Clueso, die erste Single deines neuen Albums heißt „Zu schnell vorbei“. Bist du ein Nostalgiker?
Clueso: Das würde ich so nicht sagen, aber natürlich bin ich mittlerweile in einem Alter, in dem man auf etwas zurückblicken kann. Der Song ist aber eher ein Appell an mich selbst, auch mal den Weg einer Reise zu genießen und nicht bloß immer auf die nächste Lichtung zu warten.
Ging die Produktion der Platte ebenfalls zu schnell vorbei? Die Veröffentlichung wurde zumindest ein Mal verschoben.
Clueso: Ich habe sehr viel Spaß am Gestalten, aber irgendwann muss jemand kommen und sagen: Jetzt ist Schluss. Dieses Mal waren es jedoch vor allem die Songs, die das gesagt haben, und nicht die Leute. Die Stücke haben mich irgendwann wissen lassen: Wir sind noch nicht soweit.
Also war es wohl eine anstrengende Produktionsphase.
Clueso: Um ehrlich zu sein: Die Produktion war ein Desaster. Es haben sich unglaublich Dinge überschnitten, weil ich wieder einmal versucht habe, mich neu zu erfinden. Ich habe mittlerweile vier Alben gemacht und mit jedem wird es schwieriger. Man stößt an Grenzen und Mauern, die es einzureißen gilt. Und das kostet wahnsinnig viel Kraft.
Woher nimmst du diese Kraft?
Clueso: Alleine schafft man das nicht. Man braucht ein gutes Team um sich herum, das sich dafür genauso den Arsch aufreißt wie du. Man fängt mit jedem Album eben wieder bei Null an. Das ist ein permanenter Kampf.
Was war dabei denn die größte Hürde?
Clueso: Viele Leute vermuten diese Hürde in der Ideenentwicklung, aber Ideen entwickelt man relativ schnell. Schwierig ist es, diese Ideen auszubauen und zu festigen, damit sie eine lange Halbwertszeit haben. Hinzu kommt: Wenn ich merke, ein Song klingt zu gut, ist er für mich nicht mehr perfekt.
Wenn ein Song zu glatt ist, zupfst du also so lange an ihm herum, bis noch ein paar Falten drin sind?
Clueso: Ja, genau. Früher habe ich dafür vor allem Effekte und Sounds benutzt, aber heute weiß ich, dass es auf das Rohmaterial ankommt. Meistens sind es ja sowieso die einfachen Dinge, die den Unterschied machen. Aber auf die kommt man häufig nur, wenn man vorher den ganzen komplizierten Scheiß durchprobiert hat (lacht).
Trotzdem klingt das nach einer etwas merkwürdigen Form von Perfektionismus.
Clueso: Mag sein. Aber ein Song muss immer lebendig und angreifbar bleiben. Er darf seine Leichtigkeit nicht verlieren, denn ansonsten geht das Gefühl verloren, und das wäre fatal.
In einem Brief an deine Band hast du geschrieben: „Der Song ist der Chef.“ Wer bist du denn dann?
Clueso: Wenn der Song der Chef ist, dann bin ich der Abteilungsleiter. Ist doch klar (lacht).
Du hast über die neue Platte gesagt, das Leben würde sich eine CD selten so anhören. Wie ist das zu verstehen?
Clueso: Ich wollte kein steriles Album machen, dass man nur voll konzentriert über Kopfhörer genießen kann. Die Songs sollten auch funktionieren, wenn man sie nur nebenbei hört. Dafür war es jedoch wichtig, der Musik genug Raum zu geben, damit auch Nebengeräusche mit einfließen können. Man soll bei der Platte eben nicht nur mich hören, sondern auch sich selbst. Und das funktioniert nicht, wenn ein Album ein geschlossener Raum ist, der durch den Sound und die Kompositionen hermetisch abgeriegelt wird.
Im Zuge dessen wirkt die Platte sehr viel verspielter und durch die lange Spielzeit von 72 Minuten auch sehr viel reichhaltiger als die Alben davor. Musstest du aufpassen, dass du dich da während des Produktionsprozesses nicht verlierst?
Clueso: Ich verstehe die Platte sogar als eine dringende Aufforderung, sich darin zu verlieren. Für alle anderen, aber auch für mich selbst. Ich habe jetzt Monate im Studio zugebracht, mich vollkommen in der Musik verloren und komme mir bei diesem Interview fast wie ein Astronaut vor, der gerade vom Mond zurückgekehrt ist. Wie jemand, der sich erst wieder an das Leben auf der Erde gewöhnen muss.
Ist das denn eine freudige Wiederkehr zur Erde oder wärst du gerne noch ein wenig fort gewesen?
Clueso: Ich habe es mal so beschrieben: Wenn man lange im Studio hockt, wird man krank, und wenn man endlich wieder auf die Bühne darf, wird man gesund. Ich freue mich, mit diesem Album bald wieder auf Tour gehen zu dürfen, aber ich habe zwischenzeitlich auch vollkommen vergessen, was für ein Druck um mich herum herrscht.
Aber wie gelingt es dir, diesen Druck auszublenden?
Clueso: Schwer zu sagen. Irgendwann passiert das einfach. Aber es ist nicht leicht, zurückgezogen einen Text zu schreiben, während es fortwährend an deine Tür klopft und sämtliche Leute wissen wollen, wie weit du bist. Da musst du dich tatsächlich irgendwann vollkommen in der Musik verlieren, um dich überhaupt konzentrieren zu können.
Fließt dieser Druck auch in den Kreativprozess ein? Hat das inhaltliche Auswirkungen auf die Musik?
Clueso: Bestimmt, aber eher unterbewusst. Ich versuche jedenfalls nicht krampfhaft, meinen Fans zu gefallen, denn das bringt nichts. Ich fordere sie lieber. Bei der letzten Platte habe ich die Band noch mehr zu Wort kommen lassen, wodurch die Urbanität, der Groove und die Bastelei des Künstlers Clueso ein bisschen flöten gegangen sind. Ich wollte damals, dass die Bandgeschichte Einzug in die Musik erhält. Dieses Mal bin ich anders an die Platte herangegangen.
Nämlich?
Clueso: Ich wollte den Groove wieder zurückhaben. Außerdem ging es mir darum, Stile zu brechen, sodass Reibung entsteht. Ich wollte ein Album machen, an dem ich mich selbst noch stoßen kann.
Womit wir wieder bei deine Suche nach der Perfektion im Unvollkommenen wären.
Clueso: Genau. Die Songs sollten nicht einfach so dahinplätschern, sondern Fragen aufwerfen. Deshalb habe ich zum Beispiel eine Ballade wie „Herz“ mit einem untypischen Elektro-Beat unterlegt, wodurch ein Hinhör-Effekt entsteht. Ich möchte die Zuhörer aus der Reserve locken.
Wenn ich merke, ein Song klingt zu gut, ist er für mich nicht mehr perfekt.
Wir haben eben darüber gesprochen, sich zu verlieren. Im Allgemeinen wird Verlust als etwas Negatives empfunden. Bedeutet es für dich auch etwas Positives?
Clueso: Es gibt eben Phasen im Leben, in denen man dermaßen im Alltag gefangen ist, dass man sich am liebsten die Treppe hinunterwerfen möchte, um herauszufinden, ob man noch lebt. Manchmal erschlagen einen Dinge und tun weh. Aber sie zeigen einem eben auch, dass man noch lebendig ist. Und das ist wichtig.
Hast du den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft der Mut zum Verlust verloren gegangen ist, weil Verlust immer gleich als Niederlage aufgefasst wird?
Clueso: So eine Angst existiert auf jeden Fall. Jetzt, wo MTV nur noch im Pay-TV zu sehen ist, bricht aber auch in der Musik ein neues Zeitalter an – und ich finde das gut. Man kann sich wieder mehr auf die Kunst konzentrieren und muss nicht mehr so viel Gedanken an das Drumherum verschwenden. Auch das Internet hat viel Platz für neue Möglichkeiten geschaffen.
Immer mehr Musiker gehen immer häufiger auf Tour, im Live-Segment zeichnet sich langsam eine Übersättigung ab…
Clueso: Genau. Der Live-Markt kollabiert fast, weil mittlerweile sämtliche Künstler permanent auf Tour geschickt werden, um den finanziellen Einbruch der Tonträger-Verkäufe aufzufangen. Trotzdem verkaufen mein Team und ich für unsere Konzerte so viele Karten wie nie zuvor, und das zeigt mir: Die Leute haben Bock auf Inhalte. Durch diese Inhalte und unseren Mut, zu bestimmten Dingen auch mal Nein zu sagen, haben wir uns über die Jahre hinweg ein gutes Standing erarbeitet. Und nun versuchen wir, mit dieser Untergrundmacht die bestehenden Strukturen zu überrollen.
Dazu gehört wohl auch jenes Ticketsystem, dass du mit deinem Team in den letzten anderthalb Jahren entwickelt hast.
Clueso: Ja, genau. Wir haben festgestellt, dass viele Besucher unserer Konzerte zwar auch meine Platten besitzen, diese aber nicht zwangsläufig legal bezogen haben. Wir haben uns also überlegt, wie wir das illegale Downloaden verhindern können und beschlossen, den Käufern von Konzertkarten das Album als Download umsonst dazu zu geben. Dadurch, dass wir die Karten direkt an die Fans verkaufen und es keine Zwischenhändler gibt, rechnet es sich trotzdem – und zwar ohne dass wir deshalb die Ticketpreise erhöhen müssen.
Was sagen denn die großen Konzert-Ticket-Verkäufer wie Eventim & Co dazu?
Clueso: Eventim holen wir streckenweise mit ins Boot. Und Co machen wir klar, dass das die Zukunft ist.
Du hast Inhalte erwähnt, aber gerade in der Popmusik stehen Inhalte nicht immer zwangsläufig an erster Stelle. Offenbar hast du damit auf lange Sicht jedoch aufs richtige Pferd gesetzt.
Clueso: Ja, das sehe ich auch so. Wir brennen eben für Ideen, nicht fürs Geld. Das zahlt sich nun aus, obwohl wir lange Zeit dachten, dass wir immer mit allem zu spät dran sind.
Wie meinst du das?
Clueso: Als wir Ende der 90er nach Köln gegangen sind, begannen alle großen Medien gerade, von dort wegzuziehen. Als ich 2001 mein Rap-Album veröffentlicht habe, war der große HipHop-Boom gerade vorbei. Solche Dinge sind ständig passiert, sodass wir immer das Gefühl hatten, zu spät dran zu sein. Aber es war genau richtig, denn dadurch konnten wir im Schatten reifen und im Austausch mit verschiedenen Leuten unsere eigenen Ideen entwickeln.
Die vermeintliche Niederlage war also vielmehr eine Chance, die du genutzt hast.
Clueso: Genau. Das habe ich im Song „Baumkrone“ beschrieben, in dem ich sage: „Alles rennt umher wie aufgescheucht/immer am Laufen dorthin, wo gerade etwas läuft/doch du bleibst stehen, mit einem Mal bist du Letzter/Denn da brennt ein Feuer in dir, breitet sich aus/wird immer größer und größer, du wächst aus dir heraus/gewinnst an Kraft, fängst irgendwo an zu klettern.“ Wenn man stehen bleibt, läuft die Masse natürlich an einem vorbei. Doch das erlaubt einem eben auch, eine neue Perspektive einzunehmen und unbeobachtet von den anderen eine neue Richtung einzuschlagen.
Während alles nach Berlin zieht, hast du dein Hauptquartier in Erfurt aufgeschlagen. Liefert dir diese Abgeschiedenheit den angesprochenen Freiraum, den du zum Reifen im Schatten brauchst?
Clueso: Natürlich hat Berlin einen ganz anderen Puls als Erfurt, aber beide Städte haben ihre Vor- und Nachteile. Ich glaube aber, seine kreativen Ressourcen kann man überall finden. Das ist nicht zwangsläufig ortsgebunden. Aber in Berlin ist es sicherlich schwieriger, auf sich aufmerksam zu machen.
Im Stück „Ich bin fürs Rollen“ fällt der Satz: „Lass uns nicht sicher sein.“ Demnach hast du Freude am Ungewissen?
Clueso: Absolut. Und das kann die Leute um mich herum schon mal in den Wahnsinn treiben. Denn wenn mir bestimmte Dinge zu sicher erscheinen, kann es schon mal passieren, dass ich sämtliche Seile kappe und tragende Säulen umtrete, damit es mal wieder ein bisschen wackelt.
Das klingt unvernünftig.
Clueso: Oft ist es das sicherlich auch, aber es gibt mir ein Gefühl von Lebendigkeit. Wir haben schließlich nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten, und die möchte ich mir gerne so aufregend wie möglich gestalten. Als Musiker ist das Leben mit Aufnahme-Sessions, Promoterminen und Auftritten eh schon durchgeplant genug, sodass privat wenig Zeit bleibt für Spontaneität.
Dann fühlst du dich manchmal wie im goldenen Käfig?
Clueso: Ja, ab und an ist das so. Aber wenn ich es gar nicht mehr aushalte, haue ich auch mal für drei Tage ab und bringe damit alle anderen zur Verzweiflung. Wenn ich lange kein Konzert mehr gegeben habe und es nicht mehr aushalte, rufe ich auch manchmal einen befreundeten Saxofonisten aus Leipzig an, mit dem ich dann spontan in irgendeinem Café spiele. Manchmal nervt es eben auch, immer alles organisiert zu bekommen und mit riesigen Bussen in große Hallen zu fahren. Denn eigentlich will ich bloß Mucke machen.
Du musst dir also Wege suchen, um aus diesem geregelten und standardisierten Künstler-Alltag auszubrechen, der automatisch einsetzt, sobald man viele Platten verkauft?
Clueso: Ja, das ist manchmal nicht ganz leicht. Aber gerade dieses Ausbrechen sichert mein Überleben in der Musik, in der ich mich so verloren habe und die meine große Liebe ist. Außerdem: Man muss aufpassen, dass man weiterhin an den Leuten dranbleibt und als Künstler nicht plötzlich in irgendwelche Parallelwelten abdriftet. Meine Freunde versuchen zwar so gut es geht, mich davor zu beschützen, aber trotzdem muss ich in diese Schutzmauern auch manchmal kleine Löcher schlagen, um den Bezug zum wahren Leben nicht zu verlieren.
Die Platte heißt „An und für sich“ – ein Ausspruch, auf den in der Regel noch ein „Aber“ folgt. Wie lautet das „Aber“, das mit diesem Album einhergeht?
Clueso: „An und für sich“ ist ein komischer Titel, aber ein geiles Album (lacht).
Hast du das „Aber“ denn absichtlich weggelassen?
Clueso: Ja. Ich wollte einen Titel haben, der das Album nicht überrepräsentiert, denn dafür ist es zu offen und vielfältig. Ich wollte Platz lassen für Spekulationen und eigene Ideen. Im überschwemmten Musikmarkt versuchen die meisten Künstler ja in der Regel, kurze, prägnante und wiederholbare Titel zu finden, aber ich wollte etwas Zurückhaltendes und Bescheidenes haben. Ich weiß ja auch bis heute nicht, was eigentlich mein Musikstil ist, und das spiegelt sich ebenfalls in diesem Titel wider.
Was sagst du denn zu Leuten, wenn sie dich danach fragen?
Clueso: Früher habe ich gesagt, es sei einfach gute Musik. Heute sage ich Clueso-Musik und beschreibe mich ganz bescheiden als Songwriter mit Groove, der verschiedene Stile miteinander vermischt. Aber eigentlich ist diese Erklärung bereits viel zu lang und umständlich. Man muss es einfach hören.
Hast du das Gefühl, mit dieser Platte bei dir selbst angekommen zu sein?
Clueso: Ich habe letztens ein sehr schönes Kompliment von jemandem bekommen, der mir nahe steht. Der meinte, dass sich bei dieser Platte kein Gefühl des Gefallen-Wollens einstellen würde, und dass diese Platte sehr nah an mir dran wäre. Das fand ich schön, denn das Gefühl habe ich auch. Ich höre auf der Platte mehr den Thomas Hübner als den Clueso.
War das denn deine Absicht?
Clueso: Ich wollte auf der Platte zumindest mehr Thomas Hübner sein als sonst. Denn immerhin habe ich die letzten zehn Jahre komplett in dieses Projekt investiert, war zu 150% Clueso und da ist der Thomas Hübner oftmals ein bisschen zu kurz gekommen. Als Künstler befindet man sich nun mal in einer Art Geschwindigkeitsrausch, in dem vieles verloren geht. Mir hat das zum Glück nie jemand übel genommen, aber ich weiß selbst, dass ich mehr darauf achten muss.
Nach dem letzten Album warst du kurz vorm Burnout. Wie hast du es geschafft, das Ruder noch einmal herumzureißen?
Clueso: Mein Manager hat bemerkt, dass meine Akkus total leer waren und mich dann auf eine Ayurveda-Kur in die Berge von Sri Lanka geschickt. Ich weiß jetzt, dass ich mehr Pausen generieren und häufiger auch mal Nein sagen muss.