Christina, vor kurzem ist deine „Laut-Los-Tour“ zu Ende gegangen, auf der du mit Band deine Songs in Akustik-Versionen präsentiert hast. Wie ist dein Resümee?
Stürmer: Die Tour ist sehr gut angekommen. Es ist zwar was anderes, schon weil wir auf der Bühne alle sitzen, was man nicht so ganz gewohnt ist, aber es hat sehr viel Spaß gemacht
Hättest du Lust, so was wieder mal zu machen oder sind dir die normalen Konzerte dann doch lieber?
Stürmer: Ich kann mir schon vorstellen, irgendwann mal wieder ein Akustik-Album zu machen. Für das nächste Album ist aber auf alle Fälle geplant, dass das wieder ein bisschen lauter wird und dass wir wieder normale Strom-Konzerte machen. Ich glaube, beides hat einfach seinen Reiz Das Album "Laut-Los" ist auf Platz neun der deutschen MediaControl Album-Charts eingestiegen und hatte bereits vor Verkaufsstart in Österreich Platinstatus erreicht.
Hast du mit diesem Erfolg gerechnet?
Stürmer: Bei dem Album haben die meisten gesagt, das wird sich wahrscheinlich nicht so gut verkaufen, weil es eben ein Akustik-Album ist. Das war uns allen bewusst und es ging mir einfach darum, nach den fünf Jahren im deutschen Pop-Rock mal was anderes zu machen, einen Schritt nach links oder nach rechts zu gehen und eine andere Facette zu zeigen. Dass es sich nun so gut verkauft und mehrere Wochen in Österreich auf Platz 1 war, freut mich natürlich umso mehr freut, vor allem weil ja eben alle davon ausgegangen sind, dass das nicht so sein wird.
Was das Platin in Österreich betrifft, das klingt immer so ganz genial, nur waren das früher, als die Rolling Stones und wie sie alle heißen, Platin gemacht haben, ganz andere Zahlen. Das sind heute, wo nicht mehr so viele CDs gekauft werden, völlig andere Dimensionen. Ich weiß nicht mal, wie viele CDs Platin in Österreich überhaupt sind, deshalb heißt das für mich nie was, wenn wir Platin oder Gold bekommen.
Wie kam es zu dem Akustik-Album und der Akustik-Tour?
Stürmer: Wir spielen immer ein akustisches Set in den normalen Konzerten, das sind dann meist so zwei, drei Lieder. Vor anderthalb Jahren haben wir dann unser erstes Unplugged-Konzert gegeben, das ging über eine Stunde und ist sehr gut angekommen. Und dann war schon immer mal die Überlegung, ob man das nicht mal als komplettes Album macht. Aber dann hieß es eben immer, „Naja, aber das verkauft sich dann nicht.“ Aber als wir dann im Oktober letzten Jahres im Rahmen der Rocktober-Aktion in den drei offiziellen Hardrock-Cafés in Deutschland gespielt haben, was wieder super ankam, konnten wir auch die Plattenfirma überzeugen.
Du hast eine Ausbildung als Buchhändlerin gemacht. Welche Rolle spielen Bücher heute noch in deinem Leben?
Stürmer: Eine sehr große Rolle, im Moment komme ich nur sehr selten dazu zu lesen. Ich habe eigentlich immer ein Buch mit, das ist für mich eine Art und Weise, wie ich mich gut entspannen kann. Einfach dieses Abtauchen in eine andere Welt, vielleicht auch ein bisschen Flucht vor der Realität, keine Ahnung, es ist auf jeden Fall Abschalten.
Was liest du zur Zeit?
Stürmer: Ein ziemlich dickes Buch, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ von John Irving. Er schreibt echt gut, aber im Moment schaffe ich abends, wenn ich im Bus in der Koje liege, nur ein paar Seiten, weil ich so müde bin.
Du erwähntest gerade die Flucht aus der Realität. Warum willst du denn der Realität entfliehen?
Stürmer: Fliehen ist vielleicht das falsche Wort gewesen. Man hat nur einfach so wahnsinnig viel im Kopf, hat hier ein Interview, dort ein Foto-Shooting, muss auf die Bühne. Und man will ja alles zu hundert Prozent machen, will es gut machen und man hat dann im Hinterkopf noch interne Dinge, Diskussionen mit der Crew, mit der Band – es ist ja nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Und dann kommen natürlich noch Steuer, Buchhaltung und Verträge dazu. Da ist das Lesen eben etwas, wo man abschalten kann und wo man mal ganz woanders ist. Du malst dir deine eigenen Bilder aus und kannst das ganze Wirrwarr, was da manchmal im Kopf ist, für kurze Zeit wegdrehen.
Funktioniert das bei dir auch mit Musik?
Stürmer: Ja, mit Musik funktioniert das auch ganz gut, nur hält es sich bei der Tour sowohl mit Lesen als auch mit Musikhören eher in Grenzen. Es ist schon so, dass ich vorm Einschlafen im Nightliner Musik höre, aber das ist dann auch die einzige Zeit am Tag, wo ich lese oder Musik höre.
Was hörst du denn? Auch Deutschrock?
Stürmer: Quer durch die Bank, aber schon auch deutsche Sachen. Wir sind Helden laufen bei mir recht weit oben, im Moment aber eher ruhigere Sachen wie Feist und John Mayer, vielleicht einfach deshalb, weil ich zur Zeit überwiegend dann Musik höre, wenn ich mich entspannen möchte.
Ihr werdet oft Silbermond verglichen. Seht ihr euch selbst da oder ist das für euch ein Problem?
Stürmer: Also Problem ist das keins, wir werden ohnehin sehr oft verglichen, ob nun mit Silbermond, Nena oder Falco. Manchmal fallen auch Namen wie Wolfgang Ambros oder Avril Lavigne. Ich finde schon, dass Silbermond, Juli, Wir sind Helden und Christina Stürmer auf eine gewisse Art und Weise ähnlich sind, weil alle deutsch singen und eine Frau vorne steht. Ich finde aber auch, dass jeder von uns eine eigene markante Stimme hat. Außerdem hat beispielsweise die Steffi von Silbermond auch eine ganz andere Persönlichkeit als ich. Sie ist offener und sie quatscht wesentlich lieber auf der Bühne als ich, was ich immer faszinierend finde, denn ich bin da eher zurückhaltend.
Dieses blöde, rote Korsett – das ist mir noch immer ein Dorn im Auge.
Du bist 2003 bei „Starmania“, der österreichischen Variante von DSDS, Zweite geworden. Was für ein Gefühl war das, so knapp am Sieg vorbeigeschrammt zu sein?
Stürmer: Eigentlich ein sehr, sehr gutes. Ich stand da auf der Bühne und habe meine Freunde gesehen, die beim Finale mit im Studio waren. Sie sind aufgesprungen, als es geheißen hat, ich bin Zweite und haben sich fürchterlich gefreut. Sie finden das zwar toll, was ich mache, aber sie haben damals auch schon gesagt, dass sie mich total selten sehen und so war ihr Gedanke: der zweite Platz ist gut, aber es nicht so, dass ich für meine Freunde dann ganz weg bin.
Ich hab’s vor allem gut gefunden, weil sich natürlich alle Medien auf den Erstplatzierten gestürzt haben. Das war sicher nicht einfach, jeder erwartet was von dir. Du sollst das und das machen, nebenbei sollst du dann noch deine erste Single aufnehmen und wenn die dann nicht auf Platz 1 landet, ist das eine totale Enttäuschung. Du stehst unter komplettem Erfolgsdruck und den hab ich eben überhaupt nicht gehabt. Alle haben sich auf Michael Tschuggnall gestürzt und ich bin ins Studio gegangen und hab es dort ein bisschen gemütlicher angehen können. Das war sehr angenehm für mich und so konnte ich mich unauffällig nach vorn schleichen.
Du hast damals in der Final-Runde „Ein Kompliment“ von Sportfreunde Stiller gesungen, obwohl die Jury dir sehr von diesem Titel abgeraten hat. Wie schwer fiel es dir, da auf dein Herz zu hören und das zu machen, was du wolltest?
Stürmer: Eigentlich gar nicht schwer. Wir beiden, die wir noch übrig waren, sollten ein Lied unserer Wahl singen. Es war keine Kategorie vorgeschrieben, nichts, es sollte einfach was sein, was man sich selber wünscht. Ich hab mir damals gedacht: Okay, ich kann jetzt wieder irgend so einen Klassiker singen wie „Hot Stuff“, für den ich die meisten Punkte überhaupt von der Jury und dem Publikum gekriegt hab, oder ich mach eben gleich das, was ich später auch noch machen möchte. Ich hab darin die letzte Chance gesehen, zu zeigen: Das will ich machen, egal ob es gut ankommt oder nicht. Aber ich wollte auf keinen Fall wieder was Englisches singen.
Und wie ist es dann gelaufen?
Stürmer: Ich bin mit dem Lied etwas schlecht ausgestiegen, weil der Erstplatzierte einen selbstkomponierten Song für seine Freundin oder so gesungen hat, also Herz-Schmerz. Aber ich weiß auch nicht, ob ich da mit einem Klassiker gewonnen hätte. Auf jeden Fall finde ich im Nachhinein, dass es eine super Idee von mir war. Du singst in den ganzen Shows immer nur Englisch und nachher kommst du auf einmal mit Deutsch und die Leute wissen überhaupt nicht, was das jetzt ist.
Glaubst du, Leute mit einer eigenen Meinung haben es leichter im Musik-Business?
Stürmer: Eher schwerer. Ob Interviews oder Foto-Shooting, da kommt ein Journalist her und stellt sich das so vor und weiß wahrscheinlich vorher schon, was seine Überschrift ist und was er schreibt und eigentlich braucht er das Interview eh’ nicht zu machen. Oder auch bei Foto-Shootings war es sehr oft der Fall, dass die sich das vorher schon zurecht gelegt haben. „Ah, das schaut doch total toll aus, wenn Sie das rote Korsett anziehen!“ und so weiter. Dieses blöde, rote Korsett – das ist mir noch immer ein Dorn im Auge. Ich hab das damals halt dann angezogen. Ich hab zwar gesagt, ich will’s nicht, aber die waren total angefressen, so nach dem Motto: Wie kannst du da jetzt Nein sagen? Es ist ohnehin so: Alles, was ich mir von damals anschaue, finde ich ganz, ganz fürchterlich. Das war alles gar nicht ich vom Äußeren her. Du wirst da angezogen und in irgendwas hineingesteckt und wenn man Nein sagt, dann heißt es: „Mein Gott, die Stürmer ist eine Zicke! Die will das rote Korsett nicht anziehen!“ Mit einer eigenen Meinung ist es oft so, dass irgendwer meint: Ohje, Zickenalarm. Was ich eigentlich ziemlich schlimm finde, gerade was Foto-Shootings anbelangt. Ich bin ja kein Model sondern ich muss diese Fotos als Musikerin auch selbst vertreten können.
Bedingt durch „Starmania“ war dein Publikum am Anfang sehr jung. Ist das immer noch so?
Stürmer: Also, in Deutschland war das Publikum nie so ganz jung. Das ist ohnehin lustig, umso höher man in den Norden raufkommt, desto älter wird mein Publikum. In Hamburg haben wir immer mit Abstand das älteste Publikum, in Bayern ist es immer ein bisschen jünger. In Österreich war es am Anfang wirklich sehr jung, da waren teilweise auch siebenjährige Kids bei den Konzerten. Es ist okay, wenn man mal zwei, drei im Publikum hat, aber wenn dann nur noch siebenjährige Mädels und Jungs da sitzen, denke ich mir schon…. Also die Texte sind zwar deutsch und sie können sie vielleicht mitsingen, aber verstehen tun sie in dem Alter eher noch nicht. Und wenn doch, dann muss ich sagen, alle Achtung, was sie in ihren sieben Jahren schon erlebt haben. Mittlerweile ist das Publikum aber wesentlich älter, vor allem bei der Akustik-Tour saßen in Österreich eher erwachsene Pärchen in den ersten Reihen, die ihre Kinder zu Hause gelassen haben. Wobei ich Kinder im Publikum jetzt nicht per se negativ finde.
Wie würde dein Leben heute aussehen, wenn du, wie so viele Casting-Stars, wieder in der Versenkung verschwunden wärst?
Stürmer: Ich hab damals neben der Buchhändler-Lehre auch schon eine Abendschule besucht, weil ich das Abi nachmachen wollte bzw. bei uns die Matura und danach ein Kindergarten-Kolleg besuchen. Kinder sind noch so unverdorben und lenkbar und hören vielleicht besser zu als manche Erwachsene. Ich wollte immer was mit Kindern machen, ob jetzt Kindergärtnerin oder Kindergartentante oder Horterzieherin. Das würde ich also jetzt wahrscheinlich hauptberuflich machen und nebenbei auf alle Fälle noch immer Musik.
Wie hat sich dein Leben verändert, seit du Österreichs erfolgreichste Pop-Sängerin bist?
Stürmer: Ich bin vor fünf Jahren bei meinen Eltern ausgezogen, hab dann durch die Medien-Flut einen Crash-Kurs gekriegt, wie man mit Journalisten umgeht, hab’ gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen, weil in der eigenen Wohnung muss man ja doch selber schauen, ob Kaffee und Milch zu Hause sind. Und vor allem wird man natürlich auf der Straße erkannt. Ansonsten hab ich aber einfach mein Hobby zum Beruf machen können und mache jetzt das, was mir am meisten Spaß macht im Leben.
Was war die wichtigste Erfahrung in diesen fünf Jahren?
Stürmer: Der Umgang mit der Presse. Ganz am Anfang haben ja alle Medien in Österreich über mich geschrieben und sich ihre Geschichten zusammengereimt. Und wie es bei einer Castingshow ist, wirst du gern in Schubladen gesteckt und es geht nicht so sehr darum, wer am besten singen kann. Sie suchen einfach Typen. „Die hat schöne Haare“ und „der ist ein bisschen der Rockstar-Typ“ usw. Die wichtigste Lektion war auf jeden Fall die, dass man über den ganzen Geschichten drüber steht. Ich war gerade erst ausgezogen und dann stand in der Wochenzeitung in Österreich: „Christina Stürmer hat Magersucht.“ Das war natürlich auch für meine Eltern sehr heftig. Sie wussten zwar, dass es nicht stimmt, aber sie sind natürlich von den ganzen Leuten im Ort angesprochen worden. So was ist irrsinnig anstrengend und auch belastend. Da muss man mit der Zeit wirklich lernen, dass man da drüber steht und nicht immer alles erzählt. Ich hatte damals eine Beziehung mit einem aus der Casting-Show, auf die sich alle gestürzt haben. Und als es nach anderthalb Jahren aus war, genauso. Was nicht so ein tolles Gefühl ist, wenn man sich gerade getrennt hat. Deshalb rede ich heute auch nicht mehr viel über Details und mache keine Geschichten mehr zu zweit à la „Was magst du an ihm und was mag er an dir“.
Verfolgst du die Presseberichte denn noch oder sagst du: Nein, das will ich gar nicht erst lesen?
Stürmer: Wenn ich darüber stolpere, dann schau ich schon mal hin. Aber grundsätzlich lese ich mir das eher nicht durch. Ich denke mir, wenn’s nicht stimmt, dann ärgere ich mich nur. Und wenn’s so da steht, wie ich es gesagt hab beim Interview, dann war ich ja dabei und weiß es eh.
In vielen deiner Songs machst du den Menschen Mut. Woher schöpfst du Kraft, wenn es dir mal nicht so gut geht?
Stürmer: Bei meiner Familie und meinem Freund. Die sind immer da, wenn irgendwas ist und die hören vor allem immer zu und das ist sehr, sehr wichtig. Gerade in einem Beruf, wo man viel unterwegs ist, gibt es viele Schulterklopfer, die nur die Oberfläche sehen, die Preise und all das – aber das hat noch lange nichts mit Glücklichsein zu tun. Deshalb ist es wirklich wichtig, dass man Familie und Freunde hegt und pflegt. Ich habe nicht so viel Kontakt mit ihnen wie früher, aber wenn ich sie sehe oder mit ihnen telefoniere, dann ist das so, als wäre ich nie weg gewesen. Es ist wirklich ein beruhigendes Gefühl zu wissen, wenn es mal bergab gehen sollte, dass dann Leute da sind, die mich auffangen
Du willst später gern in einem Haus auf dem Land wohnen. Arbeitest du schon an der Umsetzung dieser Pläne?
Stürmer: Ende letzten Jahres sind wir eingezogen! Aber ich glaube, ein Haus ist eine ewige Baustelle und ich brauche noch Jahre.
Tolle Interview
super :-)