Dani Levy

Ich mache keine Witze auf Kosten der Opfer – nur auf Kosten der Täter.

Regisseur Dani Levy über seinen Film „Mein Führer“, den Hauptdarsteller Helge Schneider, die Bedenken seiner Mutter und eine psychologische Erklärung für den Faschismus im Dritten Reich

Dani Levy

© Joachim Gern

Herr Levy, Adolf Hitler ist eine der am meisten abgebildeten Figuren überhaupt, fast wie ein Popstar. Da muss man vor einem solchen Film versuchen, neue Bilder zu finden, neue Herangehensweisen. Wie sind Sie damit umgegangen? Die Entscheidung für Helge Schneider ist da ja sicher ein Schritt gewesen…
Dani Levy: Ja, das stimmt, aber es war kein konzeptionelles Denken, es war eher instinktives Fühlen. Ich hatte das Gefühl, dass Helge Schneider der perfekte Adolf Hitler ist und ich konnte es nicht erklären wieso. Als ich die erste Fassung des Drehbuchs geschrieben habe, habe ich dann auch ein paar Freunden davon erzählt und die meinten gleich: „Aber das geht doch gar nicht.“ Ich konnte darauf nur erwidern: „Ich kann’s nicht erklären, aber ich habe das Gefühl das geht.“ Ich kannte Helges Arbeit eigentlich gar nicht wirklich, aber hatte ihn immer vor meinem inneren Auge. Und dann habe ich gedacht, ich rufe ihn mal an und rede mal mit ihm, vielleicht sagt er ja gleich: „Bist du wahnsinnig? Das geht ja überhaupt nicht.“ Aber er war ganz lustig und auch lustvoll und meinte: „Au ja, mal in einem anderen Film spielen, ich habe keine Lust mehr selbst zu produzieren und Adolf Hitler, ja warum nicht, klar, tolle Rolle, nach so einer Rolle sehnt man sich ja!“
Und dann habe ich ihm das Buch geschickt und später habe ich ihn um Probeaufnahmen gebeten und er ist nach Berlin gekommen, mit seinem Fahrer Billy, und wir haben ein paar Szenen improvisiert und da habe ich sofort gesehen, dass es genau das Richtige ist, denn er hat erstaunlicherweise – und das habe ich so nicht erwartet – gar nicht erst angefangen als Helge-Schneider-Figur zu spielen, sondern durch sein rhythmisches Gefühl und sein musikalisches Gehör sofort und sehr präzise geklungen und gesprochen wie Adolf Hitler. Und gleichzeitig hatte er so eine Ernsthaftigkeit in seiner Darstellung, aber auch so eine Lässigkeit, es wirkte so unangestrengt, was mich beeindruckt hat.

Die Stimme, Gestik und Mimik Hitlers ist eine Sache – was ist mit dem Äußeren? Hat sich Helge Schneider ohne Probleme auf einen neuen Haarschnitt eingelassen?
Levy: Wir haben über diese Maske gesprochen und ich meinte zu ihm: „Helge, ich fände es natürlich noch spannender, wenn du Hitler wirklich frappierend ähnlich sehen würdest.“ Darauf meinte er, er hätte in seinen Shows auch manchmal mit einer lustigen Maske gespielt, aber das sei ja eine ganz schlechte Maske gewesen, vielleicht könnten wir ja eine bessere Maske machen. Aber eine Maske fände er super, das schütze ihn auch. Es schütze ihn auch, nicht seine Figur zu spielen. Und dann haben wir das gemacht, es war ein ziemlicher Aufwand, wir hatten einen Maskenbildner. Und danach habe ich Helge bei den Dreharbeiten kennen gelernt als einen Menschen mit einer extremen Sensibilität und einem unglaublichen Perfektionismus und Präzision, und trotzdem hat man seinen Schalk immer durchblitzen sehen. Man sieht das ja immer und überall, wie er steht und guckt. Ich war richtig beseelt, ich war überglücklich, ich hatte das Gefühl, das war so ein Lottosechser.

Was verlangt denn die Figur Hitler?
Levy: Ich finde die verlangt Ehrlichkeit. Sie verlangt ein Bewusstsein darüber, dass das Gute und das Böse – um es mal ganz pathetisch zu sagen – zusammengehört. Er war ja auch ein Mensch und kein Denkmal, kein Gemälde und auch keine Guido-Knopp-Schwarz-Weiß-Figur, nein, das war ein Mensch. Ein Mensch, der größtes Unheil gebracht hat und trotzdem auch menschlich funktioniert hat, der seine Manierismen hatte, der seine Zwanghaftigkeit hatte, der eine unglaubliche Kraft hatte. Und der aber trotzdem ein völlig verwahrloster Geselle war, ein verkrüppeltes Kind letztlich. Ich glaube aber, dass dieses Nebeneinander von Machthaber, Größenwahn und gefährlich trotzdem in Momenten durchblitzt, obwohl wir Hitler hier in einer eher schwachen Situation zeigen – ich hätte ihn ja auch fünf Jahre früher auf der Höhe seiner Macht zeigen können, aber ich wollte ihn am Ende seiner Macht zeigen, das fand ich interessanter.
Die Verbindung zwischen gefährlichem Machthaber und erbärmlicher Kreatur gleichermaßen zu spielen und nicht zu interpretieren oder zu psychologisieren, das war das Schwierige an der Darstellung, fand ich. Das ist grundsätzlich schwierig bei Schauspielern, nur bei Adolf Hitler ist die Gefahr sehr groß, dass man sich daran abarbeitet und dass es nach falscher Bemühung aussieht. Das hat man schon oft gesehen.
Ich glaube auch, dass Hitler nach einer sich nach innen zersetzenden Komik verlangt, denn die hatte er nach meiner Meinung sowieso. Und eigentlich wäre er ja die perfekte Kabarettfigur, die ganzen 12 Jahre Drittes Reich waren doch eine Inszenierung des Absurden, des Pathetischen, der völlig skurrilen Überhöhung von Klischees letztendlich. Die Uniformen zum Beispiel oder dieses „Heil Hitler!“ als Begrüßungsform, ich meine, das kann man doch in einer Komödie fast nicht besser erfinden.

Nun wird Hitler auch von der psychologischen Seite her betrachtet. Er erzählt von seinem brutalen Vater und seinen Ängsten. Hatten Sie keine Bedenken, dass man Hitler nun vielleicht sogar verstehen könnte und womöglich noch Mitleid für ihn hat?
Levy: Ja, das gehört doch dazu. Alles andere würde auf dem Stand bleiben, den wir schon haben, also eben Hitler als einer Figur für Dokumentationen. Wenn man eine Figur kennen lernen will, dann muss man sie auch ranholen und muss auch bereit sein, in den ungeschützten „Nahmenschverkehr“ mit diesem Menschen zu geraten, das ist dann halt verunsichernd. Aber ich finde, wir haben doch genügend nicht verunsichernde Filme gehabt, wo man sicher weiß, das ist das Opfer und das ist der Täter und eigentlich bin ich doch in einem ganz geschützten Raum. Warum sollte ich den Zuschauer nicht mal in einen etwas ungeschützteren Raum entführen? Ich finde, das gehört zum Verständnis dieser Figur und auch dieser Zeit dazu. Mitgefühl mit Adolf Hitler ist ja nicht per se etwas Verbotenes, verboten wäre ja nur, wenn ich ihn dadurch entschuldige und das ist ja nicht der Fall. In dem Film wird so krass gesprochen wie kaum in einem Film über Nationalsozialismus, es wird die ganze Zeit von Endlösung, von Vergasung, von Judenfresse gesprochen, es ist alles so was von superzotig. Es gibt keine Illusion und keinen Irrtum darüber, was diese Leute machen, keine Sekunde lang. Am Anfang des Filmes, wo Ulrich Mühe als Grünbaum aus dem KZ abgeholt wird und in die Dusche geführt, um sich dann nur zu waschen, wird sofort etabliert, woher dieser Mann kommt. Es ist ja nicht so, dass wir hier über irgendjemanden sprechen, über den man erst einmal aufklären müsste, dass der auch Verbrechen begangen hat, also das hat sich nun wirklich herumgesprochen, über die 55 Millionen Tote gibt es keine Irrtümer, glaube ich. Und trotzdem glaube ich, dass man ins Kino geht und an diese Figur herangeführt wird, mit allen Gefahren, die das beinhaltet.

Die Konfrontation von Macht und Psychologie ist ja auch ein Moment der Komik. Also Hitler auf der Couch zum Beispiel. Denken Sie, der Mann wäre mit einem guten Analytiker noch zu retten gewesen?
Levy: Ich glaube ja. Aber die Frage ist, ob da nicht jemand anderes gekommen wäre, mit der gleichen Verwahrlosung. Ich möchte dazu auch noch etwas anderes sagen: Ich sehe eine direkte Verbindung zwischen Adolf Hitler und dem Volk. Hitler ist – abgesehen von der Art der Machtergreifung – eine vom Volk selbst gewählte Gallionsfigur gewesen, er stand für die Befindlichkeit eines ganzen Volkes. Man kann das nicht trennen. Hitler hätte nie die Möglichkeit gehabt, das durchzuziehen, wäre es nicht „zeitgeistmäßig“ – wie man heute sagen würde – etabliert gewesen, wie er mit der Verdrehung und Verwahrlosung der Werte umgegangen ist. Das heißt, diese psychologische Erklärung, die ich hier als Idee hineinwerfe: die Art, wie die Menschen damals erzogen worden sind, mit welchen Werten sie aufgewachsen sind, was wertvoll und was wertlos war, nur mit diesen Parametern sind der Faschismus und der Nationalsozialismus möglich gewesen. Das ist eine Erklärung, auch für die sogenannte schwarze Pädagogik. Das ist nicht aus der Welt zu schaffen, das fand ich erzählenswert. Ich beschäftige mich ja in meinen Filmen sowieso so oft mit dem geliebten oder dem ungeliebten Kind, das ist ein Thema, was mich interessiert. Ich bin ja auch Jude, und mich interessiert die Pycho-Analyse und die Komik darin. Der jüdische Humor nährt sich ja auch ganz oft aus der Erkenntnis der menschlichen Psyche, aus der Unübersichtlichkeit, der Paradoxie, der Widersprüche – wir sind halt nun mal ein Desaster auf zwei Beinen und das wird so oder so genutzt.

Nun hört man oft, dass Sie sich bei ihrer Familie rückversichern, ob das alles so in Ordnung geht. Wie viel Rückversicherung bzw. Verunsicherung gab es denn bei „Mein Führer“?
Levy: Also meine Mutter ist ja das schlechte Gewissen, das hinter mir herläuft und mich sozusagen eher bremst, aber mit der Mutterliebe bremst. Sie ist nicht der vorsichtige Produzent, der den Film gefährlich für den Markt findet. Meine Mutter hat eher Angst, dass ich den guten Geschmack der betroffenen Juden verletzte, die sie ja ist. Sie ist 1939 aus Berlin geflüchtet und hat sozusagen Adolf Hitler noch sechs Jahre miterlebt und in der Schweiz war sie dann auch nicht gerade gesichert – also sie hat ein sehr betroffenes Verhältnis dazu. Und wir sind ja auch in einem Klima der Tabuisierung und der Unterdrückung groß geworden, wir haben darüber zu hause eigentlich nicht gesprochen. Das ist nun wirklich nicht das Umfeld, aus dem ich meine Komödien ziehe. Meine Mutter hat das Drehbuch gelesen und fand es kritisch. Sie meinte, das gibt Ärger. Und dann habe ich zu ihr gesagt: „Ja, aber verstehst du nicht, dass ich das machen muss?“ Darauf erwiderte sie, dass sie es verstehe, aber das sie sich um mich sorge und dass ich einen Kopf kürzer gemacht werden würde. Ich meinte dazu nur: Wart’s mal ab. Diese Einstellung hatte sie bei „Alles auf Zucker“ auch und da bin ich auch davon gekommen. Dazu meinte sie dann nur, man komme nicht zweimal nacheinander davon! Als ich ihr dann später den Rohschnitt gezeigt habe, war sie sehr glücklich, da sie mit ihrem konservativen Verständnis nicht das Gefühl hatte, die Geschmacksgrenze wäre überschritten worden. Denn ich mache ja wirklich keine Witze auf Kosten der Opfer, sondern nur auf Kosten der Täter.

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