In Gedenken an den Musiker Demba Nabé alias Boundzound veröffentlichen wir ein Interview, das Daniel Schieferdecker 2010 mit Demba geführt hat. Anlass war damals sein zweites Solo-Album „Roothouse“ – welches dann allerdings erst ein Jahr später unter dem Titel „Ear“ erschien.
Demba, du hast in einem älteren Interview mal gesagt, dass Boundzound dafür stände, verschiedene Genres miteinander zu verbinden und sich nicht nur auf ein Genre festlegen zu müssen.
Genres gibt es nur von der Wirtschaft aus, damit man es irgendwie verkaufen kann. Als Musiker kenne und denke ich so nicht. Genres kenne ich nur als Idee, um in ein Kaufhaus gehen zu können und eine Vorstellung davon zu haben, was ich zum Beispiel unter dem Begriff HipHop finden kann. Das ist eine Idee, die dafür entwickelt worden ist, dass man etwas anbieten und konkretisieren kann. Für mich als Musiker hat das aber nichts mit der Entstehung eines Songs zu tun. Ich betrachte Songs nach dem Gefühl, das sie transportieren, weil das die essenziellste Ansage ist. Davon ausgehend ergibt sich alles andere. Der Sound sollte bloß unterstützen, was man ausdrücken möchte – und zwar auf möglichst unterhaltsame Art und Weise.
Dann gab es seit der letzten Platte auch keine bestimmten Einflüsse, Stile oder Spielarten, die dich besonders geprägt oder inspiriert haben?
Beeinflusst hat mich alles, was mich in dem jeweiligen Moment umgeben hat. Ich habe die Platte ja unter anderem in L.A. und Westafrika produziert, sodass ich viel Musik von dort in mich aufgesogen habe – zum Beispiel aus Mali und Kenia. Ich habe aber auch viel Rap und Dancehall gehört.
Du versuchst also, die Stimmung und Vibes aufzusaugen, die um dich herum sind, um daraus dein künstlerisches Werk zu basteln?
Ja. Das ist immer ein selbstverständlicher Input, weil einem eben auch immer viel begegnet und viel passiert. Gerade wenn man unterwegs ist. Und mehr braucht man eigentlich auch nicht.
Du hast für die Platte „Roothouse“ produziert, die Texte geschrieben, gesungen, das Cover gestaltet. Es schien dir sehr wichtig gewesen zu sein, all diese einzelnen Bereiche selbst abzudecken. Warum?
Einerseits ist das so, andererseits habe ich natürlich auch wieder mit vielen verschiedenen Leuten zusammengearbeitet. Die Fotos für das Artwork hat beispielsweise wieder derselbe Typ gemacht, der auch schon bei der letzten Platte dafür verantwortlich war. Ich mag es, mit Leuten zusammenzuarbeiten, mit denen man bereits ein gegenseitiges Verständnis für die Arbeit des Anderen entwickelt hat. Aber ich habe natürlich auch eine klare Vorstellung von allem, mache auch viel selbst und möchte auch gerne viel von dem zeigen, was ich mache. Gerade, was jetzt auch meine Bilderwelt angeht, die es in der Öffentlichkeit bisher ja noch nicht gab. Das ist auf jeden Fall eine gute Präsentationsfläche.
Wie schwierig war es, zum einen deine eigenen musikalischen Vorstellungen umzusetzen und gleichzeitig auch die Kreativität anderer Leute dafür zu nutzen, Boundzound wachsen zu lassen?
Es gibt natürlich immer auch mal Schwierigkeiten, aber im Grunde genommen macht diese Herangehensweise alles einfacher. Man schafft sich eben auch andere Blickwinkel, die einem neue Wege aufzeigen, wenn es mal nicht weitergeht. Ich selbst habe immer eine relativ klare Vorstellung davon, was ich will. Gleichzeitig weiß ich aber, dass die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, kluge Köpfe sind, und ebenfalls klare Vorstellungen haben. Daher gebe ich mir immer Mühe, ein guter Zuhörer zu sein und deren Vorstellungen in meine Welt zu übersetzen, damit ich es richtig verstehen kann. Dann denke ich darüber nach, komme oft zu einem anderen Ergebnis, schicke diese Idee dann wieder zurück, und so nähert man sich ständig an, bis beide Seiten irgendwann zufrieden sind.
Du hast eben erzählt, dass du viel unterwegs gewesen bist. War es so, dass du unterwegs gewesen bist und dir daraus dann Input für die Platte gezogen hast oder bist du tatsächlich in Hinblick auf die anstehende Platte herumgereist?
Ich bin privat herumgereist und habe Freund und Familie besucht. Weil ich dort aber immer weitergearbeitet habe, sind die Songs eben entsprechend anders geworden. Ich höre daher auch an der Gesamtheit jedes einzelnen Songs, in welcher Umgebung der entstanden ist.
Wie kommst Du auf die inhaltlichen Ideen zu Deinen Songs?
Das hat mit dem Gesamtgeschehen zu tun, das mich mehr inspiriert als andere Musik: Zwischenmenschliches, Kulturelles, Politisches, Philosophisches – das waren Dinge, die in die Songs eingeflossen sind.
Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du am Anfang schon eine bestimmte Idee, wie eine Platte klingen soll. Nun bist du aber viel herumgereist, hast viel aufgenommen, und dadurch werden sich deine anfänglichen Vorstellungen doch sicherlich auch wieder verändert haben, oder? Sprich: Die Platte klingt jetzt doch sicherlich anders als deine anfängliche Vision davon.
Das ist ja immer ein fließender Prozess. Ich plane ja auch kein Konzeptalbum nach einem bestimmten Rezept. So ein Album fängt eben an, dann entwickelt es sich und ist dann irgendwann fertig. Und der Fluss ist da dringeblieben. Der rote Faden in so einem Album ist immer die Tatsache, dass man am Kern der Zeit bleibt und den jeweiligen Augenblick einzufangen versucht. Und das ist mir ganz gut gelungen. Das ist ja fast schon eine meditative Idee, diesem einen Moment mit jedem Song und mit jeder Platte immer näherzukommen – wie so ein Filmemacher. Der Regisseur Takeshi Kitano hat in einem Interview mal gesagt, dass er gerne mal einen Film machen würde mit nur einem Bild. Das finde ich eine grandiose Idee, die diesen Versuch der Nähe zum Hier und Jetzt ganz gut beschreibt, die ich mit meiner Kunst auch immer einzufangen versuche. Und wenn man das schafft, dann hat man eine runde Platte gemacht.
Hast du das Gefühl, dass es dir bei dieser Platte noch besser gelungen ist, den Moment einzufangen, als auf dem Album davor?
Nein. Die Platte davor stammt eben aus einer anderen Zeit, hat dort aber auch den jeweiligen Moment eingefangen. Dadurch, dass von den umstehenden Parametern damals alles ganz selbstverständlich serviert worden ist, hat sie sogar dazu geführt, dass ich für die neue Platte nun so viel unterwegs war und die Platte dadurch so anders geworden ist. Das letzte Album ist in einer relativ kurzen Phase an einem Ort entstanden, und die neue Platte ist nun eben über einen längeren Zeitraum in mehreren Teilen der Welt entstanden. Deswegen erzählt sie aber eben auch eine ganz andere Geschichte.
Ist die Platte dann inhaltlich auch vor allem durch deine Reisen gelenkt worden?
Ja, definitiv. Die Songs erzählen immer konkret davon, was gerade passiert ist – allerdings immer mit dem Anspruch, dass es auch Leuten zugänglich wird, die gar nicht dawaren und nichts davon kennen.
Man hat bei den Songs auf der Platte den Eindruck, dass die sehr nah an dir dran sind und du dich beim Schreiben sehr stark vom Gefühl hast leiten lassen. Stimmt der Eindruck?
Vom Lebensgefühl vielleicht. Aber auch vom Verstand und vom Körper. Denn ich tanze gerne, ich denke aber auch gerne nach, und ich fühle auch gerne – und auch nicht gerne. Da steckt eben alles drin. Und wenn das Lebensgefühl mal nicht so gut ist, dann steckt da immer auch noch die Information drin, auf eine möglichst coole Art damit umzugehen.
Gab es denn ein Gefühl, dass dich über die komplette Produktionsphase begleitet hat?
Vielfalt wäre so ein übergeordneter Begriff. Regenbogenvielfalt.
Auf dem Stück „Love Loaded Gun“ bringst du die beiden Gegensatzpaare Liebe/Leben und Hass/Tod zusammen. Wie ist die Idee zu dem Song entstanden?
Da war ich mit Freunden auf dem Land. Und in der heutigen Zeit, in der man mit Negativinformationen bombardiert wird, ist das als selbstverständliche Aussage aus meinem Kopf ausgespuckt worden. Man kann auch wie ein Springbrunnen gute Sachen explodieren lassen, sodass die negative Konnotation von „Gun“ ins Positive übersetzt wird – als wenn man durch die Wüste läuft, eine fette Pumpgun dabei hat, Löcher in den Boden schießt und plötzlich Pflanzen und Brunnen daraus in die Höhe schießen. Es entsteht etwas. Das wäre mein Clip dazu.
Der Tanzaspekt scheint dir auf dem neuen Album ebenfalls wieder sehr wichtig gewesen zu sein. James Brown hat mal gesagt „The one thing that can solve most of our problems is dancing.“ Glaubst du daran?
Ja, wenn man davon ausgeht, dass atmen unsere körperliche Grundlage ist; auch davon, wie man denkt und sich bewegt. Aber es ist schwierig, irgendetwas in den Vordergrund zu rücken. Das ist so ein Trinity-Paket.
Auf deinem ersten Album waren zwei von zwölf Stücken noch auf Deutsch, diesmal ist die komplette Platte auf Englisch gehalten. Hast du dir das im Vorfeld bewusst überlegt oder ist das einfach so passiert?
Das Unterwegssein war der Grund, weil alles viel internationaler war. Ich war ja fast nur an Orten, an denen ich Englisch gesprochen habe. Ich denke dann auch in Englisch, wenn ich da bin.
Gibt es Songs auf der Platte, die für dich aus dem einen oder anderen Grund wichtiger sind als andere?
Ja, „Twilight“, weil es diesen Punkt, an dem es nicht Twilight ist, ja gar nicht gibt. Die Sonne bewegt sich ja im Kreis. Dieses Gefühl von Zenit, durch den wir die Sonne überhaupt erst wahrnehmen, das kommt ja vom Menschen. Eigentlich passiert ja permanent das Gleiche. Deshalb ist das der Song, der das Album ganz gut widerspiegelt. Der steht für dieses Im-Fluss-bleiben.
Warum steht dieser wichtige Song dann ausgerechnet am Schluss?
Weil man damit dann am besten wieder von vorne anfangen kann. Das ist der beste Moment, um wieder neu anzufangen.