Mr. Dahl, neben Ihrer Konzerttätigkeit als Jazz-Pianist sind Sie auch Professor am Konservatorium in Kopenhagen. Woher kommen Ihre Studenten?
Carsten Dahl: Es sind nicht mehr so viele Amerikaner, dafür kommen jetzt mehr Leute aus dem Osten, aus Budapest, Warschau, Polen, aber auch aus Frankreich.
Was macht den Reiz von Kopenhagen für Jazz-Musiker aus?
Dahl: Ich denke, Dänemark hat sich da etwas gewandelt. Früher gab es die Bebop-Szene, in den 50ern, 60ern und 70ern, als viele amerikanische Musiker hierherkamen. Heute ist es wie eine große Suppenschüssel, mit Inspirationen aus allen möglichen Bereichen. Es gibt viel Freejazz, Fusion, Indie-Rock, ähnlich wie die Berliner Szene, die sehr Freejazz-orientiert ist. Du kannst in Kopenhagen viele Stile und viele Möglichkeiten finden, deine Talente auszutesten und verschiedene Stile kombinieren. Ich denke, viele Leute sind vom Milieu hier angezogen, von der Atmosphäre. Es kommen mehr und mehr – irgendwann wird Kopenhagen eine große Nation von Musikern sein (lacht). Allerdings wird dadurch auch der Druck größer, es wird schwieriger, Gigs zu bekommen, weshalb die junge Generation am Anfang erstmal für umsonst spielt, oder für einen kleinen Anteil vom Eintritt. Wie in Berlin.
Und die Stilmischungen beobachten Sie auch bei Ihren Schülern?
Dahl: Ja, Sie kombinieren allemöglichen Arten von Stilen, Scott Joplin meets Indie-Rock, meets electronic live-sampling, trifft auf Count Basie auf Black Sabbath. Jeder bedient sich bei allenmöglichen Ästhetiken.
Sie unterstützen das?
Dahl: Ja, das ist wunderbar. Das Risiko ist nur… Viele der jungen Musiker tendieren dazu, die Geschichte zu vergessen. Viele von ihnen können nicht swingen, weil ihnen dafür das Werkzeug fehlt.
Ich habe früher in Bars gespielt, von den alten Musikern gelernt, ich habe mit Johnny Griffin gespielt, als ich 20 war. Das war sozusagen die harte Tour. Die jungen Musiker heute dagegen, die können viel schneller eine Karriere hinbekommen, eine Nische und eine Plattform finden und sich einen Namen machen – was großartig ist. Ich mag es auch, wenn sie experimentieren, wenn sie innovativ sind. Das Problem ist nur, wenn die Möglichkeiten, die sie in ihrem Spiel haben, eng begrenzt sind.
Carsten Dahl live:
Was ist der Gund dafür? Fehlen die Jazz-Standards als Basis?
Dahl: Sie fangen an Standards zu spielen, aber dann finden sie vielleicht heraus, dass das eine Lebensaufgabe ist. Und dann denken sie sich, dass es 1500 andere Bassisten gibt, welche die Standards besser als sie spielen. Also geben sie auf und machen etwas anderes.
Ich selbst habe das nie aufgegeben, und darum ringe ich mit den Studenten ein bisschen. Ich schätze was sie machen, ihren innovativen Stil. Aber ich bin auch für sie da, wenn sie heulend zurückkommen und einsehen: „Die Welt ist härter als ich dachte, ich brauche noch bestimmte Grundlagen.
Wobei es so hart in Dänemark nicht ist, es gibt viel finanzielle Unterstützung von Seiten der Regierung…
Dahl: Ja, und deswegen ist es hier viel einfacher experimentell und innovativ zu sein als in Paris, London oder Deutschland. Dort bist du ganz auf dich gestellt und bekommst keine Unterstützung. Hier ist es einfacher, davon zu leben, weil es ein Sicherheitsnetz gibt. Du kannst Geld von der Gewerkschaft bekommen, du bekommst genug Geld für Gigs, 2000 Kronen, das ist viel im Vergleich zu Berlin. Der Staat unterstützt die Ausbildung, du kannst dich mit deinen Projekten für bestimmte Förderungen bewerben, es gibt Stipendien, auch für Reisen und Aufnahmen gibt es Unterstützung – da gibt es viele Wege. Das ist auch gut, aber manchmal nimmt es dir auch die Motivation, den Eifer. Wenn du hier nicht aufpasst, dann (macht ein Schnarch-Geräusch) … Du musst hier nicht eifrig sein, um zu überleben. Ich habe auch Schüler aus Polen und ich habe es noch nie erlebt, dass einer von ihnen zu spät zum Unterricht gekommen wäre. Wenn du etwas erreichen willst, wenn du große Kunst schaffen willst, dann musst du dich auch entsprechend um dein Talent kümmern.
Die Unterstützung durch den dänischen Staat für Jazz….
Dahl: Die gibt es für jede Art von Musik. Das ist Teil dessen, wie die kulturellen Institutionen im dänischen Wohfahrtsstaat in den letzten 50 Jahren aufgebaut wurden. Das „Jazzhouse“ in Kopenhagen beispielsweise wird mit vielen Millionen unterstützt – ich glaube, in Deutschland ist es nicht möglich, dass ein Jazz-Club von der Regierung sieben Millionen bekommt.
Da können Sie sich glücklich schätzen.
Dahl: Das bin ich. Ich denke, das ist großartig. Aber es besteht auch die Gefahr des Durchschnitts. Alles in Dänemark scheint mir wie in die Mitte gedrückt, deswegen ziehen viele auch weiter in andere Länder, weil sie diesen Überlebenskampf suchen. Hier ist es sehr schwer – weil es so einfach ist.
Welche Wertschätzung gibt es in Dänemark gegenüber dem Jazz?
Dahl: Er wird geschätzt von den 19.000 Leuten die im Sommer zum Jazzfestival nach Kopenhagen kommen, auch von den Besuchern des Vinterjazz Festivals. Aber generell in der Öffentlichkeit ist Jazz so etwas wie ein Geheimnis – die Zeitungen schreiben nicht viel darüber.
Das war vermutlich noch anders, als sich in den 60er Jahren viele große Jazz-Musiker in Dänemark niederließen.
Dahl: Das ist ein romantisches Kapitel, das schon vor langer Zeit abgeschlossen wurde.
Aber warum kamen die Musiker gerade nach Kopenhagen?
Dahl: Sie sind entweder nach Paris oder nach Kopenhagen gegangen, das waren damals die beiden Mekkas des Jazz in Europa. Sie kamen aus den USA hierher und es gab ein Publikum, das wirklich an Jazz interessiert war, in Kopenhagen gab es den Jazzclub „Montmartre“, wo eine Szene entstand. Dexter Gordon hatte hier bessere Möglichkeiten Geld zu verdienen und ein angenehmes Leben zu führen. Genauso Ed Thigpen und Ben Webster. Ich glaube sie waren auch angezogen von der Atmosphäre, wo es viele Leute gab, die sie bewundert haben und ihre Musik schätzten. So entstand eine Liebesbeziehung.
Auch die heutige Zeit hat Verbindungen zu dieser Zeit, ich selbst bin auch so eine Verbindung, weil Ed Phigpen für mich wie ein Großvater war. Er erzählte mir all die Dinge über das Schlagzeug, Texte und das ‚Comping‘. Als Ed im Krankenhaus starb sagte er zu mir: „Fahr es nicht gegen die Wand sondern gebe diese Musikform weiter“. Das vergesse ich nie, er gab mir diesen „Inside Code“ und ich fühle mich sehr verpflichtet, ihn weiterzugeben. Das mache ich als Lehrer, das mache ich wenn ich Konzerte spiele – das ist ein Bestandteil meines Musikerdaseins.
Sie haben selbst am Konservatorium gelernt…
Dahl: Nur zwei Jahre als Schlagzeuger, dann habe ich es abgebrochen. Für Klavier hatte ich nie einen Lehrer, sondern habe mir das selbst beigebracht.
War das eine gute Entscheidung?
Dahl: Ja, ich hätte nicht in eine Schule gekonnt. Ich selbst unterrichte heute auch in einer Art, die nicht so „schulisch“ ist. Ich bin ein Mentor, spiritueller Mentor. Mir gefällt die Vorstellung, Musik als eine geistige, spirituelle Dimension zu betrachten.
Das heißt, Sie reden auch viel mit Ihren Schülern über Musik?
Dahl: Ich höre zu, rede mit ihnen, spiele mit ihnen, beurteile ihre Projekte und versuche das Level so hoch wie möglich zu halten. Ich gebe ihnen viel Möglichkeiten, ihr Talent zu entwickeln. Aber ich mache ihnen auch viel Feuer unterm Hintern, wenn sie zu faul sind. Das ist wichtig, weil in Dänemark alles so schön und schläfrig ist. Sicher ist es schön, wenn ich auch im nächsten Monat mein Gehalt vom Staat bekomme. Aber es ist auch eine Zwickmühle, weil es manchmal zu sehr ein Ruhekissen wird. Als Student in Dänemark hast du viel Glück – aber dein Glück kann auch deine Achillesferse sein. Du musst aufpassen und dir selbst jeden Morgen Druck machen.
Wie steht denn die Regierung zum Jazz in Dänemark?
Dahl: Als Jazz-Musiker ist es nicht einfach, hier ein Star zu werden – weil der Staat es kaum anerkennt. Palle Mikkelborg ist ein Star, aber man behandelt ihn nicht so. In Norwegen zum Beispiel ist man als Jazzmusiker fast so etwas wie der Premier, die Norweger sind da sehr stolz darauf, was sie kulturell erreichen. In Dänemark bin ich mir nicht so sicher, ob die Politiker überhaupt wissen, worum es beim Jazz geht.
Das ist doch aber ein Gegensatz zu der großen staatlichen Unterstützung?
Dahl: Ganz genau. Aber vielleicht wissen sie nicht, was sie unterstützen? Sie wissen, dass sie es tun müssen, aber nicht warum, und was daraus resultiert. Das ist mein Eindruck.
Das ist aber doch besser als Politiker, die etwas von Jazz verstehen und ihn nicht unterstützen.
Dahl: Das ist genauso wahr, tatsächlich.
In Ihrer Musik gibt es das weite Spektrum von Bach bis Be-Bop, Jazz-Standards und Improvisation – was ist für Sie das verbindende Element bei all dem?
Dahl: Ich sage das mal so: Ich bin ein Gast hier, mein Leben ist etwas, was ich borge, ich glaube sehr an Gott, weil ich Gott erfahre. Nicht in dem dogmatischen Sinn, also ich will niemanden von meinem Glauben überzeugen, es ist kein selbstgerechter Glaube.
Aber ich habe diesen Glauben seit ich kleiner Junge war, ich bin in einem unangenehmen Elternhaus groß geworden, kam auf eine Knabenschule, wurde geschlagen, habe schlimme Dinge erlebt – und so kam sehr früh der Glaube, dass Gott mir die Gabe gegeben hat, aus meinem Leben eine Blume zu machen. Und deshalb bemühe ich, bei allem was ich mache, bemühe ich mich, diese Blume zu sein. Das hat mit keinem bestimmten Stil zu tun – ich bin einfach nur froh, dass mein Talent so viele Nuancen hat.
Das war nun eher metaphorisch – und wenn Sie die Frage musikalisch beantworten?
Dahl: Also, Bach spiele ich so, als wäre ich der Komponist. Weil das die einzige Art und Weise ist, Bach zu spielen, es so zu machen als wenn du es komponierst. Du fügst all deine Spiritualität, deinen Klang hinzu. Der Grund, warum das funktioniert, ist, dass Bachs Musik universell ist. Sie ist zeitlos, sie ist jetzt wahrscheinlich sogar aktueller als zu seiner Zeit. Für mich schafft diese Musik eine Verbindung zwischen mir und dem Universum. Und solche Musik zieht mich an. Was ich nicht mag ist Marschmusik. Und ich mag Georges Bizet nicht – aber bitte fragen Sie mich nicht warum, ich weiß es nicht.
Meine Solo-Konzerte, wo ich vorher noch nicht weiß, was genau ich spielen werde, haben die gleiche Energie, wie wenn ich Bach spiele. Also wenn ich die Finger spielen lasse und verblüfft darüber bin, dass die Musik mich spielen kann. Das gleiche Gefühl habe ich, wenn ich Standards spiele, oder wenn ich ein großes Orchesterstück komponiere.
Sie haben mal gesagt, dass Sie nicht ‚Musiker‘ genannt werden wollen.
Dahl: Ja, das stimmt. Weil ich glaube,mein Standpunkt ist eigentlich ein meditativer, eine träumende Art und Weise. Ich glaube, meine Existenz ist etwas anderes als Spielen. Es geht um etwas Anderes, ich muss etwas kommunizieren, was größer ist als Musik.
Also kein Musiker sondern eine Art Zen-Meister?
Dahl: Palle Mikkelborg sagt über mich, ich sei ein fünf Jahre altes nerviges Kind, in einem 85 Jahre alten Körper. Vielleicht ist das ist ein gutes Bild.
Ich saß früher als Kind zu Hause vor dem Spiegel, ließ eine Platte von meinem Vater laufen – Mozart, Brahms, Beethoven – spielte mit den Fingern auf unseren Möbeln und stellte mir dabei vor, ich wäre ein Pianist.
Als ich später, mit 15, 16 anfing, richtig Klavier zu spielen, konnte ich das sofort. Weil ich mich an die Bewegungen aus meiner Kindheit erinnert habe – ich kann das schwer erklären. Für mich ist Musik eine Art kontemplative Rückkehr zu dem Grund, dass ich am Leben zu sein. Verbunden mit dem universalen Gefühl des Kollektivs – es ist also keine Sache nur für mich.
Gibt es etwas Dänisches in Ihrer Musik?
Dahl: Das weiß ich nicht. Nein. Und Ja. Dänemark war immer sehr beeinflusst vom Süden, von Deutschland. Und genauso stark vom Norden, es war so wie ein Stück Fleisch in einem Sandwich, wo das Fleisch irgendwann nicht weiß, ob es nun Lamm, Rind oder Schwein ist. Die Dänen haben Probleme, herauszufinden: Was ist die dänische Handschrift? Was ist der Klang des dänischen Mythos? Und ich finde, es wird zu wenig danach gesucht. Die Leute verstehen nicht, dass sie danach suchen müssen. Vielleicht muss man bei der alte Folk-Musik auf der Insel Fanø suchen, das ist die älteste Volksmusik, die wir haben, aus dem 15.&16. Jahrhundert.
Es gab ja eine Zeit, im 13. Jahrhundert, wo in Dänemark alle Lieder in Moll waren. Bis der König sagte: „Ihr müsst in Dur singen, weil meine Soldaten sonst so depressiv werden, dass sie anfangen zu trinken. Und ich brauche muntere Soldaten.“ Also hat er angeordnet: Kein Moll auf der Straße. Und dann wurden die dänischen Lieder so Dur, ganz fröhlich… Wobei die Leute hier eher nachdenklich waren, wie in Norwegen.
Also, meine Antwort ist: Ja und Nein. Weil ich auch von all möglicher anderen Musik beeinflusst bin. Persische Musik, Anton Webern, Strawinsky, Xenakis, Gypsy-Musik, arabische Musik. Ich bin eine Mischung aus allem und das ist ok.