Herr Hochhäusler, Ihr Film „Die Lügen der Sieger“ wirft einen kritischen Blick auf die Entstehung der „öffentlichen Meinung“. Wann haben Sie selbst begonnen, die sogenannten Meinungsmacher zu hinterfragen?
Christoph Hochhäusler: Es gab kein traumatisches Ereignis, das zum Beispiel mein Vertrauen in das gedruckte Wort erschüttert hätte. Mein Verhältnis zu den Medien hat sich in den letzten Jahren gewandelt,aber insgesamt würde ich sagen: Es ist sehr lustvoll, positiv. Ich gehe sehr gerne mit Medien um.
Wie bilden Sie sich Ihre persönliche Meinung?
Hochhäusler: Früher zählte ich zu jenen, die drei Abonnements hatten und verbrachte gerne Stunden mit Papier. Heute folge ich eher auf elektronischem Weg verschiedenen Autoren, Blogs oder Einzelstimmen, statt einer Zeitung, die alles führt und lenkt und einen Stil hat. Und natürlich spielt eine Rolle, dass ich selber seit 1998 eine Filmzeitschrift und seit 2003 Filme mache. Ich bin nun in gewisser Weise selbst Teil des Spiels. Meine Sicht hat sich dadurch vertieft und es gab da auch einige Enttäuschungen. Gerade wenn man über manche Dinge sehr viel weiß, merkt man eben, welche Schlampereien oder tendenziöse Praktiken es in der Berichterstattung über diese Dinge teilweise gibt. Da merkt man, inwieweit Medienmacht sich eben auch mit Macht verknüpft. Dadurch ist bei mir eine gesunde Skepsis entstanden.
In Ihrem Film geht es um zwei Journalisten, die an einer Enthüllungsgeschichte für ein Nachrichtenmagazin namens „Die Woche“ arbeiten. Ohne es zu wollen, dienen sie aber letztlich nur bestimmten Machtinteressen. Ein ziemlich düsteres Bild…
Hochhäusler: Es gibt nunmal ein ganz enges Verhältnis von Macht und Erzählung. Das hat es immer gegeben und muss es auch geben. Weil Erzählung immer auch Macht ist und Macht ist Erzählung, bis zu einem gewissen Grad. Die Zuströme an Vertrauen oder auch nur Teilhabe, ohne die keine Macht existieren kann, die lassen sich eben auch nur anhand von Erzählungen auffädeln.
Radikal um Wahrheit kann es nicht gehen, das wäre unpraktisch.
Sie erinnern sich in den Presseinformationen zu Ihrem Film an eine Zeit, in der man sich noch den „Journalismus als eine der Säulen der Demokratie“ vorstellte. Was ist daraus geworden?
Hochhäusler: Ich glaube, dass das immer eine Idealisierung war, mit einem Körnchen Wahrheit. Die wirklich entscheidenden Institutionen der Demokratie sind ja eigentlich hygienische Institutionen. Das heißt: Gewaltenteilung, gegenseitige Kontrolle, Unabhängigkeit von Justiz, Polizei und Regierung wirken aufeinander hygienisch ein – wie eine Wespe, die die toten Tiere abschält, zu so einem Verdauungsapparat gehört die Presse auch. Das ist wichtig, denn sonst gärt’s im System und dann blubbert’s und dann sumpft’s. (lacht)
Das heißt, der Presse geht es per se nicht um Wahrheit, sondern um Systemerhalt?
Hochhäusler: Es geht schon partiell um Wahrheiten, aber radikal um Wahrheit kann es nicht gehen, das wäre unpraktisch. Das ist auch sehr interessant an so einem Projekt wie Wikileaks. Bei dem geht es ja nicht um das Funktionieren von Gesellschaft. Sondern dahinter steht ja die Frage: Wie können wir diese Gesellschaft so erschüttern, dass sie sich ändern muss? Die arbeiten deutlich anders.
Was aber nicht heißt, dass diese Erschütterung nicht notwendig wäre…
Hochhäusler: Ja, aber man merkt schon, dass die Methodik von Wikileaks ziemlich inkompatibel damit ist, wie Presse sonst so funktioniert. Sie versuchen zwar, zu kooperieren, aber die Presse kann so viel Wahrheit auf einmal gar nicht brauchen. Die braucht Storys, die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben, die sich schön ablösen.
Was kann ein Film wie „Die Lügen der Sieger“ im gesellschaftlichen Gefüge leisten?
Hochhäusler: Er kann, wenn man so will, ein poetisches Werkzeug sein, mit dem man umgeht, um etwas zu hinterfragen oder zu beschreiben. Dahinter steht immer so etwas wie die Verschärfung des Wirklichkeitsbegriffs: Was ist hier eigentlich der Fall, was ist los? Und da meine ich nicht nur die Welt der sogenannten Tatsachen, sondern auch das Imaginäre, die Beschreibung unserer Phantasien, der Ängste unserer Zeit. Ich finde, dafür hat sich das Kino oder der Film ziemlich unentbehrlich gemacht. Und so sehe ich natürlich auch meinen Film im besten Fall als ein Angebot, das man in Gedanken mit nach Hause nehmen kann, dass erst dann Brisanz bekommt, wenn man es in sein eigenes Leben holt, weiter erzählt, in Frage stellt und so weiter.
Sie haben die beiden Journalisten einerseits sehr prominent mit Florian David Fitz und andererseits mit Lilith Stangenberg besetzt, eine der charismatischsten Schauspielerinnen von der Berliner Volksbühne. Welcher Gedanke steckte dahinter?
Hochhäusler: Ich wollte diese Hauptrolle des Journalisten Fabian im Grunde nach dem amerikanischen Modell besetzen. Das heißt, mit einem Typ, dem man sofort bereit ist zu glauben, dass er die Dinge unter Kontrolle hat, dass er smart ist, dass er ein Arsch ist. Mir war aber wichtig, dass sein Sidekick auf eine bestimmte Art nicht zu ihm passt. Da entsteht dann auch Reibungswärme zwischen diesen Figuren und die reicht dann auch, um miteinander ins Bett zu gehen. Aber weiter reicht sie eben nicht.
Gab es auch eine Sehnsucht dahinter, massenkompatibles deutsches Kino zum Beispiel mit der Welt des Volksbühnen-Regisseurs René Pollesch zu vermählen?
Hochhäusler: Ich liebe Pollesch. Ich amüsiere mich sehr über seinen Twitter Feed und seine Stücke, in denen zum Teil ja auch Lilith Stangenberg mitspielt, finde ich toll. Aber mein Film hat mit ihm eigentlich nichts zu tun. Es gibt allerdings auch den Versuch, mit dem Film erstmal in einer Oberfläche zu arbeiten, die man mit dem verwechseln kann, was man gemeinhin erwartet, wenn man Kino sagt. Und in diese Idee gehört auch Florian hinein. Da stellt sich dann die Frage: Nimmt das Publikum sowas übel oder ist das dann ein gelungener Schmuggel?
Wird man mit dieser Frage nicht schon bei den Anträgen auf Filmförderung konfrontiert? Nach dem Motto: Herr Hochhäusler, wollen Sie nun einen kommerziellen Thriller machen oder nicht?
Hochhäusler: Mein Verhältnis zu den Filmförderungen war noch nie so, dass wir inhaltlich diskutiert hätten. Das wäre auf auch auf eine filmästhetische Diskussion hinaus gelaufen, für die da gar keine Zeit wäre. Es geht dann eher darum, wer hinter dem Projekt steht, ob die Produktion vertrauenswürdig ist.
Die Drehbuchautorin Anika Decker hat uns unlängst erzählt, dass sie bei jeder Drehbuchbesprechung die Frage gestellt bekommt: „Was für einen Traum hat der Protagonist Ihrer Geschichte?“ Ist Ihnen diese Frage auch schon gestellt worden?
Hochhäusler: Nein, noch nie. Allerdings bin ich, als es um „Die Lügen der Sieger“ ging, zum ersten Mal gefragt worden, ob das denn realistisch sei, was ich da erzähle. Das sollte ich dann der Förderung beweisen.
Aber es ging doch um einen Spielfilm. Sind die in der Regel nicht nur ihrer eigenen Wahrheit verpflichtet?
Hochhäusler: Doch, natürlich. In diesem Fall war man offenbar ein bisschen aufgeschreckt. Aber ich konnte anhand unserer Recherchen ohne Mühe belegen, dass 1001 Einzelheiten des Drehbuchs aus dem wirklichen Leben stammen und dann waren sie zufrieden.
Wo liegt die Grenze zwischen Journalismus und fiktionalem Erzählen? Ist es nicht bedenklich, wenn sich das mehr und mehr mischt, wenn Nachrichten zunehmend auch als emotionale Erzählung funktionieren müssen?
Hochhäusler: Na ja, man könnte umgekehrt natürlich auch sagen, dass solches allegorisches Erzählen auch sehr viel Welt enthalten kann, manchmal eben mehr als ein Telefonbuch. Aber ich glaube, wir brauchen beide Pole und um die Grenze muss man immer kämpfen. Natürlich kann man von seiner strukturalistischen Warte aus alles als Erzählung betrachten und natürlich arbeiten gerade Blätter wie „Der Spiegel“, der ja ein Vorbild für meine Zeitung im Film ist, ganz klar mit Story-Schemen, die sich immer wiederholen.
Das wird nicht zuletzt vor jeder Bundestagswahl deutlich. Egal, was die Umfragen sagen: ein paar Wochen vor dem Wahltag macht der „Spiegel“ eine große Geschichte darüber, dass die Stimmung in der Bevölkerung doch noch kippen könnte.
Hochhäusler: Genau. Das habe ich auch genauso erlebt bei diesen Besprechungen, als wir im Rahmen der Recherche zu „Die Lügen der Sieger“ die „Spiegel“-Redaktion besuchen durften. Da war ich einerseits überrascht, wie unglaublich genau die da sind, was die Details betrifft. Da wird wirklich sehr sorgfältig recherchiert, wie alt jemand ist, welche Haarfarbe hat der, Schuhgröße, solches Zeug. Das ist eigentlich irrelevant, aber trotzdem, diese Fakten sind alle richtig. Nur die These, die als Rückgrat oder Außenskelett das ganze zusammenhält, die ist oft ziemlich steil. Zum Beispiel lautet die These: Unmut in der SPD, weil blablabla… (lacht) Und dann findet man halt Stimmen, die dazu passen. Die wird man ja auch immer finden.
Was hat Sie bei Ihren Recherchen besonders überrascht?
Hochhäusler: Es haben sich schon einige meiner Grundannahmen umgekehrt. Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass es so viele Möglichkeiten der technischen Spionage gibt. Inzwischen wissen wir das besser, durch Snowden und so weiter. Aber damals, als wir das Drehbuch geschrieben haben, haben es viele, die es gelesen haben für Science-Fiction gehalten. Und wie stark der Bereich des politischen Journalismus machistisch ist, das war mir auch nicht klar.
Sind das Erkenntnisse, die Ihre Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Medien verstärkt haben?
Hochhäusler: Es ist eher so, dass solche Details das Gesamtbild lebendig machen. Solche Details kommen mir als Macher eines fiktionalen Films entgegen, so wie ein „Spiegel“-Journalist nach Zitaten sucht, die seiner These entgegenkommen.
Zu einem anderen Thema. Ich zitiere aus dem Vorwort der ersten Ausgabe von „Revolver“, der Filmzeitschrift die Sie mitgegründet haben und bis heute mit verantworten: „Revolver (…) will direkt, präzise und ehrlich über den Film der Zukunft sprechen.“
Hochhäusler: Das war 1998.
Im selben Jahr wurde beim Deutschen Filmpreis „Comedian Harmonists“ als bester Film ausgezeichnet. Nominiert waren unter anderem gefällige Filme wie „Frau Rettich, die Czerni und ich“ und „Die Apothekerin“. Jetzt, am 19. Juni, ein Tag nach dem Ihr neuer Film in die Kinos kommt, wird wieder der Deutsche Filmpreis verliehen. Lässt sich anhand seiner Nominierungen ablesen, dass sich seit der Gründung von Revolver im Deutschen Film etwas getan hat?
Hochhäusler: (Lacht) Wenn das der Gradmesser ist, dann ist die Bilanz ziemlich bitter. Ich glaube, der Deutsche Filmpreis sagt weniger denn je etwas über den Zustand des Deutschen Films aus. Das ist ein Problem, aber nicht meins.
Sind Sie Mitglied der Filmakademie, die den Preis vergibt?
Hochhäusler: Nein.
Warum nicht?
Hochhäusler: Weil die Akademie von vornherein eine Fehlkonstruktion ist. Es ist falsch, über Filme innerhalb der Branche abzustimmen.
Die Filmakademie, die die Auszeichnung vergibt, besteht nur aus Filmschaffenden…
Hochhäusler:… und das wird immer nur das verstärken, was schon Erfolg hat. Das war ja auch das erklärte Ziel. Bernd Eichinger hat das damals auch gesagt: Es kann nicht angehen, dass Filme nominiert werden, die niemand kennt. Um den Filmen dann noch zu einer Breitenwirkung zu verhelfen, musste es so à la Oscar bei der Verleihung zu einer Duell-Situation kommen.
Diese Form der Oscar-Verleihung wurde ja auch übernommen.
Hochhäusler: Ja, aber Breitenwirkung wird halt trotzdem nicht erreicht, weil sich die Deutschen eben nicht so fürs Kino interessieren. Jedenfalls führt das ganze zu einer extrem faden Nominierungspraxis. Und das ganze ist dann auch noch mit öffentlichen Fördergeldern verbunden…
Ist das auch ein Grund, warum Sie sich zunehmend nach Frankreich orientieren? Sie arbeiten bereits mit einer französischen Produktionsfirma zusammen und drehen demnächst mit Isabelle Huppert?
Hochhäusler: Ich nehme überall Geld an, wo es mir geboten wird, ehrlich gesagt. Ob es eine Möglichkeit gibt, ganz nach Frankreich zu wechseln, das wage ich aber sehr zu bezweifeln. Da gibt es zwar eine Filmkultur, der ich mich grundsätzlich näher fühle, aber mein Französisch ist schlecht. Ich arbeite mit meiner Sprache und in diesem Land, in dem ich auch sehr gerne bin. Außerdem ändert sich auch die französische Filmkultur gerade sehr und hat sich vergleichsweise stark Richtung Kommerz verschoben. Dort wird auf einem anderen Niveau auch gejammert.
Richtig gut ist’s nirgends?
Hochhäusler: Es gibt tatsächlich keine Art des Filmemachens, die gut funktioniert. Das Gute ist immer die Ausnahme. Man ist eben verzweifelt weit entfernt von einer Industrie, wie sie vielleicht ein bisschen im Hollywood der 30er Jahre existierte. Wenn man da in die Binnenperspektive geht, dann ist das zwar für viele damals auch nicht so rosig gewesen. Aber Tatsache ist, dass man wirklich industriell, das heißt, sehr arbeitsteilig, in einer hohen Regelmäßigkeit für einen festen Absatzmarkt in hoher Stückzahl Filme gemacht hat, das hat natürlich schon dafür gesorgt, dass das handwerkliche Niveau sehr hoch war und sich bestimmte Talente bewähren konnten. Wie John Ford oder Alfred Hitchcok damals 100 und mehr Filme zu machen, das ist heute nicht mehr möglich.
Eine abschließende Frage: „Die Lügen der Sieger“ spielt mit einigen kulturellen Referenzen. Besonders fällt auf, dass Sie eine kurze Szene aus Richard Brooks Film „Deadline U.S.A.“ hineingeschnitten haben. In ihr sagt Humphrey Bogart sinngemäß den Satz: „So ist die Presse eben, Baby. Da kannst Du nichts gegen tun“…
Hochhäusler: Ich freue mich einfach immer, wenn ich sehe, dass das Thema von „Die Lügen der Sieger“ schonmal bearbeitet worden ist. So kam es dann auch zu diesem historischen Stichwort. Mehr ist es eigenlicht nicht. Aber es ist schon unglaublich, wie modern die Probleme in diesem Film von 1952 sind. Die Zeitung, für die Bogart als Chefredakteur arbeitet, bringt nicht genug Rendite und soll deshalb an die seichte Konkurrenz verkauft werden, die von Anzeigenkunden lebt und redaktionelle Inhalte nur als Alibi hat. Bogart verhält sich ungehorsam, um den Verkauf zu stören. Er will jetzt erst recht guten Journalismus machen und endlich das wirklich heiße Eisen in seiner Stadt anpacken, die Macht eines Mafia-Bosses. Seine Motivation ist interessanter Weise nicht: So geht’s nicht weiter, wir müssen der Wahrheit dienen! Sondern: Wir werden verkauft, jetzt müssen wir nochmal zeigen, was auf dem Spiel steht.
In Samuel Fullers „Park Row“, der ebenfalls 1952 herauskam, aber Ende des 19. Jahrhunderts spielt, heißt es, eine Zeitung sollte sich durch Anzeigen finanzieren, um politisch unabhängig zu sein. Funktionierte dieses Argument schon 1952 nicht mehr?
Hochhäusler: Jede Finanzierung ist problematisch. Und das muss auch so sein. Weil das Geld eben nicht willenlos ist. Selbst wenn du eine Crowdfunding-Kampagne startest, legst du dich an ein populistisches Gängelband. Du musst diesen Leuten gefallen, die dich da finanzieren. Die haben auch Illusionen, die gepflegt werden wollen. Ich weiß nicht, ob es eine Zeit gab, in der die Zeitungen wirklich unabhängig waren – sei es von der Wirtschaft und ihren Anzeigen oder von der Politik. Klar, es gab in den 70er Jahren mal den Fall, dass die Washington Post erheblich dazu beigetragen hatte, dass US-Präsident Nixon gehen musste. Letztlich war das die totale Anomalie.
Bleibt also nur, in diesem Sinne auf weitere Anomalien zu hoffen?
Hochhäusler: Ja, auf jeden Fall.