte Gitarren-Licks ausgedacht habe.
Was ist denn mit Musikerinnen im Rockabilly, warum sieht man sie in Bands so selten?
Setzer: Oh, das kann ich nicht beantworten. Ich meine, auch im Rock sind es ja wenig… Was mir aber auffällt, wenn eine Frau Kontrabass spielt, und da gibt es einige, ist das sehr sexy. Wenn sie den Bass zupfen, im coolen Rockabilly-Outfit, das erregt Aufmerksamkeit.
Als Sie mit Rock’n’Roll und Rockabilly Ihre Karriere begannen, waren auch einige Musiker der ersten Stunde noch aktiv. Haben Sie Musiker wie zum Beispiel Chuck Berry jemals getroffen?
Setzer: Chuck Berry habe ich nicht getroffen, aber viele andere Musiker der ersten Rockabilly-Zeit. Und mich hat überrascht, wie demütig sie alle waren. Sie sind außerordentlich bescheiden, wenn es um das geht, was sie erreicht haben. Sie sind dankbar, dass sie Teil dieser Musik sein durften und sie haben mir erzählt, dass sie einfach das gespielt haben, was sie gefühlt haben. Sie hatten ja keine Vorreiter, sondern Musiker wie Carl Perkins haben einfach ihre Gitarre eingestöpselt und losgelegt.
Sie haben sehr häufig für ein tanzendes Publikum gespielt. Sind Sie selbst ein guter Tänzer?
Setzer: (lacht) Also, mir hat ja meine Mutter früher das Tanzen beigebracht, auf Hochzeiten. Als kleiner Junge muss man ja manchmal Dinge tun, auf die man eigentlich keine Lust hat. Und ich wusste nicht, wie man tanzt. Aber da sagte dann meine Mutter: Komm, ich zeig dir diesen Tanz. Und das war dann Lindy-Hop, Bei diesem Tanz würde ich mich als Durchschnitts-Tänzer bezeichnen.