Mr. Guggenheim, Ihr Nachname dürfte weltweit bekannter sein, als der Ihres Protagonisten Al Gore. Sind Sie mit den berühmten Guggenheims verwandt?
Guggenheim: Sie meinen die Bankiers? Nein. Mein Großvater war ein Sockenstopfer in Cincinnati, Ohio und hat damit nicht gerade Hunderte von Millionen Dollars verdient. Aber mein Vater Charles war ein ziemlich erfolgreicher Dokumentarfilmer. Wir sind sozusagen die anderen, nicht ganz so bekannten Guggenheims. (lacht)
Haben Sie Ihr soziales Gewissen, Ihren dokumentarischen Blick vom Vater geerbt?
Guggenheim: Ja. Ich habe zwar eine ganze Weile versucht, diesem Erbe zu entkommen und mich in Hollywood mit TV-Produktionen aufgehalten, wie man das als junger Mann so macht. Aber nach einer Weile kamen wir uns wieder näher. Er hat einige wunderbare Filme gemacht und wurde viermal mit dem Oscar ausgezeichnet.
Sie haben bei TV-Klassikern, wie „Emergency Room“ und „24“ Regie geführt. Das ist doch auch nicht schlecht.
Guggenheim: Schön und gut, aber wenn Sie einen Film wie „Eine unbequeme Wahrheit“ gemacht haben, bekommen sie das Gefühl, dass nichts anderes wirklich zählt. Auf diesen Film kann ich stolz sein, in Amerika gab es ausverkaufte Kinos und Standing Ovations.
„Eine unbequeme Wahrheit“ ist die filmische Adaption eines Multimediavortrags, mit dem Bill Clintons Vizepräsident Al Gore seit Jahren vor der bevorstehenden Klimakatastrophe warnt. Wie kam ihre Zusammenarbeit zustande?
Guggenheim: Die Produzenten kamen zu mir und sagten: wir möchten gerne, dass du einen Film über Al Gores Vortrag machst. Und ich sagte: das ist ein schreckliche Idee. Ich habe zwei Stunden versucht, ihnen den Film auszureden. Dann sagten sie: komm, schau dir seine Show an. Nach zwanzig Minuten fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Niemand hatte es zuvor geschafft, mir das Ausmaß des Problems der globalen Erwärmung so nahe zu bringen. Ich habe viel darüber gelesen, aber er war der erste der mir klar machte: Das Problem ist real. Wir verursachen es. Wir könnten es beheben, aber dafür bleibt uns nicht mehr viel Zeit, weniger als zehn Jahre. Also habe ich gesagt: vergesst meine erste Reaktion, wir machen den Film.
Hatten Sie nicht die Sorge, politisch instrumentalisiert zu werden?
Guggenheim: Als erstes stellt man sich in Amerika die Frage: wird er sich wieder um die nächste Präsidentschaft bewerben? Wir misstrauen nun mal den Motiven unserer Politiker. Aber Al Gore beschäftigt sich mit diesem Thema seit Jahrzehnten. Man denkt, das ist ein politsicher Film aber das stimmt nicht. Es ist ein Film, der die Menschen erreichen, ihre Haltung verändern soll.
Wird „Eine unbequeme Wahrheit“ etwas verändern?
Guggenheim: Ich bin nicht naiv genug zu glauben, dass ein Film alles verändern könnte. Aber ich denke, er könnte ein großer Schritt auf dem richtigen Weg sein. Die Reaktionen in Amerika sind unglaublich. Die Leute kommen aus den Kinos und demonstrieren für Änderungen.
Wie würden die USA jetzt wohl aussehen, wen Al Gore 2000 Präsident geworden wäre?
Guggenheim: Dieser Gedanke treibt den Film natürlich auch an. Man sieht ihn, schaut sechs Jahre zurück und denkt: Was wäre wenn? Er war einer der wenigen, die gesagt haben: der Irak-Krieg ist falsch, wir führen ihn aus den falschen Gründen. Er hatte Recht, was den Missbrauch unserer Verfassung angeht, er hatte Recht, was Afghanistan angeht. Was den Film aber vor allem funktionieren lässt, ist seine Gabe, die Erkenntnis von den verschiedenen Wissenschaftlern, Politikern, Philosophen, Systemanalytikern verständlich zusammen zu fassen und sie zu kommunizieren. Er legt wert darauf, nicht Wissenschaftler genannt zu werden, aber er hat einen wissenschaftlichen Verstand. Und bei seiner Botschaft geht es nicht um die nächste Präsidentschaft, sondern um etwas viel Dringenderes und Wichtigeres.
Ich wache tatsächlich manchmal nachts auf und mache mir Sorgen über die Erderwärmung.
Was halten Sie von Michael Moores Filmen? Haben die etwas verändert?
Guggenheim: Er filmt Pamphlete. Ich habe Spaß an seinen Filmen, ich stimme politisch mit ihm meistens überein, aber die Art und Weise, wie er Filme macht, ist nicht meine Art. Ich denke nicht, dass er die Meinung von Irgendjemandem ändert. Ich bin ihm zwar sehr dankbar, weil er bewiesen hat, dass man mit dokumentarischen Filmen wirtschaftlichen Erfolg haben kann, aber ich mag seinen Ansatz nicht. Er will mit Sensationen unterhalten und bringt mich dazu, dass mir George W. Bush Leid tut. Und ich will nicht dass mir George W. Bush leid tut.
Aber Ihr Film spielt auch mit emotionalisierende Momenten. Al Gore wird als eine Art neuer Kennedy präsentiert. Braucht Amerika solche Führerpersönlichkeiten, um einem Thema überhaupt Aufmerksamkeit zu schenken?
Guggenheim: Es gibt einen Unterschied, ob man sehr emotional oder manipulierend ist. Von Natur aus ist ein Film sehr emotional und kann sehr verzerrend sein. Also kann ich mir nur vornehmen, meinen Job so gut wie möglich zu machen. Das Publikum erkennt, wenn man wahrhaftig ist. Als es darum ging, aus seiner Show einen Film zu machen, hatte jeder von uns eine Bedienung. Al Gores war, dass ich mit den wissenschaftlichen Inhalten akkurat umgehen müsse, wofür Filmemacher nicht gerade berühmt sind. Meine Bedingung war, dass ich seine persönliche Geschichte erzählen kann. Wenn ich andere Dokumentationen über die globale Erwärmung sehe, verliert man sich in Fakten. Die Botschaft kommt an, aber nur im Kopf. Ich war überzeugt davon, dass wir die Herzen der Menschen ansprechen können, wenn wir Al Gores persönliche Geschichte erzählen. Er versucht, seit Jahrzehnten die Menschen auf zu rütteln, wie Kassandra, die die Wahrheit vorhersehen konnte, aber niemand hat auf sie gehört. Al Gore hat im US-Kongress in den 70er und 80er Jahren immer wieder versucht, klar zu machen: wir haben nicht mehr viel Zeit, die Erde erwärmt sich! Er sollte Präsident werden; er verlor, obwohl er die Wahlen 2000 nach Stimmen eigentlich hätte gewinnen müssen. Er hat sich dann nicht hingesetzt, wie so viele andere und versucht aus seinen politischen Memoiren möglichst viel Profit zu schlagen. Er ist allein mit seinem Koffer wieder in der Welt unterwegs und warnt die Menschen vor der Klimakatastrophe. Mir war klar, wenn wir den Zuschauer dazu bringen, diesen persönlichen, heroischen Kampf nahe zu bringen, können wir das Thema am besten transportieren.
„Eine unbequeme Wahrheit“ ist natürlich sehr auf das US-Publikum gemünzt. Ich selbst ertappte mich bei dem Bequemlichkeitsreflex: Okay, große Teile von Bangladesh und Holland werden von dem ansteigenden Meeresspiegel vernichtet und die Gedenkstätte für das World Trade Center in New York wird auch überflutet. Schlimm, aber es gibt Schlimmeres. Das ist natürlich zu kurz und zudem sehr zynisch gedacht. Welche Konsequenzen sollten zum Beispiel die Europäer ziehen?
Guggenheim: Nun, ich muss von ihren Reaktionen in erster Linie lernen, anstatt meinen Standpunkt zu verteidigen. Aber die Botschaft ist doch letztlich klar: die globale Erwärmung wird katastrophale Folgen für jeden haben. Europa war immer den USA voraus, was das ökologische Bewusstsein und das Wissen um die Erderwärmung angeht, aber sie sind nicht weit genug. Das Kyoto-Protokoll war höchstens 10 % von dem, was getan werden muss. Also muss auch Deutschland aufwachen und anfangen, wirkliche Änderungen durchzusetzen. Es würde auch nichts helfen, wenn Al Gore Präsident würde, solange die Bevölkerung die Änderungen nicht einfordert. Wir alle müssen weitergehen, uns mit der Beheizung oder Kühlung unserer Häuser beschäftigen und damit, wie wir unsere Autos antreiben. Wir müssen unsere Gewohnheiten ändern, auf die Politiker, die Industrie Druck ausüben. Das ganze System muss sich ändern.
Aber zurzeit heißt es gerade in Deutschland: denkt zuerst an die Arbeitslosen! Die Grünen haben die Macht verloren! Erst muss die Wirtschaft vorankommen! Die Ökologie hat wieder den Ruf eines Luxusproblems.
Guggenheim: Lange Zeit war die Umwelt kein liberales Thema. Präsident Nixon, einer der konservativsten Präsidenten der USA hat sich noch mit am meisten für Umweltthemen engagiert. Aber die Umweltpolitik wird zum Thema Nummer 1 werden, alle werden sich auf das Thema stürzen und für sich beanspruchen, ob das nun dieses oder nächstes Jahr passieren wird oder in zehn Jahren. Ich hoffe nur, dass der Film hilft, diesen Prozess zu beschleunigen.
Eines der eindrucksvollsten Bilder ihres Films – ein schwimmender Eisbär, der verzweifelt versucht, sich auf Eisschollen zu retten, die stets unter ihm zusammenbrechen – ist aber noch nur eine animierte Fiktion.
Guggenheim: Während wir „Eine unbequeme Wahrheit“ produzierten, sind unsere Prognosen ständig von der Wirklichkeit eingeholt worden. So ging es uns auch mit dem Bären. Als wir diese Trickfilmsequenz produzierten machte man sich noch Sorgen, dass durch das Schmelzen der Eisflächen die Jagdreviere der Eisbären dramatisch dezimiert werden würden. Kurz vor der Fertigstellung des Filmes kam dann die Nachricht, dass tatsächlich zum ersten Mal ertrunkene Eisbären gefunden worden sind. Also mussten wir den Hintergrundkommentar der Szene aktualisieren.
Habe Sie eigentlich Angst vor der Zukunft?
Guggenheim: (Lacht) Wissen Sie, ich wache tatsächlich manchmal nachts auf und mache mir Sorgen über die Erderwärmung. Das ist mir früher nie passiert. Aber ich lebe in Venice, Kalifornien und auch dieser Ort wird in absehbarer Zukunft unter Wasser stehen, wenn sich nichts ändert. Wenn man die Details der globalen Erwärmung erkannt hat, kann man nicht einfach weitermachen wie bisher. Man kann sie rationalisieren, und Gründe finden, sich nicht damit zu beschäftigen. Aber wenn man ehrlich sich selbst gegenüber ist, dürfte klar sein, dass es kein wichtigeres Thema gibt.