Charles und Arnaud, ihr habt mal in einem Interview erzählt, dass das erste Stück Musik von Caravan Palace der Soundtrack zu einem Stummfilm-Porno war…
Arnaud Vial: Ja, das stimmt. Das war 2006, damals hat ein großer französischer Fernsehsender in seinem Spätprogramm Sexfilme gezeigt. Weil sie etwas Neues machen wollten haben sie dann historische Filme ausgegraben, die zu ihrer Zeit illegal waren. Das waren Stummfilme und für einen haben sie nach passender Musik gesucht und uns gefragt. Wir haben zu der Zeit nur Swing gespielt, nebenher aber auch elektronische Musik gemacht. Für den Film haben wir dann versucht, etwas Neues auszuprobieren. Das klang sehr gut – leider wurde der Film dann aber doch nicht gesendet.
Charles Delaporte: Für uns war das eine erste Erfahrung. All unsere Freunde hörten sich das an und jeder sagte: Wow, das klingt großartig, diesen Weg solltet ihr weiter verfolgen.
Wird es eines Tages die Möglichkeit geben, den Film mit eurer Musik zu sehen?
Delaporte: Vielleicht.
Vial: Das Problem ist: Wir finden ihn nicht, wir wissen nicht, wo er ist. Das war auf irgendeiner alten Festplatte… Aber es wäre natürlich gut, wenn wir ihn wiederfinden, dann hätten wir ein offizielles Video auf Youporn.
Ihr habt damals Swing gespielt, und gleichzeitig hatte jeder von euch auch Software für elektronische Musik?
Delaporte: Damals waren wir ja nur drei, Arnaud, Hugues an der Geige und ich. Ja, jeder hatte sein Homestudio, sprich Computer und Mikrofon, das kann schon ausreichen.
Vial: Wir haben damals sehr viel TripHop gehört, Massive Attack, diese Richtung…
Delaporte: … wobei die Leute es vor allem gemocht haben, wenn wir Jazz Manouche spielten, Django Reinhardt-Songs.
Vial: Es gab so ein Revival des Jazz Manouche. Aber eine Band, die das mit elektronischer Musik mischte, kannten wir nicht, da waren wir die einzigen. Dass Parov Stelar zu der Zeit das Gleiche gemacht hat, haben wir damals noch nicht mitbekommen. Es ist lustig zu sehen, wie diese Dinge sich parallel entwickelt haben.
Die großen Gitarren-Helden, mit denen man in den 90ern aufgewachsen war, sind langsam aus der Mode gekommen.
2007 habt ihr als Caravan Palace auf dem Festival in Samois gespielt, vom dem es heißt, es sei DAS Django Reinhardt-Festival schlechthin. Und ihr kamt dorthin mit elektronischem Equipment?
Vial: Ja, wir hatten auch Angst…
Delaporte: …vor der Reaktion der Puristen.
Vial: Aber am Ende war alles gut. Ein paar Zuschauer sind gegangen, aber viele sind geblieben, insbesondere die jungen. Es war dann schön zu sehen, dass sie getanzt haben. Perfekt!
Wie ist denn euer Verhältnis zur Tradition?
Vial: Also, am Anfang haben wir viel modernen Jazz gehört, Jazz-Funk, Herbie Hancock… Aber dann sind wir, ich weiß nicht warum, zurück zu den Sachen aus den 30ern gekommen. Zu der Zeit waren glaube ich viele Gitarristen etwas verzweifelt, weil die großen Gitarren-Helden, mit denen man in den 90ern aufgewachsen war, langsam aus der Mode kamen. Einige haben dann den Manouche-Stil für sich entdeckt, zwar ein anderes Genre, aber eben auch ein Genre wo Virtuosität eine große Rolle spielt. Ich glaube, es gibt viele Gitarristen die erst Metal und dann Jazz Manouche gespielt haben.
Delaporte: Es kommen manchmal Metal-Gitarristen zu unseren Konzerten – und die mögen das, was wir machen. Auch wenn es völlig anders ist als Metal.
Aber nochmal zu den Puristen und Liebhabern des traditionellen Gypsy Swing. Bekamt ihr böse Briefe von denen?
Delaporte: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Aber nach deren Auffassung sollen wir diese Musik halt nicht anrühren.
Wie würdet ihr dagegen argumentieren?
Delaporte: Vielleicht hätte Django gerne mehr mit seiner Musik gemacht und sie mit Elektronik vermischt, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Man weiß das ja nicht.
Vial: Wir würden sagen: Es geht hier gar nicht um etwas Ernstes sondern um Spaß, um Party. Und da sagen wahrscheinlich auch die Puristen: Wenn es für Party ist, dann ist es ok.
Delaporte: Wir behaupten ja auch gar nicht, dass wir Jazz-Musiker sind. Wir können Jazz spielen, aber bei Caravan Palace ist die Musik nun mal anders. Wir könnten damit auch auf einem Rock-Festival oder einem World Music-Festival auftreten.
Vial: Früher war uns die Tradition wichtig. Aber dann haben wir uns weiterentwickelt, wir hören auch keine traditionelle Musik mehr, sondern viel elektronische Musik und Pop. Wir haben aber trotzdem großen Respekt vor der Tradition.
Angenommen Duke Ellingtons Musiker hätten Synthesizer und Effektgeräte gehabt, hätten sie dann vielleicht so geklungen wie Caravan Palace?
Vial: Vielleicht. Duke Ellington hat ja immer versucht, neue Sachen zu machen, zum Beispiel den ‚Jungle Style‘, bei dem die Trompeten besondere Laute gemacht haben – die Puristen mögen diesen Aspekt von Ellingtons Musik auch nicht, das war ihnen zu cheesy.
Wahrscheinlich würde Cab Calloway heute so etwas machen wie wir. Dem ging es viel um Spaß und Unterhaltung, gleichzeitig hat er qualitativ sehr gute Musik gemacht, die Arrangements waren sehr reichhaltig. Wir lieben Cab Calloway…
Delaporte: ..und seine Punk-Attitude.
Kann eine Maschine swingen?
Vial: Ja.
Delaporte: Natürlich, aber du musst sie so programmieren. Also ohne einen Menschen dahinter kann sie nicht swingen.
Vial: House-Musik swingt ja jetzt schon über 20 Jahre, ein ‚4-on the floor‘-Beat, aber mit swingenden Hi-Hats.
Sind es nicht aber die menschlichen Gefühle und Emotionen, die den Swing erzeugen? Musiker, die spontan zusammen agieren?
Vial: Ich bin mir nicht sicher, ob die Tatsache, dass Menschen zusammenspielen, wirklich ein Kriterium für Swing ist. Swing sind die punktierten Noten, und das kann eine Maschine auch spielen. Alle Sequenzer haben diesen Swing-Modus.
Delaporte: Und den benutzen wir sehr oft.
Es heißt, dass ihr Songs zuerst jeder für sich am Computer entwickelt…
Delaporte: Ja, zuerst müssen wir alleine arbeiten, weil es schwierig ist, etwas anzufangen mit den Freunden drumherum, die alles sehen würden was du machst. Du brauchst Zeit um eine gute Idee zu entwickeln. Und dann teilen wir irgendwann die Entwürfe und Tracks über das Internet…
Und jeder ist quasi für alles zuständig?
Delaporte: Jeder kann eigentlich fast alles, aber natürlich ist der ein oder andere bei etwas Bestimmtem besser. Hugues kann sehr gut Melodien schreiben, Arnaud macht auch gute Melodien ist aber auch gut in Programmierung…
Vial: Und Charles ist gut, was die Gitarren-Parts anbelangt.
Wenn ihr dann später im Studio zusammenkommt, verwendet ihr dort viel altes Equipment?
Vial: Am Anfang hatten wir viel altes Equipment, sehr alte Mikrofone oder Synthesizer. Aber das ist mittlerweile nicht mehr so wichtig, weil nun alles im Computer stattfindet. Wir kreieren den alten Sound vor allem mit Plug-Ins, dem Equalizer, Kompression… Allein mit einem alten Mikrofon aus den 40ern ist das ja noch nicht getan.
Nutzt ihr eigentlich Samples?
Vial: Ja, Samples benutzen wir sehr viel.
Delaporte: Wir samplen aber keine ganze Melodie, sondern eher kleine Sachen, die die Atmosphäre entstehen lassen. Wir mögen es auch, die Stimme von Zoé mit einem Sample zu mischen. Das verleiht ihrer Stimme etwas Magisches.
Ist sie denn immer zufrieden damit, wie ihre Stimme gepitcht und verzerrt wird?
Vial: Nein, manchmal würde sie es vorziehen eine klare Stimme haben, so dass die Leute hören können, dass sie eine gute Sängerin ist. Aber wir mögen es, ihre Stimme auseinanderzunehmen. (lacht)
Euer Album „<I°_°I>“ ist noch elektronischer geworden als die beiden Vorgänger. Wird die Live-Darbietung dadurch komplizierter?
Vial: Ja. Wir haben auf der Bühne alle Synthesizer oder Pads, um elektronische Sachen zu spielen, wir verteilen die elektronischen Parts auf alle Musiker, weshalb unser Soundcheck sehr kompliziert ist. Wahrscheinlich verlieren wir ein bisschen Freiheit durch die Elektronik. Als wir nur akustische Instrumente spielten waren wir freier.
Aber dass das Album jetzt elektronischer geworden ist, das ist eben eine natürliche Entwicklung und hat damit zu tun, dass wir selbst fast nur elektronische Musik hören.
Electroswing-Events stecken oft voller Nostalgie. Parov Stelar sagte, er sei kein Fan von Motto-Partys und er könne „das Grammophon jetzt schon nicht mehr sehen“. Wie ergeht es euch damit?
Vial: Ja, es ist ein bisschen zu viel, das stimmt schon. Allerdings hat Parov Stelar auf seinem letzten Album selbst einen Jazz-Standard geremixt („It don’t mean a thing“), den schon tausende DJs vor ihm benutzt haben. Insofern verwundert mich dieses Statement von ihm.
Aber es ist im Electroswing eben tatsächlich so, dass es viele opportunistische DJs gibt, die einfach einen alten Standard nehmen und einen Beat drunterlegen, fertig. So etwas finde ich langweilig, wir müssen da ein Schritt weiter gehen.
Delaporte: Wir wollen nicht wie das Klischee dieses Genres klingen.
Spielt ihr denn selbst noch Standards?
Vial: Nein.
Delaporte: Live haben wir mal „Minnie the Moocher“ gespielt. Und auch „Bleck Betty“, das ist kein Standard sondern eher Blues/Rock’n’Roll, der Song klingt gut mit dem Caravan Palace Spirit.
Wir wollen jetzt aber unsere eigenen Kompositionen machen.
Wenn ihr eine Zeitmaschine hättet, würdet ihr zurück in die 20er/30er Jahre oder in die Zukunft reisen?
Vial: Interessant war die Zeit natürlich, weil es das Ende des Krieges war, jeder wollte Party machen. Aber es waren auch harte Zeiten… Wir würden es wahrscheinlich vorziehen, die Zukunft zu sehen. Wir mögen Technologie und all die neuen Dinge.
Was glaubt ihr, wie wird man in 100 Jahren auf die heutige Zeit zurückschauen?
Vial: Vielleicht denken die Leute: Zu viel Selfies! Was sollte denn der Scheiß!?
Delaporte: Vielleicht werden sie in 100 Jahren sagen: Wir brauchen mehr Musiker! Was wird aus der Musik? Vielleicht gibt es in 100 Jahren auch keinen DJ mehr, es steht kein Mensch auf der Bühne sondern irgendetwas Anderes.
Im Artwork eurer Alben tauchen stets Roboter auf. werden Roboter eines Tages Musik spielen?
Vial: Ja, bestimmt. Es gibt doch bereits eine Roboter-Band, die man auf Youtube sehen kann (Compressorhead). Das ist schon komisch, wenn man sieht, wie die headbangen. Aber sie spielen richtig, sie bewegen die Roboterhände auf der Gitarre…
Und werden Roboter komponieren?
Vial: Ja, das vielleicht sogar auch.
Delaporte: Musik ist eine Wissenschaft.
Wenn eure Musik ein Soundtrack wäre: Was passiert in dem Film?
Vial: Hm… es wäre auf jeden Fall ein verrückter Film, mit viel Spaß, eine große Party. Vielleicht wäre er ein bisschen so wie „Sweet & Lowdown“ von Woody Allen. So burlesk, lustig… Der Musiker in dem Film erschießt nach dem Konzert Ratten mit seiner Pistole, trinkt immer, ist sehr grob zu Frauen – eine Komödie aber auch ein Drama.