Conchita, Ihr neues Album und die Single „You Are Unstoppable“ erscheinen bei Sony Music. Dabei wollte „Rise Like A Phoenix“ in Österreich erst gar keine Plattenfirma veröffentlichen, weshalb es dann der ORF getan hat. Wie erklären Sie sich den Wandel?
Conchita Wurst: Naja, ich hab den Song-Contest gewonnen. Natürlich hilft der Erfolg, um sich zu beweisen. Ich glaube, dass viele vielleicht das Potential in mir gesehen hätten, aber einfach die Verkaufszahlen oder das längerfristige Interesse nicht gereicht hat. Ich habe dazu einen ganz pragmatischen Zugang: Sie haben jetzt gesehen, dass es funktionieren kann und dass ich in ihren Ohren genug Talent besitze, vor allem auch genug Ehrgeiz. So haben wir zueinander gefunden.
Haben Sie Angst, dass diese Erfolgssträhne schnell wieder vorbei ist?
Wurst: Ich glaube, in unserer Branche gehört das dazu, sich nie sicher sein zu können. Nur, weil man den Song-Contest gewinnt, heißt das noch lange nicht, dass man jetzt ein geebnetes Leben führt. Ich denke, dass gerade in der Unterhaltungsbranche der Druck, immer besser zu werden, auch von einem selbst kommt. Man will stetig unterhaltsam sein. Wahrscheinlich macht sich selbst Madonna Gedanken darüber: „Wie wird mein Album jetzt charten? Kaufen das die Menschen?“ Je mehr Erfolg man hat, umso mehr wird auch darauf geachtet.
Als Conchita fühle ich mich stärker.
Ihre Botschaft heißt aktuell „You Are Unstoppable“. Ist es einfacher, als schöne Frau kämpferische Botschaften zu überbringen? „
Wurst: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber prinzipiell ist es natürlich das, was ich machen möchte und so, wie ich aussehen möchte. Von daher kann ich es mir nicht anders vorstellen. Das Bild, als Frau dort zu stehen, weil die Frauen in vielerlei Hinsicht eben noch nicht gleichgestellt sind, finde ich spannend. Gerade, wenn es um Gehälter geht, eine Tatsache, die ich furchtbar finde.
Sie haben gerade die Biographie „Ich, Conchita“ veröffentlicht. Gab es die Überlegung, das Buch unter dem Namen Tom Neuwirth zu veröffentlichen?
Wurst: Nein. Ich fühle mich als Conchita in der Öffentlichkeit und auf der Bühne wohl, ich fühle mich stärker, als es Tom in der Öffentlichkeit wäre.
Sie erzählen im Buch u.a., wie Sie in Ihrer Kindheit in Bad Mitterndorf gehänselt wurden und wie Sie 2007 in die Boyband „Jetzt anders!“ kamen. War das der Moment, wo Sie beschlossen haben, dass es gut ist, anders zu sein?
Wurst: Nein, das war definitiv vorher. Für mich habe ich das schon mit 14 Jahren beschlossen. Und als ich mich mit 17 vor meinen Eltern geoutet habe, war für mich klar: Jetzt gibt es einfach keine Lügen und kein Verstecken mehr. Das ist nun mal, wie ich bin und das ist in Ordnung.
Das Buch ist einfach geschrieben, unangenehme Erlebnisse wie Ihr Outing schneiden Sie nur an und springen schnell zum nächsten Ereignis, vieles bleibt an der Oberfläche.
Wurst: Ich habe auch nie gesagt, dass das ein literarisches Hochwerk wird. Anfangs stand ich diesem Projekt auch sehr skeptisch gegenüber und dachte: Mit 26 Jahren eine Biographie schreiben? Aber ich bin in diese Sache reingewachsen. Ja, es liest sich einfach – Na Gott sei Dank! Ich will mich auch nicht durch ein Buch quälen, woran ich keine Freude habe! Aber jede Kritik ist wahr. Wenn die einen es total emotional, die anderen es oberflächlich finden – da bin ich ganz entspannt.
Nach außen hin sind Sie Conchita, nach innen Tom. Kann man das so sagen?
Wurst: Das weiß ich nicht, ich glaube, das hängt eher mit der Optik zusammen.
Warum gibt Ihnen Conchita so viel Kraft?
Wurst: Weil es mir Spaß macht, weil ich mich als Conchita viel wohler fühle auf der Bühne. Und jenseits der Bühne, ohne Make-Up und dem Ganzen, bleibe ich unerkannt.
Tom hatte eine kleine Karriere in der Öffentlichkeit. Ich habe einfach nicht verstanden, warum Menschen so vereinnahmend sind, auch wenn man sich gerade in einer privaten Situation befindet. Egal ob man vor die Tür geht, zum Fernsehsender fährt oder einen Kaffee trinkt, man ist immer noch eine öffentliche Person. Da gab es Situationen, wo es für mich störend war. Deswegen habe ich beschlossen, mich optisch zu wandeln.
Conchita ist eine Kunstfigur, wie verhält es sich mit der Stimme?
Wurst: Die ist eins zu eins dieselbe. Ich verstelle meine Stimme nicht.
Viele Stimmen im Pop werden ja nachbearbeitet, es wird mit Effekten wie Autotune gearbeitet, das Stück „I believe“ von Cher beispielsweise ist bekannt dafür…
Wurst: Ich habe kein Lied, bei dem Autotuneso offensichtlich wäre wie bei Cher. Generell betrachte ich ein Musikstück aber als Kunstwerk. Und wenn es der Sache dienlich ist, weil sich das toll anhört, kommt da natürlich irgendwo auf einen Chor ein Effekt drauf.
Aber ab wo ist für Sie die Grenze überschritten, wo es nicht mehr authentisch ist?
Wurst: Ich glaube nicht, dass man die wirklich überschreiten kann, wenn man dahintersteht. Wenn sich Cher dazu entschließt, ein ganzes Album mit Autotune aufzunehmen, dann ist das ihr Wille und so wie ihr das selbst gefällt. Es liegt dann an den Konsumenten, ob sie es annehmen oder nicht.
Eigentlich ist ja alles an Ihnen Fake: Das Make-Up, das Mieder, die Haare. Warum finden Sie das dennoch authentisch?
Wurst: Weil es ganz natürlich aus mir rauskommt, weil es Spaß macht, mich anzumalen, weil ich Spaß daran habe, mir diese Klamotten anzuziehen. Das hat mir ja niemand als Marketingkonzept vorgeschrieben. Jeder Schauspieler würde sagen, dass man in einer Rolle wahnsinnig authentisch sein kann. Ich fühle mich in dieser Erscheinung authentisch, weil es eine Facette von mir ist. Das ist nicht meine private Facette – da brauche ich die High Heels nicht – aber eine Facette, die ich in der Öffentlichkeit zeigen möchte.
Sie gehen im Buch darauf ein, was es für eine Qual ist, all das zu tragen. Warum tun Sie sich das an?
Wurst: Weil es Spaß macht.
Stacheln Sie dich selbst an durch all diese Unbequemlichkeiten? Ist das Mieder so etwas wie das anspornende Messer im Rücken?
Wurst: Ich weiß es nicht. Ich habe nun mal keine weibliche Figur. Darum zaubere ich mir eine mit einem Mieder. Ich sitze jetzt auch nicht schmerzgekrümmt vor Ihnen, sondern es ist wie bei uns allen, wenn man dann am Abend den BH aufmacht oder die Schuhe auszieht, dann merkt man: „Och Gott, das hat ja ganz schön wehgetan.“Es zwingt mich keiner dazu, den Gürtel eng zu schnallen, aber ich mag das einfach.
Ich glaube, ich habe das ein bisschen von meiner Großmutter. Die wollte auch immer toll aussehen. Sie sagt immer: Sich bestmöglich zu präsentieren ist ein Zeichen von Respekt den anderen gegenüber. Ich bin damit aufgewachsen und es macht Spaß!
Wie definieren Sie Schönheit?
Wurst: Für mich hat Schönheit prinzipiell weder Alter noch Kleidergröße. Gerade in der Modewelt ist das natürlich sehr, sehr auf das Äußere reduziert. Da gibt es dieses Idealbild, aber das ist nicht das Idealbild für alle. Ich liebe eine gertenschlanke 1,80m-Frau und ich liebe eine kurvige, großbrüstige Burlesque-Tänzerin. Für mich ist Schönheit einfach so facettenreich. Ich habe meine eigene Wahrheit für Schönheit gefunden. Menschen sind dann schön, wenn sie sich wohlfühlen und wenn sie einfach nette Menschen sind.
Ein österreichischer Kandidat für den Eurovision Song Contest 2015 war die Band „Folkshilfe“, die mit österreichischem Dialekt singt. Spricht Sie das an?
Wurst: Es ist keine Musik, die ich machen würde, weil ich mich einfach im Englischen wohler fühle. Aber wenn die das spüren und sie das toll finden – es gibt für alles ein Publikum, und wenn ich deren CD nicht kaufe, tun es vielleicht 3000 andere.
War das nicht die ursprüngliche Idee des Eurovision Song Contests, dass jeder in seiner Landessprache singt?
Wurst: Die Zeiten ändern sich und ich glaube, dass alle damit glücklich sind. Ganz große Aufschreie gibt es nicht, sonst hätte man das glaube ich wieder geändert. Ich denke auch, dass gerade die EBU (European Broadcasting Union) mit der Zeit eingesehen hat, dass Musik keine Regeln hat. Warum sollte man jemandem vorschreiben, in der eigenen Sprache zu singen, wenn er sich in einer anderen Sprache viel wohler fühlt?
Könnten Sie sich vorstellen, auch mal auf Deutsch zu singen?
Wurst: Vielleicht zu gewissen Anlässen, aber ich würde jetzt keine deutsche Single rausbringen, weil ich mich im Englischen wohler fühle. Ich finde, meine Stimme klingt im Englischen schöner und es macht mir einfach mehr Spaß.
Sie werden das Finale des Eurovision Song Contest als Moderatorin hinter den Kulissen begleiten. Mit welchem Anspruch verbinden Sie das?
Wurst: Ich habe für mich den Anspruch, dass ich es so professionell wie möglich mache und dass ich den Kandidaten in diesen Stresssituationen und in dieser ganzen Ernsthaftigkeit ein bisschen den Spaß reinbringen kann. Natürlich ist es ein Wettbewerb, aber ich möchte die Stimmung einfach ein bisschen auflockern. Und auf Punkt moderieren: Wenn ich noch nicht abmoderiert habe, und es kommt aber schon ein Werbeblock, könnte das peinlich sein.
Was bedeutet es für Sie, Österreicherin zu sein?
Wurst: Österreich ist natürlich meine Heimat und da bin ich aufgewachsen. Ich liebe es, zu reisen, aber ich liebe es auch immer, nach Hause zu kommen. Ich habe für vieles weniger Zeit als früher. Aber die Zeit, die ich dann für meine Familie, Freunde oder für mein zu Hause habe, die ist noch intensiver, als sie jemals zuvor war.
Sie haben in Ihrer Heimat aber auch Anfeindungen erleben müssen. Gibt es bei Ihnen eine Art Hassliebe zur Heimat, wie man sie von Elfriede Jelinek oder André Heller kennt?
Wurst: Ich habe keine Zeit für Negativität in meinem Leben. Und ich umgebe mich auch eigentlich nur mit Menschen, die ich mag und die mich mögen.
Gibt es eine österreichische Tradition, mit der Sie sich identifizieren können?
Wurst: Ich bin mit Traditionen aufgewachsen, das ist ein Teil meiner Kindheit. Trachten zum Beispiel finde ich wunderschön. Als Conchita bin ich jetzt davon abgekommen, Tracht zu tragen, aber ich liebe es, so etwas anzusehen und ich liebe es, wenn meine Mutter Tracht trägt.
Ihre High Heels sind von Louis Vuitton. Trägt Conchita nur noch Haute Couture?
Wurst: Nein. Die Bluse hier ist von Mango (lacht).
Kennt Jean-Paul Gaultier Tom Neuwirth oder kennt er nur Conchita Wurst?
Wurst: Tom kennt er tatsächlich nicht.
Hat er mal gefragt?
Wurst: Nein, auf das sind wir gar nicht gekommen. Es ist ja auch nicht so, dass wir jeden zweiten Tag telefonieren oder dass wir uns ständig sehen. Wir treffen uns vorwiegend, wenn wir zusammen arbeiten, wenn es etwas vorzubereiten gibt.
Aber ich will auf jeden Fall mal ein privates Abendessen mit ihm haben, weil ich glaube, dass das auch lustig ist. Da werde ich dann ohne Maske hingehen.