Mr. Singer, die Filmdatenbank IMDb.com führt in Ihrer Filmographie einen Auftritt in "Star Trek Nemesis" — wo sind Sie denn da zu sehen?
Singer: Also, da müssen Sie versuchen, den ganzen Film über nicht zu blinzeln. Es gibt diese Szene, wo die Brücke attackiert wird. Commander Worf verlässt in der Szene die Brücke und ich komme an seine Stelle — man sieht mich gerade mal 19 Frames lang.
Patrick Stewart hat mal gesagt, Sie wären damals nach den Dreharbeiten sehr ängstlich gewesen, nachher im Film doch nicht zu sehen zu sein.
Singer: Ja, das habe ich befürchtet, ich habe deswegen auch jeden Tag wieder nachgefragt. Denn mit jeder neuen Fassung der Szene wurde mein Auftritt kürzer. Aber Patrick Stewart und Autor Rick Berman haben für mich gekämpft und so bin ich drin geblieben.
Es gibt wenige Regisseure, die gerne Fortsetzungen drehen, meistens ist eine Fortsetzung ja der Wunsch der großen Studios. Wie hat man Sie bei "X-Men" überzeugt?
Singer: Die mussten mich nicht überzeugen. Ich wollte den zweiten Teil schon von Anfang an drehen, weil ich beim ersten Teil nicht über die Möglichkeiten und die Zeit verfügt habe, um den Film so zu machen, wie ich ihn gerne wollte. Beim Universum der X-Men gibt es ja so viel zu beachten und zu erzählen. Ich habe den zweiten Teil jetzt eigentlich so gemacht, wie ich den ersten gern gedreht hätte.
Wie hat sich die Arbeit an den beiden Filmen unterschieden?
Singer: Ich konnte mich bei "X-Men 2" intensiver mit den einzelnen Figuren beschäftigen, ich hatte auch mehr Zeit Action-Szenen zu planen und konnte mich auch mehr den visuellen Effekten widmen. Solche Effekte gibt es ja in diesem Film über 1000 Stück, was meines Achtens der Handlung auch zugute kommt.
Bei "X-Men" konnten wir nicht alles machen, zum Beispiel die Eingangsszene von "X-Men 2", das Attentat im Weißen Haus. Das war eine Szene, die ich eigentlich schon im ersten Film realisieren wollte, das war aber damals nicht drin. Man hätte ja den Westflügel des Weißen Hauses nachbauen müssen, was viel Zeit gekostet hätte. Ich habe insgesamt, auch was die Figuren und die Geschichte anbelangt, bei "X-Men 2" den größeren Spielraum gehabt.
Haben Sie nun alles realisiert, was Sie wollten, oder sind Ideen für einen dritten X-Men Film geblieben?
Singer: Mit den X-Men kann man allesmögliche machen, es gibt sicher noch Ideen, die ich bisher nicht verwirklichen konnte. Aber irgendwo stößt man ja immer an seine zeitlichen und finanziellen Grenzen. Ich weiß aber auch gar nicht, ob ich der Regisseur eines dritten Teils sein werde.
Die X-Men haben eine große Fangemeinde — inwiefern hat die Einfluss auf eine Verfilmung?
Singer: Die haben immer einen gewissen Einfluss, weil ich auch immer sehr neugierig bin, was die Fans wollen, also was sie generell sehen wollen. Zum Beispiel haben wir in dem neuen Film die Figur des Nightcrawler aufgenommen, den mögen die Fans sehr. Ich versuche immer ein offenes Ohr für die Fans zu haben, schließlich unterstützen sie die Welt der X-Men schon seit 40 Jahren.
Hatten Sie eigentlich Schwierigkeiten mit einer der ersten Szenen, in der Wolverine Zigarre raucht und dabei durch einen wunderbaren Wald läuft?
Singer: Ja, das ist eine schreckliche Geschichte. Eine Anti-Raucher Vereinigung hat deswegen sogar eine ganzseitige Anzeige in der New York Times zurückgezogen, auf der ich und ein paar andere Filmemacher zu sehen waren, unter anderem auch Wolfgang Petersen. Das war sehr problematisch, weil meine Mutter eine große Umweltschützerin ist und vor ein paar Jahren noch Präsidentin der "Lung Association", so eine Art Anti-Tabak Lobby.
Aber, Wolverine raucht im Comic Zigarre, deshalb wird er auch im Film eine Zigarre rauchen, ob in der wunderbaren Natur, oder in der Schule.
Sie haben 1995 "Die üblichen Verdächtigen" mit einem relativ kleinen Budget in nur 35 Tagen abgedreht. Bei den X-Men-Filmen war das Budget wesentlich höher, der Produktionsrahmen viel größer. Was bedeutet das für Sie als Regisseur?
Singer: Als ich "Die üblichen Verdächtigen" gedreht habe, da habe ich das alles nicht so bewusst gedreht. Wir haben einfach gefilmt, gefilmt, ich erinnere mich auch noch an sehr lange Szenen, die wir in einem einzigen Take gedreht haben.
Wenn ich jetzt mit so eine großen Budget arbeite, dann bin ich wesentlich aufmerksamer, konzentrierter. Es ist aber auch eine Frage der Zeit, man braucht bei so einem Projekt auch Ausdauer. Nachdem ich 70 Tage "X-Men" gedreht habe, dachte ich, jetzt habe ich schon zwei Mal "Die üblichen Verdächtigen" gedreht. Aber der Dreh ist ja bei so einem Film längst nicht alles. Die Vorbereitungen, das Set-Design, die Vorbereitung der Action-Szenen und der Visualisierung — das nimmt alles sehr viel Zeit in Anspruch. Dann haben wir bei "X-Men 2" 110 Tage für den Dreh gebraucht, am Ende des Drehs haben wir bereits mit dem Schnitt begonnen. Und auch die Postproduktion war sehr komplex, nicht nur die Realisierung der 1000 visuellen Effekte, auch der Sound und die Musik kostet Zeit. Das ist sehr anstrengend, wie Ausdauertraining.
Wie groß ist die künstlerische Freiheit bei so einem hohen Budget?
Singer: Marvel Comics gibt mir absolute Freiheit, von Anfang an, und genau so das produzierende Studio. Ich denke sowieso, dass sich jeder einen X-Film anders vorgestellt hat. Ich konnte deswegen den ersten Film in meine Richtung lenken und ich war erfolgreich damit. Deswegen hat man mir diese Freiheiten beim zweiten Teil wieder eingeräumt. Ich glaube sogar, wenn ich aus den X-Men ein Musical machen würde, die würden nicht nein sagen.
Sie beginnen "X-Men 2" mit Mozarts "Dies Irae". Wieso gerade dieses sehr populäre Stück?
Singer: Das war eigentlich John Ottmans Idee, der die Filmmusik komponiert hat. Es hatte aber auch damit zu tun, dass wir am Anfang als Vorschau eine reine Comic-Version der Anfangsszene angefertigt haben. Und da hat er einfach Mozarts "Dies Irae" druntergelegt, ohne dass das jetzt für den End-Soundtrack so gedacht war. John hat dann versucht, die Szene mit Action-Musik zu unterlegen. Er hat sehr viel probiert, verschiedene Themen, verschiedene Tempi — aber irgend wann haben wir gemerkt: der Mozart passt am besten.
Die X-Men Darsteller haben mittlerweile zum Teil große Namen, wie ist da die Zusammenarbeit?
Singer: Für mich sind sie keine großen Namen, dass sind meine Freunde, mit denen ich den ersten X-Men Teil gedreht habe, da gibt es auch keinen Unterschied zu früher, wie wir gegenseitig mit einander umgehen. Das ist auch mit Halle nicht anders, seit sie den Oscar bekommen hat oder mit Hugh Jackman, der jetzt 12 Bodyguards braucht, um auf Toilette zu gehen (lacht). Nein, Scherz beiseite, für mich haben sie sich nicht besonders verändert.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Comic-Figur sind Sie?
Singer: Ich wäre natürlich Mystique von den X-Men. Dann könnte ich mich in jeden x-beliebigen Menschen verwandeln und mit jedem x-beliebigen zusammen sein.