Daniel Zlotin, Sie sind seit knapp 15 Jahren als Regisseur und Produzent von Musikvideos aktiv. Weshalb haben Sie sich auf dieses Genre spezialisiert?
Daniel Zlotin: Ich habe mich schon immer mit Musikvideos beschäftigt. Ende der 1990er gab es bei MTV Backstage-Sendungen, wo sie Making-Ofs von den ganz großen Künstlern wie Eminem gezeigt haben. Ich habe nach der Schule immer als erstes MTV eingeschaltet und mir diese Sendung angesehen. In Musikvideos kannst du dich in deinen Visionen und deiner Kreativität austoben. Das hat mich fasziniert.
Haben Sie bestimmte Vorbilder unter Musikvideo-Regisseuren?
Zlotin: Ich beobachte Regisseure wie Chris Macari, Eif Rivera, Matt Alonzo oder Eugene Baiste, aber ich habe so gesehen keine Vorbilder. Manche Sachen gefallen mir, andere nicht. Ich will nicht arrogant klingen, aber ich bin mein eigenes Vorbild und versuche immer, mich zu verbessern.
Legen Sie mehr Wert auf Inhalt oder auf die neueste Technik?
Zlotin: Beides, es gibt Musikvideos, die inhaltlich ohne technische Neuheiten perfekt sind, und es gibt welche, wo die Technik fasziniert, wie „DODI“ von Shindy: Die Ästhetik überzeugt, aber inhaltlich ist das nichts Besonderes.
Ich will nicht den Moralapostel spielen.
Als Sie mit Ihrer Firma „StreetCinema“ angefangen haben, Musikvideos zu drehen, war Eko Fresh einer der ersten Auftraggeber. Wie wichtig war der Kontakt zum Kölner Rapper?
Zlotin: Angefangen habe ich gut fünf Jahre davor, 2002 in der Ukraine. In Deutschland ging es dann mit Eko Fresh los, das gab uns auf jeden Fall einen guten Schub. Da es zu diesem Zeitpunkt nur wenig Konkurrenz gab und wir mit unserem Wissen und Können ziemlich weit vorne lagen, gelang es uns relativ schnell, unsere Bekanntheit in der Szene zu steigern.
Sie haben Videos für Rapper wie Kollegah, Farid Bang oder Bushido gedreht. Mit welchen Videos sind Sie rückblickend besonders zufrieden?
Zlotin: Zum Beispiel mit „100 Bars“ und „Bitte Spitte“ von Farid Bang, „Köln Kalk Ehrenmord“ und „Quotentürke“ von Eko Fresh, „Fanpost 2“ von Kollegah. Auch mit meinem größten Projekt „Boom Boom“ von RedOne, Daddy Yankee, French Montana und Dinah Jane bin ich sehr zufrieden.
Bei eigenen Werken musst du aber generell sehr selbstkritisch sein, damit du dich auch weiterentwickelst, du musst immer die negativen Aspekte in deinen Arbeiten sehen können.
Welche Videos würden Sie denn heute besser drehen?
Zlotin: Zum Beispiel „Brot brechen “ von Bushido und Shindy hätte man viel besser umsetzen können, vor allem weil der Song extrem viel Potenzial hat. Oder „Dein Kuss“ von Fard. Ästhetisch war das Video gut, aber es hatte einen kitschigen Schluss. Fard war damit unzufrieden, weshalb es nicht erschienen ist. Ein Jahr später hat er es aber doch noch veröffentlicht.
Sie haben über 30 Videos mit Farid Bang gedreht, der mehrfach Kontroversen auslöste. Welche Rollen spielen die Texte und Botschaften der Songs, wenn Sie überlegen, ein Projekt anzunehmen?
Zlotin: Solange es nicht rassistisch ist, nehme ich fast alles an. Ich sage nicht, dass mir das Projekt gefallen muss. Das ist mein Job und ich habe mir beigebracht, diesen zu lieben. Wenn ich Aufträge aus neuen Genres wie Schlager oder Rock annehme, dann liebe ich meine Arbeit, obwohl ich die Musikrichtung privat nicht hören würde.
Hatten Sie nie den Fall, dass Ihnen ein Projekt zu heikel erschien?
Zlotin: Wenn es zum Beispiel um einen Diss gegen einen anderen Rapper geht, mit dem ich guten Kontakt habe, mache ich nicht mit. Farid Bangs Texte sehe ich zum Beispiel als unterhaltsam an. Ich sehe das wie ein Computerspiel, in dem du alle wegballerst. Und da denke ich auch nicht: Ich spiele dieses Spiel jetzt nicht, weil ich darin Leute töten muss.
Fehlt der breiten Öffentlichkeit etwa auch vor dem Hintergrund des letztjährigen Echo-Skandals das Verständnis für Rap?
Zlotin: Definitiv, ich habe das in der Schlagerszene gemerkt, in der ich momentan viel unterwegs bin. Das Problem ist, dass die Leute Dinge als schlimm empfinden, mit denen sie nichts anfangen können. Das war schon Anfang des 20. Jahrhunderts so, bei der Einführung des Tonfilms. Kinos haben protestiert: Sag nein zum Tonfilm. Das gleiche passierte beim Farbfilm. Rap war etwas Neues für die Echo-Jury und Kritiker, womit sie sich nicht identifizieren konnten.
Aber hinkt nicht der Vergleich von technischer Innovation mit grenzwertigen Inhalten?
Zlotin: Was heißt grenzwertige Inhalte? Wieso kritisiert dann keiner Kinofilme? Ich denke, man muss eher an die Eltern der Kinder appellieren. Meine achtjährige Tochter hört kein Farid Bang, das erlaube ich ihr nicht. Ein Achtzehnjähriger sollte soweit klar im Kopf sein, dass er weiß, wie er das einzuordnen hat. Ich höre selbst Farid Bang, kann aber genau einstufen wie er das meint.
Viele Hip-Hop-Videos vermitteln ein klischeehaftes Männer- bzw. Frauenbild. Wie stehen Sie dazu?
Zlotin: Musikvideos zu drehen ist mein Job. In meinem Kopf habe ich meine eigene Vorstellung davon, was die Frauen- und Männerwelt betrifft – und daran kann kein Rap-Video etwas ändern. Wenn die Rapper das aus Imagegründen wollen, warum nicht? Ich will nicht den Moralapostel spielen und auch niemanden überzeugen. Und wenn es Frauen gibt, die sich gerne in dieser Form in Videos darstellen wollen, kann ich auch nichts dagegen machen. Wenn eine Nachfrage besteht, gibt es auch ein Angebot.
Im „Gaddafi“-Video des Rappers Xatar lassen Sie einen vergoldeten Panzer auffahren. Wie kam es dazu und welche Botschaft steckt dahinter?
Zlotin: Die Idee kam von Xatar, der unbedingt einen goldenen Panzer haben wollte. Das haben wir dann realisiert. Es geht um ein militärisches Thema, um Gaddafi und Macht. Außerdem hat Xatar immer eine Verbindung zu Gold. [lacht] Ich war bei dem Video aber nicht für die Regie, sondern nur für die Bildgestaltung und Kamera zuständig.
Wenn Sie sich mit Kollegen vergleichen: Was unterscheidet Ihre Musikvideos von den anderen?
Zlotin: Heutzutage wird viel Effekthascherei mit schnellen Schnitten und wenig Inhalt geboten. Ich tendiere eher zu klassischen, filmischen Videos mit einer schönen Story, mit Dramaturgie und einem Spannungsbogen. Das sind meine Stärken, die ich über Jahre gepflegt habe.
Sie haben mittlerweile auch mit internationalen Musikern wie Madcon, The Game und Daddy Yankee gedreht. Wie unterscheidet sich die Arbeit auf internationaler Ebene von hiesigen Produktionen?
Zlotin: Im Prinzip unterscheidet sich die Arbeit gar nicht. Die neuen Leute, die dich nicht kennen, sind immer vorsichtiger, weil sie nicht wissen, wer du bist. Daddy Yankee kennenzulernen war sehr positiv. Er ist Multimillionär und in Lateinamerika seit Jahren so erfolgreich, wie früher Michael Jackson. Trotzdem war er mir gegenüber extrem nett. Mit RedOne bin ich mittlerweile schon sehr gut befreundet. Wir reden auch über private Themen, sodass es fast wie bei Farid Bang ein familiäres Verhältnis ist.
Im Moment machen Sie eine Workshop-Tour für Nachwuchsfilmer. Was hat Sie dazu motiviert?
Zlotin: Ich bin schon seit 15 Jahren in dem Business und hatte bereits sieben Azubis, von denen ich sechs ausgebildet habe. Außerdem fragen mich regelmäßig Follower auf Instagram nach Tipps. Da habe ich mir gedacht: Warum sammele ich diese Fragen nicht und gebe in den Workshops die Antworten. Die Leute können von mir Insiderwissen bekommen, was ich über Jahre angesammelt habe. Es ist natürlich mit Stress und Kopfschmerzen verbunden, weil du das Programm so gestalten musst, dass es für alle zugänglich, interessant und spannend ist. Es ist auch eine Kunst, Leute über sechs Stunden zu unterhalten. Damit die Leute nicht einschlafen, habe ich viele Anekdoten eingebaut.
Was ist Ihnen besonders wichtig, dem Nachwuchs zu vermitteln?
Zlotin: Als ich selbst noch zur Medienschule gegangen bin, gab es viele Studenten, die viel Wissen hatten, aber im besten Fall arbeiten die heute bei RTL im Schnitt oder kochen ihrem Chef den Kaffee. Das Wissen anzuwenden und selbst kreativ zu sein, ist etwas ganz Anderes.
Ich versuche mein Wissen im Zusammenhang mit Bildästhetik zu vermitteln, damit die Teilnehmer auf ein neues Level kommen. Viele drehen heutzutage blind, die kennen nicht die Grundlagen von Linienregeln, Räumlichkeitsregeln und Farbkontrasten. Was bewirkt diese Farbe oder diese Kamerabewegung? Welche Einstellung muss mit welcher Linse gedreht werden? – Wenn ich sehe, dass talentierte Filmemacher die Grundlagen gar nicht begreifen, macht mich das traurig. Das will ich ändern.
Ihr Tour-Slogan lautet „Ihr dreht Videos, wir machen Filme“. Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann in den Filmbereich zu wechseln?
Zlotin: Alles ist möglich. Der Slogan meint, dass fast jedes meiner Videos ein Kurzfilm ist, der von Anfang bis Ende eine Geschichte erzählt. Da werden nicht einfach schöne Bilder aneinander geklatscht. Kinofilme zu drehen benötigt aber eine komplette Umstrukturierung. Das ist in etwa so als würde man einen Pizzabäcker fragen, ob er auch Sushi zubereiten könne. Für Sushi benötigst du ganz andere Ingredienzen. Es ist zwar auch etwas zu essen, aber trotzdem komplett anders. Bei Filmen musst du mindestens ein halbes Jahr investieren und akribisch an dem Projekt arbeiten. Ich mache zwei bis vier Musikvideos monatlich. Mein Abläufe sind: Konzept schreiben, mit Kunden abstimmen, drehen, schneiden, fertig, nächstes Projekt.