Charly Hübner

Ich habe erst am nächsten Morgen gemerkt, dass die Mauer gefallen ist.

In dem TV-Film "Bornholmer Straße" spielt Charly Hübner jenen Grenzbeamten, der in der Nacht vom 9. November 1989 als erster den Schlagbaum öffnete. Im Interview spricht Hübner über die entscheidende Filmszene, die Wende in seinem Leben und warum sein Vater IM wurde.

Charly Hübner

© MDR/UFA FICTION/Nik Konietzny

Herr Hübner, die Szene als sich Ihre Figur im Film „Bornholmer Straße“ entscheidet, den Grenzübergang zu öffnen, spielen Sie mit dem Rücken zur Kamera. Warum?
Charly Hübner: Seine Kollegen rauchen diesem armen, magenkranken Mann die Bude voll. Dann schickt er sie raus und denkt nach. Er wägt in sich ab, was schlimmer ist: Tote an der Mauer oder er vermutlich im Knast für den Rest seines Lebens. Wir fanden es für uns interessanter, diesen Mann zu beobachten und ihm sein Geheimnis zu lassen als es zu kommentieren.

Wie haben Sie selbst diese Nacht des 9. November 1989 erlebt?
Hübner: Wir haben die erfolgreiche Generalprobe unseres dorfeigenen Karnevalsklubs zum bevorstehenden 11.11.89 gefeiert und ich kam am nächsten Morgen total übernächtigt in die Schule. Kaum einer war da, die sind fast alle im Westen gewesen. Da habe ich erst gemerkt, dass die Mauer gefallen ist.

Stimmt es, dass die Wende auch Ihrem Leben eine Wendung gegeben hat?
Hübner: Ja, ich war Handballer und leidenschaftlicher Leichtathlet, 100-Meter-Läufer, Weitspringer und war da auch sehr gut drin. Es war eigentlich alles darauf ausgerichtet, dass ich auf die Deutsche Hochschule für Körperkultur in Leipzig gehe. Die war zu DDR-Zeiten die erste Adresse dafür. Es ist dann Gottseidank nicht dazu gekommen. Die Mauer fiel und dann bekam ich wachstumsbedingte Kreislaufprobleme. Ein Jahr später war ich infiziert von der Idee, dass man sein Leben auch mit Schauspielerei verbringen kann.

Wer oder was infizierte Sie?
Hübner: Mein Freund Matthias Hörnke war schon dabei, Schauspieler zu werden. Wir waren zusammen in der Türkei und da machte er in diesem Amphitheater in Ephesos mit 25.000 Plätzen Hamlet nach. Es war nur eine Akustikprobe um zu horchen, wie laut man eigentlich reden muss, damit es ganz oben ankommt. Aber die Touristen haben „Bravo, Bravissimo“ gerufen. Das war genau der Moment, wo in meinem Kopf ein Schalter von off auf on ging und ich dachte: „Das ist ja eine coole Idee.“ Jetzt mache seit 23 Jahren nur das.

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Schauspiel war für mich die Summe von allem.

Charly Hübner

Ihre Eltern hatten eine Gastwirtschaft. Haben Sie schon früh gern Menschen beobachtet?
Hübner: Ich denke, es war mehr die Sehnsucht des Teenagers, der gerade seine Heimat, die DDR, verloren hat. Das fand ich gar nicht schlimm, aber es hat sich alles aufgelöst. Tiefenpsychologisch kann man sagen, dass es der Punkt der Verstellung war: Ich will nicht der sein, der ich grade bin.
Bewusst war es der Wunsch, etwas zu finden, was auf keinen Fall ein 9-to-5 Job ist. Da gab es nur Maler, Journalist, Schauspieler und Musiker.

Und Sie wussten gleich, dass Schauspielen Ihr Ding ist?
Hübner: Malen konnte ich nicht. Mit Musik haben wir sofort losgelegt, wir sind ins Studio gegangen und haben Sachen aufgenommen, aber die Endabmischung ist nicht fertig geworden. Das kostete ja Geld, 80 Mark am Tag – da war ich nach zehn Tagen pleite. Als Journalist hätten mich eigentlich nur die Krisengebiete interessiert, dafür hätte ich studieren müssen. Und dann kam dieser Querverweis in Ephesos. Schauspiel war für mich die Summe von allem: Da ist Musik drin, sich mit Themen befassen, aber auch totalen Quatsch machen.

Wie sind Sie vom Theater zu Film und Fernsehen gekommen?
Hübner: Irgendwann war ich theatermüde und hatte keine Lust mehr auf dieses die ganze Welt verändern wollen und dann nach fünf Vorstellungen das Stück absetzen müssen, weil keine Zuschauer mehr kommen. Und dann sagte jemand: „Dann kannste doch Film und Fernsehen machen.“ Da habe ich so eine Art Mini-„Tatort“ gedreht, in dem ich alle Rollen selbst gespielt habe, den habe ich dann als Bewerbung rumgeschickt. Das ist jetzt zwölf Jahre her, seitdem bin ich durch diesen Beruf getingelt.

Lange haben Sie Nebenrollen gespielt, heute Hauptrollen. Aber Sie bleiben der Mann von nebenan. Möchten Sie manchmal gern Liebhaber spielen?
Hübner: Ich eigne mich nicht gut für die Liebhaber-Rolle. Da musst du äußerlich was mitbringen, dass du Projektionsfläche wirst. Es ist das Allerschwerste, einen tollen Liebhaber zu spielen, in den man sich verliebt, dem man aber auch seine Nöte abkauft. Dafür halte ich mich für zu kopfig.
Der junge Alain Delon war ein toller Liebhaber-Darsteller. Der hat was mitgebracht, was ihn zu einer neutralen Projektionsfläche machte. Diese strenge, athletische, südeuropäische Erscheinung und dann dieses Lässige. Er macht eigentlich ganz wenig und ist sogar für heterosexuelle Männer total verführerisch. Jemand wie ich, mit dieser Breite und so einem Bauch ist dann viel mehr Type. Da ist die Tür zum Liebhaber viel schwerer aufzumachen.

© MDR/UFA FICTION/Nik Konietzny

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Als der Polizeiruf von Schwerin nach Rostock wechselte haben Sie gesagt, dort könnte man die rohe Gewalt, die nach der Wende extrem zu spüren war und immer noch zu spüren ist, besser zeigen. Was meinten Sie damit?
Hübner: Das naheliegendste Beispiel ist Rostock-Lichtenhagen, wo sich der Hass auf die Asylbewerber entladen hat. Laut dem Rechercheschriftsteller Roberto Saviano ist Rostock einer der größten Kokainumschlagsplätze in Europa. Wenn da mal einer nicht rechtzeitig liefert, möchte ich nicht wissen, wo der landet. Die Ultraszene von Hansa Rostock war bis vor kurzem furchtbar berüchtigt, die Derbys mit St. Pauli haben mehrfach leere Stadionspiele nach sich gezogen. Wenn du durch Evershagen gehst, so wie ich es vor fünf Jahren getan habe, um die Stadt mal kennenzulernen, und dann kommen dir drei Skinheads mit zwei Bulldoggen entgegen… Das sind so Potenzen.

Ihr Vater war inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Sie haben es geahnt, er hat es abgestritten bis zum Tag, als „Das Leben der Anderen“ Premiere hatte. Wie war das für Sie?
Hübner: Das war so ein „Endlich können wir den nächsten Schritt machen“. In Vorbereitung von „Das Leben der anderen“ hatte ich ihn noch gefragt: „Wie war denn bei dir die Kontaktaufnahme?“. Da kam gar nichts, weil er gesehen hat, was mit denen passiert ist, die sich geoutet haben. Seine Angst wurde immer größer, die Angst, die Wahrheit zu sagen mit der Folge, dass du sozial isoliert wirst, dass man dich fertig macht.

Am Abend der Premiere soll er sich dann sehr spontan offenbart haben…
Hübner: Es ist einfach aus ihm raus. Medial bauschte sich das dann auf. Das fand ich nicht so geschickt. Mir war nur wichtig zu wissen: Haben wir es mit einem Mörder zu tun oder mit einem Mann, der in dem System mitgemacht hat? Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. Mein Vater ist nach einem Jahr verstorben und hat in der Zeit vor allem darum gekämpft, seine Reputation neu zu finden. Seine Familie hat er auf keinen Fall verloren, wir warten jetzt noch darauf, dass wir in die Akte gucken dürfen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er ein schweres Kaliber war. Er war eher jemand, der sich in Gegebenheiten zurecht finden wollte.

Was, glauben Sie, waren seine Motive?
Hübner: Sie haben ihn schon 1956 mit 23 Jahren gefragt. Da war die Republik gerade mal sieben Jahre alt. Da gab es noch viel Unruhe und dieser junge Staat hatte das Ziel, innerhalb des Landes die Ordnung zu stabilisieren, damit man gemeinsam den von außen drohenden Kapitalismus abhalten kann. Da haben die Jungs dran geglaubt. So wie ich heute daran glaube, dass Menschen Meinungsfreiheit haben sollen, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Dass sie nicht töten sollen und dass liberaler Humanismus die beste Lebensform ist, um miteinander klarzukommen.

Charly Hübner studierte an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Nach langen Jahren am Theater wurde er durch die Nebenrolle eines Stasi-Offiziers im Oscar-prämierten „Das Leben der Anderen“ bekannt. Seit 2010 ermittelt er als mehr

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