Frau Roche, wessen Idee war eigentlich Ihre neue Talkshow „Roche & Böhmermann“ – sind Sie auf das ZDF zugegangen oder umgekehrt?
Charlotte Roche: Ich habe schon mal fürs ZDF gearbeitet, das ist einer der wenigen Sender, wo ich nicht im Streit gegangen bin. Ich hatte dort vor meinem ersten Buch die fünfteilige Staffel von „Charlotte Roche unter…“ mit Müllmännern, Bestattern usw. gemacht, die bei 3Sat lief. Wer jetzt bei der neuen Sendung drauf gekommen ist, weiß ich aber gar nicht mehr so genau.
Es hätte ja sein können, dass Sie sich nach zwei Büchern ganz bewusst entschieden haben, erstmal wieder ins Fernsehgeschäft einzusteigen…
Roche: Nein, die Idee zur Sendung existiert schon länger als es mein zweites Buch gibt, das ist jetzt kein spontaner Schnellschuss. Fernsehen ist halt immer eine Teamarbeit mit Sender und Redakteuren, das dauert alles immer sehr lange.
Werden Sie denn weiterhin Bücher schreiben?
Roche: Ja, das Schreiben ist für mich die größte Entdeckung meines Lebens. Ich wusste ja vorher nicht, dass ich das überhaupt kann und so viel Disziplin aufbringe, ein ganzes Buch zu schreiben. Inzwischen begleitet mich das vier Jahre und ist auch viel einfacher für mich, als zum Beispiel eine Sendung auf die Beine zu stellen, wo 30 Leute mitreden wollen, jeder so seine Meinungen hat, jeder etwas anderes will. Bei einem Buch ist alles so, wie ich das will. Ein Buch ist gut für Ego-Fucker.
Was ist eigentlich bei der Talksendung „3nach9“ schiefgegangen, dass Sie nach fünf Sendungen wieder gegangen sind – hatte man da falsche Erwartungen an die ‚Skandalautorin‘ Charlotte Roche?
Roche: Es hat dort unglaubliche Quoten-Erwartungen gegeben, obwohl die ja öffentlich-rechtlich sind. Und nach der ersten Sendung waren die sehr enttäuscht, weil sich die Presseaufregung a la „Oh Gott, die Feuchtgebieterin ist jetzt bei 3nach9“ kein bisschen in der Quote widerspiegelte. Das habe ich aber schon öfters erlebt: Auch wenn es medial einen Riesenaufstand gibt, heißt das nicht, dass eine Sendung erfolgreich ist. Ich dachte einfach, da hätte man mehr Zeit.
Jetzt bei ZDFkultur liegt die Quotenvorgabe tatsächlich nur bei 0,1 Prozent Marktanteil, diese Erwartung empfinde ich nicht als Druck.
Wenn Sie nun, wie Sie gerade erwähnten, als „Feuchtgebieterin“ durch die Schlagzeilen wandern, stört Sie das eigentlich?
Roche: Nein, „Feuchtgebieterin“, das habe ich ja selber gemacht, es wäre total bescheuert, wenn ich mich aufregen würde über das Image, das durch meine Bücher entstanden ist. Damit komme ich schon ganz gut klar. Ich weiß eben für mich selber, dass ich auch andere Seiten habe als ständig immer nur Penis-Witze zu machen. Das kann ich in Fernsehsendungen auch gut zeigen.
Aber es ist schon so, dass Sie heute in erster Linie in Verbindung mit den Inhalten Ihrer Bücher wahrgenommen werden.
Roche: Ja, das ist so. Aber das kann ich auch gerne verweigern, wenn ich keine Lust drauf habe.
Auch wenn Sie zum Beispiel ganz normal auf der Straße unterwegs sind?
Roche: Ich wohne ja in Köln und selbst wenn die Leute extrem alkoholisiert sind wie im Karneval, sind die immer noch sehr respektvoll. Mich wundert das ja auch, man würde immer denken, dass mein Image und die Themen, die so um mich rumschwirren, die Leute dazu einlädt, schreckliche Sachen zu einem zu sagen oder einen anzufassen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Verrückterweise. Die gehen eher extrem respektvoll mit mir um, weil die sich denken: „Achtung, die Feuchtgebieterin kommt, ich sage jetzt lieber nichts zu der über Sex, sonst beißt die mir die Eichel ab.“ Also, die haben richtig Angst. Insofern kann ich es anderen auch nur empfehlen, so offen mit solchen Themen zu sein. Ich würde nicht zu jungen Frauen sagen „haltet euch lieber zurück, weil mein privates Leben auf der Straße ist jetzt die Hölle“ – überhaupt nicht.
Sie haben nach Ihrem ersten Buch aber zumindest mal von Erschöpfung gesprochen…
Roche: Das war dieser Schock vom Erfolg, die acht Monate auf Platz eins. In der Zeit hatte ich das Gefühl, ich müsste immer weiter Promo machen, weil ich dachte, wenn das Buch nicht mehr auf eins ist, dann ist man tot. Ich habe nie einen Gang zurückgeschaltet, sondern immer weiter Werbung gemacht und viel zu viele Lesungen. Das war tatsächliche Anstrengung, weg sein von Zuhause, auch die Themen immer wieder mit Journalisten zu besprechen, geht an die Nieren. Ein Interview zu einem Landschaftsroman stelle ich mir ja ganz harmlos vor, aber wenn man andauernd mit fremden Männern über Analverkehr redet, dann ist das irgendwann sehr, sehr anstrengend.
Dabei heißt es von Ihrem Management ja eigentlich vor Interviews: keine privaten Fragen.
Roche: Ich rede über mich selbst total gerne, aber nie über Verwandte. Viele wollen immer etwas über meinen Mann oder meine Tochter wissen, aber ich finde, die haben in der Presse nichts verloren. Ich über mich kann dagegen keinen Rückzieher machen, was Privates angeht. Ich finde, dass ich auch verpflichtet bin, viel von mir selber privat preiszugeben, aufgrund der Bücher, das gehört jetzt dazu. Ich will die Leser ja nicht verarschen.
War das so eine Art Grundsatzentscheidung, die Sie irgendwann gefällt haben, nach dem Motto „ich gehe jetzt mit intimen Dingen in die Öffentlichkeit und rechne gleichzeitig mit der vollen Konsequenz“?
Roche: Mir ist das beim Schreiben vom ersten Buch klar geworden, dass man das unmöglich trennen kann. Sicher, es gibt Leute, die Bücher schreiben und danach sagen: „Alles was drin steht ist komplett erfunden.“ Damit kann ich aber überhaupt nichts anfangen, als Leser freue ich mich, wenn ein Schriftsteller sagt: „In diesem Buch geht es um Krebs und ja, ich hatte mal Krebs“. Dann steigt für mich als Leser der Wert dieses Buches. Dagegen, wenn jemand über Panikattacken schreibt und dann sagt „meine beste Freundin hat immer Panikattacken“, um das einen Schritt von sich fern zu halten, ist das für mich ehrlich gesagt ein bisschen Leserverarsche. Insofern war mir bei „Feuchtgebiete“ klar: Da muss ich jetzt durch, das gehört bei mir zusammen, ich schreibe über Sachen, die mich bewegen und berühren. Und im Idealfall berührt oder bewegt das auch andere. Ich mache dann nicht einfach diesen Trick und behaupte, das wäre alles nur meiner Freundin passiert.
Und diese Offenheit werden wir auch in Ihrem dritten Buch erleben?
Roche: Ja, ich kann das gar nicht anders (lacht).
Nun werden „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“ verfilmt. Welchen Einfluss nehmen Sie auf die beiden Projekte?
Roche: Ich bin ein sehr netter Filmrechte-Verkäufer, weil ich von mir ganz genau weiß, dass ich von Filmen nicht genug Ahnung habe. Deshalb rede ich denjenigen, die die Rechte für „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“ gekauft haben (die Produzenten Peter Rommel und Oliver Berben, Anm. d. Red.), auch nicht rein. Das werden zwei eigene, freistehende Kunstwerke, bei denen ich mich null einmische.
Sie verkaufen das Buch und sagen dann „Macht damit, was ihr wollt“?
Roche: Die Produzenten halten mich die ganze Zeit auf dem Laufenden, aber selbst das wäre nicht nötig. Ich kann mich da vom eigenen Buch ganz einfach lösen, so ist das. Die wollen zwar, dass ich mitbestimme, aber ich mache einfach nicht mit. Ich gehe dann zur Premiere ins Kino und lasse mich überraschen.
Und wenn man Sie fragen würde, ob Sie mitspielen?
Roche: Dann würde ich auf jeden Fall Nein sagen. Weil ich das nicht kann. Das soll ja eine gute Schauspielerin sein.
Es wäre total bescheuert, wenn ich mich aufregen würde über das Image, das durch meine Bücher entstanden ist.
Sie haben immerhin für Ihre Rolle im Film „Eden“ gute Kritiken bekommen.
Roche: Klar liegt der Gedanke bei „Schoßgebete“ nahe, weil die Protagonistin ungefähr so alt ist wie ich. Ich will mich da aber nicht verheben. Ich will auch keine Energie in alte Bücher stecken, sondern ich muss nach vorne schauen.
Dann schauen wir nochmal auf das aktuelle TV-Projekt: Was muss ein Talkgastgeber erfüllen, damit Sie sich als Gast nicht langweilen?
Roche: Ich habe immer das Gefühl, je besser der Moderator ist, umso mehr kann er den Gast strahlen lassen. Ich fühle mich total wohl, wenn der Gastgeber Profi ist.
Was ich halt gar nicht mehr mag, und das habe ich als Gast in Talkshows sehr oft erlebt: Es gibt am Anfang die Instruktion „redet ruhig durcheinander, unterbrecht euch, sagt auch mal was Kritisches“ – aber dann macht es keiner. Sondern man sitzt brav da, jeder hat Respekt vor den zehn Minuten des anderen, niemand traut sich, einen anderen Gast mal zu unterbrechen und ihm ehrlich zu sagen: „Du laberst gerade nur Scheiße“.
Sie sind enttäuscht von anderen Talkgästen?
Roche: Die Gastgeber schaffen es nicht, ein Milieu zu erschaffen, wo man sich so etwas traut. Der Moderator sitzt da, hat sein Interview vorbereitet und durchchoreografiert, mit einer witzigen Aufwärmfrage über den Hund am Anfang, mit den Knallerfragen am Ende – da traut man sich als anderer Gast nicht, dem die Choreografie kaputt zu machen.
Was ist für Sie die Alternative?
Roche: Mir wäre halt lieber, ich stelle keine einzige von meinen vorbereiteten Fragen, sondern die Gäste interessieren sich so sehr füreinander, oder finden sich so blöd, dass sie die ganze Zeit diskutieren – ohne, dass der Moderator auch nur einen Takt sagen muss.
Was für Ihre erste Sendung bedeutet, dass sich die Mittagstalkerin Brit Hagedorn für den Berghain-Türsteher und Fotografen Sven Marquardt interessieren müsste.
Roche: Ja, das wäre gut, auch umgekehrt. Ich fände es noch viel besser, wenn der Fotograf vom Berghain sich für Brit interessiert.
Sie versuchen für Ihre Sendung also genau kein festes Gerüst zu bauen…
Roche: Wo ich am meisten Spaß dran habe ist der Mut zum freien Fall. Wo man auch viel mehr sagt, was man denkt. Bei den meisten Talkshows weiß ich in jeder Minute genau was hier abläuft, alles ist perfekt vorbereitet. Das ist so ein enges Korsett für alle Beteiligten, da will niemand was falsch machen, keiner will sich blamieren.
Warum meinen Sie, gibt es so wenig Spontaneität? Können die Fernsehsender damit nicht umgehen?
Roche: Ich glaube gar nicht, dass das die Sender sind, es sind eher die Redaktionen, die das für die Moderatoren so vorbereiten. Wo die Moderatoren ständig so tun müssen, als hätten sie die Bücher ihrer Gäste gelesen, was aber gar nicht stimmt. Man hält sich als Moderator dann an den Fragen und Formulierungen fest, die einem der Redakteur aufgeschrieben hat, damit das eigene Unwissen nicht auffliegt.
So was gibt es bei Ihrer Sendung dann also schon mal nicht.
Roche: Jan und ich lesen ein Buch entweder selbst, wenn uns das interessiert, oder wir sagen ganz klar: „Tut uns leid, uns interessiert dein Buch überhaupt nicht, ich habe die erste Seite gelesen und fand es schlimm.“ Wir fragen dann halt Dinge, die uns interessieren. Dieses „alle Gäste kriegen gleich viel Zeit, jedes Produkt, was ein Gast mitbringt, verdient Respekt“ – das machen wir auf keinen Fall.
Produkte in Talkshows vorstellen ist ja auch irgendwie 90er…
Roche: Ja, aber das gibt es trotzdem noch in jeder Talkshow. Und dabei weiß man nie, was der Moderator an den Musikplatten in der Runde tatsächlich gut oder schlecht findet, sondern alle sind distanziert, respektvoll und die Schlagerplatte wird genauso freundlich besprochen wie die Cello-Solistin. Das mag ich nicht.
Inwiefern würden Sie sagen, sind Sie als Moderatorin gewachsen, im Vergleich zu Ihrer Anfangszeit bei Viva?
Roche: Für mich ist heute eine Maßgabe, sich total zurückzunehmen, das ist der neue Spaß. Die anderen glänzen zu lassen und sich selbst so weit zurückzunehmen, dass die Gäste sich fast alleine fühlen und denken, „oh, die Moderatoren machen ja gar nichts, jetzt müssen wir das hier übernehmen.“ Wie so ein mieses Menschenexperiment.
Und ich habe im Gegensatz zu früher jetzt nicht mehr das Gefühl, zeigen zu müssen, was für eine Ahnung ich von Musik habe. Tiefgründige Musikgespräche zu führen hat sich für mich total erschöpft,. Dieses Gewichse a la „ich kenne jede Indie-Platte und habe jedes deiner Alben gehört“, das langweilt mich total. Ich mache jetzt lieber zwischenmenschlichen freien Fall als dass ich mich so spießig auf ein Musikinterview vorbereite.
Wobei Sie ja nicht wirklich für spießige Musikinterviews bekannt sind, wenn man zum Beispiel an Ihr Gespräch mit Robbie Williams denkt…
Roche: Ja, das ist das, was freier Fall heißt, dass man sich eben auch komplett lösen kann von seinen Karten. Das habe ich bei Viva noch und nöcher geübt. Es ist der größte Spaß, wenn ein Musiker wie Ville Valo (HIM) direkt bei der ersten Frage sagt: „Ich will nicht mehr über meine neue Platte reden.“ Wir haben dann die ganze Sendung über seine Pferdephobie gesprochen. Und das ist doch tausendmal besser als jedes Gespräch über seine neue scheiß Gothic-Platte.
Wissen Sie eigentlich noch, warum Sie bei Ihrem ersten Viva-Casting unter mehreren hundert Bewerbern genommen wurden?
Roche: Ich war 18 und ich glaube, dass ich ganz kurz, punktuell gut Aufregung überspielen kann, dass ich dabei sehr konzentriert bin. Wir mussten damals ja richtige Sachen machen, zum Beispiel aus einem riesigen Wikipedia-Eintrag über die „Ärzte“ eine Moderation zusammenspinnen, ein englisches Interview führen und allein in die Kamera Bands ansagen. Dabei habe ich viel gelacht und die ganze Zeit Witze gemacht, um von der Aufregung abzulenken.
Ich glaube auch, wenn es so richtig um die Wurst geht, I get my shit together. Dann ziehe ich das Ding durch.
Inzwischen treten Sie sogar in Konkurrenz zu Günther Jauch.
Roche: Haha, das ist nur Zufall, weil ZDFkultur diesen Sendeplatz freigemacht hat. Ich schätze, dass unsere Zuschauer sich kein bisschen überschneiden. Wir können doch nichts anrichten gegen Jauch.
Wobei Sie genauso fünf Gäste haben und bei Ihrem Talk das Thema Politik auch nicht aussparen.
Roche: Nein, Politik sparen wir gar nicht aus, aber gegenüber Jauch spielt das keine Rolle, der ist so riesig, groß und fett, das ist ein reiner Witz, wenn wir sagen, dass wir dem ans Bein pinkeln wollen.
Wann haben Sie seine Sendung zum letzten Mal geguckt?
Roche: Ich habe die erste Sendung geguckt, allerdings nur den Anfang. Da kamen dann diese Einblendungen, wenn die Gäste vorgestellt werden, mit Bildern von diesen rostigen Mauern der Lokalität, wo die das aufzeichnen – allein das regt mich schon so auf, da schalte ich gleich weg.
Jauch will aber auch keine Unterhaltungssendung machen sondern eine politische Talkshow, insofern macht er ja alles richtig. Dann sitzen die alle da, machen Werbung für ihre Parteien, versuchen, besonders seriös rüberzukommen… Das ist als Unterhaltungssendung natürlich unfassbar langweilig, aber die wollen eben keine Spaßkanonen sein, deswegen ist das ok. Bei uns wird es lustiger sein.
Wobei Künstler-Promis auch ziemlich unlustig sein können, wenn sie sich zum Thema Politik äußern sollen.
Roche: Dann muss man die emotional erpressen und extrem unter Druck setzen, damit die mal was dazu sagen. Ich finde es viel besser, wenn Leute dazu stehen, was sie wählen, oder wenn man mit ihnen wenigstens über außerparlamentarische Politik reden kann. Das würde mir für unsere Sendung schon reichen.
Eine Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Roche: Ich bin dieser eine bei Charlie Brown, Linus, der immer so eine dreckige Decke und Fliegen um sich rum hat. Ist mir gerade so eingefallen… mit den stinkigen Themen, das könnte passen.