Christian Petzold

Autokino ist Anti-Kino

Regisseur Christian Petzold über seinen Film "Wolfsburg" und seinen tiefergelegten Mercedes

Christian Petzold

© Peripher Filmverleih

Christian, dein Film "Wolfsburg" läuft auf der Berlinale in der Panorama-Sektion, obwohl er es mit den deutschen Wettbewerbsbeiträgen glatt aufnehmen könnte. Warum also nicht im Wettbewerb?
Petzold: Also, wir haben nach den Dreharbeiten zu "Wolfsburg" auf volles Understatement gesetzt. Ich habe ja nach "Die innere Sicherheit" sehr schell zwei Filme für das ZDF gemacht. Programmplatz 20:15 Uhr, Fernsehfilm der Woche. Da bin ich umgeben von ein paar sehr guten Filmen, wie zum Beispiel von Dominik Graf, und von ein paar, die mir persönlich nicht so gefallen. Da arbeite ich mit einer Redakteurin und einer Produzentin, die ich eben schon kenne, die loyal sind. Und unter diesen Umständen dachte ich mir, könnte ich das Kino machen, wie ich es mir erträume, wo der Film nicht ungeheuer anschaffen muss, wo man nicht einen ganz schrecklichen Sexualmord am Anfang hat oder wo junge Leute sagen, wir haben den Film für 99 Euro gedreht. Dort kann ich Kino machen ohne anschaffen gehen zu müssen mit irgendwelchen Tauschwerten, so wie ich es mir vorstelle.
Wenn der Film jetzt in den Berlinale-Wettbewerb gekommen wäre, dann wäre er umgeben gewesen von Filmen, die eine unheimliche Filmförderung gehabt haben, denen ungeheure Ansprüche gestellt werden, weil sie viele Zuschauer ins Kino bringen sollen und gleichzeitig Kunst produzieren sollen. Darüber dann zu sprechen, darauf hatte ich keine Lust, denn ich will lieber über den Film sprechen und über das Kino, das fehlt — als so zu tun, ich würde mit diesem Film ein Kino repräsentieren, das es bereits gibt.

Der Film handelt von einem Autohändler, der auf dem Weg zur Arbeit einen Jungen tödlich anfährt, sich auf die Suche nach der Mutter macht, sich in sie verliebt, man könnte kurz sagen, es geht um Liebe und Autos. Woher kam die Idee zu diesem Projekt?
Petzold: Es gibt da mehrere Ursprungsgeschichten. Ich hatte mal einen Roman von Charles Willeford gelesen, wo sich fünf so Buddy-Typen unterhalten. Einer fragt, welcher der Ort ist, wo man eine Frau am schwierigsten abschleppen kann. Der eine meint, beim Arzt für Geschlechtskrankheiten, was aber nicht so stimmen kann, weil dort vielleicht zwei Leute ihren Negativ-Bescheid bekommen, glücklich sind und so weiter. Also meint ein anderer, im Autokino wäre es schwer, eine Frau abzuschleppen. Denn im Autokino ist jeder für sich, das ist das absolute Anti-Kino. Da bekommt jeder seinen Heizlüfter reingehängt, seinen Hamburger, seine Cola und wenn er jemand im Wagen küsst, dann hat er diese Person mitgebracht. Das fand ich interessant, da gab es eine interessante Verbindung zwischen Liebe und Auto.
Dann wiederum gibt es einen Film von Claude Chabrol, "Das Biest muss sterben", in dem ein Vater den Autofahrer sucht, der seinen Sohn überfahren hat. Was ich toll finde an diesem Film, ist, dass der Man nicht mehr der Liebe fähig ist sondern nur noch der Rache. Und die Menschen, die er während seiner Recherche trifft, sind oft Frauen, die sich in ihn verlieben. Aber er ist eigentlich schon ein Toter. Da kam mir die Idee, die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der ein Kind überfährt und der in dem Moment durch diese Katastrophe erst langsam Mensch wird. Der Film erzählt, wie ein Mensch aus dem Auto herauskommt und Mensch wird.

Fiel deine Entscheidung beim Hauptdarsteller sofort auf Benno Fürmann?
Petzold: Es gibt in Deutschland ein bisschen das Problem, dass wir ganz viele Schauspieler haben, die von der Bühne kommen. Und Autos spielen auf Bühnen keine große Rolle, das sind höchstens so angeschnittene Dinger, wenn die Schauspieler Autofahrer spielen, dann wackeln die immer mit dem Lenkrad und ihre Gesichtsmuskulatur arbeitet, als ob sie gerade innerlich den Ulysses auswendig gelernt hätten. Der Benno war von vornherein in meiner Vorstellung, weil er jemand ist, bei dem die physische Welt, die Autos, die Autotüren, einen Schlüssel ablegen — all das ist bei ihm physisch präsent, es ist nicht gespielt und bedeutet bei ihm nichts anderes. Und das Zweite ist, dass er seine Gefühle nicht den Zuschauern hinwirft, sondern eher versucht, sie zu verbergen. Und diese Verbergungsarbeit ist eine, die mich im Kino immer mehr interessiert, als die Expression, das herausgestellte Gefühl.

Benno Fürman fährt einen Mercedes-Kombi, was fährst du?
Petzold: Ich fahre so einen 190er Türken-Mercedes. Ich wohne in Berlin-Kreuzberg und das ist der einzige Wagen, der dort nicht zerkratzt wird.

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Sponsoring mag ich nicht. Die sind überall, an jeder Ecke, an jedem Hemdkragen eines Fußballtrainers kleben sieben oder acht Diabetiker-Firmen - ich kann das alles nicht mehr sehen.

Christian Petzold

Aber doch nicht tiefergelegt, oder?
Petzold: Leider ja. Ich habe den zwar nicht selbst tiefer legen lassen, aber Benno und ich haben den gleichen Autohändler, der sogar an dem Drehbuch zu "Wolfsburg" mitgearbeitet hat. Der hat mir alles erklärt was mit Auto zu tun hat, Unterbodenschutz und solche Geschichten. Und er hat mir ein Auto verkauft, tiefergelegt mit Alureifen und hat gesagt, das passt doch. Meine Frau hasst das allerdings, sie fährt wie so eine 19-jährige durch Kreuzberg und jeder will an jeder Ampel mit ihr ein Rennen beginnen, wozu sie überhaupt keine Lust hat. Aber ich genieße das langsam, ich liege da drin so halb auf der Strasse, die Anlage hämmert, hinten die zwei Kinder drin — das gefällt mir ganz gut.

Kann man die Kinder sehen?
Petzold: Ja, keine verdunkelten Scheiben, da war die Grenze, das mache ich dann nicht mehr mit.

Bei dem Namen und dem Thema des Films könnte man sich ja vorstellen, dass es vielleicht Bemühungen für eine Kooperation mit Volkswagen gegeben hat.
Petzold: Nein, wenn man das Drehbuch liest, das ist nichts für einen Sponsor. Die Stadt Wolfsburg hat uns insoweit unterstützt, dass wir Strassen benutzen durften et cetera. Ich mag diese Stadt auch wirklich gerne, ich mache auch meinen übernächsten Film wieder dort. Ich kenne diese Stadt und kenne sie auch irgendwie nicht. Die Stadt hat Historie und tut so, als ob sie keine hätte. Die Stadt ist reich. Du siehst dort Häuserecken und Treppeneingänge, da fallen dir sofort fünf Kamerapositionen ein. So wie in einem Los Angeles-Film, wo ich oft das Gefühl habe, die können da überall die Kamera hinstellen und plötzlich spricht der Ort, der Ort wird reich. Ganz im Gegensatz zu diesen abgefilmten Städten wie München oder Hamburg, Speicherstädte und der ganze Mist — das ist für mich so abgelutscht, das interessiert mich nicht.
Und generell, Sponsoring mag ich nicht, die sind überall, an jeder Ecke, an jedem Hemdkragen eines Fußballtrainers kleben sieben oder acht Diabetiker-Firmen und ich kann das alles nicht mehr sehen. Ich möchte keine Supermarktmusik, ich möchte auch nicht überall diese Werbezeichen und Tauschwerte in Bildern haben — das muss nicht sein!

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