Mrs. Krall, in Ihren Konzerten bekennen Sie des öfteren gegenüber dem Publikum, sie wären „sehr schüchtern“. Nach all den Jahren auf der Bühne sehen Sie sich immer noch als schüchtern?
Diana Krall: Ich denke schon. Insbesondere wenn man mich mit jemandem wie David Foster vergleicht, mit dem ich zuletzt auf der Bühne war (Foster produzierte Kralls aktuelles Album „Wallflower“, Anm. d. Red). Er ist ein sehr kontaktfreudiger Mensch und spricht über alles. Ich dagegen spreche nicht über Songs. Ich sage sie an, aber ich scheue mich, zu erklären, was sie mir bedeuten. Ich rede dann lieber über andere Dinge.
Ist das der Grund, warum man nur selten Liner Notes in Ihren CDs findet?
Krall: Ja, ich denke, Musik spricht für sich selbst. Und ich bin kein Autor, ich wurde nicht zum Songschreiben geboren, sondern um zu improvisieren, um Jazz zu spielen.
Aber Sie haben schon Songs geschrieben.
Krall: Ja, aber das war für mich nicht besonders einfach. Ich habe auch schon Platten produziert, doch ich möchte das nicht als meine Berufung betrachten.
Ihr erstes Album mit eigenen Songs „The Girl in the Other Room“ war sehr erfolgreich. Hat Ihnen das nicht Selbstbewusstsein gegeben?
Krall: Also, die Songs waren jetzt keine Radio-Hits. Das Album war erfolgreich, aber erst über einen längeren Zeitraum. Am Anfang waren manche Leute sogar verärgert, weil sie einen Sound wie auf „The Look of Love“ erwarteten.
Ich persönlich mag Songwriter wie Neil Young, Joni Mitchell oder meinen Mann (Elvis Costello, Anm. d. Red.), das sind Singer-Songwriter. Ich selbst bin zufrieden, wenn ich mich durch die Worte und die Musik anderer ausdrücke und das als kreatives Vehikel benutzen kann.
Als Jazz-Pianist muss man erstmal ein paar Teller waschen.
In einem Guardian-Artikel sagten Sie kürzlich: „Ich bin nicht dramatisch. Deswegen sitze ich am Klavier und stehe nicht vorne vor einer BigBand.“
Krall: Ja, ich bin nicht wie Lady Gaga und Tony Bennett, obwohl ich sie sehr mag. Lady Gaga ist großartig. Aber ich komme mehr aus einer Richtung wie Shirley Horn. Ich sitze eher am Klavier, und wenn die Band nach 45 Minuten die Bühne verlässt, fange ich an zu reden.
Manchmal fragen Sie die Zuschauer auch nach Musikwünschen.
Krall: Ja, das habe ich schon gemacht – was aber nicht heißen muss, dass ich die Songs dann auch spiele.
Früher haben Sie ja eine Zeitlang als Barpianistin gearbeitet…
Krall: Oh ja, 20 Jahre lang. Als ich 15 war habe ich in Kanada in Restaurants mit Bassisten zusammen Jazz gespielt. Dann habe ich in L.A. und Boston studiert und meinen Lebensunterhalt und den Jazz-Unterricht finanziert, in dem ich in Hotels und Bars gespielt habe. Ich bin auch ein paar mal nach Europa gefahren, in die Schweiz und nach Schweden. In Zürich habe ich drei Monate gelebt und sechs Tage die Woche gespielt.
War das eine gute Erfahrung?
Krall: Ja, ich wohnte im Bezirk Niederdorf. Auf meinem Weg zum Hotel traf ich an der Ecke immer die Dame für gewisse Stunden, wir sagten hallo, wünschten uns einen schönen Abend – und dann spielte ich die ganze Nacht Klavier und schaute mir die Leute an. Es war eine großartige Zeit. Ich war sehr auf mich allein gestellt, bin in die Oper gegangen, in Konzerte, ins Museum, bin mit dem Zug durch Europa gefahren, manchmal auch zum falschen Ort, dann habe ich aber das Beste draus gemacht. Ich war eine unabhängige Frau im Alter von 24, das war schon eine kühne Sache.
Als Jazzpianist fängt man nicht an und hat sofort einen Plattenvertrag – man musst erst einmal ein paar Teller waschen.
Was haben Sie in der Zeit gelernt?
Krall: Alles. Arbeitsmoral, wie es ist, sich den Arsch abzuarbeiten, sich zu entwickeln, nach vorne zu schauen. Ich habe auch viel über Leute gelernt, sie angeschaut, wie sie dich behandeln…
Spielen Sie manchmal noch an Orten, wo beim Konzert gegessen wird?
Krall: Nein. Ich mag es nicht, wenn es zu viel Geräusche von Tellern und Besteck gibt. Und dann passiert es ja immer mitten in einer Ballade dass jemand den Mixer anschmeißt und ruft „wer hat die Margarita bestellt?“ Es will ja auch niemand im Village Vanguard in New York hören wie zwischendurch jemand die Maschine für den Frozen Daiquiri anwirft. Ich kenne Jazz-Musiker, die in so einem Moment aufhören würden zu spielen.
Aber ich mag Clubs, sozusagen die Goldene Mitte, es gibt eine Bar, die Leute haben einen Cocktail – da mag ich den Vibe, mehr als in einer Konzerthalle wo alle still sitzen.
Wenn Fans über Ihre Stimme schreiben, benutzen sie oft das Wort „ungekünstelt“. Ist es schwer, diese Art von Qualität zu erreichen?
Krall: Es ist schwer, beim Singen nicht zu übertreiben. Ich muss sichergehen, dass ich ohne Tricks singe, die Songs, die ich präsentiere, brauchen keine Tricks. Sondern du singst sie sehr direkt, so im Stile Clint Eastwoods: Mach nicht zu viel, steh einfach nur da. Ich denke, je mehr geradeaus du sie singst, desto emotionaler kommt es rüber. Theatralisch ist nicht meine Art. Ich bin da eher wie Shirley Horn oder Carmen McRae. Ich scatte auch nicht oder so was, es ist nicht wirklich ein Jazz-Gesangsstil.
Die Jazz-Sängerin Stacey Kent sagt, sie stelle sich beim Singen vor, sie sitze am Küchentisch und rede mit ihrem Mann. Sehen Sie Gesang auch als Konversation?
Krall: Stacey Kent gehört zu den wenigen Sängern, die ich wirklich mag. Sie erinnert mich an große Sängerinnen wie June Christy und sie ist ein perfektes Beispiel, sie übertreibt nicht, singt auch nicht kuckuckartig – sie klingt einfach großartig.
Ja, ich mache das auch, ich denke, ich muss auf eine Art singen, die wie ein Dialog ist. Das ist wirkungsvoller. Ich bin zwar schüchtern, aber ich habe keine Angst, den Leuten im Publikum in die Augen zu sehen. Dabei dann auch mit dem Spiel zu stoppen und weiter zu gucken. Für manche Leute ist diese Stille unangenehm, für mich nicht.
Sie gucken den Leuten in der ersten Reihe in die Augen?
Krall: Sicher. Ich gucke ihnen in die Augen und singe, als würde ich mit ihnen sprechen. Ich habe nicht das Motto „hier ist mein unsichtbarer Vorhang, das Publikum ist auf der einen und ich auf der anderen Seite.
Wenn Sie ins Studio gehen, streben Sie dann nach der perfekten Aufnahme?
Krall: Nein. Normalerweise, wenn ich ein Platten aufnehme, mit Tommy LiPuma, dann ist der Prozess ein anderer als jetzt bei „Wallflower“. Wenn man Jazz-Platten aufnimmt muss man manchmal Kompromisse machen, man muss dieses „erste take“-Gefühl auffangen. Man muss auch mal Fehler akzeptieren. Tommy fragt mich dann: Ist das Take ok für dich, und ich sage, „ja, denn das Klavier war super, das Gitarrensolo…“, man hält ja einen Live-Moment fest.
Bei „Wallflower“ ging es mehr um Produktion, einen bestimmten Sound. Wir waren mehr auf den Gesang fokussiert, haben mehrere Takes gemacht, bis wir das magische Take hatten. Also es war nicht alles live im Studio.
Sie verwenden für einen Song dann mehrere Takes…
Krall: Ja, aber normalerweise auch nicht mehr als fünf. Ich bin nicht der Typ, der erstmal 25 Takes aufnimmt. Ich bin sehr schnell. Fünf Takes, fertig. Ansonsten würde es sich für mich nicht richtig anfühlen.
In Online-Kommentaren wurde spekuliert über die Verwendung des Autotune-Effekts auf „Wallflower“.
Krall: Nein, Autotune haben wir nicht benutzt.
Ist Autotune vielleicht so etwas wie die rote Linie zwischen Jazz und Pop?
Krall: Michael Bublé hat ja mal gesagt „Ich werde im Radio nicht gespielt, wenn ich nicht Autotune benutze“. Ich weiß es nicht. Ich finde, Autotune klingt lächerlich. Es erinnert mich an Cher.
Aber was ist mit dem technischen Aspekt der Tonhöhenkorrektur?
Krall: Ich glaube Tonhöhenkorrektur benutzen alle. Jeder macht das. Wenn du ein perfektes Take hast, und nur eine Note ist ein wenig zu tief, dann kannst du sie nachträglich wieder ein bisschen erhöhen. Jeder hat heutzutage Pro Tools. Und man wird diese Möglichkeit nutzen, weil man das Take behalten will. Es sei denn du entscheidest dich, alles perfekt und ganz genau zu singen.
Der Toningenieur Bill Schnee, der u.a. mit Barbara Streisand arbeitet, kritisierte, bei der Tonhöhenkorrektur würde übertrieben. Man höre im Radio keine unsaubere Note mehr und „auch Sänger, die wirklich singen können, lassen die kleinste Unsauberkeit nicht durchgehen sondern korrigieren sie.“
Krall: Wenn ich mit Tommy LiPuma arbeite ist unser einziger Streitpunkt die Tonhöhenkorrektur. Wenn er sagt „wir können das einfach korrigieren“ sage ich „Lass‘ es so wie es ist“. Ich bin diejenige, die dagegen kämpft.
Aber es gibt natürlich allemöglichen kleinen Geheimnisse. Wird im Jazz geschnitten und zusammengefügt? Vielleicht. Wird ein Gitarrensolo heutzutage geschnitten? Sicher!
Ich kenne so viele Bassisten, die sagen: Ich will den Part nochmal machen. Selbst Marc Ribot, in unglaublicher Gitarrist, der auf meinem Album „Glad Rag Doll“ ist. Er spielt immer perfekte Solos – aber im Studio sagt er, „ich möchte das ganze perfekt haben“. Es ist im Studio nicht so, dass jeder reinkommt, und nach dem ersten Take sagt: „Toll, das mag ich, ich bin fertig“.
Andererseits, wenn man sich Sinatra anhört, dann hört man, dass manche Töne nicht getroffen sind – weil das ist die Aufführung ist.
Ist das nicht aber genau das, was die Leute mögen? Weil es natürlich ist.
Krall: Ja, vermutlich schon. Bob Dylan hat es auch nicht besonders geschadet. Wenn Bob Dylan Autotune benutzen würde – das würde wohl ziemlich schrecklich klingen.
Welche Rolle spielt bei dem Ganzen Authentizität?
Krall: Ich muss meine Authentizität nicht beweisen. Alles, was ich machen muss, ist mich ans Klavier zu setzen und zu spielen. Über Authentizität muss ich nicht ein Wort verlieren. Natürlich ist mir das wichtig. Aber genauso wichtig ist es für mich, Spaß zu haben, mal etwas anders zu machen, neue Dinge auszuprobieren und diesen Kontrollmodus aufzugeben, den man ansonsten im Studio hat.
(Interview vom Februar 2015, Paris)