Frau Link, wie geht es Ihrem Oscar, den Sie 2003 für Ihren Film „Nirgendwo in Afrika“ erhalten haben?
Link: Ich freue mich schon sehr über ihn, aber ich überbewerte ihn auch nicht. Der Oscar steht da in unserem Haushalt und wird auch sehr profan behandelt. Meine Tochter hat neulich mal eine Wäscheleine für ihre Puppenkleider an ihm aufgespannt. Der ist nicht heilig.
Aber steht er nicht für einen gewissen Erfolgsdruck, der auf Ihrem neuen Film lastet?
Link: Ich finde nicht, dass der Oscar wie ein Stempel ist, der sagt: das war jetzt aber ein ganz ganz großer Film! Mein letzter Film ist, was er ist. Und der Auslands-Oscar ist auch das, was er ist. Der stresst mich nicht, der Kamerad.
Malerei und Tanz spielen in Ihrem neuen Film „Im Winter ein Jahr“ eine große Rolle. Welche Beziehung haben Sie zu diesen anderen Kunstformen?
Link: Ich habe sie nur als eine Art des eigenen Ausdrucks gesehen. Ich konsumiere sie so, wie viele andere Menschen das auch tun, aber kenne mich nicht besonders gut aus. Der Impuls für mich, diesen Stoff zu verfilmen, war ein ähnlicher, wie bei „Jenseits der Stille“ – ein Mädchen braucht ein Ventil, um sich auszudrücken. Damals war es Musik, jetzt ist es der Tanz.
Und bei Ihnen ist dieses Ventil das Filmemachen?
Link: Ich kann diese Suche nach einem Ventil nachvollziehen, ja. Ich schreibe meine Geschichten selber, oder mache mir Stoffe zueigen, um mich in meinen Drehbüchern auszudrücken. Das Mädchen muss lernen, nicht nach der Pfeife anderer zu tanzen, sondern ihren eigenen Tanz zu finden, im übertragenen Sinne.
Lilli, diese junge Frau in Ihrem neuen Film, muss den Tod ihres Bruders verkraften. Lillis Mutter gibt ein Portrait ihrer Kinder in Auftrag. Der Maler sorgt so gewissermaßen für eine posthume Familienaufstellung. Kann Kunst therapeutisch wirken?
Link: Der Versuch des Malers, diese Familie zu verstehen, diese beiden Geschwister zueinander anzuordnen und auch der Wunsch der Mutter nach diesem Bild sind unterbewusste Versuche, wieder etwas in Bewegung zu bringen, der Erstarrung zu entkommen. Sie suchen nach einem Impuls, sich auf einer anderen Ebene mit dem, was passiert ist, auseinandersetzen zu können. Ich glaube ganz stark daran, dass Kunstformen diese Impulse geben können.
Welche Rolle kommt dabei dem Maler zu, der von Josef Bierbichler gespielt wird?
Link: Er ist im Grunde ein Regisseur, der das richtige Bild für diese Situation finden möchte. So wie er versucht, die Kinder auf der Leinwand anzuordnen, versuche ich in der Szene, die Schauspieler zueinander anzuordnen, eine Atmosphäre entstehen zu lassen, um das erzählen zu können, was ich erzählen möchten. Der Maler und ich sind auf der Suche nach den richtigen Bildern.
Inwiefern waren Ihre eigenen Erfahrungen wichtig, um die Geschichte von „Im Winter ein Jahr“ erzählen zu können?
Link: Im Nachhinein muss ich sagen, dass mein Leben sehr sorglos gewesen war, bis mein Kind so sehr krank wurde und nicht viel später mein Vater starb. Bis dahin hatte alles ganz gut funktioniert. Schicksalsschläge kannte ich nur von anderen Leuten. Dass dann der Tod so plötzlich im Raum steht, allein die Möglichkeit, dass ich mein Kind nach fünf Monaten wieder hätte verlieren können, hat mich schon ein bisschen verändert und auch einen Schatten auf das, was ist, geworfen. Jeder weiß, dass er mal sterben muss, aber die Stärke und diese Endgültigkeit des Todes habe ich erst dann begriffen. Und das hat mich in meiner etwas melancholischen Tendenz, die ich manchmal so habe, eher bestärkt.
Dass Sie 2003 nicht zur Oscar-Verleihung gereist sind, weil Ihre Tochter krank war, ist bekannt, aber nicht, dass diese Krankheit lebensbedrohlich war.
Link: Pauline war Gott sei Dank nicht lange krank. Sie hatte eine Darmeinstülpung und war blau nach zwei Minuten, der Notarzt kam nicht, dann war sie auch noch bewusstlos und man ist wirklich gottfroh, wenn dann so ein genialer Kinderarzt kommt und fragt: Was ist passiert? Beim Füttern geschrieen? Ok, hopp, Ultraschall, Darm anschauen! Das muss es sein! Dann konnte es auch recht schnell behoben werden. Aber mich hat das dann in meiner Phantasie sehr beschäftigt. Was wäre gewesen, wenn wir irgendwo anders gewesen wären? Dass Kinder aus dem heiteren Nachmittagshimmel ohnmächtig werden und sterben können, hat mich einfach wahnsinnig umgehauen. Und mein Vater war vor seinem Tod lange auf der Intensivstation mit dieser ganzen Intensivmedizin, das fand ich alles so furchtbar und erschreckend. All das hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich mich in diesem Film mit dem Tod auseinander setze.
Hat der Film Ihnen geholfen, diese Erfahrungen zu verarbeiten?
Link. Ich habe selber gespürt, wie das Inszenieren dieses Themas mich auch ein Stück weit mit meiner Trauer hat ins Reine kommen lassen. Ich lasse meine Figuren darüber reden, ich lasse andere Mütter weinen und leiden. (lacht) Diese Auseinandersetzung hat mir selber gut getan, und auch überhaupt mal wieder einen Film zu machen, etwas zu tun, was mir am Herzen liegt, Dinge nach meiner Fantasie zu formen. Ich habe gespürt, wie wichtig mir meine Arbeit ist und was es für ein Privileg es ist, sein Geld damit zu verdienen, seine Gefühle auszudrücken, sich selbst in seine Arbeit einbringen zu können. Das ist wirklich sehr wohltuend und wurde wieder zum Bedürfnis, trotz eines Kindes, das man sehr liebt und auch nicht zu kurz kommen lassen möchte.
Schicksalsschläge kannte ich nur von anderen Leuten. Dass dann der Tod so plötzlich im Raum steht, hat mich schon ein bisschen verändert
Lässt sich Ihr Beruf gut mit einer Familie vereinbaren?
Link: Es ist ja so, dass man oft monatelang viel zuhause ist, mehr als andere, die jeden Tag bis um sechs Uhr Abends ins Büro müssen. Dafür ist man dann auch mal längere Zeit gar nicht da, was gerade für kleine Kinder schwer zu verstehen ist. Aber Dominik Graf, mein Mann, ist ja nicht nur selbst Regisseur und kennt diesen Arbeitsrhythmus, er ist auch ein sensibler Vater, der sich sehr kümmert. Toll findet unsere Tochter es wahrscheinlich immer noch nicht, wenn ich längere Zeit weg bin, aber es ist nicht mehr so ein Problem, wie in der Zeit, als sie noch so klein war.
„Im Winter ein Jahr“ basiert auf einem Roman des US-Amerikaners Scott Campbell und Sie hatten seiner Verfilmung auch zunächst als amerikanische Produktion geplant. Wie hat sich der Film durch seine Verlagerung nach Deutschland verändert?
Link: Es gab zwar kein komplett anderes Drehbuch, aber ich habe es vor allem auf die Schauspieler umgeschrieben, in erster Linie auf Josef Bierbichler. Er ist so wie er ist und außerdem älter, als der Maler im Roman. Die Verlagerung nach Deutschland zog natürlich auch ein paar Veränderungen nach sich.
Inwiefern?
Link: Es gab im amerikanischen Roman noch mehr Druck, der auf die Kinder ausgeübt wurde, weil sie in so einem extrem anspruchsvollen Schulsystem untergebracht waren. In den USA spielt es ja immer eine ganz große Rolle, auf welche Schule man kommt. Wie viel kostet die? Was erwarten die Eltern von den Kindern im Gegenzug? Da kann man nach der Ausbildung schlecht sagen, ich mach jetzt mal ein Jahr gar nichts und fahre durch Indien. Dieser große Plan, der für die Kinder gemacht wird, setzt sie sehr unter Druck. Das ist aber auch eine Welt, in der ich mich gar nicht so gut auskenne, bei einer Verfilmung in den USA hätte ich dem Roman sehr vertrauen müssen. Hier in Deutschland habe ich den Ton der Geschichte nach meiner Vorstellung geprägt.
Wieso hat es eigentlich etwa sieben Jahre bis zu Ihrem neuen Film gedauert?
Link: Erstmal hatte ich mich wahnsinnig gefreut, dass ich mit 38 ein Baby bekommen habe. Dann kam der Oscar und ab den Moment begann für mich der Stress. Man denkt, daraus musst du doch jetzt was machen. Sei doch nicht so blöd. Du kannst doch nicht nur auf dem Spielplatz sitzen und hast einen Oscar zuhaus. Da habe ich mich wirklich unter Druck gesetzt, weil ich nicht so viel Energie habe, wie anscheinend andere, die noch mit einem Baby unterm Arm losziehen und arbeiten. Die Vorstellung, nach einem harten Drehtag noch Bauklötze zu bauen, war für mich keine Option.
Sie hätten sich doch mit Nicole Kidman das Kindermädchen teilen können. Schließlich waren Sie für die prominent besetzte Somerset Maugham-Verfilmung „The Painted Veil“ im Gespräch.
Link: Aber daraus wurde nichts, aus der unglücklichen Situation heraus, dass zuerst zwei tolle Schauspielerinnen die Hauptrolle spielen wollten, Naomi Watts und eben Nicole Kidman. Aber letztlich haben beide den Vertrag nicht unterschrieben.
Wissen Sie warum?
Link: Ich habe mich mit beiden getroffen und auch mit Nicole Kidman ein sehr schönes, sehr intensives Gespräch gehabt. Sie hat zum Abschied gesagt: „Ich möchte das wirklich möglich machen, Caroline“ und wenn jemand so was sagt, dachte ich naiver weise, dass er das ernst meint. Aber dann kommen soviel Elemente dazu, das Management, die Agentur, andere Angebote, die Tatsache, dass der Studioboss eigentlich Naomi Watts lieber wollte. Die beiden sind auch noch befreundet, Naomi Watts wusste, dass ich eigentlich mit Nicole Kidman arbeiten wollte und wollte dann mit mir nicht mehr… Da habe ich meine Freiheit in Deutschland wirklich zu schätzen gelernt. Ich bin jemand, der sehr intuitiv entscheidet und ich mag es dann auch nicht, meine Entscheidungen vor großen Gremien rechtfertigen zu müssen. Ich kann vieles oft nicht erklären. Hier darf ich meinem Gefühl folgen, da drüben ist meine Meinung eben nur eine von vielen.
Umso stärker und vielleicht auch kontraproduktiver entwickeln sich in Hollywood die Egos derer, die sich durchgesetzt haben?
Link. Ich weiß nicht, ob das immer vor allem Egoprobleme sind. Letztlich überstrahlen finanzielle Interessen alles andere. Wer ist jetzt hot? Zieht Nicole Kidman noch? – Das hat alles meistens nur mit Geld zu tun.
Daran ist auch „Aftermath“ gescheitert, wie „Im Winter ein Jahr“ als US-Film geheißen hätte?
Link: Das lag letztlich daran, dass wir keinen großen Namen für den Maler gefunden haben, der mit seinem Namen den Film finanziert hätte. Die Leute, die von den Geldgebern akzeptiert worden wären wollten nicht und die, die ich gewollt hätte, haben denen nicht gereicht. Das hat mir irgendwann alles zu lange gedauert. Ich habe irgendwann gesagt, mir reicht’s. Ich will in Deutschland drehen, und vor allem überhaupt drehen!
Eine Frage zum Schluss. Wie schon in „Jenseits der Stille“ inszenieren Sie in „Im Winter ein Jahr“ eine prägnante Szene, in der die Hauptfigur jemandem dankt, der sich die Mühe gemacht hatte, sie verstehen zu wollen. Wem danken Sie selbst in diesem Sinne?
Link: Dankbarkeit empfinde ich in erster Linie meinen Eltern gegenüber. Deswegen taucht wohl auch immer dieses Thema „Eltern und Familie“ bei mir auf, weil ich finde, dass meine Eltern mich sehr bestärkt haben, auch in allen möglichen Absurditäten, auch in dem Wunsch Filme zu machen. Dabei hat die Welt, aus der sie kommen, mit Kunst absolut nichts zu tun. Dass sie uns, mir und meiner Schwester das Gefühl mitgegeben haben, wir sind ok so wie wir sind, und damit auch die Möglichkeit, in die Welt hinauszugehen, dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar.