Frau Jürgs, Sie haben 1997 den Aviva Verlag gegründet, wenn sie zurückblicken auf Ihre Tätigkeit, würden Sie die gleiche noch einmal wählen?
Jürgs: Auf jeden Fall. Ich hätte vielleicht nicht gedacht, wie schwierig es manchmal ist, Bücher unter die Leute zu bekommen. In der vergleichsweise kurzen Verlagsgeschichte von elf Jahren hat sich in der Buchbranche sehr viel getan und nicht nur zum positiven. Obwohl man immer noch über neue Verlage spricht gab es früher ein größeres Interesse an Büchern, die nicht gerade Neuerscheinungen waren. Eine Spezialität des Aviva-Verlags sind nämlich Romane der 1920er und 1930er Jahre in Erst- oder Wiederauflagen. Viele der unabhängigen Buchhandlungen, die solche Programme gepflegt haben, sind als Kunden weggebrochen
Was bedeuten „zu Unrecht vergessene AutorInnen“ für Ihr Verlagsprofil?
Jürgs: Viele Schriftstellerinnen, die bis 1933 ihre ersten Erfolge hatten wurden einfach vergessen, obwohl sie uns heute noch einiges zu sagen haben. Darunter waren viele jüdische Frauen, zum Beispiel Ruth Landshoff-Yorck. Es gibt wilde verrückte Geschichten über sie im Berlin der 1920er Jahre. Sie war eine Bohemien, mit Klaus und Erika Mann befreundet und kam sehr viel herum. Als sie 1933 nach Amerika ging, hatte sie große Schwierigkeiten ihr Überleben zu sichern. Auch der Versuch, in Deutschland nach 1945 wieder etwas zu veröffentlichen funktionierte nicht.
Den leichten, lakonischen Stil einer Victoria Wolff hat man in der „Exilliteratur“ auch nicht unbedingt gesucht. Oft war die politische Komponente wichtiger
In der Mode und Partykultur werden die 1920er Jahre immer wieder gerne zelebriert. Können Sie sich dafür begeistern?
Jürgs: Ich weiß, daß es das gibt aber das ist nicht mein Ding. Natürlich spiele ich mit diesem Mythos, um Aufmerksamkeit zu wecken. Ich möchte aber dieses Bild auch wieder dekonstruieren, um es in das für uns richtig erscheinende Licht zu stellen. In den 1920er Jahren sind in Berlin zahlreiche junge Frauen als Journalistinnen, Autorinnen und Redakteurinnen tätig gewesen. Oft sah ihre Lebenswirklichkeit aber anders aus als das, was uns als flippig, rasant und schnell vermittelt wird. Deshalb sind mir Nachworte so wichtig, damit man das Geschehen tatsächlich historisch einordnen kann.
Spielen Trends für Sie eine Rolle?
Jürgs: Das ist schwer zu sagen bei Büchern, die vielleicht gerade gegen bestimmte Trends anschreiben oder verlegt werden. Man kann Werke eben auch wieder entdecken, das muß nur nicht so offensichtlich ein Trend sein wie alles, was 20- und 30jährige AutorInnen schreiben.
Im Verlagswesen sind überdurchschnittlich viele Frauen tätig. Machen Frauen andere oder anders Bücher?
Jürgs: Mir sind Bücher von Autorinnen oder über Frauen wichtiger als sie es in den Programmen vieler Männer sind. Nicht jede Frau macht andere Bücher als ihr männlicher Kollege. Ich möchte auch möglichst umfassende Lösungen dafür finden, daß die Sprache geschlechtsspezifisch ist und nicht immer nur die männliche Form verwendet finden. Aber selbst unter Frauen gibt es genügend, die das antiquiert finden.
Mir sind Bücher von Autorinnen oder über Frauen wichtiger als sie es in den Programmen vieler Männer sind.
Welche Tätigkeit üben Sie im Netzwerk der „Bücherfrauen“ aus?
Jürgs: Ich organisiere zur Zeit in Berlin das Mentoring-Projekt. Davor war ich überregionale Ansprechpartnerin, um die verschiedenen Städtegruppen besser miteinander zu vernetzen. Im Berliner Organisationsteam suchen wir Mentorinnen für die Mentees, die dann jeweils an einem Programm teilnehmen.
Wie kann man sich die Weitergabe von Wissen zwischen erfahrener „Bücherfrau“ und Berufseinsteigerin vorstellen?
Jürgs: Das kommt darauf an, ob die Mentee Buchhändlerin, Selbständige oder Angestellte ist. Am Anfang wird zwischen ihr und der Mentorin eine schriftliche Vereinbarung getroffen. Eine Bedingung ist, daß das Besprochene unter vier Augen bleibt. Themen können sein, wie man neue Verlage akquiriert, seine Selbständigkeit aufbaut oder mit Konflikten umgeht wenn man angestellt ist. Es geht nicht um Coaching oder psychologische Beratung sondern um persönliche Betreuung und Begleitung.
In Statistiken sinkt die Konsumfreudigkeit der Verbraucher. Interessanterweise ist der Konsum von Büchern aber wieder leicht angestiegen.
Jürgs: Kann ich das jetzt bestätigen? Das ist schwierig zu sagen weil es einmal allgemeine Trends gibt, die den verlagsinternen manchmal völlig gegenläufig sein können. Je nachdem, was gerade angesagt ist. Es könnten auch Kochbücher sein, die besonders gekauft werden aber ich denke, es sind mittlerweile mehr Taschenbücher. In großen Verlagen werden die Auflagen von gebundenen Büchern eher vorsichtiger kalkuliert. Bei den kleinen ist man meistens sowieso etwas vorsichtiger. Ich finde es weder besonders gut noch besonders schlecht. Einen Riesenaufschwung konnte ich nicht feststellen.
Welche drei Bücher aus Ihrem Programm empfehlen Sie für die einsame Insel?
Jürgs: Eine Insel ist natürlich von Meer umgeben und gehen wir davon aus, es ist Sommer. Dann würde ich „Die Welt ist blau. Ein Sommer-Roman aus Ascona“ von Victoria Wolff empfehlen. Wenn die Insel auch Berge hat, denke ich sofort an „Sehnsucht nach den Bergen. Schriftstellerinnen im Gebirge“. Eine wunderbare Auswahl verschiedenster Bergtexte jenseits von Edelweiß und Alpenveilchen. Sehr gut und lange lesen kann man „Der Umbruch oder Hanna und die Freiheit“ von Alice-Rühle-Gerstel. Sowohl die Autorin als auch ihre Protagonistin kommen aus Prag. Diese beiden jüdischen Frauen verbrachten einige Zeit in Deutschland und verließen es mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wieder. Rühle-Gerstel ging nach Mexico aber Hanna versucht, in Prag unterzukommen und arbeitet bei einer Zeitung. Der Umbruch ist einerseits eine Anspielung an das, was in dieser wunderbaren Zeitungsredaktion passiert. Andererseits geht es um den ganz persönlichen und politischen Umbruch. Hanna erfährt von den merkwürdigen Veränderungen in der Sowjetunion, von einem anfänglich sehr freien Frauenbild zurück zu dem Modell der Frau am Herd. Das ist ein tolles Buch was ansonsten überhaupt nicht auf die Insel paßt.