Clemens Meyer

Preise sind kein Maßstab für Qualität.

Autor Clemens Meyer über körperliche und geistige Arbeit, Erfolg, seine kreative Gehirnhälfte und die Hassliebe zu seinen Figuren

Clemens Meyer

© Leipziger Messe GmbH / Uwe Frauendorf

Herr Meyer, Sie haben nach dem Abitur eine Zeit lang auf Baustellen gearbeitet – was empfinden Sie als anstrengender: körperliche oder geistige Arbeit?
Clemens Meyer: Körperliche. Aber ich muss sagen, geistige Dinge zerrütten einen eben geistig. Man merkt das und diese Zerrüttung kann dann auch auf den Körper abfärben. Wenn ich also jetzt ein Buch schreibe und mich das sehr mitnimmt, ich in höchster Anspannung bin und Umwerfungen erlebe, die mich psychisch mitnehmen, kann das auch auf eine Art und Weise viel schlimmer sein, als irgendwo Zement zu schleppen.

Wie wichtig ist es für Sie, gut zu sein, in dem was Sie tun?
Meyer: Ich selbst habe eine Erwartung an mich und die muss ich einlösen. Alles andere ist für mich nicht wichtig. Was andere Leute über mich denken ist sekundär für mich.

Das bedeutet, Sie entscheiden, was gut ist?
Meyer: Natürlich, wer sonst.

Wären Sie gern Kritiker?
Meyer: Nein. Ich bin natürlich auch Leser und lese Bücher von Kollegen. Aber Kritiker möchte ich nicht sein.

Sind Preise für Sie ein Maßstab für Qualität?
Meyer: Nein. Ganz und gar nicht. Preise sind kein Maßstab für Qualität. Definitiv überhaupt nicht. Preise sind Anerkennung und es gibt Geld. Das ist das Wichtigste. Zusätzlich gibt es ein bisschen Ruhm. Ich kann viele Beispiele nennen von Leuten, die in den letzten Jahren Preise gewonnen haben, große wichtige Preise, die ich für qualitativ absolut minderwertig halte.

Nennen Sie uns einen?
Meyer: Nein. Aber es gibt sie.

Wie ist es, wenn man selbst so einen Preis nicht gewinnt?
Meyer: Das ist wie im Sport. Man muss auch verlieren können und ich sag mir immer, mein eigenes Schreiben, das was ich tue, wovon ich lebe, wird durch einen Preis weder besser noch schlechter. Preise sind Ruhm, Bestätigung und Geld und einen Moment das Gefühl on Top zu sein. Aber was bestehen bleibt sind nicht die Preise, sondern die Bücher. So trennt sich dann auch die Spreu vom Weizen.

Sie waren 2006 schon mal für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Meyer: Ja, da war ich großer Favorit und wenn 2006 ein Buch hätte gewinnen müssen, dann war es meins. Mein Gewinn ist damals, wie ich hörte, auch nur an einer Stimme gescheitert.

Glauben Sie, dass Sie sich verändert haben, seitdem Sie erfolgreich schreiben?
Meyer: Was heißt „erfolgreich schreiben“. Ändern wir das mal in „seitdem ich Erfolg habe, mit dem was ich mache“. Erfolgreich geschrieben habe ich auch schon vor sechs, sieben Jahren, weil ich immer schon so geschrieben habe, wie ich schreibe. Mein Schreiben, hoffe ich, hat sich nicht verändert. Wenn dann nur in dem Sinne, dass man sich weiterentwickelt. Ich als Person, habe mich natürlich verändert. Das ist doch ganz klar: Wenn man jahrelang irgendwo in einer Wohnung gesessen hat, wenn man wenig gehabt hat, dann ein Buch geschrieben hat und sich plötzlich von einem Tag zum anderen alles ändert. Wen soll das kalt lassen, wer soll daraus unverändert hervor gehen? Aber gleichzeitig versuche ich auch bei mir selbst zu bleiben. Wenn ich schreibe ist das eigentlich die Phase im Leben, in der ich ganz nah bei mir selbst bin.
Ich denke, sowohl Erfolg als auch Misserfolg können ein Ansporn sein. Schlechte Kritiken und gute Kritiken, beides. Ich denke, dass man viel Kraft haben muss, seinen Weg weiter zu gehen und bei sich zu bleiben. Ich denke, dass ich die hoffentlich noch für eine Weile habe.

Sind die Phasen des Nah-bei-sich-seins, des Schreibens, angenehme Phasen für Sie?
Meyer: Das Angenehme ist bei mir vom Unangenehmen nie zu trennen. Ich bin kein Mensch, der sagt: Ich bin glücklich, mir geht es gut, das Leben ist toll. Wozu auch? Dann brauchte ich kein Schriftsteller zu sein.

Aber Sie fühlen sich wohl mit dem, was Sie tun.
Meyer: Es ist das, was ich machen muss. Ich transportiere in dem Sinne die Person Clemens Meyer. Ich bin meine eigene Marke. Alles andere, was Leute mit dem Wort Schriftsteller verbinden, interessiert mich nicht. Ich bin, der ich bin und ich schreibe nun mal.

Sie sagen, dass Sie schon immer schreiben wollten. Woher kommt Ihre Liebe zur Literatur?
Meyer: Mein Vater hatte eine große Bibliothek, er ist Krankenpfleger und hat immer viel gelesen. Und seit ich lesen kann, schreibe ich. Woher das genau kommt, keine Ahnung, dass weiß ich nicht genau. Aber es ist so. Wahrscheinlich ist das eine Mischung aus in die Wiege gelegtem Talent, Berufung und auch dem einen oder anderem, was man in der Kindheit mitbekommt. Es gibt da verschiedene Thesen.
Eine meiner eigenen Thesen ist beispielsweise, dass es damit zu tun hat, dass ich auf einem Ohr taub bin. Ich höre auf dem linken Ohr nichts, gar nichts, null Prozent. Deswegen schlafe ich immer auf der rechten Seite, damit ich nichts höre. Mein Leben lang schlafe ich auf dieser Seite, auch als Kind schon. Wenn ich nachts aufwache und auf der anderen Seite liege, muss ich mich umdrehen, um die Stille wieder herzustellen. Auf diese Weise fließt das Blut natürlich nach unten auf die rechte Seite.

Und tagsüber schreiben Sie dann mit der rechten Gehirnhälfte?
Meyer: Ich hab mich bei einem Arzt erkundigt und der meinte, dass sei eine gute These. Denn auf dieser Gehirnhälfte sitzt die ganze Kreativität. Kreativität, Emotionen das ist alles hier. Das ist auch die Hälfte auf der ich wahrnehme. Auf der anderen Seite nehme ich nicht richtig wahr. Ich sehe zwar ein paar Bilder, aber ich nehme nichts Räumliches und Akustisches wahr. Das ist eine dunkle stille Welt auf der anderen Seite. Nur auf der rechten Seite nehme ich wahr. Ich denke, dass damit alles zusammenhängt. Ich kann also Gott oder wem auch immer dankbar sein, dass ich von Geburt an auf einem Ohr taub bin. Das Blut ist immer hier. (Zeigt auf seine rechte Kopfhälfte.) Aber es sollte natürlich auch mal woanders sein (lacht). Sonst klappt es im Leben nicht.

Die Figuren in Ihren Büchern haben oft ihre ganz eigene Welt. Woher kommt Ihre Neigung zu sehr subjektiven Perspektiven? Sie erzählen personal oder mittels Ich-Erzähler, auktoriales Erzählen kommt in Ihren Geschichten nur sehr selten vor.
Meyer: Die eigene Welt meiner Figuren ist nicht meine Welt. Aber es gibt überhaupt wenig Schriftsteller, die mit einem auktorialen Erzähler schreiben und auch nur wenige, bei denen das gelungen ist. Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen auktorialem und personalem Erzählen, weil man während des Schreibens die Perspektiven wechselt. Aber ich bin immer sehr nah dran an den Figuren, weil mir das wichtig ist, um Nähe zu erzeugen. Um auch den Leser – und ich bin ja mein erster Leser – nah zu diesen Figuren führen zu können.

Mögen Sie Ihre Figuren?
Meyer: Ich mag sie schon, manchmal hasse ich sie auch. Es ist eine Hassliebe. Je näher ich bei ihnen bin, umso weiter bin ich gleichzeitig von ihnen weg. Das ist eine Mischung aus absoluter Distanz und absoluter Nähe. Irgendwo dazwischen. Denn wenn man zu nah dran ist, ist das sehr gefährlich. Als Schriftsteller darf man nie zu nah dran sein, sich nie seinen Emotionen hingeben. Zumindest bin ich der Meinung, dass das für mein Schreiben so ist. Man darf sich nie von seinen Gefühlen überwältigen lassen.

In Ihren neuen Geschichten sind die Figuren alle in gewisser Weise passiv.
Meyer: Ich weiß nicht: Wenn sich jemand eine Pistole holt, oder wenn jemand mit seinen Freunden auf dem Schwulenstrich Leute aufklatscht, ist das passiv?

Nicht unbedingt, vielleicht ist schicksalsergeben der bessere Ausdruck. Ihre Figuren fügen sich.
Meyer: Sie fügen sich zwar, aber welcher Mensch ist nicht schicksalsergeben? Was bleibt ihm anderes übrig? In fünfzig Jahren, da bin ich tot. Wie soll ich mich anders verhalten, als mich in mein Schicksal zu ergeben?

Anders gefragt. Warum gestehen Sie Ihren Figuren nur selten Hoffnung oder Glück zu?
Meyer: Weil eine Geschichte, die tragisch endet und tragisch verläuft viel mehr dynamisches und dramatisches Erzählpotential hat als eine seichte Geschichte, die so lala läuft und dann möglicherweise gut ausgeht. Ich bin der Meinung, dass in einer Geschichte, die ein sprengendes Ende nimmt, die kleinen Momente des Glücks und der scheinbaren Hoffnung viel heller leuchten, als wenn man diese von Anfang an als Leitmotiv nimmt. Außerdem, schaut man sich die Literatur der letzten zwanzig, dreißig, fünfzig, ja der letzten hundert Jahre an, welche Geschichten sind denn gut ausgegangen? Ich kenne keine.

Wie ist es mit den Happy Ends im Leben?
Meyer: Die gibt es. Die sind aber nur marginal, temporär, von kurzer Zeitdauer. Hemingway hat gesagt: Selbst wenn eine Geschichte gut ausgeht, muss man als Leser immer wissen, dass jede Geschichte nur ein Ende haben kann. Und was ist das? – Das ist doch ganz klar.

Wovor haben Sie Angst?
Meyer: Vor dem Tod. Wie jeder Mensch. Vielleicht auch vor dem Alleinsein. Aber eigentlich nicht so sehr. Ich habe keine Angst. Ich bin vielleicht ein ängstlicher Mensch, ein unsicherer Mensch. Man geht seinen Weg, man kann eh nichts anderes machen. Ich bin sozusagen Fatalist. Man geht den Weg und alles andere wird sich zeigen.

Was wollen Sie unbedingt noch erleben?
Meyer: Ich weiß es nicht. Ein bisschen in der Welt rumkommen. Man sollte Menschen treffen, nette Frauen treffen, ein bisschen Geld verdienen. Vielleicht auch mal wieder ganz unten sein. Mal sehen. Leben eben. Und: Ich will alt werden. Aber das erscheint mir immer unwahrscheinlicher, je älter ich werde.

Wovon träumen Sie?
Meyer: Ich träume immer noch von allem Möglichen. Aber es gibt auch Dinge, die sind privat. Man denkt immer, dass Schriftsteller alles erzählen müssen. Einen Lebensentwurf hab ich nicht. Ich habe das erreicht, was ich wollte, ich bin Schriftsteller, ich habe Erfolg, meine Bücher werden gelesen. Das ist das Wichtigste.

Sie waren viel unterwegs in den letzten Jahren. Wollen Sie weg aus Leipzig?
Meyer: Ich weiß es nicht. Eins werde ich aber ganz bestimmt nicht machen: nach Berlin ziehen. Es kommt auch darauf an, wie viel Geld ich in den nächsten Jahren habe. Ich könnte in London wohnen, da kenne ich Leute. Ich war jetzt in New York, aber da will ich nicht leben. In Deutschland kenne ich eigentlich keine Stadt, in der ich dauerhaft leben würde. Es kann passieren, dass ich mal von hier verschwinde, aber ich werde hier wahrscheinlich eine Wohnung behalten, eine kleine. Vielleicht die, in der ich jetzt lebe. Ich weiß es noch nicht. Ich werde auf jeden Fall mal eine Zeit lang verschwinden. Aber das wird hier trotzdem meine Heimat bleiben, in die ich zurückkehre.

Interessieren Sie sich auch für andere künstlerische Darstellungsformen?
Meyer: Nein. Ich habe mal die ein oder andere Performance gemacht. Ich habe Boxkämpfe moderiert und ich war Ansager in einer Art künstlerischer Stripbar. Und ich habe in Wehrmachtsuniform Gedichte aufgesagt, doch eigentlich ist das alles sehr nah an der Literatur. Aber ich male nicht, ich bin keine Schauspieler, obwohl man das als Schriftsteller immer irgendwie ist. Meins ist die Literatur. Alles andere, was ich so mache, ist Spaß und Spielerei. Ich bin Schriftsteller. Ich kann es mir ja auch nicht aussuchen.
Allerdings beschäftige ich mich zur Zeit viel mit Filmen, Filmgeschichte und mit Filmtheorie. Das ist mir neben der Literatur sehr wichtig. Weil ein gutes Buch für mich wie ein Film ist. Geschichten, die ich schreibe, haben meist eine bestimmte Dramaturgie, bestimmte Figurenkonstellationen, bestimmte Schnitttechniken und zwar solche, die ich auch in Filmen gerne sehe.

Letzte Frage: Was lesen Sie, wenn Sie lesen?
Meyer: Ich lese viel, wenn auch zur Zeit nicht ganz so viel. Ich habe meine Leben lang gelesen. Die amerikanische Literatur ist mir immer sehr nah gewesen. Natürlich habe ich auch die Klassiker und die Deutschen gelesen, alles mögliche. Aber auch die amerikanische klassische Moderne wie Hemingway, Fitzgerald, Dos Passos bis hin zu Norman Mailer – zumindest „Die Nachten und die Toten“ und Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“. Tschechow und Turgenjew sind mir auch sehr nah sind. Deutsche Zeitgenossen lese ich kaum.
Ich könnte jetzt stundenlang über Literatur erzählen. Ich hab mich mein ganzes Leben lang mit Literatur beschäftigt. Ich hab Literaturwissenschaft studiert, nicht an der Uni, aber zu Hause. Ich habe Hans Mayer gelesen und Lukács. Literatur eben, ich bin ja Schriftsteller. Viele Leute denken über mich, der kennt sich nicht aus, aber ich kenne mich wahrscheinlich in Manchem besser aus als einige Kritiker.

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