Mr. Firth, Sie haben in Ihrer Karriere schon sehr unterschiedliche Rollen gespielt: Den Schwiegermutterliebling Marc Darcy in „Bridget Jones“, den Barockmaler Jan Vermeer in „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ und jetzt den überforderten Vater in „Eine Zauberhafte Nanny“. Sie sind scheinbar in jeder Rolle überzeugend?
Firth: Die meisten Schauspieler wollen nicht in eine Schublade gesteckt werden. Es ist eine ideale Situation, wenn man noch so unterschiedlichen Rollen dieselbe Glaubwürdigkeit schenken kann. Aber es ist nicht sehr einfach, sich gegen ein bestimmtes Etikett zu wehren. Es kann eine schwere Last sein, wenn die Leute eine starke Assoziation mit dir haben. Doch man kann auch Vorteile daraus ziehen oder mit solchen Assoziationen spielen. In „Wahre Lügen“ habe ich einen gepeinigten Mann mit psychotischen, gewalttätigen Neigungen gespielt – all diese Eigenschaften haben nicht der vorgefassten Meinung entsprochen, die die Leute von mir haben. Der Regisseur Atom Egoyan war sich der Tatsache vollständig bewusst, dass der Typ, den ziemlich viele Leute als Mr. Darcy kennen, plötzlich jemandem den Kopf einschlägt.
Wie gehen Sie denn privat mit der Gefahr des Schubladendenkens um?
Firth: Es ist logisch, dass man nach Ähnlichkeiten in Rollen sucht. Es geht nicht unbedingt darum, jemanden auf eine Rolle zu reduzieren, sondern darum Kohärenz zu schaffen. Ich verstehe zum Beispiel Picasso nicht wirklich und ein Grund dafür ist die schiere Vielfalt in seinem künstlerischen Werdegang. Doch wer vergleicht sich schon mit Picasso? (lacht) Wenn man sich die vielfältige Arbeit eines Menschen anguckt, dann sucht man instinktiv nach etwas Gemeinsamen, zwischen dieser Periode und jener Periode.
Was hat Sie an der Rolle des Mr. Brown fasziniert?
Firth: Jeder, der in Schwierigkeiten steckt, kann interessant sein. Aber ich muss sagen, als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, war ich mir nicht sicher, ob ich mich für die Rolle des Mr. Brown interessieren würde. Ich habe ihn einfach als eine uninteressante, besorgte, häusliche Kreatur empfunden, der sein Wohnzimmer kaum verlässt. Das ist nicht unbedingt das, was aufregendes Kino ausmacht.
Was hat Sie trotzdem überzeugt?
Firth: Mr. Brown ist in mir gewachsen. Es ist bewegend, wenn ein Mann so viele Probleme hat, die er vor allen um sich herum verheimlichen muss. Er führt im Inneren ein Leben voller Ängste, aber versucht dabei den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass er die Kontrolle über alles hat. Das gelingt ihm sehr schlecht. Ich habe mich emotional auf die Figur eingelassen. Doch in erster Linie war es nicht die Rolle, die mich gereizt hat, sondern die Leute, die in das Projekt involviert waren und der Charakter des Stückes insgesamt.
Viele Schauspieler sagen, dass sie gerne Filme für ihre eigenen Kinder machen wollen, wenn sie älter werden. Sind Sie derselben Auffassung?
Firth: Wenn ich älter werde, würde ich das auch gerne machen. (lacht) Ja, das ist wahr. Aber ich habe mich schon immer für Kindergeschichten interessiert, denn sie machen Dinge möglich, die wir uns für Erwachsenengeschichten nicht erlauben. Als Erwachsene neigen wir dazu, uns hinter Ironie zu verstecken. Jede Art von Ehrlichkeit muss versteckt werden, und jede Botschaft muss elliptisch vermittelt werden.
Was ist in Kindergeschichten anders?
Firth: Menschen können viel philosophischer sein in einer Kindergeschichte. Die Menschen schmuggeln ihre Botschaften rein und erlauben sich etwas mehr Sentimentalität. Ein wunderbares Beispiel, das mir gerade dazu einfällt, ist Oscar Wilde: Wenn er Theater für Erwachsene schreibt, bleibt er entschieden oberflächlich. Er hat sinngemäß gesagt, dass er am tiefsinnigsten schrieb, wenn er am belanglosesten schrieb. Ich denke „The Importance of Being Earnest“ ist sein bestes Werk. Darin vermeidet er jegliche Art ernsthafter Äußerungen. Seine Kindergeschichten dagegen sind voll von hochgeistigen, herzzerreißenden Botschaften.
Zum Beispiel?
Firth: „Die Nachtigall und die Rose“: Der Prinz muss der Prinzessin eine rote Rose geben, damit sie mit ihm tanzt. Aber er hat nur eine weiße Rose. Die Nachtigall drückt den Dorn eines roten Rosenstrauches tief in ihre Brust und blutet in den Rosenstrauch, um dem Prinzen die Blume geben zu können. Oder „Der selbstsüchtige Riese“, der spielende Kinder aus seinem Garten verjagt, woraufhin es ewig Winter bei ihm wird. Bis ein kleines Kind durch ein Loch in der Mauer in den Garten kommt und es Frühling wird in diesem Teil des Gartens. Das Kind hat Löcher in seinen Händen, wo einmal Nägel durchgebohrt waren… Das von einem Mann, der es sonst nie wagen würde, so offen zu sein. Er geht zum anderen Extrem über, wenn er für Kinder schreibt.
Welchen Einfluss hat Literatur auf Sie? Sind Sie ein eifriger Leser?
Firth: Ja, ich denke das Schauspielen ist sehr eng mit Literatur verbunden. Das geschriebene Wort ist das Rohmaterial, das wir nutzen. Auf der Schauspielschule wurde uns das als Studenten sehr entschieden reingehämmert: Wenn wir nicht sensibel mit Sprache umgingen, könnten wir unseren Job überhaupt nicht tun. Das Nutzen und Interpretieren von Sprache ist genau das, worum es beim Schauspielen geht. Sogar wenn du nicht sprichst, übersetzt du immer noch Text – in Gesten und Handlung.
Das Nutzen und Interpretieren von Sprache ist genau das, worum es beim Schauspielen geht.
Mimik und Gestik – Ist das das eigentlich Spannende für Sie?
Firth: Ja, ich bin ja nicht der Autor. Die Sprache ist der Ausgangspunkt. Mein Job fängt da an, wo die Sprache aufhört. Ich muss die Leerstellen zwischen der Sprache ausfüllen. Ein Satz kann irreführend sein und sogar ein Hindernis für die Kommunikation darstellen. Man kann „Ich liebe dich“ in einer Art und Weise sagen, dass es einem im Halse stecken bleibt oder als ob es einem Schmerzen bereitet, das zu sagen. Sobald sich der Text vom Drehbuch ablöst, liegt er in unseren Händen.
„Eine zauberhafte Nanny“ ist auch ein Film über fehlgeschlagene Kommunikation, denn Sie reden nicht viel mit ihren Kindern. Das war auch schon so in „Tatsächlich Liebe“…
Firth: Ja, dieses Thema verfolgt mich.
Kann man da einen Vergleich ziehen?
Firth: Ja, der Vergleich ist angemessen. Das ist etwas, was mich fasziniert: Ich interessiere mich weit mehr für Kommunikationsschwierigkeiten, als für die problemlose Kommunikation. Stellen Sie sich ein Stück vor, bei dem jeder perfekt kommunizieren würde: Das wäre langweilig und dumm. Die Seifenoper kommt dem sehr nahe. Seifenopern spielen oft in einer Welt, in der Menschen das sagen, was sie sagen müssen – auf Stichwort und ohne Unterbrechung. Ihr gefühlsmäßiger Ausdruck kommt an der richtigen Stelle. Die Leute drehen sich um mit einer Träne im Auge und halten eine Rede, die sie schon immer loswerden wollte: dass sie betrogen worden sind oder so was. Die Geschichten aber, die uns real erscheinen, wenn es um Gefühle geht, sind die, in denen Kommunikation schwierig ist.
Sie haben mit erwachsenen Schauspielern und Kindern gearbeitet.
Firth: Was ist für Sie die größere Herausforderung? Da gibt es manchmal keine großen Unterschiede. Wirklich. (lacht) Schauspieler werden beim Dreh oft wie Kinder behandelt: Du sollst warten, bis alle anderen fertig sind. Jemand zieht dich an und macht dir die Haare. Sie sagen dir: „Stell dich hier hin. Nein, nein – dort hin. Nein, jetzt bitte nicht sprechen.“ Schauspielen ist immer eine große Herausforderung, denn es wird immer von einem erwartet, etwas zu produzieren, was scheinbar spontan, wahr, möglich oder tragisch ist, sobald die Kamera läuft. Das ist das Schwierige, was talentierte Leute auszeichnet, und was mittelmäßig gute Leute nicht können. Die meisten Menschen haben nicht die Fähigkeit, dieses Kunststück unter oft lächerlichen Umständen fertig zu bringen. Und Kinder, die richtigen Kinder, haben eine erstaunliche Fähigkeit dazu. Denn das ist es, was sie in ihrer freien Zeit tun. Sie gehen nach Hause, und das erste, was sie tun, ist spielen. Sie stellen sich vor, Astronauten zu sein, oder Soldaten, Jäger, was auch immer sie sein wollen. Keine Frage, sie müssen talentiert sein. Weiß Gott, ein untalentiertes Kind ist vor der Kamera fast genauso schlecht wie ein untalentierter Erwachsener. Aber Kinder machen es oft besser, als wir es können.
Tauchen trotzdem Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Kindern auf?
Firth: Die Schwierigkeit liegt darin, einem fünfjährigen Kind zu erklären, dass es sein Job ist, zum 20. Mal so wahnsinnig glücklich zu sein, wie davor schon einmal – denn diesmal ist das Licht endlich perfekt. Die Kinder wollten nicht mehr, sie wollten nach Hause gehen. Mir geht das auch manchmal so, aber ich weiß, dass es mein Job ist. Umso jünger die Kinder waren, desto schwieriger war es, ihnen das zu erklären. Manche von Ihnen waren aber fast keine Kinder mehr, die Älteren waren auf eine ernüchternde Weise sehr reif. Sonst gab es wirklich kaum Schwierigkeiten, abgesehen von der frustrierend begrenzten Anzahl an Stunden, die wir zum Arbeiten hatten. Die Gesetze, die die Arbeit von Kindern betreffen, sind sehr strikt: Sie müssen eine bestimmte Zeit Schulunterricht haben, eine bestimmte Zeit Pause und dann haben wir sie nur für ein paar Minuten pro Tag.
Wer war Ihr Vorbild als Kind?
Firth: Ich habe alles geliebt, was im Fernsehen lief. Ich habe die Superhelden geliebt. Ich glaube, viele von ihnen waren so konzipiert, dass sie die Fantasien von unsichereren Jungen mit Minderwertigkeitskomplexen ansprachen. Es gibt sehr wenige weibliche Superhelden. Zum Beispiel Clark Kent: Man denkt er ist ein langweiliger, irgendwie sonderlicher Typ. Aber eigentlich ist er der große Superheld. Und so haben wir uns alle gefühlt. Später war es Rock’n’Roll: Als ich älter als acht oder neun war, kamen meine Vorbilder aus der Musik.
Stones oder Beatles?
Firth: Stones.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Nannys – sowohl aus Sicht eines Vaters, als auch aus Sicht eines Kindes?
Firth: Als Kind habe ich keine Erfahrungen mit Nannys gemacht, ich hatte nie eine. Wenn wir über Kindermädchen reden, dann kann man darunter zwei Sachen verstehen: Es gibt Babysitter, deren Aufgabe es ist zu helfen. Und dann gibt es das viktorianische Modell des Kindermädchens als Erzieherin, dass die vollständige Verantwortung für das Großziehen der Kinder hat. Das haben wir lange hinter uns gelassen. Sogar die Generation meines Vaters ist nicht mehr mit dieser Art Kindermädchen aufgewachsen.
Zum Glück?
Firth: Ja, ich denke zum Glück für Kinder und Eltern. Aber jetzt gibt es vielbeschäftigte Mütter und Väter, die irgendeine Art von Tagesbetreuung brauchen. Glücklichweise sind Frauen nicht mehr an den Herd gefesselt und haben Berufe. Aber ein Teil des Einkommens fließt jetzt in die Kinderbetreuung. Doch es ist nicht mehr so, dass wir unsere Kinder komplett in die Hände anderer übergeben und sie selbst kaum kennen. Eine Ausnahme bilden vielleicht die Boarding Schools. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber wir haben immer noch Internate, wo Kinder hingeschickt werden, oft von einem sehr frühen Alter an.