Dee Dee Bridgewater

Wir verlieren den Sinn für unsere eigene Identität.

Jazz-Sängerin Dee Dee Bridgewater über einstige Nebenjobs, unwichtige Noten, die Suche nach den eigenen Wurzeln und die weiße Musikindustrie

Dee Dee Bridgewater

© Universal Jazz

Frau Bridgewater, ihr jüngstes Konzert in Berlin hat mich sehr beeindruckt. Nun las ich kürzlich, dass wir es nicht zuletzt General Motors zu verdanken haben, wenn wir Sie heute auf der Bühne erleben können.
Bridgewater: Ich weiß nicht, wovon Sie reden.

Sie haben sich mal für einen Job bei GM beworben, wurden aber abgelehnt, weil Sie überqualifiziert waren.
Bridgewater: Ja, stimmt. So einen Moment gab es tatsächlich. Ich befand mich zwischen verschiedenen Projekten und war damals von Frankreich zurück in die USA gekommen. Und da habe ich als Aushilfskraft gearbeitet. Meine Mutter hatte mir geraten, ein solides Handwerk zu lernen, damit ich etwas hätte, falls ich es als Sängerin nicht schaffen würde.

Als was haben Sie gearbeitet?
Bridgewater: Ich habe getippt. Ich hatte zu der Zeit gerade meine zweite Scheidung hinter mir, mein zweiter Mann hatte unser Bankkonto geplündert… Ich hatte also kein Geld, musste zurückziehen nach Flint, Michigan, zu meiner Mutter, die sich um meine Töchter gekümmert hat. Über eine Zeitarbeitsfirma kam ich dann an einen Typen, der in einer Abteilung von General Motors gearbeitet hat. Er hat mich eines Tages in sein Büro gerufen, weil er so verblüfft darüber war, wie ich in zwei Stunden die gleiche Arbeit erledigen konnte, für die seine Sekretärin acht Stunden brauchte. Ich meine, ich habe mich zu Tode gelangweilt. Morgens, wenn er seine Besprechungen hatte, habe ich mich um den Kaffee, die Getränke gekümmert, habe die Notizblöcke und alles ausgeteilt, wenn die Leute zu Meetings gekommen sind habe ich mich vorher mit ihnen unterhalten, sie über ihre Jobs ausgefragt… Und dann sagte der Typ zu mir: „Wir sind so beeindruckt von Ihnen, können Sie sich vorstellen, fest für General Motors zu arbeiten?“- „Ja, ich kann mich auch sehr gut in Ihrer Position vorstellen“ habe ich ihm geantwortet. (lacht)

Nicht übel.
Bridgewater: Ja, und als ich ein anderes Mal dort gejobbt habe kam es zu einer ähnlichen Situation und der Typ meinte: „Sie sind viel zu überqualifiziert für diesen Job.“ „Klar“, habe ich ihm gesagt „ich mache das hier auch nur wegen dem Geld.“

Zu der Zeit hatte Ihre Karriere als Sängerin aber schon begonnen…
Bridgewater: Ja, das war 1984, da war ich schon längst auf der Bühne, hatte Platten aufgenommen, und sogar schon einen Tony-Award als Schauspielerin gewonnen. Ich war bereits eine fertige Entertainerin. Nur mein Privatleben war eine Katastrophe. Ich war gerade aus Frankreich zurückgekommen wo ich in dem Musical „Sophisticated Ladies“ gesungen hatte, ich hatte auch schon meine eigenen Konzerte gegeben.

Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie entdeckt haben, dass Sie singen können?
Bridgewater: Den Moment gab es nicht. Ich habe schon immer gesungen. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich schon scatten konnte, bevor ich richtig zu sprechen anfing. Als sie mit mir schwanger war, war eine ihrer Lieblingssängerinnen Ella Fitzgerald.
Ich konnte schon immer scatten, und ich dachte früher auch, dass das alle Jazz-Sänger tun und dass es zur Definition des Jazz-Sängers dazugehört.

Jazz-Gesang war für Sie immer ‚Learning by doing’.
Bridgewater: Ich bin keine ausgebildete Sängerin. Ich kann auch keine Noten lesen.

Bis heute nicht?
Bridgewater: Nein. Wenn Sie mich auf der Bühne mit einem Blatt Papier sehen, dann sind das meine Texte. Ich kann zwar ein bisschen dem Notenverlauf folgen, um in etwa zu wissen, wann es rauf und wann es runter geht. Aber eigentlich hab ich immer im Kopf, wo ich wann hinmuss. Dafür brauche ich keine Noten, die mir das vorschreiben.

War das denn nie ein Problem im Lauf Ihrer Karriere?
Bridgewater: Nein. Ich habe eben große Ohren. Und ich habe ein gutes Gedächtnis. Normalerweise habe ich ein Stück einmal gehört, danach war es in meinem Kopf, heute muss ich es dafür vielleicht zwei Mal hören.

Ist es im Jazz weniger ein Problem, keine Noten lesen zu können, weil es eine Musik ist, die nicht in erster Linie von der Notation sondern vom Spielen her kommt?
Bridgewater: Ja, ich denke schon. Es gibt viele Jazz-Musiker, die keine Noten lesen können. Trotzdem schreiben sie Songs, sie tun das auf ihre eigene Art und Weise. Es kann natürlich Situationen geben, wo es schwierig wird, bei Studio-Aufnahmen zum Beispiel. Ich wollte einmal Backround-Vocals machen, damals bei Patti Austin, die solche Backround-Vocal-Sessions organisierte. Ich war dann einmal bei so einer Session, aber da musste alles sehr schnell gehen und ich bekam das einfach nicht schnell genug hin. Ich habe damals auch nicht besonders viel von der Abmischung im Studio verstanden. Und am Ende der Session meinte der Produzent: „Die sticht zu sehr raus“. Patti meinte dann zu mir „Dee Dee, vergiss das mit den Background-Vocals – du machst deine Sache schon.“

Sie sind nun schon sehr lange die Frau im Vordergrund. Aber wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Jazz-Sänger und Band, sind alle gleichberechtigt, oder sind die Musiker nur die Begleitung für den Sänger?
Bridgewater: Viele Jazz-Sänger sehen sich als Hauptfigur und die Musiker begleiten sie. Das gibt aber keinen wirklichen Zusammenhalt, da kommt keine richtige Verbindung zustande.
Ich persönlich sehe mich nicht als Sängerin sondern als Musikerin. Ich habe meinen Musikern immer sehr viel Raum gegeben, ich erlaube ihnen immer Soli, in Konzerten können sie ausgiebige Soli spielen – ich habe einfach großen Respekt vor den Musikern. Und wenn ich Meisterkurse gebe, dann ist das einer der Punkte, die ich jungen Sängern versuche klarzumachen: Du solltest deine Musiker respektieren, weil dann können sie dir auch helfen, das zu erreichen, was du erreichen willst.

Zitiert

Es gibt viele Jazz-Musiker, die keine Noten lesen können. Trotzdem schreiben sie Songs, sie tun das auf ihre eigene Art und Weise.

Dee Dee Bridgewater

Sie haben mit „Red Earth“ ein Album veröffentlicht, auf dem Sie sich mit Ihren afrikanischen Wurzeln beschäftigen. Nach Ihrem Konzert in Berlin haben Sie zum Publikum gesagt: Geht und findet eure Wurzeln. Wie finde ich denn meine eigenen Wurzeln?
Bridgewater: Ich weiß nicht, wie Sie sie finden können. Sie sind aus Deutschland?

Ja.
Bridgewater: Und Ihre Eltern…

Mein Vater kommt aus Königsberg, dem heutigen Kaliningrad.
Bridgewater: Fühlen Sie sich ganz als Deutscher?

Ich habe da kein konkretes Gefühl…
Bridgewater: …und genau das war auch mein Problem, ich hatte dieses Gefühl auch nicht. Ich wusste nur, wenn ich als Schwarze in Amerika Anerkennung finden will, dann muss ich immer ein bisschen besser sein als mein weißes Gegenüber. Und wenn du als Schwarzer in den USA einmal ein bisschen Erfolg hast, dann ist es die Regel, dass du weiter in die weiße Community vorstößt um dich zu integrieren. Wenn du aber einmal damit anfängst, dann verlierst du deinen Sinn für Identität. Um dort erfolgreich zu sein, müssen wir unseren weißen, weiblichen Kontrahenten ähneln. Eine schwarze Frau mit glatten Haaren wird eine größere Chance haben, eingestellt zu werden, als eine Schwarze mit Afrolook oder Dreadlocks. Weil das erinnert die Weißen daran, dass du schwarz bist und dass du vielleicht etwas mit Afrika zu tun hast. Dass du anders bist, dass da ein kultureller Unterschied ist. Um uns anzupassen haben wir so viel versucht, dass wir unsere eigene Identität verloren haben.

Diese wollen Sie nun finden….
Bridgewater: Ich finde dass wir alle – egal welche Hautfarbe wir haben – in der heutigen Zeit der Globalisierung immer mehr den Sinn für unsere eigene Identität verlieren. Deshalb fragen sich inzwischen viele Leute: Wer bin ich, wo komme ich her, was sind meine Wurzeln? Ich kann nur sagen, seit ich versuche, meine afrikanischen Wurzeln zu finden habe ich ein besseres Verständnis davon, wer ich bin. Ich bin im Großen und Ganzen ein Spiegel der Geschichte der USA. Ich habe Blut amerikanischer Ureinwohner, chinesisches, irisches und deutsches Blut, meine Großmutter väterlicherseits war vermutlich aus Äthiopien…

Geht es beim Jazz, beim Spielen und Singen, nicht auch generell darum, über die eigenen Wurzeln nachzudenken?
Bridgewater: Nein, das würde ich nicht sagen. In dem Moment geht es einfach nur um die Musik. Du versuchst, eine Art musikalische Gemeinschaft aufzubauen, mit den anderen Musikern. Ich denke, da macht sich niemand Gedanken über seine Wurzeln, weil in dem Moment spielst du einfach. Du versuchst, diese Konversation zu führen und gleichzeitig mit den Zuhörern zu kommunizieren. Nein, auf der Bühne denkst du darüber nicht nach.

Aber es wird nicht selten behauptet, um Jazz zu spielen, bräuchte man gewisse Wurzeln.
Bridgewater: Das interessiert mich nicht.
Wissen Sie, ich bin egoistisch geworden. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich andere Leute bedient. Ich habe versucht, den traditionellen Vocal-Jazz am Leben zu erhalten, die Tradition fortzuführen. Ich habe Tribute-Alben gemacht, ich habe bis vor zehn Jahren Theater gemacht. Aber ich wollte mich nicht wirklich einordnen: ich bin Schauspielerin, Sängerin, jetzt produziere ich auch, habe mein eigenes Label. Ich interessiere mich für mich selbst. Und ich möchte, dass ich am Ende meines Lebens in Frieden mit mir selbst bin. Und dazu gehört das Finden meiner afrikanischen Wurzeln und meiner echten Stimme. Mir hat das geholfen, mich ganz zu fühlen. Das ist ein wunderbares Gefühl. Ich bin nicht mehr die Person, die nur immer noch eine weitere Platte machen und dann Konzerte geben muss. Sondern ich habe einen Grund, zu existieren. Alles ist aus einem bestimmten Grund geschehen. Ich fühle mich erfüllt, weil sich für mich der Kreis geschlossen hat. Ich habe meine Stimme gefunden.

Apropos Stimme: Können Sie mir erklären, warum Stimmen von Frauen wie June Christy oder Peggy Lee so anders klingen als die von Ella, Billie Holiday oder Dee Dee Bridgewater?
Bridgewater: Sie meinen, ob ich den Unterschied zwischen weißen und schwarzen Sängerinnen erklären kann?

Ähm, ja.
Bridgewater: Es sind unsere kulturellen Unterschiede. Wir haben verschiedene Backgrounds. Wir haben unterschiedliche Lebensstile. Besonders die Frauen der damaligen Zeit wie Billie Holiday oder Ella Fitzgerald, die mussten sehr viel Rassismus erleben. Jeden verdammten Tag. Wir konnten nicht durch den Vordereingang in den Klub reingehen, sondern wir mussten durch die scheiß’ Küche. Wir konnten in einem Weißen-Klub spielen, aber wir durften nicht in einem Weißen-Hotel übernachten. In den 30ern und 40ern haben schwarze Familien ihre Zimmer an reisende schwarze Musiker vermietet. Weil wir nicht ins Hotel durften, und Schwarzen-Hotels waren nicht erlaubt. Deswegen kommen unsere Stimmen von einem ganz anderen Ort. Der weiße Sänger hat vielleicht auch Armut erlebt, oder eine harte Kindheit gehabt. Aber wir sind zwei verschiedene Kulturen.

Sie haben in einem Interview beklagt, die Musikindustrie fördere in erster Linie weiße Jazz-Musiker.
Bridgewater: Wenn Sie sich angucken, welche Künstler im Jazz groß vermarktet werden, dann sehen Sie keine Menschen mit Hautfarbe mehr. Gehen Sie doch mal in einen Plattenladen – es ist alles weiß!

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Bridgewater: Die USA haben eine sehr besondere Geschichte. Dieses Land wollte nie den Horror zugeben, der durch die Sklaverei geschehen ist. Das ist wie in Deutschland, wo Sie mit der Nazi-Vergangenheit klarkommen müssen. Die Amerikaner wollen aber nichts von diesen Fakten ihrer Geschichte wissen. Auch nicht davon, dass sie den Ureinwohnern Land gestohlen haben und sie „Indianer“ genannt haben, weil Christopher Columbus sich komplett verirrt hat und dachte, er wäre in Indien. Die Ureinwohner mussten dann viele Jahre dafür kämpfen, so genannt zu werden, wie sie heute genannt werden: Native Americans.
Also, dieses Land will diese schrecklichen Dinge einfach nicht zugeben: Stattdessen wollen sie immer die weiße Entsprechung zu dem finden, was der Schwarze macht. Dann können sie es uns wegnehmen, es vermarkten – und dann sind sie glücklich.

Eine Schlussfrage: Es könnte sein, dass in Zukunft sowohl Deutschland als auch Frankreich und die USA von Frauen regiert werden – glauben Sie, mit Frauen an der Macht wird die Welt ein bisschen friedlicher?
Bridgewater: Ja, ich denke, das könnte so sein. Weil Frauen sind mehr instinkt-geleitete Menschen. Als Mutter musst du auch eine Familie zusammenhalten, die Frau hat daher generell eine ganz andere Einstellung zum Leben. Wir waren den Männern immer untergeordnet. Wir verstehen es, zweite Klasse zu sein. Wir haben ein besseres Verständnis für Arbeiter und Menschen, die sich durchkämpfen müssen. Bis vor 50 Jahren konnten wir ja gar nicht in Chef-Positionen gelangen. Und heute, wo wir Frauen solche Stellen bekommen, kriegen wir trotzdem nicht den gleichen Lohn wie die Männer. Also, all dieses Macho-Gehabe …
Ja, ich denke, Frauen würden besser sein. Wir sind bessere Vermittler, wir sind viel feinfühliger. Aber es hängt natürlich auch von der einzelnen Frau ab. Ich weiß nicht, ob diese Ségolène Royal besser ist als Sarkozy – es sind ja immer auch noch Menschen wie du und ich. Und da kommt man zu der Frage: Hat die Person einen guten Charakter oder macht sie das nur für die persönliche Genugtuung? Aber dennoch, ich denke, wir Frauen sind feinfühliger und haben das bessere Gespür.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.