Herr Baumann, seit dem November 1999 standen Sie für über zwei Jahre ganz besonders im Fokus der deutschen Medien. Ich habe eine Reihe Ihrer Interviews aus dieser Zeit gelesen und mich würde interessieren, ob Sie nicht manchmal in Interview-Situationen die Journalisten am liebsten auf den Mond geschossen hätten?
Baumann: Nein, das eigentlich nicht.
Der Umgang der Journalisten mit Ihnen, empfanden Sie den also immer als korrekt?
Baumann: Ich kann und werde dazu kein Urteil fällen. Um das gleich zu Beginn zu sagen: für mich sind die Geschehnisse von damals in vielen Teilen abgeschlossen. Ich habe die Dinge für mich aufgearbeitet und habe die Situation auch geschildert, in meinem Buch "Lebenslauf". Ich für mich persönlich möchte nicht immer diesen Schritt zurück gehen und nicht immer diesen Blick zurück werfen, sondern ich konzentriere mich jetzt auf Dinge, die kommen, auf die Zukunft. Sonst würde ich mich selber hemmen, vor allem in sportlicher Hinsicht. Wenn man ständig mit einem Bein in der Vergangenheit steht, nimmt man sich sehr viel Energie. Vielleicht muss ich Sie da auch enttäuschen, aber ich arbeite heute mit Ihnen nicht die letzten zwei Jahre auf…
…was ich auch nicht vorhatte.
Baumann: Ich werde also keine Auskunft geben, ob ich mich korrekt, unkorrekt oder unfair behandelt gefühlt habe. So etwas lässt sich sowieso nie generell sagen. Es gibt natürlich einzelne Journalisten, von denen hätte ich sicherlich anderes erwartet, aber es gab auch Journalisten, bei denen ich angenehm überrascht war, über ihren Mut und ihre Meinung, die sie mir offen gesagt haben. Und dann gab es wieder Interview-Partner, die waren weniger toll, aber da ist es nicht so, dass ich etwa aggressiv reagiert hätte.
Wie ist Ihr Umgang mit den Medien heute?
Baumann: Ich denke – und das beziehe ich nicht nur auf die letzten zwei Jahre, sondern auf die letzten fünfzehn – dass mein Umgang mit den Journalisten immer sehr offen war. Man kann mich erreichen, natürlich nicht jederzeit, aber man kann mit mir sprechen. Man kann Termine ausmachen, diese Termine klappen auch zumeist und ich denke, ich bin ein verlässlicher Partner, auch heute noch. Ich springe nicht über jedes Stöckchen, das man mir hinhält, das war schon vor 15 Jahren so und wird sich auch jetzt nicht ändern. Ich bin nach wie vor offen und jeder, der eine Information will, der bekommt sie auch.
In Ihrem Buch, dass im Frühjahr erschienen ist, schreiben Sie auf über 200 Seiten nur über jene zwei Jahre nach den positiven Dopingtests. Eine Abarbeitung der Erlebnisse, auch eine Abrechnung?
Baumann: Nein, eine Abrechnung ist das nicht, ich rechne im Buch mit niemanden ab. Das ist eine Situationsbeschreibung, so wie die Dinge waren, aus meiner Sicht, wie ich sie empfunden habe. Während man so ein Buch schreibt ist es natürlich schon so, dass man Erfahrungen vor sich hat, sie präzise formuliert und auf ein Blatt Papier bannt, das ist sicher eine Art der Aufarbeitung.
Sie mussten sich ein Stück weit auch befreien.
Baumann: Ja, ich meine, wenn man solche Situationen durchlebt, dann schreibt man das auf, das habe ich als sehr wichtig empfunden. Ich habe an dem Feedback, was ich bekommen habe, auch gemerkt, dass sehr viele Leute erkennen, dass man so eine Situation übertragen kann auf verschiedenste Schicksalsschläge. Das gehört abgearbeitet, das ist eine Belastung für einen Menschen, auch für mich. Und eine Belastung ist es noch heute, das streite ich gar nicht ab. Dieses Gefühl kommt aber nur noch in Schüben, es geht und kommt und lässt auch inzwischen immer mehr nach.
Eine erste User-Frage: Herr Baumann, spielen Sie mit dem Gedanken, nach Ihrer aktiven Karriere auf nationaler Ebene als Trainer zur Verfügung zu stehen?
(Younes aus Gießen)
Baumann: Nein, den Trainer-Beruf, den habe ich für mich selbst nie ins Auge gefasst und tue das nach wie vor nicht. Ich glaube, dass ich da nicht unbedingt das rüberbringen kann, was man als Trainer rüberbringen muss. Es geht ja nicht darum, dass man einem Athleten nur sagt, du machst heute dieses und morgen jenes Trainingsprogramm. Zum Trainer gehört sehr viel mehr dazu. Eigentlich habe ich immer gesagt, ich bin ein zu guter Athlet. Dadurch hätte ich als Trainer die Schwierigkeit, dass ich diese Ansprüche an jeden Athleten stelle. Das ist schon mal schlecht, denn jeder Athlet ist anders, jeder Athlet ist individuell zu sehen und ich denke, dass ich da sicherlich große Fehler machen würde. Als Trainer hat man da eine sehr große Verantwortung, ein "Athleten-Leben" dauert unter Umständen nur fünf bis sechs Jahre, sehr viele Fehler darf man also mit einem Athleten nicht machen, denn sonst ist die Karriere schnell zu Ende. Ich habe mich auch nicht umsonst von meiner Frau betreuen lassen, da sie genau das versteht, diese Einstellung, dem Athleten eben nicht nur irgendein Trainingsprogramm zu geben, sondern zwischen den Wettkämpfen, die richtigen Worte und Methoden zu finden, um jeden Einzelnen in der Gruppe zu motivieren. Ich fühle mich selbst aber zu so einer Position nicht berufen.
Sie würden sich auch nicht geehrt fühlen oder es nicht annehmen, wenn Sie später einen guten Trainerposten angeboten bekämen?
Baumann: Vielleicht würde ich mich geehrt fühlen. Aber erst mal muss man natürlich fragen: was ist ein guter Posten. Für manche Sportler ist ein Trainerposten der ideale Posten. Ich glaube für mich aber, dass es nicht mein Idealposten wäre, daher sehe ich das etwas anders. Trainer? In Deutschland? Das kann ich eigentlich ausschließen.
Man hört, dass Sie nach dem Ende Ihrer sportlichen Laufbahn für die Grünen/Bündnis ’90 in den Bundestag gehen. Ist da etwas dran?
(Rainer aus Berlin)
Baumann: Nein, da ist mit Sicherheit nichts dran, ich habe im Moment keine politischen Ambitionen – dem Gerücht muss ich also widersprechen.
Spielt Geld in ihrem Leben noch eine Rolle?
(Stefan aus dem Schwabenland)
Baumann: Gut, Geld spielt für mich natürlich eine wichtige Rolle, wie für alle anderen Menschen auch. Ich könnte da jetzt philosophieren, über Geld in unserer heutigen Gesellschaft. Ist das, was man verdient, die Wertschätzung, was ein Mensch wert ist? Ist das der Wert der Arbeit, die er verrichtet? Der Maßstab für uns in der heutigen modernen Welt ist ja, wie hoch dieses Salär ist. Ab einer gewissen Höhe kehrt sich das dann aber wieder um, weil jeder weiß, so viel wert ist kein Mensch.
Ich denke, ich bin nicht unbedingt ein Konsummensch, ich begnüge mich mit sehr einfachen Dingen. Ich kaufe selten ein, manchmal fällt mir auf, ich bräuchte mal wieder neue Jeans, weil ich mir seit zwei Jahren keine mehr gekauft habe, ja so extrem ist das manchmal. Ich persönlich bin sehr zufrieden mit meiner Person und bin selbst nicht so auf Geld fixiert. Ein bisschen was sollte ich verdienen, damit ich meine Familie ernähren kann – damit bin ich dann eigentlich auch schon happy.
Ich schließe da eine Frage an, bezüglich der fünf- bis sechsstelligen Antrittsgelder, die Läufer-Stars wie Sie bei den großen Marathonläufen bekommen. Stehen solche Summen in einem Verhältnis?
Baumann: Sie müssen natürlich sehen, wenn ein Top-Läufer startet, egal ob nun ich in Hamburg oder der Haile Gebrselassie in London, dann bekommen die Läufer zunächst ein Antrittsgeld, abhängig davon, wie der Veranstalter die Wichtigkeit des Läufers für den Marathon einschätzt. Dieses Geld bekommt er – mal betriebwirtschaftlich betrachtet – nicht dafür, dass er 42 Kilometer läuft, sondern dafür, dass er beispielsweise eben den London-Marathon promotet. Man muss natürlich unterscheiden, zwischen einem Freizeitläufer einerseits, der sich der Herausforderung Marathon stellt, der einfach läuft, just for fun, dem es um das Erlebnis geht, der sich vielleicht auch mit einem Top-Läufer vergleichen will und den Profis andererseits. Und in keinem anderen Sport gibt es einen direkten Vergleich, in keinem anderen Sport kann man mit den Profis in einer Linie stehen, dieselbe Strecke, am gleichen Tag, zur gleichen Zeit am gleichen Ort laufen. Das macht das ganze auch spannend und die Freizeitläufer suchen diesen Vergleich.
Haben Sie denn – mit dem hohen Startgeld bereits in der Tasche – manchmal ein schlechtes Gewissen, den ’normalen‘ Mitläufern gegenüber?
Baumann: Ohne den anderen Läufern jetzt zu nahe treten zu wollen, ich denke, das sind wirklich Dinge, die man nicht vergleichen kann. Ich habe kein schlechtes Gewissen, nein. Nehmen wir meinen Hamburg-Marathon dieses Jahr. Um den Marathon herum war ich bei drei Veranstaltungen, mit Pressekonferenz und einem Treffen mit wichtigen Sponsoren. Die Sponsoren sind ja sehr wichtig, ohne große Sponsoren läuft so eine Veranstaltung gar nicht mehr ab. Und da ist es unheimlich wichtig, dass man Veranstaltern und Sponsoren die Veranstaltung nicht nur präsentiert sondern auch die Top-Läufer vorstellt, auch im privaten Rahmen. Das gehört heute zu jeder Veranstaltung dazu. Man sieht ja auch gar nicht, was Veranstalter und Athleten hinter den Kulissen leisten müssen, um überhaupt Sponsoren zu bekommen. Das sind eine Hand voll Top-Athleten, die davon auch leben, die in der Öffentlichkeit stehen und deren Beruf das ist. Da wäre es auch nicht angebracht ein schlechtes Gewissen zu haben. Ein eher möglicher Vergleich wäre meines Achtens, wenn man einen Fußballspieler aus der Bayern-Regional-Liga mit einem Marathon-Läufer vergleicht. Ich bin absolut davon überzeugt, dass jeder Freizeitläufer, der 3:30h läuft, mehr Trainingsaufwand hat, als ein Fußballer, der in solch einer Regionalliga spielt. Hier könnte man vielleicht eher die Frage stellen, wieso verdient der Regionalspieler damit richtig Geld und der Freizeitläufer bekommt beim Marathon nichts? Aber das sind nun mal Marktgesetze, die letztlich eine Bezahlung selbst eines 2:30h-Läufers beim Marathon nicht zulassen.
Herr Baumann, so weit ich mich erinnere war vor Olympia ’88 Ihre Spezialstrecke die 1500m. Danach Sind Sie aber bei großen Sportfesten meist die 5000m gelaufen. Haben Sie mal ernsthaft daran gedacht, sich auch über 1500m den Deutschen Rekord von Thomas Wessinghage zu holen?
(Ralph Kulessa aus Feucht)
Baumann: Nein, ich muss sagen, den Rekord vom Thomas hatte ich nie im Auge, ’87/’88 vielleicht noch ein bisschen, aber dann war mir klar, dass diese Zeit unheimlich schwierig wird, zu realisieren. Vielleicht war das auch ein Grund, wieso ich die 5000m in Angriff genommen habe, weil ich einfach gemerkt habe, dass ich da mehr Potential hatte. Nein, diese Zeit vom Thomas ist für mich nicht zu erreichen. Es kann zwar sein, dass ich ab und zu noch ein Aufbaurennen suche über 1500m, aber ich würde das mal so sagen: ich wäre froh, in den Bereich 3:35 zu kommen, das wäre schon sehr schnell. 3:30 aber, diese Zeit steht und ist für mich nicht zu erreichen.
Herr Baumann, fällt es Ihnen heute noch schwer, den inneren Schweinehund zu überwinden und weiterhin auf Druck zu laufen, auch dann wenn die Schmerzgrenze erreicht ist? Oder fällt das bei Ihnen längst unter die Rubrik "Routine"?
(Michael aus Augsburg)
Baumann: Also, ich spreche eigentlich ungern vom ‚inneren Schweinehund‘, weil ich glaube, dass es den nicht gibt. Natürlich gehe ich nicht immer strahlend freudig in den Wald, weil ich heute wieder einen Dauerlauf machen darf. Ich habe auch Tage, wo ich sehr müde bin und dann fällt so etwas sehr schwer. Wenn dann noch an solchen Tagen Tempoläufe anstehen, wird es ganz schwierig. Dann gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit – woran sie sehen werden, dass ich wenig auf den inneren Schweinehund halte: dann verschiebe ich einfach meine Tempoläufe. Man kann seinen Körper wohl ein Stück weit überlisten und überreden, gegen die Müdigkeit anzugehen. Wenn das aber nicht funktioniert, dann verschiebe ich mein Training.
Wenn wir jetzt allerdings davon sprechen, dass ich normal locker in den Wald gehe, dann brauche ich für den Dauerlauf eigentlich keine Überwindung mehr. Laufen, meist zweimal am Tag, gehört für mich zur täglichen Routine, wie Essen und Schlafen, da ist der Dauerlauf kein Problem. Sich aber bei Tempoläufen zu überwinden, das wird schon schwierig und funktioniert nur bedingt, weil einen dann das Ergebnis nicht zufrieden stellt. Da hat man sehr viel mehr davon, wenn man seinen Lauf verschiebt. Das ist auch meine Empfehlung an andere Freizeitläufer, wenn sie einen ungewöhnlich harten Tag haben, und es steht am Abend ihre Marathonvorbereitung an – dann muss man das verschieben, da gibt es kein Überwinden, denn das führt zu einem schlechten Training, das macht wiederum schlechte Laune und man hat gar nichts davon. Da wartet man lieber einen Tag, bis man sich wieder frischer fühlt, bis es auch wieder besser in den Tagesablauf passt. Dann erreicht man sein Ziel besser und ist zuversichtlicher, was das langfristige Ziel, also meinetwegen den Marathon, betrifft.
Was schlagen Sie zur Förderung des Nachwuchses in der Leichtathletik vor? Denn so wie es im Moment läuft, darf es ja auf keinen Fall weitergehen.(Matthias aus Frankfurt)
Baumann: Das sind immer die allgemeinen Aussagen, wir hätten eine schlechte Nachwuchsförderung. In der Tat gibt es da Probleme – aber das ist kein Phänomen, das wir erst seit zwei Jahren haben. Im Grunde genommen rücken seit sehr vielen Jahren immer weniger talentierte junge Athleten nach. Das hat ganz unterschiedliche Gründe, für die es kein Patentrezept gibt. Was man allerdings sagen muss, wäre ein Ansatz, die Nachwuchsförderung besser zu delegieren. Bei uns ist das ja noch sehr oft dem Zufall überlassen, ob ein Talent den Weg in eine bestimmt Sportart findet und natürlich gibt es da immer Verbesserungsmöglichkeiten. Aber wie gesagt, ein Patentrezept habe ich nicht anzubieten. Das ist auch nicht mein Job. Ich muss selber schauen, dass ich meine Leistung bringe und dass ich mein Karriereende so gestalte, wie es für mich am besten ist und ich damit zufrieden bin. Ich fühle mich auch überfordert, mit Fragen – ich sag das mal so überspitzt – von der optimalen Nachwuchsförderung bis zur optimalen Dopingbekämpfung. Ich soll auf alles eine Antwort haben? Das kann man von mir nicht erwarten.
Ich möchte im Winter ins Höhentrainingslager nach Ekuador oder Bolivien reisen. Wissen Sie, ob diese Länder empfehlenswert sind (Wettkampf 10.000m)?
(Kaspar aus Magdeburg)
Baumann: In der Tat zwei Länder, die sehr hoch sind und ich würde sagen: schwierig. Ich würde nicht so hoch gehen, denn das sind ja Höhen über 3000 Meter. Dort kann man einfach nicht mehr die vernünftigen Qualitäten trainieren, die man für die 10000m braucht. Im Übrigen, als fachlicher Hintergrund: es gibt neue Studien, nach denen es fraglich ist, ob ein Höhentraining für einen Marathon überhaupt Sinn macht. Schon von daher würde ich von Bolivien oder Ekuador eher abraten, zum einen wegen der Höhe und auch wegen hygienischen Problemen. Es gibt andere Trainingszentren in Höhengebieten, die für uns Europäer sicherer sind, wo man nicht ständig damit rechnen muss – mal salopp gesagt – dass man ab dem dritten Tag nur noch auf dem Klo sitzt. Das ist dann ja auch fürs Training sehr schlecht.
Ekuador, Bolivien – für den Ottonormalverbraucher eher ‚exotische‘ Länder – in Ihrem Buch schreiben Sie, dass das Laufen für Sie auch ein wichtiges Mittel war und ist, die Welt zu bereisen.
Baumann: Ja, das war für mich immer eine Hauptmotivation, als ich als junger Athlet erkannt habe, dass man eben durch das Laufen, das ja mein Beruf ist, plötzlich die Chance hat, viel zu sehen, viel rumzukommen. Wenn man dann auch so ein Typ ist wie ich, der gerne aus der Tasche lebt, der unruhig wird, wenn er mal drei Wochen am Stück daheim ist – dann ist das Laufen genau das richtige. Ich wollte eigentlich nie etwas anderes und will auch heute nichts anderes. Ich bin unheimlich gerne unterwegs, ich reise heute mit der ganzen Familie, ich nehme meine Kinder überall mit hin. Das ist spannend für uns alle und meine Kinder entdecken ja die Welt ganz anders als ich sie sehe. Das sind neue Eindrücke, die mir meine Kinder vermitteln und man sieht auch, dass man früher anders gereist ist, als man heute reist – auch das ist spannend. Für mich war das schon immer Motivation, die Welt zu sehen. Und da komme ich auch auf die vorige Frage zurück. Ich habe mir natürlich auch mal gesagt: Peru, diesen Inkatrail auf 4000 Meter Höhe, das würde ich gern erleben. Aber da muss man immer aufpassen, dass man das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verliert. Ich hatte immer das Ziel, einen guten Wettkampf zu laufen, und da passte so etwas eben nicht, weil ich genau wusste, Peru ist zu hoch und für das Training nicht sinnvoll. Man hat mich auch nach Bolivien eingeladen, nur wie gesagt, ich war in der Wettkampfvorbereitung und da bringt es nichts, wenn ich in 3500-4000m Höhe bin, dann kann ich nicht mehr das trainieren, was ich eigentlich trainieren muss. Solche Highlights hebe ich mir für die Zeit auf, wenn ich mit dem Laufen aufhöre.
Hat ein auf Meereshöhe lebender Läufer überhaupt die Möglichkeit, ohne Blutdoping den Hämoglobin und Hämatokritwert so hoch zu puschen, um internationales Spitzenniveau zu erreichen?
(Stefan aus Mainz)
Baumann: Ein eindeutiges Ja, das ist möglich. Aber ich muss jetzt, da das so eine spezifische Frage ist und so viel durcheinandergewirbelt wird, einmal einhaken und sagen: Hämatokritwert, HK, hat erst mal Null mit irgendeiner Leistungsfähigkeit zu tun. Der HK eines Normalbürgers liegt in etwa bei 45, plus/minus 5, und sagt etwas über die Blutdicke aus. Der Radsportverband hat jetzt eine Linie gezogen und hat gesagt, ab HK 50 gehen wir davon aus, dass das Blut so dick ist, dass man etwas zugeführt hat und wir nehmen die Athleten aus Gesundheitsgründen aus dem Rennen, so ist die Definition. Allerdings ist das willkürlich, es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass das der HK-Wert von über 50 durchaus möglich ist. Vor allem in Höhenlagen steigt dieser wert an um sich nach der Anpassung wieder zu senken.
Das Blutbild an sich, ja, das spielt eine Rolle, denn je besser das rote Blutbild ist, desto besser ist die Ausdauerleistungsfähigkeit, wobei noch viele Faktoren hinzu kommen. Aber, um die Frage deutlich zu beantworten: Ein eindeutiges Ja, ein Läufer, der nur auf See-Level trainiert, kann absolute Weltklasse sein. Ein Beispiel ist Bob Kennedy aus den USA, der erste Weiße, der die 5000m unter 13 Minuten lief, war in seinem ganzen Leben nicht ein Mal im Höhentraining. Oder Steffen Brandt, Hindernisläufer, war meines Wissens nur zwei Mal im Höhentraining. Also, Weltklasse zu sein ohne Höhentraining ist absolut möglich und zum großen Teil auch üblich. Höhentraining ist auch nicht für jeden gut, da muss man aufpassen. Ralf Salzmann, ein Marathonläufer Mitte, Ende der 80er Jahre, der konnte in der Höhe gar nicht trainieren und hat auch alle seine guten Rennen nicht in der Höhe vorbereitet.
Eine allgemeine Frage nun zum Thema Doping. Heutzutage berichten die Sportmedien tagtäglich über neue Dopingfälle. Als der 100m-Läufer Ben Johnson 1988 in Seoul positiv getestet wurde, hatten Sie da eine Vorahnung, was eigentlich auf die Sportwelt, insbesondere auf die Leichtathletikwelt zukommen würde, auch von Seiten der Medien?
Baumann: Diese Doping-Fälle kommen ja heute nicht nur hoch, weil Sportjournalisten darüber berichten. Es sind ja zunächst positive Befunde, über die sie berichten. Und dann berichten sie nicht darüber, ob jemand etwas getan hat oder nicht, sondern es gibt nur den positiven Befund. Das ist ein klassisches Markenzeichen, das wir aus keinem anderen juristischen Bereich kennen. Überall anders würde man sagen: Jetzt warten wir mal ab, was eine Untersuchung der Angelegenheit hervorbringt. Und ob ich damals mit den Ausmaßen gerechnet hätte? Nein, da habe ich gar nicht den Überblick gehabt und nicht die Erfahrung. 1988 gab es mich ja gerade mal zwei Jahre.
Aber Sie sehen schon den Gegensatz zwischen 1988, wo die Diskussion erst losgetreten wurde, und heute, wo sie permanent geführt wird?
Baumann: Dass die Diskussion permanent geführt wird, das ist ja auch richtig, absolut korrekt. Aber heute sind die Gegebenheiten natürlich auch anders. 1988 hatten wir gar keine Trainingskontrollen, es gab also keinerlei Kontrollen außerhalb von Wettkämpfen. Erst 1990 gab es Trainingskontrollen. Ich gehörte zu einem kleinen Kreis von Athleten, die diese in Deutschland wollten und durchgesetzt haben. Deutschland war hier führend, speziell in der Leichtathletik. Wir als Athleten wollten diese Trainingskontrollen, weil wir natürlich erkannt haben, wohin die Reise gehen kann, wenn man Manipulationen im Sport freien Lauf lässt. Aber erst heute greifen auch die unangemeldeten Trainingskontrollen. Damals waren die Kontrollen ja immer angemeldet, telefonisch wurde bekannt gegeben, dass in zwei oder drei Tagen jemand kommt. Aus heutiger Sicht ist das natürlich blanker Unsinn. Wenn ich zwei Tage Zeit habe, kann ich natürlich alles machen, um dagegen zu steuern und vertuschen. Sozusagen aus diesem Dilemma hat sich die unangemeldete Kontrolle heraus entwickelt. Der Athlet darf überhaupt nicht mehr die Möglichkeit haben, zu reagieren. Von daher haben wir in der Doping-Bekämpfung einen fortlaufenden Prozess. In den Medien wird es meist so dargestellt, als sei es ein Hase-Igel-Rennen, aber ich persönlich sehe, dass man in der Bekämpfung wirklich weiterkommt. Es werden mittlerweile sehr gute Kontrollen gemacht und es gibt bessere Nachweisverfahren. Was sich allerdings dramatisch ändern muss, ist: Wie behandle ich einen positiv getesteten Athleten? Da begeben wir uns auf eine ganz andere Ebene, und die heutige Behandlungsweise ist nicht korrekt und gehört dringend verbessert.
In der in den Medien geführten Doping-Diskussion werden immer Athlet und/oder Trainer als Schuldige genannt. Aber Sind es nicht auch die Medien selbst, die immer höhere Geschwindigkeiten, neue Rekorde von den Sportlern fordern?
Baumann: Grundsätzlich gesprochen: es würde sowieso viel zu kurz greifen, wenn wir eine Verantwortungsverschiebung nur in Richtung Athlet machen. Natürlich werden auch ab und zu mal Trainer genannt. Aber haben Sie schon mal gehört, dass ein Trainer bestraft wurde?
Fällt mir spontan keiner ein.
Baumann: Genau – bestraft wird nur der Athlet. Aber ich glaube, man muss sich bei der Dopingproblematik im Klaren sein, dass es ein Zusammenspiel von Faktoren ist, die aus verschiedensten Bereichen stammen, aus der ganzen Gesellschaft. Die Medien, aber auch die Zuschauer wollen Höchstleistungen, überall gibt es die Gier nach Rekorden. Und dann sind da die Sponsoren, die nicht unbedingt einen 5. Platz unterstützen wollen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: ich mache nicht Sponsoren, oder Zuschauer, oder Medien für den Vorgang der Manipulation mittels Doping verantwortlich. Aber im Gesamtgebilde hat jeder seinen Platz und damit auch irgendwo Verantwortung. Darüber müssen wir uns klar werden, wenn wir Doping effektiv und auch ehrlich bekämpfen wollen. Jeder muss sich seiner Verantwortung bewusst werden und danach handeln. Was wir nicht machen dürfen, ist, die Verantwortung einzig und allein beim Athleten zu lassen, das halte ich nicht für ehrlich.
In Ihrem Buch "Lebenslauf" sprechen Sie in der Doping-Frage oft vom "System", was sich aus Sportmedizinern, Funktionären und Trainern zusammensetzt. Hat sich dieses "System" in den letzten zwei Jahren verändert, verbessert, oder haben Sie eher keine Zuversicht?
Baumann: Für die Athleten hat sich die Lage verschlechtert. Für die meisten Verantwortungsträger war es in meinem Fall eine Überraschung, dass ein Athlet um seine Unschuld kämpft. Dass er Ermittlungen anstellt, dass er genaue Untersuchungen fordert und auch macht. Das hat dazu geführt, dass dieses System sehr verunsichert wurde, obwohl das, was ich gemacht habe, eigentlich ganz normal war. Aber würde es jeder Athlet so machen, so das Argument, dann würde sich die Situation insgesamt verkomplizieren. Es geht ja auch schön simpel: "Positive Probe – zwei Jahre Sperre". Nur so simpel ist es eben nicht. Ein Beispiel, warum es sich für diem Athleten verschlechtert hat: In meinem Fall war der Streitwert nach dem DLV-Verfahren auf 16000 DM festgesetzt worden. In den neuesten Fällen liegt der Streitwert bei 50000 Euro. Da können Sie sich vorstellen, dass sich so ein Verfahren kaum noch ein Athlet leisten kann. Denn ein Athlet, der beispielsweise nationale Spitze ist, der vielleicht bei deutschen Meisterschaften zweiter oder dritter wird – der verdient ja kein Geld mit seinem Sport. So ein Athlet wird sich dann sagen müssen: Ich kann ein Verfahren nicht bezahlen, also zwei Jahre Sperre…
…und der Trainer, der seinen Erfolg auch dem Athlet verdankt, distanziert sich sowieso davon.
Baumann: Für den Athleten gibt es daher keine Möglichkeit zur Verteidigung, das ist im Moment Fakt. In dem Augenblick, wo der positive Befund vorliegt, ist es vorbei. Er braucht eigentlich kein Verfahren mehr anzustreben, obwohl noch längst nicht klar ist, ob der Athlet schuldig ist oder nicht. Ich bin der Meinung, dass selbst der "größte Doper" ein Recht darauf hat, sich verteidigen zu dürfen.
Glauben Sie denn, Sie hätten sich in Ihrem Fall verteidigen können, wenn Sie nicht in den vielen Jahren vor den positiven Tests so oft in den Medien gelobt worden wären?
Baumann: Das denke ich schon. Ich glaube, man muss sich Rechte erkämpfen und auch nehmen. Das liegt am Athleten, an der Person. Im Gegenteil, ich glaube, dass es mir sehr geschadet hat, dass ich in einer so exponierten Stellung war. Es wäre mir einfacher gefallen, mich zu verteidigen, wenn ich und damit dieser Fall nicht so groß aufgerollt worden wäre.
Kommen wir vom Thema Doping einmal zum Thema Drogen. Anfang der 90er Jahre wurde in Deutschland eine Initiative ins Leben gerufen, die nannte sich: Keine Macht den Drogen. Heute, 12 Jahre später, gucken wir die Fußball-WM im Fernsehen und sehen jeweils direkt im Anschluss an die Halbzeitpfiffe einen Spot einer großen Bierbrauerei, in dem die Nationalmannschaft höchstpersönlich für den Alkoholkonsum wirbt.
Baumann: Ja, das stimmt, aber ich glaube nicht, dass man für diese Entwicklung den Sport verantwortlich machen sollte. Sie müssen ja sehen, wie wir gesellschaftlich mit dem Thema Alkohol, und zum Beispiel auch mit dem Thema Rauchen umgehen. Wir haben die Diskussion der weichen Drogen und der harten Drogen, aber in der Diskussion tauchen nur selten Alkohol und Zigaretten auf. Die Volksdroge Alkohol fordert aber wesentlich mehr Todesopfer als Heroin. Das soll natürlich nicht heißen, dass Heroin ungefährlich ist und frei gegeben gehört. Im Gegenteil, Alkohol ist eine Droge, wie auch Marihuana oder Extasy. Sie wird nur gesellschaftlich akzeptiert, sie hat einen Sonderstatus. Da läuft Bier schon fast unter dem Begriff "Nahrungsmittel".
Aber anstatt wenigstens etwas gegen die Droge Alkohol zu tun, erfreuen sich die Fernsehsender lieber an den hohen Werbeeinnahmen, die ihnen die Bier-Spots einbringen.
Baumann: Na ja, Fernsehsender sind aber auch Unternehmen, die müssen eben Geld verdienen, Umsatz machen – ein Fernsehsender macht das, was seine Kunden akzeptieren und auch wünschen.
Aber hier geht es um die öffentlich-rechtlichen Sender, die nicht hundertprozentig auf diese Gelder angewiesen sind. Außerdem haben diese Sender zehn Jahre zuvor noch Spots mit der Botschaft "Keine Macht den Drogen" bevorzugt.
Baumann: Ich mache das weniger gern an den Fernsehsendern fest. Wir müssen zum Beispiel sehen, dass heute fast jeder große Sportverband eine Bierfirma als Sponsor hat. Da könnten wir ja beginnen und könnten sagen: Moment mal, das widerspricht sich doch. Aber auch hier darf man nicht den schwarzen Peter dem Verband geben. Bier hat bei uns eben nicht den Status einer Droge und deswegen ist es bei uns erst mal akzeptiert. Das ist doch zunächst das Problem. Also kann ich auch den Aufschrei des Entsetzens jetzt nicht verstehen, denn der müsste viel früher kommen.
Was trinken Sie eigentlich zum Feierabend, wenn Sie, wie jetzt gerade, im Trainingslager sind?
Baumann: Also, ich trinke zwar gerne Bier, aber mein Konsum an Alkohol ist sehr gering. Sagen wir mal, in der Woche ein Bier. Wenn man nichts trinkt, verträgt man natürlich auch nichts. Wenn ich also ein kleines Bier trinke, dann schmeckt mir das, aber ich weiß, dass ich beim zweiten Bier den Alkohol spüren würde. Das lass ich dann lieber, denn das wäre schlecht für meinen nächsten Tag und schlecht fürs Training.
Und kein Gläschen Wein?
Baumann: Ganz selten.
Aber gibt es nicht in Tübingen, in Ihrer Region gute Weine?
Baumann: Ja, doch, das stimmt. Es gibt da auf dem Spitzberg einige Weinhänge. Den habe ich allerdings noch nie getestet, muss ich zu meiner Schande gestehen. Wein trinke ich nur, wenn ich mal zum Essen eingeladen werde, aber ansonsten ist auch mein Weinkonsum verschwindend gering.
Das Leben ist ein Comic – welche Comic-Figur sind Sie?
Baumann: Um Gottes Willen, diese Frage kann ich gar nicht beantworten Ich kann nur sagen, als ich noch Comics gelesen habe, mochte ich Lucky Luke sehr, der Mann, der schneller zieht als sein Schatten.
War denn damals das Laufen schon Ihr Kindheitstraum? Oder gab es da mal ein "Ich werde Pilot oder Feuerwehrmann"?
Baumann: Ich wollte damals eigentlich lieber Fußballprofi werden. Ich habe auch sehr lange Fußball gespielt, aber dann habe ich gewechselt und bin zum Laufprofi geworden. Heute könnte ich mir nichts anderes mehr vorstellen und ich bin froh, diese Wahl getroffen zu haben.