Mr. Guggenheim, Ihr Dokumentarfilm „It Might Get Loud“ portraitiert mit Jack White (The White Stripes), The Edge (U2) und Jimmy Page (Led Zeppelin) drei prägende Gitarristen aus drei verschiedenen Generationen. Waren die drei Ihre erste Wahl?
Guggenheim: Ja, das waren sie in der Tat. Eigentlich dachte ich auch an Jimi Hendrix, aber er stand nicht zur Verfügung… Im Ernst: Wir hatten eine Traumliste, an deren Spitze stand Jimmy Page. Zuerst haben wir gedacht, es wäre unmöglich, ihn zu bekommen und wir versuchten es gar nicht erst. Page ist bekannt dafür dass er nicht gerne vor der Kamera steht, auch nicht gerne Geschichten erzählt, auch nicht gerne ans Telefon geht.
Wie hat es geklappt?
Guggenheim: Ich habe ihm einen Brief geschrieben, mit der Bitte mich in London in einem Hotel zu treffen. Ich rechnete mit einer riesigen Entourage und viel Security, aber er kam mit einem Schirm in die Lobby, nachdem er mit dem Taxi vorgefahren war – wie ein sehr eleganter, englischer Gentleman, der zum Tee verabredet ist. Wir diskutierten ein wenig und dann stimmte er zu. Einfach so. Genau wie The Edge und Jack White. Ich glaube die Idee, alle drei zusammenzubringen, hat mir die Tür geöffnet.
Gab es keine anderen Kandidaten?
Guggenheim: Einige fragten nach Eddie van Halen oder wo denn Jeff Beck sei… Ich habe nie behauptet, dass diese drei die Allerbesten sind, es gibt so viele wundervolle Gitarristen – und das hier sind nur drei davon.
Der Film lebt von sehr intimen Momenten, die die Gitarristen miteinander und mit dem Publikum teilen. Wie kreieren Sie eine solche Stimmung?
Guggenheim: Als ich damals mit Al Gore zusammen „Eine unbequeme Wahrheit“ gedreht habe, liefen die ersten Aufnahmen sehr formal ab. Erst als wir zum Beispiel beim Essen zusammen saßen, ohne Crew, sprachen wir stundenlang. So entstanden die kraftvollsten, leidenschaftlichsten Szenen in diesem reduzierten Zweier-Gespräch.
Deswegen war jetzt eine Leitlinie für mich, die Interviews komplett ohne Crew aufzunehmen, um sich auf die Konversation zu konzentrieren. Jimmy und ich unterhielten uns teilweise sechs Stunden im Hotel, wovon es nur Audio-Aufnahmen gibt. Aus Gesprächen wie diesen nahm ich einzelne Storys und baute daraus die Geschichte. Genau so lief es auch mit The Edge, mit dem ich mich in London und mit Jack, den ich in Nashville traf.
Was hat Sie an den dreien am meisten überrascht?
Guggenheim: Überraschend war, wie viel sie gemeinsam hatten. Ich empfand ihren Werdegang eigentlich als sehr verschieden, aber sie folgten scheinbar einer goldenen Rock´n´Roll-Regel: sehr jung erfolgreich zu werden, indem sie das Bild zerstörten, das die Generation vor ihnen aufgebaut hatte. U2 war anfangs eine große Rebellion gegen Stadion-Bands wie Led Zeppelin. Jack White rebellierte letztlich sogar gegen den Punk, aber auch gegen Led Zeppelin. Auf der anderen Seite war es aber so, dass diese Rock´n´Roller sehr fokussiert auf ihre Musik waren und sich wenig Gedanken über Rebellion machten. Interessant war zu sehen, in wie vielen kleinen Details sich die Biographien ähneln, wenn Jack und Jimmy beide feststellen, dass sich ihre Wurzeln im Blues finden, oder zu beobachten, wie nervös die drei waren, als sie zum Set fuhren – sie waren sich vorher noch nie begegnet.
Gerade Jack White macht im Film eine Entwicklung durch, am Anfang scheint es, als bereite er sich auf einen Kampf mit zwei Gegnern vor, während er am Ende deutlich entspannter mit den anderen beiden redet.
Guggenheim: Ich selbst hätte nie interveniert, hätte es einen Boxkampf gegeben, wäre das für mich in Ordnung gewesen. Das interessante an Jack ist, dass er im Film derjenige ist, der auf dem Weg ist. Edge weiß, wo er steht, Jack prüft sich immer noch selbst, will herausfinden, wer er ist. Es war schön, drei verschiedene Musiker in drei verschiedenen Phasen ihres Lebens zu sehen.
Gab es je einen Superstar-Moment im Umgang mit den Dreien?
Guggenheim: Ich wünschte, ich hätte so eine Geschichte… Aber nein, das gab es nicht, sie waren alle sehr bescheiden. Und sie haben sich vielmehr gegenseitig beeinflusst. Es gab einen Moment, in dem Jimmy das erste Mal „Whole Lotta Love“ spielte, als alle drumherum erstarrten. Ich bemerkte wie eine meiner Kameras Richtung Boden sank und ich musste den Kameramann anstupsen, der wie gebannt war. Auch The Edge stand auf, um zu sehen, wie Jimmys Finger funktionieren, wie er das macht. Jacks Finger imitierten die von Jimmy Page, ohne dass er es merkte… Das war ein magischer Moment.
Welche persönlichen Erinnerungen verbinden Sie mit Led Zeppelin?
Guggenheim: Ich kann mich erinnern, dass in der sechsten Klasse bei uns jede Party mit einem Klammertanz zu „Stairway To Heaven“ endete. Wir wussten nicht, was wir da warum taten. Es war einfach da, in meiner Generation war dieser Song einfach da, vergleichbar mit der Nationalhymne. Eines meiner Ziele war, dass Jimmy Page das mit sich und seinem Werdegang erklärt, wenn er den Song am Ende des Films spielt. Weil ich das Gefühl habe, dass diese eine Person, seine ganze Karriere bestreiten musste, um diesen einen Song zu schreiben. Ich hoffe, dass es dem Publikum genau so geht.
Hätte es einen Boxkampf gegeben, wäre das für mich in Ordnung gewesen.
Waren Sie auf dem Led Zeppelin-Comeback Konzert?
Guggenheim: Ich hatte Tickets für das Konzert, aber es fiel unglücklicherweise mit der Nobelpreis-Verleihung an Al Gore zusammen. Ich musste mich zwischen zwei Sachen entscheiden, die beide so wohl nie wieder passieren werden.
Ihr Film „Eine unbequeme Wahrheit“ mit Al Gore hat Ihnen einen Oscar für den besten Dokumentarfilm eingebracht. Wie schwierig war es, nach dieser Auszeichnung das Thema für einen neuen Film zu finden?
Guggenheim: Sehr schwierig. Mir ging es mit dem Oscar ähnlich wie Frodo in „Herr der Ringe“ mit dem Ring: Du willst ihn, aber du weißt: Du solltest ihn nicht haben. Du wünschst es dir sehr – und dann habe ich tatsächlich diese riesige, goldene Statue gewonnen. Sie wohnt bei dir, du beginnst nachzudenken, wohin damit. Stellst du sie in dein Wohnzimmer, reden die Leute darüber, also nicht dahin. Oder ins Schlafzimmer, oder in irgendeine Ecke? Aber wenn du an ihm vorbeiläufst, denkst du immer sofort: Oh, Fuck!
Ist der Oscar so eine Belastung?
Guggenheim: Der Oscar ist eine wundervolle Sache, die einem so manche Tür öffnet, aber es sind auch unheimlich große Erwartungen damit verknüpft. Deshalb wollte ich etwas ganz anderes, in einem ganz anderen Stil machen. In jedem Fall ist es viel einfacher kreativ zu sein, wenn du ein Niemand bist.
Eine der aufgehenden Türen führte sie direkt zu Barack Obama, dessen Wahlkampf Sie mit neuartigen ‚Infomercials’ begleitet haben.
Guggenheim: Das stimmt, aber in meinem Kopf gingen auch Türen auf, aus denen ich gefragt wurde, ob ich wirklich so erfolgreich bin, ob ich wohl wirklich so gut bin, wie die Leute denken. Oder wenigstens so gut, wie ich denke.
Welche Rolle spielen die Spots im amerikanischen Wahlkampf?
Guggenheim: Bisher wurden die Leute mit sehr kurzen Wahlkampf-Spots dazu gebracht, einen Kandidaten zu wählen. Die gingen eine halbe Minute und in der Zeit musstest du deine Story verkaufen. Das hatte zur Folge, dass Wähler entweder nicht viel über den Kandidaten erfahren konnten oder – im schlechtesten Fall – die 30 Sekunden genutzt wurden, um den Gegenkandidaten zu zerstören. Ein Armutszeugnis für die Politik. Nicht nur für die Kandidaten, sondern noch viel mehr für die Politik selbst, denn die Botschaften die die Wähler bekamen, ließ die verblöden. Sie wurden nicht informiert.
Obama und ich haben ein anderes Format und vor allem das Internet benutzt. Viele haben unseren zehnminütigen Film über Obama runtergeladen. Dabei sind zehn Minuten auch nicht viel, aber eben deutlich mehr als 30 Sekunden.
Und Sie haben danach noch einen längeren Obama-Film gedreht.
Guggenheim: Ja, wir haben dann noch ein Infomercial gedreht, das 30 Minuten lang ist und auch gewichtige Information enthält. Ich denke, es ist ein positiver Schritt, wenn nicht nur in 30 Sekunden die Schwächen des Gegners breit getreten werden sondern die Politiker stattdessen die eigenen Stärken und Inhalte präsentieren.
Sind Sie eigentlich enttäuscht, dass Al Gore keine verantwortliche Position in Obamas Regierung hat?
Guggenheim: Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht wollte. Er hat erkannt, dass er von außen mehr Einfluss nehmen kann. Er nutzt seine Macht auch so und hat beispielsweise Obama bei der Wahl seines Umwelt-Teams beraten. Er ist der einflussreichste Denker was die Umwelt-Problematik angeht.
Das Gute ist: Gegen Obama gibt es keine Opposition. Er kann sich der Aufgabe stellen, die Welt in diesem Punkt zu verändern. Denn wir verlieren Zeit!
Ihr Vater war ebenfalls Dokumentarfilmer. Wann haben Sie sich entschlossen in seine Fußstapfen zu treten?
Guggenheim: Er lebte in Washington, ich in Los Angeles und ich wollte nie im Leben Dokumentationen drehen, sondern nach Hollywood und Millionen machen, gegen ihn rebellieren und mich selbst beweisen. Also habe ich zwei Streifen gedreht, die beide nicht sonderlich gut sind, ich bin nicht besonders stolz auf sie. Irgendwie bin ich aber stolz, dass ich durch sie nicht all zu viel Zeit verloren habe, bevor ich mich dann doch für Dokumentarfilme entschied. Warum genau das geschah kann ich nicht sagen – es wird seinen schicksalhaften Grund gehabt haben. Es geschah irgendwie gegen meinen Willen.
Also war Ihr Vater kein Lehrer für Sie?
Guggenheim: Auf verschiedene Art und Weise war er es. Wäre er nicht mein Vater, hätte ich „Eine unbequeme Wahrheit“ nicht so gedreht, wie ich es letztlich habe. Er hat mir immer erklärt, dass Filme persönlich sein müssen.
Und was planen Sie als nächstes?
Guggenheim: Ich arbeite an einem Film über die öffentlichen Schulen in Amerika. Das öffentliche Schulsystem ist wieder ein ernsteres Thema, da es für 80 Prozent der Schüler untauglich ist. 60 Prozent der amerikanischen Highschool-Kids brechen bereits nach dem ersten Jahr ab. Das System zerstört Amerika.