Diablo Cody, wie haben Sie von Ihrer Oscarnominierung für das Drehbuch von „Juno“ erfahren?
Cody: Ich war zu der Zeit mit einer Freundin in New York. An jenem Morgen war ich eigentlich viel zu müde, aber sie weckte mich: „Willst du nicht sehen, wer nominiert wird?“ Ich gähnte und dachte, ach, ich weiß nicht… Wir machten den Fernseher an. Als sie sagten, dass Jason Reitman als bester Regisseur nominiert sei, war das wirklich eine Überraschung, mit der vorher niemand gerechnet hatte. Ich wurde verrückt vor Freude, wälzte mich auf dem Boden und schrie so laut, dass ich meine eigene Nominierung verpasste. Als ich mich wieder beruhigt hatte meinte meine Freunde: „Sie haben gerade deinen Namen gesagt.“
Sie haben als Stripperin gearbeitet, von ihrem Arbeitsalltag in einem Internet-Blog berichtet, einer ihrer Leser war Produzent und schlug Ihnen vor, es doch mal mit einem Drehbuch zu versuchen. Eine Karriere, die sich kein Autor besser ausdenken könnte.
Cody: Was die Geschichte so fantastisch macht, ist nicht so sehr die Strippersache, sondern, dass „Juno“ mein erstes Drehbuch ist. Es ist schon mal unwahrscheinlich, sein erstes Drehbuch überhaupt verkaufen zu können. Dass es dann auch noch von einem Regisseur wie Jason und einer Schauspielerin wie Ellen Page realisiert wurde, war auch ohne Oscarnominierung kaum zu fassen. Das alles bekommt mein Verstand noch immer nicht so nicht so recht in den Griff. Ich hatte verrückt viel Glück.
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Cody: Ich habe Geschichten schon mein ganzes Leben lang erzählt. Ich wache jeden Tag auf und schreibe Geschichten, Essays oder Kritiken zu neuen Platten, die ich gerade gekauft habe. Ich liebe es einfach, zu schreiben.
Wie Sind sie dann darauf gekommen, in Ihrem ersten Drehbuch von einer 16jährigen Schwangeren zu erzählen?
Cody: Ich wünschte, ich könnte sagen: ich war schwanger mit 16, oder mir sind die steigenden Geburtenraten unter Minderjährigen aufgefallen. Aber so war es nicht. Ich habe mir einfach Gedanken über einen Menschen wie Juno gemacht und über ein Paar, das ein Kind adoptieren möchte. Darin habe ich einen Film gesehen und ihn dann geschrieben. Ich hatte das noch nie zuvor getan, hatte keinen Druck, war nicht in Hollywood.
Woher wussten Sie, wie man ein Drehbuch schreibt?
Cody: Ich habe eine Theorie: Jeder kann Drehbücher schreiben. Es ist wirklich nicht kompliziert. Wenn man genug Filme gesehen hat, fühlt man, wie Erzählstrukturen funktionieren. Jedes Kind kann dir eine Geschichte erzählen, die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Das ist alles, worum es im Film geht. Ich fand es viel komplizierter, mein Buch „Candy Girl“ über meine Erfahrungen als Stripperin zu schreiben. Auch wenn der Stoff nicht sehr schwergewichtig scheint, wenn du Prosa schreibst ist alles „Du“. Ein Drehbuch ist dagegen nur ein Skelett, das von anderen zum Leben erweckt wird.
Haben Sie davon geträumt, nach Hollywood zu gehen?
Cody: Nein. Ich hatte nie irgendwelche Ziele. Ich war nie eine ehrgeizige Person. Ich dachte immer, solange ich heute Spaß habe, ist das Leben in Ordnung. Warum ich tue, was ich tue, weiß ich eigentlich nie. (lacht)
Wie haben Sie Ihre Teenagerzeit verbracht? Mit Rumhängen?
Cody: Yeah, das war das Spaßige an den 90ern – es war die Zeit der Slackerkultur. Wir hingen tatsächlich rum, hörten Musik. Das tun Teenager heute vielleicht immer noch, aber wir hatten damals noch kein Internet … Das klingt jetzt, als wäre ich schon total alt. Aber nein, wir hatten wirklich noch kein Internet. Wir haben Musik im Plattenladen gekauft, Bands gegründet…. Die Kultur scheint mir weniger oberflächlich gewesen zu sein. Wir waren wie Juno im Film, nicht wie Paris Hilton.
Wie sind Sie dann zum öffentlichen Tagebuchschreiben, dem Bloggen im Internet gekommen?
Cody: Ich fing damit 2000 an weil ich mich auf Arbeit gelangweilt hatte. Bis dahin dachte ich immer: Bloggen – was für ein hässliches Wort! Aber dann begriff ich: Großartig! Ich schreibe sowieso ständig Tagebücher und Journale. Warum sollte ich das im Internet nicht 20, 30 Leuten lesen lassen, die mir dann Feedback geben können. Als ich dann zu strippen anfing, und auch darüber schrieb – welch Überraschung – wuchs meine Leserschaft sprunghaft. Die Leute lesen eben gerne über Sex.
Haben Sie also bewusst die Interessen ihrer Leser bedient?
Cody: Nein. Ich hatte schon vorher über Sex geschrieben. Damals war das ein sehr interessantes Thema für mich, jetzt habe ich genug davon. Nicht vom Sex, aber vom Schreiben darüber. Damals konnte ich ein Nacktfoto von mir ins Netz stellen und musste mir keine Sorgen machen, es am nächsten Tag in einer großen Tageszeitung veröffentlicht zu sehen.
Woran haben Sie gemerkt, dass Sie diese Freiheit verloren haben?
Cody: Erst, als mein Mann und ich uns getrennt haben. Das stand am nächsten Morgen auf der L.A. Times-Website. Die wussten es, bevor meine Familie es wusste. Das machte mich wirklich sauer. Ich dachte immer: Ich bin nur eine Autorin, was sollte die mein Leben interessieren? Aber da hatte ich wohl die voyeuristische Kultur in Los Angeles unterschätzt. Und je bekannter man ist, desto ernster nehmen die Menschen, was man von sich gibt – auch in dem Punkt werde ich nie mehr so frei sein wie früher.
Sie haben die Freiheit, sich zumindest aus dem Internet zurückzuziehen.
Cody: Das stimmt. Ich sollte das Bloggen aufgeben. Es beginnt, mein Gehirn anzugreifen. Ich habe auf meine Reise nach Europa extra meinen Laptop nicht mitgenommen, um frei zu sein, für alles, was ich hier erlebe. Aber alles woran ich denken kann, wenn ich etwas neue sehe ist: das muss ich in meinem Blog schreiben. Aber ich sollte das Leben lieber genießen, anstatt ständig darüber nachzudenken, wie ich es mit anderen teilen könnte. Ansonsten wird man zum totalen Exhibitionisten und das wäre eine zu seltsame Art, zu leben.
Muss man nicht auch exhibitionistisch veranlagt sein, um als Stripperin zu arbeiten?
Cody: Nein. Ich bin einfach an einem Stripclub vorbeispaziert, blieb stehen und dachte: ich schau mal rein, vielleicht haben die ja einen Job für mich. Es ist mir niemals vorher in den Sinn gekommen.
Ich wurde verrückt vor Freude, wälzte mich auf dem Boden und schrie so laut, dass ich meine eigene Oscar-Nominierung verpasste.
Wie waren die Reaktionen in Hollywood als bekannt wurde, dass Sie als Stripperin gearbeitet haben?
Cody: Sehr gut. Im Gegensatz zu anderen Teilen der USA ist Hollywood ist ein sehr liberaler Ort. Da hält man meine Vergangenheit für unterhaltsam. Und mein Ruf half mir, denn niemand hat mich je versucht auszunutzen, weil alle denken, ich wäre besonders tough. Witzig, denn tough bin ich wirklich überhaupt nicht.
Hollywood hat immer wieder gerne Geschichten aus dem Strippermilieu erzählt. Sind Filme, wie „Striptease“ oder „Showgirls“ realistisch?
Cody: Oh nein. „Showgirls“ mochte ich zwar, aber es hat noch nie einen akkuraten Film über Stripper gegeben. Der würde die Leute nicht anmachen. Das ist kein attraktiver Job, es ist blanker Kapitalismus. Aber Hollywood hat auch noch nie einen realistischen Film über Schreiner oder Kellner gemacht. Das ist dort eben nicht gefragt.
Sie könnten so einen Film schreiben.
Cody: Vielleicht. Das ist wohl das, was die Leute jetzt von mir erwarten. Man denkt wohl, dass ich nichts anderes kann.
„Juno“ ist allerdings zu einem Lieblingsfilm der christlichen Konservativen geworden, weil sich in ihm ein Teenager gegen die Abtreibung entscheidet. Gab es schon Versuche, Sie entsprechend als Aktivistin einzuspannen?
Cody: Ich denke nicht, dass „Juno“ ein politischer Film ist. Das Interessante ist: Ich bin auf einer katholischen Schule gewesen. Nachdem ich mein Buch über meine Erfahrungen als Stripperin veröffentlich hatte, waren sie entsetzt. Aber seit „Juno“ in den Kinos läuft, lieben sie mich. Sie schrieben mir eine Mail: wir wollen ihnen danken für diesen wunderbaren Film gegen die Abtreibung. Ich schrieb nur zurück: Ich bin weder für, noch gegen Abtreibung. Ich bin für das Recht der Frauen, sich frei zu entscheiden. Lasst mich in Ruhe!
Dabei bietet „Juno“ in seiner unverkrampften Art, die Themen Sex und Schwangerschaft zu thematisieren eine wunderbare Alternative zu George W. Bushs Kampagne für sexuelle Enthaltsamkeit.
Cody: Ja? Davon wusste ich gar nichts.
Mit finanziellen Anreizen sollten Kommunen belohnt werden, in denen Schüler nicht mehr aufgeklärt, sondern nur noch über Geschlechtskrankheiten informiert werden.
Cody: Was Bush angeht, überrascht mich nichts. Ich würde mich nicht wundern, wenn ich nach Hause käme und es plötzlich eine Diktatur in den USA gäbe.
Welcher Nachfolgekandidat wäre Ihr Favorit?
Cody: Ich liebe Hillary Clinton, aber ich liebe auch Barack Obama. Jeder von beiden wäre mir recht. Hauptsache, es ändert sich etwas.
Um Ihre eigene berufliche Zukunft müssen Sie sich wahrscheinlich weniger Gedanken machen.
Cody: Ich bekomme viele Anrufe und neige leider dazu, „Ja“ zu allen zu sagen und dann muss mein Agent die Leute wieder anrufen und erklären, dass ich gar keine Zeit habe, auch noch den animierten Film mit dem Fuchs und dem Eisbären zu schreiben. Dabei liebe ich Eisbären und Füchse! Aber ich freue mich total, dass jetzt so viele Leute ein Interesse daran haben, mit mir zu arbeiten.
Haben Sie schon weitere Drehbücher fertig?
Cody: Ja, fünf oder sechs. Nach „Juno“ dachte ich: okay, jetzt weiß ich, wie’s geht – weiter geht’s. Ich schrieb den Horrorfilm „Jennifer’s Body“, der ab März gedreht wird. Regie führt Karyn Kusama. Das finde ich sehr aufregend, denn ein Horrorfilm, geschrieben und inszeniert von Frauen, ist nicht gerade alltäglich.
Es ist auffällig, dass die aktuelle Welle von Horrorfilmen wie „SAW“ auch von Frauen sehr goutiert wird.
Cody: Ja, das stimmt. Frauen sind sehr an Horror interessiert. Ich bin mir nicht sicher, warum. Horror und Komödie sind eben sehr eng verbunden. Beide führen zu sehr körperlichen Reaktionen im Kino, ob du platzt, vor Lachen oder schreist. Ich selbst liebe Horrorfilme, deswegen gibt es in „Juno“ auch den Dialog über die Horror-Regisseure Herschell Gordon Lewis und Dario Argento.
Fühlen Sie sich selbst mittlerweile als Teil Hollywoods?
Cody: Ich habe immer noch eher die Haltung einer Anthropologin. Ich mag es, dem Treiben zuzusehen und darüber zu berichten. Ich fühlte mich schon immer mehr als Außenseiter, als Journalistin, als zu irgendeiner Gruppe zugehörig. Andererseits hilft es, Leute zu finden, die ähnliches machen, wie man selbst. Es ist schon hilfreich von jemandem angerufen zu werden, der schon mal das ganze Oscar-Zeremoniell hinter sich gebracht hat und der mir erklärt, was auf mich zukommt,
Wie bereiten Sie sich auf die Oscar-Verleihung vor? Kümmern Sie sich um Termine im Schönheitssalon?
Cody: Nein, denn ich hasse so etwas. Also hat das Filmstudio mir eine Stylistin besorgt, die mich anzieht und dafür sorgt, wie ich aussehe. Alles ist vorbereitet, ich muss nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Sehr seltsam.
Haben Sie die anderen nominierten Filme gesehen?
Cody: Zum Teil. Mein Favorit ist „There will be blood“, von dem bin ich geradezu besessen. Meine Kategorie, die der besten Originaldrehbücher, ist allerdings besonders cool dieses Jahr, denn gleich drei Frauen sind nominiert. Ich liebe Nancy Oliver und Tamara Jenkins. Und weil es nicht sehr viele weibliche Autoren in Hollywood gibt, hocken wir ständig zusammen. Der Oscar für eine von uns wäre ein Erfolg für uns alle. Wir Frauen müssen immer noch sehen, dass wir uns gegenseitig unterstützen.
Und wie laufen die Proben für Ihre Dankesrede?
Cody: Gar nicht. Ich habe eine Theorie, wer gewinnen wird, und das bin nicht ich. Wie auch immer, es wird ein sehr emotionaler Abend werden. Allein die Tatsache, im Fernsehen zu sein, wird aus mir ein Nervenbündel machen.
Das Interview entstand im Februar 2008.