Frau Antoni, ist die Corona-Zeit Ihr erster langer Urlaub vom Schauspieler-Beruf?
Antoni: Nein, 2020 war verrückter Weise das Jahr, in dem ich am meisten gedreht habe. Es gab eine Pause von März bis Juni, aber danach habe ich bis Jahresende Dreharbeiten gehabt: alles attraktive Rollen, die sich gelohnt haben.
Aber gedreht wurde unter erschwerten Bedingungen…
Antoni: Klar, ich habe über 40 Corona-Tests gemacht, war vor Dreharbeiten in Quarantäne und wenn zwischen Drehtagen eine Pause lag, ging das Ganze von vorne los. Trotzdem zähle ich mich zu den Glückspilzen, denn ich hatte Arbeit. Meine Tochter, die freischaffende Schauspielerin ist, konnte seit einem Jahr keinen Cent verdienen.
Hat man sich in Deutschland im ersten Pandemie-Jahr nicht genug um die Kultur gekümmert?
Antoni: Also, wenn die Menschen nicht mehr ins Kino oder Theater gehen, nicht ins Restaurant oder bei einer Tasse Kaffee Freunde treffen, um sich auszutauschen – dann ist das natürlich eine Katastrophe. Ich finde es auch verheerend, wenn Politiker die Theaterkunst, die sie sonst immer über den grünen Klee loben, plötzlich gleichsetzen mit Sportvereinen und Kegelrunden. Außerdem haben sehr viele Theater alle Auflagen der Politik erfüllt, haben hygienische Maßnahmen ergriffen und gewährleistet, dass das Publikum Abstand halten kann – trotzdem wurden sie geschlossen, das finde ich furchtbar. Und sehr viele freischaffende Künstler haben bis heute keine finanziellen Hilfen bekommen.
Sehen Sie sich eigentlich in der Corona-Risikogruppe?
Antoni: Ich denke, man muss mit der Corona-Situation verantwortungsvoll, diszipliniert und vorsichtig umgehen, aber ich bin auch nicht überängstlich. Ich lebe derzeit mit Tochter und Enkelkind zusammen und durch die Tests bei Dreharbeiten konnte ich praktisch fortlaufend nachweisen, dass ich negativ bin – das war für die Familie eine ’sichere Bank‘.
Am Theater bringt Diventum überhaupt nichts.
Sieht man Ihr jüngstes ZDF-Interview in der Reihe „FilmFrauen“ oder liest man Ihre Autobiografie hat man den Eindruck: Sie haben ein dickes Fell.
Antoni: Ich bin nicht stur, falls das gemeint ist. Aber ich kann eine Menge aushalten, das stimmt.
Zum Beispiel, wenn ein Messerwerfer versehentlich Ihr Ohr trifft.
Antoni: Das gehörte zur Sparte Risiko. Ich hatte damals den Ehrgeiz, jede Szene selbst zu drehen, dieser Unfall bei den Dreharbeiten zum Film „Kindheit“ (1986) war mir dann eine Lehre. Ich habe gelernt, dass man nicht zu hoch pokern sollte, dass man nicht alles allein machen muss, sondern sich auch mal doubeln lassen kann.
Aber mein Nervenkostüm ist schon stabil. Das kommt sicher auch daher, dass ich Familie habe, lange lebte die Mutter meines Mannes bei uns im Haus, ich habe eigentlich immer eine Großfamilie um mich gehabt und für diese gesorgt. Dafür braucht man starke Nerven. Ich würde trotzdem nicht sagen, ‚dickes Fell‘, sondern: Ich habe eine ganze Menge Energie.
Sie haben kurz nach dem Verlust Ihres Ehemannes noch einen Drehtag absolviert – zu so etwas sind vermutlich nur wenige Schauspieler imstande.
Antoni: Das war „Der Laden“ (1998), für diesen Film hatte ich acht Monate gedreht, was mit sehr vielen Entbehrungen für die Familie verbunden war. Ich hätte ihn vermutlich nicht mehr zu Ende gebracht, wenn ich den letzten Drehtag abgesagt hätte. Es waren noch zwei Einstellungen, die ich drehen musste, meine Kinder waren dabei… Ich weiß gar nicht mehr, wie ich das geschafft habe. Insgesamt habe ich etwa fünf Jahre gebraucht, um darüber hinweg zu kommen, fünf Jahre in denen ich mich zugearbeitet habe.
Gab es denn überhaupt mal längere Pausen in Ihrer Karriere?
Antoni: Eigentlich nicht. Eine gewisse Pause gab es nach der Wende, wo man sich politisch mit dem Theater beschäftigt hat, mit der Verteidigung des Berliner Ensembles, in der Zeit stand ich wenig auf der Bühne.
Ansonsten habe ich es mir immer gut eingeteilt: Ich arbeite – und dann bin ich mit der Arbeit fertig. Und ich bereite mich auf jedes Stück, jedes Hörspiel und jeden Film vor, ich lese immer noch das ganze Drehbuch, selbst wenn ich nur in zwei Szenen auftrete. Da bin ich alte Schule.
In Ihrer Autobiografie beschreiben Sie, wie der West-Intendant Claus Peymann am Berliner Ensemble auf Ost-Schauspieler traf, die „ohne Erfolgsgier ihre Erfahrungen in die Arbeit“ einbrachten. Welche Rolle spielte Erfolg für Sie?
Antoni: Ich denke, jeder Schauspieler will Erfolg haben und der beste sein. Aber genauso wichtig ist die Teamarbeit und die war ich von früher gewohnt: wo die Gewerke, die Schauspieler und alle sich einbringen und mitdiskutieren konnten. Diese Teamarbeit wurde nach der Wende an vielen Theatern abgelöst von einem eher autoritären Stil. Und das spürte ich bei Peymann ganz besonders, dass er der Bestimmer war, immer das Wort hatte und alle das gemacht haben, was er sich wünschte.
…wobei Sie auch schreiben, dass dieser Stil „Kreativität freigesetzt“ hat.
Antoni: Ja, ich konnte mit Peymann ausgezeichnet arbeiten. Am Anfang hat er mir nicht so viel zugetraut, später, nachdem er mich im „Nathan“ als Daja besetzt hat, war er von mir begeistert.
Ich fand es wunderbar, von ihm Textauslegung zu lernen, von Lessing-Sprache in Tagessprache überzugehen, ohne den Text an sich zu verändern. Über diese Arbeit haben wir zusammengefunden.
In der Arbeit spielt für mich auch gar keine Rolle, ob ich jemanden leiden kann oder nicht, sondern da geht es um das Wollen, das Ergebnis, um Fleiß, ums Zuhören und auch um Kritik. Ich glaube, ich bin einer der wenigen Theaterschauspieler, die stundenlang Kritik ertragen können. Ich höre mir das mit viel Güte an und habe so auch viele Dinge über mich herausgefunden.
Andererseits: Sie haben bereits mit so vielen wichtigen Film- und Theaterpersönlichkeiten zusammengearbeitet – Sie könnten es sich leisten, auch mal Diva zu sein.
Antoni: Dafür bin ich zu uneitel. Ich finde auch, dass man sich nicht auf Lorbeeren ausruhen sondern an seinem Können immer weiter arbeiten sollte. Ich habe nie einen laxen Theaterabend gespielt, weil es mir gerade nicht so gut ging, sondern ich nehme bis zum heutigen Tag den Beruf sehr ernst, eben weil er mir so gut gefällt.
Eine Diva, die muss sich ja auch mal schlecht benehmen – und ich versuche mich am Theater eigentlich immer gut zu benehmen. Es ist ja Ensemble-Arbeit, da bringt Diventum überhaupt nichts. Ich habe lange die „Mutter Courage“ gespielt, in dem Stück gibt es etwa zwölf Rollen, die nur ein, zwei Sätze haben. Mit diesen Schauspielern unterhalte ich mich wie mit allen anderen und lasse nicht den Gonzo raushängen.
Wer Sie von der Theaterbühne her kennt wird aber zumindest bei manchen TV-Filmen denken: Diese oder jene Rolle unterfordert Ihr Können.
Antoni: Man kann sich beim Film nicht immer alles aussuchen. Ich versuche schon, unpassende Drehbücher auszusortieren und abzusagen. Es gibt natürlich im Fernsehen viele Genre-Filme, „Mord mit Aussicht“, oder die Geschichten mit Horst Krause zum Beispiel, das ist eben ein Heimat-Genre aus Brandenburg. Da muss man als Schauspieler schauen, ob man dieses Genre gut bedienen kann, ob man aus der Rolle etwas herausholen kann. Wenn ich diese Möglichkeit sehe, dann spiele ich das.
Wie gut kommen Film- und Theaterspieler am Set miteinander zurecht?
Antoni: Man merkt beim Dreh schon, wer Theaterschauspieler ist und wer nicht. Vom Theater ist man ein sehr offenes Arbeiten gewohnt, beim Proben kann jeder den ganzen Tag sehen, was du sagst und du bist pur.
Beim Film ist man oft nur begrenzte Zeit am Set, man kennt nicht alle Schauspieler… Und leider gibt es beim Film zunehmend schlechtes Handwerk, vermutlich auch aus Kostengründen. Viele haben keine Ausbildung mehr, obwohl sie die vielleicht gebraucht hätten. Nicht jeder ist Naturtalent wie eine Katharina Thalbach oder hat eine Sonderbegabung, aber alle nennen sich Schauspieler. Wenn ich manchmal in den Nachrichten so etwas höre wie „nachdem sie sich in Filmrollen probiert hat, ist sie jetzt eine wunderbare Schauspielerin“, dann finde ich, verunglimpft das unseren Berufsstand.
Aber zu Ihrer Frage: Natürlich kommen wir miteinander zurecht. Die guten Schauspieler fragen einen um Rat und sind auch nicht beleidigt, wenn man ihnen Hinweise gibt, sondern nehmen das an.
Von welchen jüngeren Kollegen haben Sie denn zuletzt etwas gelernt?
Antoni: Christoph Maria Herbst! Mit ihm drehe ich die Comedyserie „Merz gegen Merz“ und er ist so schnell und so präzise in seiner Aussprache, so wortgewandt und flink – da muss ich einen Gang höher schalten, um noch mithalten zu können. Mit ihm zu drehen ist wie ein Schlagabtausch, erfordert viel Konzentration, ist aber ein Heidenspaß.
Einer Ihrer jüngsten Kinofilme ist die Verfilmung der „Känguru-Chroniken“. Teilen Sie die Kritik, dass es zu sehr eine „Mainstream-Komödie“ geworden ist?
Antoni: Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mir zumindest gewünscht, dass der Regisseur Dani Levy, der eine sehr ausgeprägte politische Phantasie hat, sich etwas mehr hätte durchsetzen können. Ich glaube, wenn man seinen Ideen etwas mehr gefolgt wäre, hätte der Film ein bisschen liebevoller werden können und an manchen Stellen weniger plump.
In der DDR wirkten Sie an mehreren sogenannten „Kellerfilmen“ mit, Produktionen, die der Zensur zum Opfer fielen. Wirkt der Kapitalismus manchmal ähnlich, zum Beispiel wenn eine Massenkompatibilität auf Kosten des Inhalts geht?
Antoni: Ich sehe schon, dass die Geldgesellschaft eine gewisse Unsensibilität mit sich bringt, eine merkwürdige Robustheit, die mir auch nicht gefällt. Das schlägt sich in vielen Dingen nieder, wie zum Beispiel einer Einschaltquote, nach der man sich richtet. Für mich ist das ein merkwürdiger Ansporn. Aber so kommt es mitunter vor, dass nicht die Regisseure einen Film besetzen, sondern die Produzenten. Und so etwas finde ich nicht in Ordnung.
In der ZDF-Reihe „Filmfrauen“ ist neben Ihnen auch Katrin Sass zu Gast. Sie sagte uns vor einigen Jahren, dass Sie das Berufsleben nach dem Mauerfall oft als Kampf empfinde, man lebe „nur noch um zu kämpfen“. Hatten Sie nach der Wende ähnliche Gedanken?
Antoni: Dazu muss ich sagen, dass ich überhaupt kein Rückwärtsschauer bin, sondern ich bin neugierig, positiv- und vorwärtsdenkend, naiv – dadurch habe ich eine andere Lebenseinstellung. Wenn etwas nicht klappt, ich vielleicht mal ein Engagement nicht bekomme, kann ich mich gut beschäftigen, mit vollkommen anderen Dingen. Ich male dann, mache Handwerksarbeit oder bin stundenlang in meinem Garten.
Es gibt also keine Wehmut im Rückblick auf das Leben ohne Kapitalismus.
Antoni: Vor der Wende sind wir auf die Straße gegangen, weil wir die DDR verändern wollten: mit Pressefreiheit, Reisefreiheit usw. Das passierte so aber nicht, was ich sehr schade finde, weil dadurch die Chance ungenutzt blieb, so ein Land mal umzukrempeln – das wäre ja interessant geworden. Stattdessen geschah ein eher langweiliges Eintreten in den Westen mit vielen Ungerechtigkeiten, von denen sich einige Menschen auch nicht mehr erholt haben. Darüber kann man traurig sein. Andererseits habe ich nur dieses eine Leben, diesen einen Beruf, diese eine Kunst – da fange ich nicht an, rückwärts zu denken und zu überlegen was mir alles angetan worden ist. Ja, die Wende hat Schwierigkeiten gebracht, man musste sich in dem neuen Land zurecht finden. Aber ich bin keine Jammertante.
Zurück zum Theater: Haben Sie manchmal Sorgen um seine Zukunft?
Antoni: Nein. Es wird nach Corona sicher etwas dauern, bis es sich erholt, aber das Theater stirbt nicht aus. Literatur und Theaterstücke gehören zum Bildungskanon, Menschen werden sich auch in Zukunft in Abiturprüfungen mit den Dramatikern beschäftigen, Literatur wird verfilmt oder auf die Bühne gebracht… Es hat aber jede Generation unterschiedliche Erwartungen an das Theater, deshalb macht es verschiedene Entwicklungen durch.
Gibt es bestimmte Formen des Theaters, die Sie sich in Zukunft mehr wünschen?
Antoni: Mir gefällt zum Beispiel das Konzept des Hamburger Thalia-Theater, wo Schauspieler Stücke zu zweit oder zu dritt aufführen, womit sie vor allem junge Leute erreichen. Generell muss sich das Theater mehr Themen widmen, die die Konflikte der jungen Leute ansprechen, die frech sind, auch in verschiedenen Sprachen.
Und das Schinkentheater muss aufhören! Stücke von vier oder fünf Stunden Länge anzusetzen, was bis auf die Fans nur wenige durchhalten… Ich glaube, da sollte sich das Theater mehr dem Tempo unserer Zeit anpassen. Warum nicht mehr Literatur in Kurzfassung? Ich erinnere mich an die Inszenierung von „Emilia Galotti“ am Deutschen Theater von Michael Thalheimer, gekürzt auf 80 Minuten. Darüber haben einige die Nase gerümpft, aber die Jugend ist hingestürzt und hat das erste Mal diesen Stoff gesehen.