Frank, warum stehst du eigentlich zu Beginn des Videos zum Song „Tic Toc“ aus einem Sarg auf?
Dellé: Mir war klar, dass dieses Bild erstmal ein Hingucker ist. Man überlegt kurz worum es bei dem Song gehen könnte. Die Idee kam vom Regisseur, der den Text interpretiert hat: „You feel young, but your body seems to fall apart, you’re damn rich, but your health is a desaster.“ Sprich, man fühlt sich jung, aber der Körper droht auseinander zu fallen.
Du siehst aber ehrlich gesagt nicht so aus, als hättest körperlich abgebaut…
Dellé: Oh, danke. Ich versuche mich bei „Tic Toc“ etwas über die Art und Weise wie wir, mich eingeschlossen, hierzulande mit dem Älterwerden umgehen, lustig zu machen. Da passte Gentleman, der auch wie ich über 40 ist und es natürlich auch musikalisch mit dem Patois (Jamaikanischer Dialekt) drauf hat, ganz gut. Mit einem 25-jährigen wäre das nicht so authentisch gewesen.
Mit Mitte 40 erwischt viele Männer die Midlife-Crisis,…
Dellé: Ich bin in keiner Midlife-Crisis. Ich hatte und habe immer noch ein sehr glückliches Leben und finde jede Phase sehr spannend. Inzwischen erlebe ich auch, wie sich der Fokus, von mir auf meine Kinder verschiebt. Vorher hat sich das Leben ja nur um einen selbst gedreht. Jetzt geht die Energie auch auf andere Dinge.
Und Seeed befinden sich hoffentlich auch nicht in der Midlife-Crisis? Die Pause seit dem letzten Album 2012 ist ja schon recht lang…
Dellé: Nein, auch da gibt es keine Midlife-Crisis. Ich finde die Pausen auch nicht lang. Seeed ist ehrlich gesagt die Band mit der ich alt werden will.
Heißt das auch, dass du mit Party-Musik alt werden willst?
Dellé: Das schöne bei Musik ist ja, dass du damit immer verschiedene Lebensabschnitte festhalten kannst. Unsere Lebenserfahrungen werden immer in die Musik einfließen. „Dickes B“ wie wir es damals geschrieben haben, werden wir ja so nicht wiederholen.
Aber Seeed machen nach wie vor Partymusik, oder?
Dellé: Ein Song wie „Deine Zeit“ ist nicht unbedingt Party Mucke, aber the party must go on till it´s over. Wir werden auf Konzerten immer auch die alten Stücke spielen bei denen das Entertainment im Vordergrund steht.
Könnte Seeed politischer werden?
Dellé: Es ist kein Tabu politische Statements abzugeben, aber tendenziell müssen wir uns nicht auf die Bühne stellen und sagen: „Rassismus ist scheiße.“ Wenn man auf einem Seeed-Konzert war, weiß man spätestens danach, dass Rassismus scheiße ist.
Im Moment bewegen uns auch viele anderen Themen. Ob das bei Pierre die eigene Drum-Schule oder bei mir jetzt die Kinder zuhause sind, unsere Musik wird immer von dem beeinflusst, was wir gerade so als Privatmenschen erleben. Einiges davon hat mehr bei den Solo-Projekten Platz.
Zum Beispiel?
Dellé: Zum Beispiel ein Song wie „Why did you lie“, wo es um die Angst geht, die tolle Lebenssituation, die ich habe, zu verlieren; dass ich mit einem kleinen Fehler dieses Glück zerstören könnte. Das ist etwas sehr Persönliches – warum sollten wir mit Seeed so einen Song schreiben? Genauso wie bei „Ich Steine, Du Steine“ von Pierre/Peter Fox, da geht es einfach um ganz persönliche, zwischenmenschliche Dinge.
Bei Seeed gibt es keine Midlife-Crisis.
Gibt es für dich bestimmte Orte, die dich beim Musikmachen besonders inspirieren? Ist Berlin nach wie vor eine Inspiration?
Dellé: Journalisten schreiben ja gerne so etwas wie „Berliner Sound“. Es ist aber eigentlich viel unromantischer, für mich ist es erstmal Arbeit: Man sitzt im Studio und arbeitet – und wenn es fertig ist kommt jemand und meint, das sei der „Berliner Sound“. Die Leute haben halt gerne ihre Schubladen wo sie etwas reinstecken können.
Für dich ist also egal, wo du Songs schreibst?
Dellé: Ja. Dieses „ich fahre jetzt nach Jamaika, um ein geiles Reggae-Album aufzunehmen“, dafür war ich nie der Typ. Songs zu schreiben ist Arbeit – und mein Arbeitstag fängt um 11Uhr an. Dann gehe ich ins Studio, da habe ich meine Ruhe und ich brauche nicht irgendwelche Palmen oder geile Weibs um mich herum.
Wie verläuft die Zusammenarbeit mit deinem Produzenten Guido Craveiro?
Dellé: Guido hat sein Studio in Köln, bei ihm entstehen alle Instrumentals, die Gesänge und Texte kommen dann von mir aus Berlin und wir schicken uns das hin und her.
Du bist gelernter Filmtoningenieur. Brauchst du da noch jemanden, der den Sound abmischt?
Dellé: Ja. Da ist jeder Bereich so speziell – ich habe gute Ohren aber ich lasse das lieber jemanden anderes machen und sage dann ob es passt oder ob noch etwas verbessert werden muss. Am Anfang wollte ich immer alles selber machen, aber man lernt ja auch, sich zu reduzieren. Lieber habe ich dann gute Leute um mich herum, die sich auf ihren Bereich konzentrieren. Das gibt dem Ganzen am Ende die Qualität.
Bei der Produktion der Seeed-Alben mischen inzwischen nicht nur die Bandmusiker mit, sondern zum Beispiel auch andere Songtexter…
Dellé: Ja, seit dem letzten Album haben wir versucht, mit Native-Speakern unsere Texte und Melodien zu optimieren.
War das ein schwieriger Schritt?
Dellé: Ja, logisch. Wir sind ja schon drei Frontleute, drei Sänger, die was zu sagen haben. Da musst du es erstmal hinkriegen, dass die Aussage eines Songs bestehen bleibt und nicht zerpflückt wird. Und wenn nach zehn Jahren dann auf einmal fremde Leute dazukommen – natürlich war das schwer. Auf der anderen Seite: Es wäre dumm, wenn man sich keine Hilfe nimmt. Wir haben jetzt gewisse Möglichkeiten, die wir früher nicht hatten und wenn man sich bei bestimmten Dingen professionelle Hilfe holt, kann einen das auch weiterbringen. Ich fand diese Addition zum Teil echt gut und ich habe dadurch auch nette Leute kennengelernt.
Ist ein Grund für den massiven Erfolg von Seeed auch, dass ihr euch rar macht?
Dellé: Ich glaube schon. Ich finde es gibt zu viel Ausverkauf. Wenn du gute Qualität machst und das auch noch gut dosierst, ist das auf jeden Fall besser. Es soll natürlich trotzdem Spaß machen. Wir halten uns ja jetzt nicht künstlich zurück, dahinter steckt kein Konzept.
Es gibt leider einige Bands, wo ich denke: „Mann, schon wieder ein Album, und noch eins, und noch eins – jetzt ist aber gut.“ Das nutzt sich dann ab. Ich finde es auch gut, zu warten, bis man wieder geile, neue Songs hat.
Wenn man als Frontmann einer so erfolgreichen Band ein Solo-Projekt startet, steht man dann unter Erfolgsdruck?
Dellé: Ich hatte nicht das Gefühl, jetzt ein unglaublich erfolgreiches Album produzieren zu müssen. Wenn ich das gewollt hätte, dann hätte ich ja auch kein englisches Reggae-Album auf Patois gemacht, sondern würde wohl eher auf Deutsch singen und versuchen R’n’B zu machen – was die Leute hier halt so hören. Ein englisches Reggae-Album in Deutschland ist so als wenn ich ein deutsches Heavy-Metal- Album in Ghana veröffentlichen würde.
Also vor allem ein Leidenschafts-Projekt?
Dellé: Ja, wobei ich trotzdem weiß, das ich eine Single brauche, damit die Leute es überhaupt wahrnehmen. Mir ist auch klar, dass es eine Rolle spielt ob ich auf Platz 11 oder Platz 10 der Charts lande. Damit die Leute es wahrnehmen muss es im Radio laufen. Deswegen spielen solche Parameter für mich auch eine Rolle.
Als Jazz-Musiker braucht man Swing, als Rapper Flow und ’street credibility‘ – was braucht man für Reggae?
Dellé: Ehrlich gesagt kann ich das gar nicht richtig beurteilen. Zu Reggae bin ich über Bob Marley gekommen. Das, was für andere die Beatles oder die Rolling Stones waren, das war für mich Marley. Mit dem bin ich groß geworden, aus der ghanaischen Perspektive, nicht aus der europäischen. Da war ich so acht oder neun Jahre alt und nun kam da einer aus Jamaika, mit Dreadlocks – was man in Ghana auch nicht unbedingt kannte – und hat über Afrika gesungen. Jemand der sagte: Das ist der Ort wo ich herkomme, ich wurde versklavt und will hierher zurück. Das war wie Punk und er hat die Wahrheit gesagt.
Und die europäische Perspektive auf Reggae war eine andere?
Dellé: In Deutschland hat man das ganz anders wahrgenommen, da war Reggae Summer-Sunshine-Musik, positiv, Kiffen – dieser Aspekt hat in Ghana überhaupt keine Rolle gespielt. Sondern wir haben das als Rebel-Music rezipiert. Da ist jemand, der sich auflehnt. Und Marihuana geraucht haben sie um Sachen zu sagen, die sie sich sonst nicht trauten, wenn sie sich gegen das korrupte System auflehnten. Dieses ganze Konzept hat mich begeistert, Musik zu machen und damit seine Meinung zu sagen. Damit bin ich mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen. Ich habe immer versucht, meine Geschichte über das Vehikel dieser Musik zu transportieren. Meine Geschichte war nicht die Sklaverei oder Rassismus. Aber es ging auch um Unterdrückung. Ich glaube, einer meiner ersten Texte handelte davon, dass ich mein Zimmer nicht aufräumen wollte nur weil meine Mutter es befahl (lacht).
Wie war dein Verhältnis zum Rastafari-Kult, also zu dieser Religion?
Dellé: Ich habe mich mal ein bisschen damit beschäftigt, und schnell gemerkt, dass ich mich damit nicht identifizieren konnte.
Ich kann aber gut verstehen warum so eine Religion in einem Land wie Jamaika unter den Nachfahren der Sklaven entstehen kann und dass sie für viele Menschen sehr wichtig für Ihre Identität ist. Ich bin in Ghana, da wohin sie wieder zurück wollen, aufgewachsen und habe einen natürlichen Bezug zu Afrika. Reggae hat mich aber vollkommen losgelöst von Rastafari als Musik fasziniert.
Obwohl ich zugeben muss, dass die Stärke die durch eine gewisse Spiritualität entsteht trotzdem faszinierend ist.
Nochmal zu den Voraussetzungen: Könnte zum Beispiel – um mal ein Klischee zu bemühen – ein Teenager, der in einer deutschen Kleinstadt im Reihenhaus aufwächst, Reggae-Musiker werden?
Dellé: Ja, davon bin ich total überzeugt. Mit solchen Sichtweisen wie „du hast den Rhythmus im Blut“ oder „white man can’t dance“ kann ich nichts anfangen – weil ich gesehen habe, dass es einfach nicht stimmt. Ich habe in Nord-Ghana Weiße gesehen, die im dortigen Dialekt sprachen weil sie dort groß geworden sind. Und genauso kennt man Schwarze in Bayern die mit einem bayerischen Akzent sprechen. Es steckt alles in uns allen drin. Letztens sah ich wieder in einer Casting-Show eine 13-Jährige, die wie Whitney Houston gesungen hat – und sie war weiß und hatte blonde Haare. Sie ist in unserer globalisierten Welt damit aufgewachsen.
Als ihr mit Seeed in Brasilien aufgetreten seid, hast du in einem Interview gesagt: „Ich glaube nicht, dass eine Reggae-Band dem Deutschen-Bild eines Brasilianers entspricht.“ – Welche Klischees über die Deutschen stimmen deiner Meinung nach?
Dellé: Ach, entweder schwingen die Leute über die Deutschen die Nazi-Keule, oder die Technik-Keule….
Aber welches Klischee kannst du bestätigen?
Dellé: Wahrscheinlich ist an jedem Klischee etwas Wahres dran, denn irgendwoher kommen die Klischees ja auch. Andererseits: Ich kenne so viele Deutsche, die überhaupt nicht deutsch sind. Deswegen glaube ich nicht an Klischees.
Hast du noch nie jemandem hinterhergerufen „Typisch deutsch!“?
Dellé: Nö! Also, zum Beispiel Bürokratie: Man würde ja eigentlich sagen, dass dieses Bürokratische, dass du von Amt zu Amt rennen musst und es ewig dauert – dass das typisch deutsch ist. Aber da kann ich sagen, dass es in Ghana viel schlimmer ist. Wenn du in Accra auf einem Amt irgendetwas besorgen willst – vergiss es!
Manches ist vielleicht typisch deutsch, vielleicht auch die Bürokratie. Aber es gibt auch immer sehr viele Gegenbeispiele. Die Menschen sind halt sehr unterschiedlich, da ist es egal welche Hautfarbe sie haben und von wo sie herkommen. „Die Amis sind alle oberflächlich“ – das ist so ein Bullshit-Klischee!
Aufgrund der Fußball-EM ist die Deutschland-Fahne wieder sehr präsent im deutschen Alltag. Löst die Fahne etwas bei dir aus?
Dellé: Ich freue mich, dass wir sie den Rechten weggenommen haben. Wenn früher jemand die schwarz-rot-goldene Fahne im Garten gehisst hat, hat man gleich gesagt: Was ist das für ein Nazi! Das ist jetzt nicht mehr so.
Aber was hältst du von diesem Nationalgefühl, das in Deutschland momentan wieder zunimmt?
Dellé: Menschen – und damit schließ ich mich mit ein – brauchen eine Identität. Ein Zugehörigkeitsgefühl. Überall auf der Welt. Sie wollen sich abgrenzen, um dadurch besonders zu sein. Wir sind diese beschränkten Wesen, die diese reduzierten Eckpfeiler in irgendeiner Form brauchen. Je mehr der Druck von außen steigt, desto stärker rotten wir uns in unserer gewohnten Umgebung zusammen. Das ist jetzt nichts typisch Deutsches, sondern so sind die verdammten Menschen.
Das Problem ist, dass wir aus unseren Fehlern nicht lernen und in Notsituationen immer wieder zu den Neandertalern werden, die wir eigentlich immer geblieben sind.
Es ist erschreckend. Aber so ist es.
Da findet also auch nicht so etwas wie Evolution statt?
Dellé: Nein, das ist im Moment nur der Deckmantel des Friedens. In Wirklichkeit haben wir uns nicht weiterentwickelt, wir sind noch genau die gleichen Tiere, wie früher. Ich glaube, sobald dieser Deckmantel aufreißt,verhalten wir uns genauso wie vor Millionen Jahren. Klar haben wir uns theoretisch mit Themen auseinandergesetzt, das vergessen wir aber, sobald es uns an den Kragen geht. Ich sehe das zum Beispiel wenn ich die Kinder in die Kita bringe. Wenn diese unbescholtenen Wesen, die eigentlich noch nichts im Kopf haben, anfangen sich gegenseitig zu unterdrücken. Da müssen wir Eltern dann natürlich sagen „das macht man nicht, du haust dem nicht einfach eine runter“, wir brauchen auch diese Regeln um miteinander klar zu kommen. Aber wenn man dem einfach freien Lauf lassen würde, dann…. Ach, jetzt klinge ich so pessimistisch.
Kann denn ein Künstler trotzdem etwas zur Verständigung beitragen?
Dellé: Ja klar. Er kann immer wieder darauf hinweisen dass wir das nicht tun dürfen, dass wir unseren natürlichen Trieben nicht einfach freien Lauf lassen, sondern dass wir uns achten müssen, den anderen zu respektieren der eine andere Meinung hat und dass wir auch auf die Umwelt achten müssen.
Noch ein anderes Thema: Du hast schon öfter erzählt, dass du noch nie gekifft hat. Ist dir das Thema Legalisierung dennoch wichtig?
Dellé: Ich werde immer wieder dazu gefragt, aber ja, ich bin auf jeden Fall für eine Legalisierung (von Marihuana). Dieses Verbot ist wirklich Quatsch, vor allem wenn man sich dagegen den ganzen legalen Alkohol-Konsum anschaut der in Deutschland passiert.
Dass ich selbst nicht kiffe hat damit zu tun, dass ich gerne Klischees breche. Es hat mich mehr angespornt wenn jemand erstaunt zu mir gesagt hat: „Was, du hast noch nie gekifft?“. Wenn ich es auch nur einmal gemacht hätte, wäre dieses Ding ja schon hinfällig. Ich habe wahrscheinlich früher mehr passiv gekifft, da ich oft von Kiffern umgeben war (lacht).
Würdest du die Legalisierung in einem Song thematisieren?
Dellé: Ich habe noch nie „Legalize it“ gesungen und würde jetzt auch keinen Song gegen oder für Marihuana machen, das wäre mir viel zu platt. Aber wir haben ja in „Sensimilia“ darüber gesungen, den Song finde ich total geil. Die Art und Weise wie Pierre das im Text beschreibt ist einfach sehr kunstvoll.
Zum Schluss: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Dellé: Lucky Luke. Ich reite so durchs Leben und frage mich womit ich das eigentlich alles verdient habe. Dann denke ich aber: „Yeah – Jackpot!“ Genieß es, bis es vorbei ist. Rock the fuckin’ shit before you grow old!
Dellé on Tour:
Festivals
03.07.2016 Köln | Summerjam
24.07.2016 Karlsruhe | Das Fest
13.08.2015 Ch-Zofingen | Heitere Open Air
26.08.2016 Ch-Glarus | Sound of Glarus
Road to Neo-Tour
03.11. München | Ampere
04.11. Leipzig | Werk2
06.11. Aschaffenburg | Colos Saal
08.11. Berlin | PBHFCLUB
09.11. Hamburg | Gruenspan
10.11. Köln | Kantine