Herr Hope, spielen Sie gerne Hits?
Daniel Hope: Wie meinen Sie das?
Ich meine die üblichen Verdächtigen, Dauerbrenner der Klassik wie Mozart, Tschaikowsky, Vivaldi…
Hope: Der größte Hit für die Geige sind natürlich die „Vier Jahreszeiten“, es gibt kein anderes Violinkonzert, das sich so gut verkauft und so sehr vom Publikum gewünscht wird. Danach kommt dann das erste Violinkonzert von Max Bruch, was zum Beispiel in den Charts von ClassicFm“ immer ganz weit vorne ist. Ja, wenn Sie das meinen: Ich spiele die „Vier Jahreszeiten“ gerne und genauso auch das Violinkonzert von Bruch.
Andererseits denke ich: Man kann auch Hits machen. Man kann Musik spielen, die nicht so bekannt aber trotzdem genial ist, und auch mit dieser Musik viel bewegen.
Ist Ihnen das schon mal gelungen, einen Hit zu machen?
Hope: Nicht nur mir. Viele Künstler haben Musik gespielt, die sie für wichtig und toll empfunden haben und die beim Publikum einen großen Erfolg hatte. Das ist auch schon ein Hit. Es muss sich ja nicht gleich zig-tausendmal verkaufen
Dabei spielen auch die Medien eine Rolle, insbesondere der Rundfunk. Wenn die unterstützen, dass man andere Werke von anderen Komponisten spielt, dann kann es dieses Hit-Phänomen auch geben. Das war zum Beispiel der Fall bei Henryk Goreckis dritter Symphonie (ein Auftragswerk des SWR), die wurde ein unglaublicher Hit. Oder die Sarabande aus der Cembalo-Suite von Händel, die für Cello bearbeitet und dann in einer Werbung für Levi’s-Jeans gespielt wurde – das hat sich auch millionenfach verkauft. Insofern denke ich, dass das durchaus möglich ist.
Wie wichtig sind Hits denn für Ihr Repertoire?
Hope: Für mich ist es wichtig, Musik zu spielen, die ich persönlich genial finde. Wo ich überzeugt bin, dass ich das richtig rüberbringen kann. Das geschieht bei mir aber mit Musik von Alfred Schnittke, Arvo Pärt oder Toru Takemitsu genauso wie mit Wolfgang Amadeus Mozart, Beethoven oder Vivaldi. Das Prinzip ist für mich absolut gleich.
Sie haben gerade eine CD mit mehren Vivaldi-Konzerten rausgebracht, von denen keins so populär geworden ist wie die „Vier Jahreszeiten“. Woran liegt das? Lässt sich das musikalisch begründen?
Hope: Nein. Natürlich sind die „Vier Jahreszeiten“ geniale Werke, sie sind brillant geschrieben und berühren ein Publikum – das braucht man für einen Hit. Aber ich behaupte, wenn genügend Geiger auch die anderen Vivaldi-Konzerte spielen und aufnehmen würden, unterstützt durch ein breites Medium, dann würde man sehr schnell auch andere Hits haben.
Man sieht das zum Beispiel bei der Händel-Arie „Lascia la spina“, die Cecilia Bartoli vor ein paar Jahren eingespielt hat. Die gibt es seit 300 Jahren – und plötzlich wurde sie zu einer weltweiten Sensation. Es hat diesen Fokus gebraucht, um sie so nach oben zu katapultieren.
Wenn ein Konzertveranstalter nun das Tschaikowsky-Konzert oder Mendelssohn E-Moll auf Ihr Programm setzen will, sagen Sie dann sofort Ja – oder versuchen sie, ein anderes Werk vorzuschlagen, das noch nicht diese Popularität hat?
Hope: Es gibt Veranstalter, die sagen: „Wir hätten gerne ein großes, romantisches Violinkonzert. Wie wäre es zum Beispiel mit Bruch?“ – Klar, es gibt ja drei Violinkonzerte von Bruch und oft kann ich einen Veranstalter überreden, eins der anderen, weniger bekannten Konzerte zu machen. Im Programmheft steht dann trotzdem „Bruch-Violinkonzert“ und die Leute wollen es auch hören.
Man schafft es natürlich nicht bei allen. Manchmal wollen Veranstalter einfach das Mendelssohn-Konzert haben. Weil es ja auch ein Ereignis ist, diese tolle Musik zu hören. Und wie könnte ich da dagegen sein? Das wäre einfach falsch. Wenn ein klassisches Werk ein Hit ist, dann ist das für mich kein Hindernis, es zu spielen.
Wie wichtig ist es für Sie, sich nicht nur mit dem Notentext zu beschäftigen sondern auch mit der Biographie des Komponisten, mit der Werkentstehung…
Hope: Ich habe etwa mit 14 oder 15 Jahren damit angefangen. Bis dahin habe ich brav mein Violinkonzert geübt und das gemacht, was eigentlich jeder Geiger macht: man konzentriert sich auf seinen Part und man spielt so schnell, so laut und so sauber wie möglich.
Aber dann kam irgendwann der Punkt, wo ich dachte: „Da muss irgendwo mehr drin sein, als nur meine drei Konzerte, schnell, laut und sauber zu spielen. Was spiele ich hier eigentlich überhaupt? Ach so, es gibt auch ein Orchester? Ich dachte immer, das wäre nur die Begleitband, die hinter mir steht. Ach, und ich bin eigentlich ein Teil dieses Orchesters? Was bedeutet das überhaupt? Was ist diese Harmonie, woher kommt diese Musik, was bedeutet dieses Stück, in was für Zuständen ist es entstanden?“ – Wenn du erst mal damit anfängst, diese Fragen zu stellen, dann betrittst du einen Weg, dessen Ende du nie sehen wirst. Das lässt einen dann nicht mehr los.
Ich bin von Natur aus sehr neugierig, deshalb führt das Eine zum Anderen. Zum Beispiel als ich mit 16 ein Werk von Alfred Schnittke gehört habe. Bis zu diesem Zeitpunkt hat mich zeitgenössische Musik überhaupt nicht interessiert, ich mochte sie nicht, habe sie nicht verstanden. Und plötzlich hörte ich dieses Werk und war gefesselt. Ich war fasziniert davon. Als ich dann hörte, das Alfred Schnittke noch am Leben war, dachte ich, ich muss ihn kennen lernen, weil ich ihm sagen will, dass ich diese Musik so toll finde, weil ich verstehen will, wie er so etwas schreibt. So habe ich ihn kennen gelernt und so ging das dann weiter bei mir, mit der Forschung. Mittlerweile ist das eine Besessenheit von mir.
Aber hat jedes große Werk klassischer Musik immer eine große Geschichte dahinter?
Hope: Ich würde sagen sehr oft. Genauso wie ein großer Michelangelo oder Da Vinci eine große Geschichte hinter sich hat. Sicher kann man nicht immer alles über ein Werk herausfinden. Doch meistens findet man in der Person, die es erschaffen hat, eine große Geschichte. Menschen wie Vivaldi, Mendelssohn oder Da Vinci, das waren riesige Persönlichkeiten. Und zu lesen, wie sie gesprochen haben, wie sie waren als Menschen, ist sehr spannend. Das heißt jetzt nicht, dass ich das Stück dann sofort besser spiele, aber ich habe auf jeden Fall das Gefühl, mehr über diese Musik zu wissen.
Sie vergeben regelmäßig Kompositionsaufträge – wie werden die finanziert?
Hope: Manchmal bezahle ich das privat, manchmal wird es auch durch mein Festival in den USA finanziert. Beim Savannah Music Festival haben wir ein Budget für so etwas. Oder ich versuche, Stiftungen und Banken zu überreden.
Bekommen die Komponisten von Ihnen bestimmte Vorgaben?
Hope: Nein, das wäre doch blöd von mir. Ich frage natürlich nach der Dauer und der Besetzung. Weil klar, wenn so ein Stück 60 Minuten geht, mit 15 Posaunen, dann muss man schon fragen, ob das überhaupt machbar ist. Ich will das Stück ja nicht nur ein einziges Mal spielen. Da ist es natürlich Problem, wenn jemand kommt und ein Werk für 19 Orgeln schreibt, das kann man dann nicht in jedem Saal machen.
Aber musikalisch, also in welchem Stil einer etwas komponiert, da würde ich mich nie einmischen – das ist doch kein Wunschkonzert.
Gab es denn schon Auftragswerke, die für Sie am Ende unspielbar waren?
Hope: Unspielbar nicht, aber es gab Kompositionen, wo ich hinterher gemerkt habe, dass ich keinen Zugang dazu finde, wo ich gedacht habe: Das liegt mir nicht. Ich habe die dann natürlich trotzdem gespielt, aber es gab von meiner Seite dann kein Leben für diese Werke danach. Allerdings kommt das eher selten vor.
Wenn ein klassisches Werk ein Hit ist, dann ist das für mich kein Hindernis, es zu spielen.
Schreiben die beauftragten Komponisten heute mehr atonale oder tonale Musik?
Hope: Früher war es mehr atonal, aber inzwischen gibt es eine Tendenz, wieder von atonaler Musik weg zu kommen. Es gibt eine ganz neue Generation von fantastischen, jungen Komponisten, Leute wie Thomas Adès, Mark-Anthony Turnage, oder Magnus Lindberg – diese Musik kann man zwar nicht unbedingt als tonal bezeichnen, aber atonal ist sie auch nicht. Sie hat eine Sprache, die sehr dynamisch ist, die einen direkt trifft. Das ist für mich wichtig. Dagegen Musik, die nur aus Geräuschen besteht, das interessiert mich immer weniger.
Sie spielen nicht nur normale Klassik-Konzerte, sondern auch Programme mit Schauspielern wie Mia Farrow oder Klaus Maria Brandauer. Reicht Ihnen das normale Konzertumfeld nicht mehr aus?
Hope: (lacht) Doch. Es wird nie einen Moment geben, wo mir das nicht mehr reicht. Aber ich hatte das große Glück, Klaus Maria Brandauer kennen zu lernen und zu sehen, wie es ist, wenn man Musik und Text miteinander verbindet, dass das wirklich funktionieren kann. Es kann auch absolut grauenvoll sein, ich habe schon Musik&Text-Abende erlebt, die zum Einschlafen waren, weil erst das eine, dann das andere, dann das eine… wo man sagen konnte: die Musik hat verloren und die Worte haben verloren.
Als ich Brandauer gehört habe, merkte ich aber, dass es möglich ist, die Musik zu benutzen, um den Worten eine andere Bedeutung zu geben und umgekehrt.
Sehen Sie es auch als eine Möglichkeit, ein junges Publikum zu erreichen?
Hope: Ja, wir hatten wirklich ganz junge Leute im Publikum. Meine Freunde, die sonst nie in ein klassisches Konzert gehen würden, weil es ihnen angeblich viel zu langweilig ist, kommen und hören einen Strawinsky, einen Schnittke und sagen: Was für tolle Musik!
Diese Konzerte sind für mich eine Plattform, auf der ich sehr gerne parallel arbeite. Man kann es aber nicht vergleichen mit der Aufführung einer Beethoven-Sinfonie in einem Konzertsaal.
Mögen Sie eigentlich die Atmosphäre eines Konzertsaals, die Distanz zum Publikum?
Hope: Ich persönlich mag es auch sehr gerne, nah am Publikum zu sein. Als ich das erste Mal bei der „Yellow Lounge“ in einem Berliner Club aufgetreten bin, da hatten wir 300-400 Leute, alle um die 20, die standen um uns herum, saßen unter dem Klavier und überall – ich persönlich finde das ganz toll. Es ist aber nicht für jedermann. Nicht jeder möchte diese Nähe haben, manch einer braucht eine gewisse Distanz.
Ich möchte das Publikum so nah wie möglich haben und wenn sie was sagen oder fragen möchten, sollen sie das tun. Vielleicht nicht gerade, während ich spiele, aber gleich danach. Es ist ja auch so, dass zum Beispiel Vivaldis Musik für solche Ereignisse geschaffen wurde, für Abendessen oder Hofkonzerte, Musik war Bewegung, das war lebendig. Das hat nicht in starrer Konzertsaal-Atmosphäre stattgefunden, wo jemand gespielt hat und danach wurde applaudiert. Und ich finde, das macht heute auch die Lebendigkeit dieser Musik aus.
Haben Sie mal Straßenmusik gemacht?
Hope: Ja, früher als Student habe ich oft in London auf der Straße gespielt…
Um Geld zu verdienen?
Hope: Ja, an Weihnachten auf der Bond-Street, da habe ich immer mit Freunden gespielt, man konnte da eine Menge Geld verdienen. Gerade an Weihnachten waren die Leute sehr großzügig.
Haben Sie viele Hits gespielt?
Hope: Ja, meistens die gängigen Sachen. Aber nicht nur – es ist erstaunlich, womit man die Leute ablenken kann. Natürlich muss man eine gewisse Balance halten, zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Aber ich denke, die Leute, die auf der Straße vorbeigehen, die wollen einfach nur schöne Musik hören. Und wenn Sie mich fragen: Für mich ist jedes Stück von Bach und jedes Stück von Vivaldi schöne Musik.
Und wenn Sie heute Straßenmusiker hören? Bleiben Sie stehen?
Hope: Wenn die gut sind, klar. Und wenn sie wirklich gut sind, gebe ich auch ein bisschen Geld.
Ende 2007 machte der Geiger David Garrett Schlagzeilen, der seine Geige bei einem Sturz mehr oder weniger zerstörte…
Hope: Ja, ich kenne die Geschichte und ich habe sie mir von ihm bestätigen lassen. Zuerst, als ich es gehört habe, wollte ich es nicht glauben. Das ist der Alptraum von jedem Geiger, dass etwas mit deinem teuren Instrument passiert. Und wenn du es selber kaputtmachst – das ist natürlich grauenvoll!
Wir haben uns in München kennen gelernt, wir waren zufällig im gleichen Hotel und ich komme in die Lobby und David steht da. Wir sind dann zusammen essen gegangen und ich habe ihn sofort gefragt: „Ist das wirklich wahr?“ Und er sagte. „Ja.“ Er ist ausgerutscht, es war in London, und der Boden im Konzertsaal sehr glatt, da ist er direkt auf die Geige gefallen. Die war zwar im Geigenkasten, aber wenn du schwer fällst, dann bringt dir der Kasten auch nicht viel. Man konnte sie dann reparieren, aber günstig war das bestimmt nicht.
Was war denn Ihr schlimmstes Erlebnis in dieser Hinsicht?
Hope: Ich habe meine Geige einmal im Restaurant vergessen. Ich war 16 oder 17, ich war mit meinem Vater essen, wir hatten ein sehr schönes Abendessen mit ein bisschen zu viel Rotwein, und ich hatte meine Geige unter den Tisch gelegt. Danach habe ich sie komplett vergessen. Wir sind zum Bahnhof gefahren, wir wollten weiter. Und als wir in den Zug gestiegen sind, fragte mein Vater: „Wo ist eigentlich deine Geige?“ In diesem Moment kriegst du natürlich einen Herzinfarkt! Wir sind beide zurückgerannt, ins Taxi gestiegen, zum Restaurant gefahren, nicht wissen was passieren würde, reingestürmt, da saßen an dem Tisch ganz viele Leute – aber die Geige war noch da, unter dem Tisch. Also, da hatte ich großes Glück.
Die Geige haben Sie immer noch.
Hope: Ja. Sie ist von 1769, eine Gagliano-Geige aus Neapel. Ich habe sie, seit ich 14 bin. Ich musste dafür damals einen Kredit aufnehmen, den ich dann über fast 15 Jahre abbezahlt habe.
Kommen wir zu unserer Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Hope: Ich war früher besessen von Batman. Als ich ein kleiner Junge war, war Batman das Nonplusultra für mich, ich hatte das Kostüm, bin immer als Batman rumgerannt. Ein anderer Comic, den ich immer noch sehr gerne mag, ist Gary Larsons „The Far Side“, darin gibt es sehr viele verschiedene Figuren, oft sind es Tiere mit menschlichen Zügen. Der Humor ist genau mein Humor, deshalb sehe ich mich oft in diesem Comic. Also, ich wäre eine Mischung aus Batman und einem dieser Tiere bei Gary Larson.