Diana Damrau

Das ist wie ein Weltrekord im Hochsprung.

Sopranistin Diana Damrau über Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“, Doping bei Sängern, Hypochonder, Einsamkeit und Pannen auf der Opernbühne

Diana Damrau

© Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Ich habe Ihnen eine Tafel Schokolade mitgebracht. Marke „Ritter Sport  -Olympia“…
Damrau: (lacht) Danke, das ist ja super!

Würden Sie die vor der Vorstellung essen?
Damrau: Nein. In Schokolade könnten immer Nüsse drin sein, und auf die bin ich ein bisschen allergisch. Da kann es passieren, dass stimmlich von mir nicht mehr viel zu hören ist.

An der Bayerischen Staatsoper sind Sie erstmals als Olympia, Antonia und Giulietta in „Les Contes d’Hoffmann“ zu hören, ein enormes Pensum. Was machen Sie am Tag der Premiere?
Damrau: Ich versuche, so lange wie möglich zu schlafen und ausgiebig zu frühstücken. Dann gehe ich ins Theater und singe mich etwas ein. Zu Hause lese ich meinen Text, gehe alles noch mal geistig durch und versuche, mich nochmal kurz hinzulegen, bevor ich in die Maske muss. Allerdings ist mein kleiner Sohn jetzt ein Jahr alt und wird diesen Tag vermutlich anders gestalten wollen als ich.

Singt er schon?
Damrau: Nein, momentan dirigiert er gerne.

Anna Netrebko sagt, sie fühle sich seit der Geburt ihres Sohnes viel weniger einsam, vor allem nach den Vorstellungen…
Damrau: Auf jeden Fall.  Ich bin auch ruhiger und ausgeglichener. Eine Familie und ein Kind geben einem so viel Halt.

Sängerkollegen, Regieteam, Orchester, Chor, Publikum und Fans  – wie kann man sich da überhaupt einsam fühlen?
Damrau: Wir sind nie lange an einem Ort.  Mindestens alle zwei Monate reisen wir in eine andere Stadt und geben manchmal dazwischen noch Konzerte. Der Beruf verlangt Höchstleistung, und in der Probenphase hat man für Freunde und Fans keine Zeit. Die kommen natürlich zu Vorstellungen, wollen danach Essen gehen und dann fällt man um zwei, drei Uhr morgens ins Bett. Die freien Tage zwischen den Vorstellungen wiederum braucht man, um sich zu erholen. Viele verstehen das nicht. Dass man so auf sich aufpassen muss und sich immer fragt „Darf ich mir das zumuten?“, das tut eigentlich am meisten weh.

Wie können bei diesen Voraussetzungen Freundschaften überhaupt bestehen?
Damrau: Internet und Skype sind für unseren Berufszweig ganz große Errungenschaften. Das  hilft wahnsinnig viel.

Jacques Offenbach wollte, dass „Olympia“, „Antonia“ und „Giulietta“ von einer Sängerin verkörpert werden, oft werden die Partien aber auch aufgeteilt. Welche Version bevorzugen Sie?
Damrau: Ich finde es schön, wenn es die gleiche macht, so wie ja auch die vier Bösewichter von dem gleichen Bassbariton gesungen werden. In Hoffmanns drei märchenhaften Geschichten aus seiner Vergangenheit, verkörpern die drei Frauen unterschiedliche Facetten seiner Geliebten Stella: „Artiste“, „Jeune Fille“ und „Courtisane“, also Künstlerin, junges Mädchen und Kurtisane. Und er beweist sich in jedem Akt, dass er mit keiner der Frauen glücklich werden wird.

Sie steigen in die Fußstapfen berühmter Koloratursoprane wie Beverly Sills oder Joan Sutherland. Die „Olympia“ gibt den Stimmtyp vor, oder?
Damrau: Catherine Malfitano hat auch alle drei gesungen. Und manche Sopranistinnen haben die „Olympia“ eine Terz nach unten transponieren lassen. Die Stimmlage kann man irgendwie so einstellen, dass sie zur eigenen Stimme passt und man sich nicht weh tut. Aber man muss Agilität und Koloraturen besitzen.

Welchen Akt singen Sie am liebsten?
Damrau: Der „Antonia“-Akt ist ein Traum. Da findet man auch die größte Musik und kann sich richtig reinfallen lassen.

Aber das Publikum assoziiert Sie sicher am stärksten mit „Olympia“…
Damrau: „Olympia“ ist wie ein Weltrekord im Hochsprung. Als Automat darf sie nicht einmal im Gesicht menschliche Regungen zeigen, das ist reine Körperbeherrschung. Nebenher ist die berühmte Arie „Les oiseaux dans la charmille“ so virtuos zu singen als würde man ein Instrument spielen. Das ist pure Artistik, und natürlich ein tolles Theatererlebnis.

„Olympia“ ist ein Automat, „Antonia“ sehr naiv und „Giulietta“ eine Kurtisane. Klingt ganz schön frauenfeindlich…
Damrau: Nein. Es geht keineswegs darum, Frauen anzugreifen. Frauen haben so viele Facetten. Olympia, obwohl von einem Mann geschaffen, funktioniert eben nicht so, wie er will. Antonia folgt ihrer Berufung als Künstlerin, einfach, weil sie nicht anders kann, obwohl ihr Vater ihr das Singen verbietet. Und Giulietta ist so frei wie Carmen. Die nimmt sich, was sie will. Jede Frau kann in solche Situationen kommen. Das ist doch nicht frauenfeindlich.

Zitiert

Der Beruf verlangt Höchstleistung, und in der Probenphase hat man für Freunde und Fans keine Zeit.

Diana Damrau

Sie singen „Antonia“ und „Giulietta“ zum ersten Mal in Ihrem Leben. Wie spüren Sie, wann eine Rolle fertig studiert ist?
Damrau: Fertig ist es nie. Wenn ich im Sommer 2012 wieder nach München komme, dann sehe ich sicher manches anders. Mein Körper hat  sich vielleicht daran gewöhnt, dass manche Dinge, die ich jetzt noch bewusst mache, dann automatisch funktionieren. Wenn ich im Olympia-Bild irgendwo zwei Sekunden zu spät dran bin oder der Vorhang etwas zu spät fällt, gerate ich in Panik, dass ich den Auftritt nicht rechtzeitig schaffe. Es sind so viele Menschen auf der Bühne. Ich muss mich erst hineinfinden. Im Moment fühlt es sich an, wie ein großes Uhrwerk, bei dem sehr, sehr viele Rädchen ineinander greifen müssen, damit alles funktioniert. Aber wir haben das Puzzle jetzt zusammen.

Der Tenor Roland Wagenführer sagte einmal in einem Gespräch mit dem FOCUS: „Würde man heute eine Dopingkontrolle an den großen Opernhäusern durchführen, könnte nirgendwo zwischen New York und Wien eine Vorstellung stattfinden“.
Damrau: (lacht) Mit was dopen die sich denn bitte, kann mir das mal einer sagen?

Mit Betablockern, Alkohol, Cortison…
Damrau: Das würde ich nicht unterschreiben. No drugs, no sex, no Rock’n Roll, und auch kein Alkohol. Und wenn man ein Kind stillt, sowieso nicht. Nein, im Ernst,  wenn man körperlich müde ist, ist das furchtbar. Aber es gibt keine Wundermittel. Das einzige was hilft, ist Schweigen und absagen. Ich glaube, keiner dopt sich wirklich, das ist höchstens ein Verzweiflungsmittel.

Ist die Angst vieler Sänger um ihre Stimme vielleicht nur pure Eitelkeit
Damrau: (denkt nach) Ich weiß, was Sie meinen, so hypochondrische Sänger, die dauernd mit weißem Schal rum laufen. Das ist typabhängig. Wir müssen immer Bestleistung zu geben, und wenn etwas nicht funktioniert versucht man, wie in jedem anderen Beruf auch, andere Gründe vorzuschieben. Dann kommen solche Diva-Ausbrüche oder so Beißerein. Das ist Unsicherheit, aber wohl keine Eitelkeit. Es ist jedenfalls besser, sich ein gutes Nervensystem zuzulegen. Mit Yoga oder mit Familie. Wie auch immer.

Kennen Sie Versagensangst?
Damrau: Natürlich.

Macht die Branche die Sänger kaputt?
Damrau: Man muss aufpassen. Man darf sich nicht verheizen lassen. Es ist gut wenn einem die schlimmen Dinge ganz am Anfang passieren, dann weiß man später was man darf und was man nicht darf.

Ist Ihnen jemals etwas wirklich Schlimmes passiert?
Damrau: Ich hatte während meines Studiums eine Unterbauchspiegelung und danach eineinhalb Jahre keine Stimme mehr. Mein rechtes Stimmband war verletzt und hatte ein Ödem.  Ich habe dreizehn verschiedene Ärzte besucht.

Wie haben Sie es geschafft, wieder singen zu können?
Damrau: Ich habe mir gesagt, bevor ich nicht spüre, dass es in Ordnung ist, singe ich keinen Ton. Ich habe versucht, meinen Körper und meine Stimme zu verstehen. Das fällt einem natürlich leichter, wenn man noch studiert. Wer eine Familie versorgen muss, oder Angst hat, von der Karriereleiter zu fallen, greift eben manchmal zu härteren Methoden, lässt sich vom Arzt was spritzen, jagt sich noch eine Tablette rein um die Vorstellung zu schaffen, macht es im Endeffekt aber häufig schlimmer. Wir haben nur dies eine Instrument!

Als Sie 2004 in Mailand Ihr Debüt anlässlich der Wiedereröffnung  der Scala in Antonio Salieris „L’Europa risconosciuta“ gaben, hatten Sie da Angst, dass eine bezahlte Claque Sie ausbuhen könnte? Früher kam deren Anführer vor der Vorstellung in die Sängergarderoben und ließ sich den Applaus bezahlen.
Damrau: Die Claque haben sie sehr bekämpft, vor allem Riccardo Muti, als er noch Musikdirektor in Mailand war. Aber ich bin mir immer nicht sicher, ob „Bis“ wirklich „Zugabe“ heißt, denn unten auf der Bühne kommt das immer als „Buh“ an.

Zugaben sind ja leider etwas aus der Mode gekommen…
Damrau: Das passiert jetzt wieder öfter. Juan Diego Flórez war einer der ersten, der Arien wiederholt hat, denken Sie nur an „Ah, mes amis“ mit den neun hohen C‘s in  „La fille du Regiment“. Alte Traditionen kommen wieder.

Kennen Sie die Geschichte von Birgit Nilsson, die sich während der Vorstellung von Siegfried ein „Do not disturb“ Schild unter ihren Brustpanzer legte? Der arme Wolfgang Windgassen, der sie aufwecken musste, war ganz schockiert.
Damrau: (lacht) Nein, die kannte  ich nicht! Großartig. Früher, im Ensemble in Mannheim, oder Frankfurt, da waren wir eine feste Gruppe und haben in der letzten Vorstellung einer Serie auch oft die „Sau“ raus gelassen. Aber jetzt, in den großen Häusern, wo alle nur für ein paar Vorstellungen zusammen kommen, alles super perfekt sein muss, und es dann gleich zur nächsten Produktion geht, die noch besser werden muss, da bleibt keine Zeit für Spielereien.

Können Sie sich an eine Panne während Ihrer Karriere erinnern?
Damrau: Meine erste „Königin der Nacht“, hier an der Bayerischen Staatsoper. Die setzen mir vom Kostüm so eine große Krone auf, und ich sage noch: „Wollt ihr die nicht festmachen?!“  und die Antwort war: „Des mach ma jetzt scho 35 Jahr. Des passt scho, die is noch nie runterg’falln!“

Und?
Damrau: Ich habe meine Szene mit Pamina und sage laut „Was höre ich?“ , drehe den Kopf und boing, boing, boing fliegt mir die Krone runter. Das Publikum stöhnte auf, die Juliane Banse hatte Tränen in den Augen vor Lachen, und ich dachte nur „Oh Scheiße!“. Singen Sie dann mal „Der Hölle Rache“.

Als „Königin der Nacht“ spielten Sie schon ganz früh eine Mutterrolle. Was halten Sie dagegen von alten Sängern, die junge Liebende verkörpern?
Damrau: Man muss sich die passenden Rollen aussuchen. Wenn ich selbst aus der Entfernung des Zuschauerraums keine Jugendliche mehr abgeben würde, aber merke, dass es stimmlich noch geht, würde ich diese Rollen nicht aufgeben, sondern mir Produktionen wählen, die darauf eingehen. Wenn es stimmlich nicht mehr geht, muss man die Rollen anpassen. Marie McLaughlin z.B. hat die hohen Sopranpartien gesungen, und dann später das Mezzofach gemacht.

Plácido Domingo singt  Baritonpartien wie “Rigoletto” oder “Simone Boccanegra”…
Damrau: Ja, auch ein wunderbares Beispiel. Manchmal hat das Alter aber auch kaum Auswirkungen, z.B. Edita Gruberova, es ist Wahnsinn, was sie mit ihrer Stimme macht. Für mich wäre am Ende meiner Karriere die Hexe in Hänsel und Gretel ein Traum. Mein Sohn wird mir irgendwann schon sagen: „Du, Mama, jetzt bist du aber ein bisschen zu alt für Romeo und Julia!“

Diana Damrau wurde in Günzburg geboren und studierte Gesang in Würzburg sowie in Salzburg. Ihr Operndebüt gab sie 1995 als Barbarina am Mainfrankentheater Würzburg, wo sie ein Jahr später ihr erstes Festengagement antrat. 2001 debütierte sie bei den mehr

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