Frau Amft, „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ hat einst Friedrich Nietzsche gesagt. Stimmen Sie ihm zu?
Diana Amft: Das ist ja immer so schwierig mit diesen Herren, weil man sie nicht mehr fragen kann: Was genau habt ihr damit gemeint? Aber Musik ist schon ein ganz wichtiger Bestandteil des Lebens. Sie unterstützt einen ja auch in den eigenen Gefühlssituationen. Wenn man gute Laune hat und hört die passende Musik, dann wird sie gleich noch besser. Leute, die Klassik hören sagen: Dabei kann ich mich so gut entspannen.
Das klingt alles so funktional…
Amft: (lacht) Ja, das passiert schnell, wenn man das zu ausführlich erklärt. Man sollte gewisse Dinge auch vielleicht einfach nicht so zerreden. Aber stellen Sie sich doch mal einen Film ohne Musik vor, oder sie sitzen in einem Café, in dem keine Musik läuft. Oder: Wenn im Krankenhaus Musik laufen würde, wäre da sicher auch die Atmosphäre eine ganz andere.
Aber gibt es heutzutage nicht eher zu viel Musik? Man kann ihr in der Öffentlichkeit kaum noch ausweichen.
Amft: (lacht) Mich stört eher die Qualität der aktuellen Musik. Viele Künstler von heute – ich möchte da keine Namen nennen – sind höchsten Mitte 20 und bringen ständig neue Songs heraus, von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass sie sich über Jahrzehnte halten werden – was vielleicht auch auf die generelle Schnelllebigkeit zurückzuführen ist. Ich habe den Eindruck, dass das mit der Musik der Siebziger und Achtziger noch anders war und das trifft erst recht auf das „Weiße Rössl“ zu. Das hatte ja nach seiner Uraufführung 1930 weltweiten Erfolg. Am Broadway hieß es „The White Horse Inn“ und es wird immer noch gespielt. Heute scheint mir das Musikgeschäft teilweise schon sehr überlaufen und kurzlebig geworden zu sein.
Viele Künstler von heute bringen ständig neue Songs heraus, von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass sie sich über Jahrzehnte halten werden – was vielleicht auch auf die generelle Schnelllebigkeit zurückzuführen ist.
Selbst wenn ein neuer Song die Qualität hätte, ein Evergreen zu werden, würde er gar nicht die Chance bekommen, sich über einen längeren Zeitraum zu etablieren?
Amft: Ja, es sei denn er gehört zu einem Musical, das über Jahre erfolgreich durch die Gegend tingelt und sich eine Fangemeinde erspielt.
Können Sie einen Hit aus den letzten zehn Jahren aus dem Stand nachsingen?
Amft: Nee. Und wenn ich das könnte, müsste ich das wahrscheinlich gleich beweisen, oder?
Nein, wir sind ja hier nicht beim Radio. Wie wäre es mit „Blurred Lines“ von Robin Thicke?
Amft: (Lacht) Nein, ich bin dann ja auch eher ein Howie-Fan. Howard Carpendale. Ich war leider noch nie auf einem seiner Konzerte aber ich mag seine Musik sehr. „Hello Again“ – Ich mag das einfach, das geht halt ins Ohr. Auch bei den Liedern aus dem „Weißen Rössl“ war das so, da hatte ich wirklich wochenlang Ohrwürmer. Ich würde gerne mal eine Umfrage machen, wer nach dem Film mit welchem Lied als Ohrwurm nach Hause geht. Dass man das tut, lässt sich nämlich gar nicht vermeiden.
Ralph Benatzky, der Komponist von „Im weißen Rössl“ hat in seinen Tagebüchern das Berlin der Dreißigerjahre mit den Worten beschrieben: „Jeder ist ununterbrochen busy und keiner macht was.“
Amft: Ach, das war damals anscheinend auch schon so… Deswegen passt das Singspiel ja auch so wunderbar in unsere Zeit. Wir haben es nur noch ein bisschen musikalisch angepasst. Bela B. hat meines Wissens in den Dreißigerjahren ja noch nicht mitgewirkt. (lacht)
Waren Sie mit Bela B., dem Schlagzeuger der Band Die Ärzte im Studio?
Amft: Ich nicht. Er hat mit Claudia Stülpner, unserer Music-Supervisorin, zusammengearbeitet und ich glaube, auch deshalb ist der Soundtrack so unterschiedlich und peppig geworden. Manchmal geht er in so eine Seventies-Style-Richtung, das ist wirklich sehr ungewöhnlich.
Die Ärzte würden Sie also neben Howard Carpendale auch noch hören?
Amft: Ja, die habe ich auch gehört. (lacht)
Woher kommt aber bei der allgemeinen Beliebtheit von Musik die verbreitete Angst vor dem eigenen Gesang – auf die ja auch der Untertitel Ihres Films „Wehe Du singst!“ anspielt?
Amft: Ich glaube, das kommt darauf an, wie man mit Gesang heranwächst. Eigentlich kann ja jeder singen. Ich habe mal mit einem Schauspiellehrer darüber geredet und der meinte, in manchen Ländern, in Argentinien zum Beispiel, lässt man die Kinder einfach lauthals singen und ermutigt sie. Toll! Sing weiter! Noch lauter! Das ist ein ganz anderer Support. Ich will das jetzt auch nicht verallgemeinern, aber in Deutschland neigt man schon eher dazu zu sagen: „Oh bitte, lass das! Das hört sich schief an.“ Wie soll man sich da trauen, sich weiterzuentwickeln?
Jeder kann eben meckern, wenn jemand schief singt, aber – anders als beim Fahrradfahren oder Essen mit Messer und Gabel – kaum jemand kann einem zeigen, wie man richtig singt.
Amft: Gerade bei einem lauteren oder höheren Ton steht man dann ängstlich davor und denkt: Hoffentlich erwische ich ihn! Es reicht aber oft, sich den Ton nur zu denken und dann darauf zu vertrauen, dass man ihn erwischt.
Sie selbst haben schon einmal mit der Schweizer Girlgroup Tears die Single „Funky Freakshow“ aufgenommen. Nun spielen Sie Ottilie, die sich erstmal gar nicht zu singen traut.
Amft: Wenn man sich Ottilie zunächst anhört, dann hört man in ihrer Stimme nur ihre Angst vor dem Singen. Dann kriegt sie aber beigebracht, dass das alles mit dem Herzen verbunden ist und sie traut sich plötzlich.
Kopf aus, Herz an – da landet man doch schnell im Kitsch.
Amft: Ich würde eher sagen: In der Romantik. Das ist ja so eine Interpretationssache. Was manche als kitschig empfinden, empfinde ich als romantisch.
Waren sie überrascht, wie kitschig „Im weißen Rössl“ nun geworden ist? Man weiß ja beim Drehen noch nicht, dass da am Ende zwei Regenbögen am Himmel stehen werden…
Amft: Jaja, die sind da plötzlich aufgetaucht und wir haben uns entschlossen mal ganz schnell die Kamera drauf zu halten. Weil das so irre aussah…(lacht)
Wirklich? Es gab also doch einen dokumentarischen Ansatz im Film?
Amft: Nein, Quatsch. (lacht) Aber es sieht doch wirklich schön aus. Ich würde mich freuen, wenn ich so was sehen könnte. Ich würde mich auch freuen, wenn ich irgendwo hinfahren könnte, wo immer alles fröhlich ist und immer die Sonne scheint, wo jeder sich gerne hat und alle ehrlich miteinander sind.
Es kommt ja auch in der Natur vor, dass zwei Regenbögen zur gleichen Zeit entstehen. Das sieht dann wunderschön aus. Aber wenn man sich das dann als Bild an die Wand hängt…
Amft: Dann ist es doch auch noch wunderschön! Im „Weißen Rössl“ haben wir das Gefühlvolle immer ernst genommen und Wert darauf gelegt, dass wir es nicht veralbern oder in Klischees abgleiten. Der Rest ist eben Interpretationssache. Die einen sind berührt und finden es schön, andere finden es kitschig, ich finde es romantisch.