Diknu, vor zehn Jahren hattest du mit 14 deinen ersten gefeierten Auftritt als Jazz-Gitarrist, zusammen mit deinem Vater Joschi am Kontrabass. Welche Erinnerungen hast du an diesen Auftritt?
Diknu Schneeberger: Das hat Spaß gemacht. Viele Verwandte waren bei diesem Konzert dabei und haben sich über mein Spiel gefreut. Leider ist direkt am Anfang eine Gitarrenseite gerissen, aber dann habe ich einfach mit fünf Seiten weitergespielt. Das ging auch. (lacht)
Warst du aufgeregt?
Schneeberger: Wirklich aufgeregt bin ich bis heute nicht. Wenn ich die Gitarre erstmal in der Hand habe, läuft es irgendwie. Schwierig wird es für mich eher, wenn ich vor vielen Leuten reden muss. Das mache ich ungerne. Deshalb halte ich die Ansagen zwischen den Liedern auch immer sehr kurz.
Du wurdest bereits nach wenigen Auftritten von den Feuilletons gefeiert, standst sehr früh im Rampenlicht. Ging das damals alles zu schnell?
Schneeberger: Ja, das würde ich schon sagen. Auf der anderen Seite wollte ich immer großen Erfolg haben, weil ich dachte, dass das Leben dann perfekt ist. Doch Erfolg ist nur eine große Illusion. Anerkennung macht nicht zwangsläufig glücklich. Das habe ich in den letzten Jahren gemerkt und mich deshalb dem Buddhismus zugewandt. Ich war einfach erschöpft von all dem Trubel. Im Buddhismus habe ich einen Ausweg gesucht, durch den Weg nach innen.
Und hat das funktioniert?
Schneeberger: Ich lebe viel bewusster. Ich bin meditativer geworden, ruhiger und achtsamer. Das spiegelt sich auch in meiner Musik wider. Ich spiele heute viel gelassener. Die Musik ist ja sowieso nur ein Spiegel deiner selbst. Als ich früher launisch war, hat sich auch meine Musik nicht gut angehört. Aber auch das wird immer besser. Heute setze ich mich auch auf die Bühne, wenn es mir schlecht geht. Die Gitarre schafft es, dass ich mich wieder gut fühle.
Für viele Gitarristen ist Gypsy-Swing ein Kampfsport-Ersatz.
Du wirst von den Kritikern oft als „Jahrhunderttalent“ bezeichnet. Ist das für dich eher Fluch oder Segen?
Schneeberger: Beides. Diese Bezeichnung kann eine Chance sein, aber auch eine Blockade. Wenn die Leute dich „Supertalent“ oder „Star“ nennen, kannst du eingebildet werden, dann ist es eine Blockade. Oder du siehst das Ganze einfach als Antrieb, als eine große Möglichkeit. So wie eine Leiter, die dir zur Verfügung gestellt wird, auf der du hochklettern kannst. Ich bin diese Leiter hochgeklettert und wieder hinunter. Jetzt ist es mir wurscht, jetzt bin ich einfach nur entspannt. Aber früher habe ich mir auf diese Begriffe etwas eingebildet und war verwirrt. Dabei sind es nur Bezeichnungen, die dich als Mensch nie fassen können.
Du hast hast mal in einem Interview gesagt: „Die Leute können mit dir doch alles machen. Entweder sagen sie, du bist ein Arschloch. Dann wirst du im KZ verbrannt. Oder sie heben dich auf die Bühne – und dann bist du ihr Gott“…
Schneeberger: Ja, so ist es ja auch. Wenn du Talent hast und auf der Bühne stehst, wirst du gelobt. Aber wenn du kein Talent hast, Zigeuner bist und zufällig Zweiter Weltkrieg ist, dann wirst du verbrannt. Du bist der öffentlichen Meinung ausgeliefert. Ich habe mir all diese Bezeichnungen ja nicht ausgesucht, die Masse hat mich da reingedrängt. Du kannst nicht beeinflussen, was die Leute über dich sagen oder schreiben.
Gemeinsam mit deinem Vater und deinem früheren Gitarrenlehrer Martin Spitzer bist du seit vielen Jahren als „Diknu Schneeberger Trio“ in Deutschland und Europa unterwegs.
Wie funktioniert ihr als Trio?
Schneeberger: Wir sind eine super tolle Organisation und eine Freunde-Firma. Auf der einen Seite sind wir hochprofessionell, auf der anderen Seite sind wir einfach Kumpel. Jeder hat seine Aufgabe und weiß was zu tun ist. Selbst beim Autofahren wechseln wir uns ab.
Wenn du mit deinem Vater auf der Bühne stehst – ist er dann mehr Vater oder Bandkollege?
Schneeberger: Das ist eine schwierige Frage. Am Anfang habe ich mich sehr schwer damit getan, das war für uns beide nicht leicht. Ich wusste nicht, ob mir auf der Bühne mein Vater, mein Freund, mein Bandkollege, mein Feind oder mein Konkurrent gegenüber steht. Mittlerweile kriegen wir das beide in den Griff, indem wir einfach nur zwei Menschen sind. Erst danach kommt Vater, Kollege und Freund.
Wie viele Stunden am Tag übst du heute?
Schneeberger: Ich übe schon seit längerer Zeit nicht mehr, also zumindest nicht dieses disziplinierte Üben, sich jeden Tag zwei Stunden hinzusetzen. Früher war ich ein Extremist. Ich habe zwölf Stunden am Tag gespielt und nichts anderes mehr gemacht. Mittlerweile habe ich die Lust am Üben verloren. Heute macht es mir nur noch Spaß gemeinsam mit anderen Menschen Musik zu machen. Die Theorie bringt dir auf der Bühne sehr wenig.
Mit 16 wurdest du am Wiener Musikkonservatorium aufgenommen, obwohl das erst ab 18 möglich ist. Nach drei Jahren hast du die Ausbildung abgebrochen – warum?
Schneeberger: Ich war überfordert. Die Ausbildung war mir viel zu intellektuell. Du musst viel über die Musik nachdenken, sie analysieren und bis ins letzte Detail auseinandernehmen. Damit konnte ich nichts anfangen. Ich war immer schon ein Gefühlsmensch. Heute könnte ich diese Ausbildung sicher besser angehen. Ich habe mich da damals auch nur beworben, um einen Abschluss zu haben. Den habe ich jetzt nicht und bin immer noch am Leben. (lacht)
Wie hat dein Vater auf deine Entscheidung reagiert?
Schneeberger: Meine Eltern waren zunächst dagegen. Das Konservatorium abzubrechen war für sie ein Tabu. Sie haben mir gesagt, dass ich durchhalten solle und dass die Unzufriedenheit schon verschwinden würde, aber so war es nicht. Ich war von Anfang an unzufrieden. Ich habe auch nichts auf dieser Schule gelernt. Irgendwann hat es dann auch mein Vater kapiert, dass ich da nicht glücklich werden kann.
Du hast die Teenagerzeit größtenteils an der Seite deines Vaters auf der Bühne verbracht. Hast du das Gefühl, etwas in deiner Jugend verpasst zu haben?
Schneeberger: Eigentlich nicht. Bevor ich mit der Musik anfing, hatte ich ununterbrochen mit jungen Menschen zu tun und habe mich ausgetobt. Während der Musikzeit waren dann eher ältere Menschen um mich herum, aber das habe ich auch gewollt. Dadurch habe ich nichts verpasst. Jetzt merke ich aber, dass ich zunehmend wieder mit Jüngeren in Kontakt komme. Ich habe einige Bekannte mit denen ich aus Spaß musiziere.
Ich stelle es mir schwierig vor, einen Freundeskreis über die Jahre zu halten, wenn man ständig unterwegs ist…
Schneeberger: Ja, das stimmt. Es ist mir über die Jahre nicht gelungen einen Freundeskreis aufrecht zu erhalten. Immer wenn meine Freunde am Wochenende frei hatten, stand ich auf der Bühne. Freunde zu finden und zu halten war seit dem 16. Lebensjahr immer ein großes Defizit. Aber jetzt bin ich wieder dabei, Freundschaften aufzubauen. Ein großer Cliquenmensch war ich aber sowieso nie.
Mit der Band bist du bei Youtube aktiv und postest Videos von deinen Auftritten. Wie wichtig ist der Kontakt zu den Fans?
Schneeberger: Wenn mich jemand etwas fragt, antworte ich gerne. Viele Leute schreiben sehr nette Dinge unter unsere Videos. Darüber freue ich mich. Ohne Youtube könnten wir kaum auf uns aufmerksam machen, da wir mit Gypsy-Jazz in den Massenmedien kaum stattfinden.
Glaubst du, dass sich das eines Tages ändern wird?
Schneeberger: In den vergangenen Jahren hat sich unser Bekanntheitsgrad schon sehr gesteigert, aber ich glaube nicht, dass die kommerziellen Radiosender jemals unsere Musik spielen werden. Das liegt vor allem daran, dass Gypsy-Jazz traditionell keinen Gesang hat.
Auf dem Album „Friends“ von 2012 sind auch Violine, Klarinette und Mundharmonika zu hören. Neben Gypsy-Sounds spielt ihr lateinamerikanische Klänge und Songs von den Beatles. Muss Gypsy-Jazz solche Einflüsse aufnehmen, um attraktiv zu bleiben?
Schneeberger: Müssen vielleicht nicht unbedingt, aber wir machen das sehr gerne. Wir wollen nicht nur die Musik der 30er-Jahre spielen, sondern auch experimentieren. Dadurch können sehr interessante Songs entstehen, die das Publikum begeistern.
Inwiefern erntest du dafür auch Kritik von Verfechtern des alten Stils, die dir Verrat am Gypsy-Jazz vorwerfen?
Schneeberger: Auf solche Menschen bin ich noch nicht gestoßen. Aber ich bin mir sicher, dass man sie irgendwo findet. (lacht) 95 Prozent aller Kritiken waren bisher sehr positiv. Und die negativen fünf Prozent waren sehr lehrreich. Wenn du nur Lob bekommst, ist das auch nicht gut. Dann wirst du gemütlich und es wird schwer sich weiterzuentwickeln.
Sind Gitarristen ohne Sinti-Wurzeln in der Gypsy-Szene eigentlich genauso respektiert, wie ein Musiker mit Sinti-Wurzeln? ***
Schneeberger: Es kommt darauf an. Was die Sinti betrifft, sind Sie gerne unter sich und bleiben auf Distanz mit sogenannten „Fremden“. Der Rassismus, den die Sinti schon seit langer Zeit ertragen müssen, hat gewisse Wunden hinterlassen. Aus Selbstschutz distanzieren sich viele Sinti von Nicht-Zigeunern. Aber es gibt auch „intelligente“ Sinti, die sich durchsetzten und diesem Spuk ein Ende machen. Am Ende sind wir nur Menschen.
Deine Musik ist inspiriert durch Django Reinhardt, der in den 30er-Jahren die traditionelle Musik der Roma mit Jazz und französischen Walzern mischte. Ist Reinhardt bis heute der beste Gypsy-Gitarrist aller Zeiten?
Schneeberger: Ja, auf jeden Fall. Er ist der Größte, weil er das alles erschaffen hat. Er hatte eine große Individualität und seinen ganz eigenen Stil. Der ist bis heute unerreicht. Django spielt einfach Django. Wenn ein anderer Django spielt, ist er nur eine Kopie. Ich spiele viele seiner Songs bis heute, aber ich werde ihn nie erreichen können. Diknu kann nur Diknu werden, der dann möglicherweise für andere unerreichbar wird. (lacht)
Siehst du Reinhardt immer noch als Dein Vorbild?
Schneeberger: Er war es jahrelang, aber ich habe heute keine Vorbilder mehr. Ich versuche mich von meinen Vorbildern zu emanzipieren und meinen eigenen Stil zu finden. Das ist schon schwierig genug. Ich glaube seinen persönlichen Stil zu finden ist ein lebenslanger Prozess und wird nie aufhören. Du musst spielen, spielen und spielen und an deiner Technik feilen. Und dann ist man nach vielen Jahrzehnten zum Schluss einfach nur noch ein Mensch, der Musik macht, aber nicht mehr darüber nachdenken muss. Das ist die Idealvorstellung. Ich hoffe, dass ich diesen Zustand irgendwann erreiche.
Du sagst, Django Reinhardt sei bis heute unerreicht. Wie ist das möglich? Reinhardt hatte ja nach seinem Unfall gar nicht alle Finger zur Verfügung – trotzdem kommt heute niemand mit gesunden Fingern an ihn heran?
Schneeberger: Ja. Aber es geht hier nicht nur um einen Wettbewerb. Django spielte bloß mit Zeige – und Ringfinger. Das ist unglaublich. Er war ein Virtuose. Er muss der ehrgeizigste Mensch der Welt gewesen sein. (lacht) Was Django aber wirklich ausmacht, ist zweifellos seine Musikalität. Er ist deshalb so einzigartig und unerreicht, weil er viele positive Qualitäten in Harmonie gebracht hat. Seine Spontanität, seine Leidenschaft, sein Schöpfergeist. Er hatte eine weit entwickelte Seele.
Welche Rolle spielt der Wettbewerb unter den Gypsy-Swing-Gitarristen? Wird stets Ausschau gehalten, wer der fingerfertigste und schnellste Gitarrist ist?
Schneeberger: Ja, das ist schon so. Mittlerweile weiß ich auch wieso. Natürlich will sich der Mensch mit anderen messen. Der Mensch möchte siegen, nicht verlieren. Und Gypsy-Swing ist eine Einladung. Sie fordert die Finger vieler Gitarristen heraus. Durch die Musik kann man seine Gefühle ausleben, man muss sie nicht mehr unterdrücken. Deswegen fightet man sehr gerne an der Gitarre. Für viele Gitarristen ist Gypsy-Swing ein Kampfsport-Ersatz. Wenn man diesen Wettbewerb nicht zu ernst nimmt, kann es großen Spaß machen, gegeneinander zu spielen. Zwei Gitarren: Wer ist der Bessere ? Aber das paradoxe daran ist, dass es niemals einen Besseren geben kann. Man kann es auch so sagen: Umso authentischer, desto besser.
Wenn du früher 12 Stunden am Tag geübt hast, hat dich da auch der Gedanke angetrieben, einer der besten, fingerfertigsten Gitarristen werden zu wollen?
Schneeberger: Aber klar doch. Ich wollte immer besser werden als meine Vorbilder.
Eine Frage zum Schluss: Der Verein Romano Centro hat im Dezember einen Bericht zum Antiziganismus in Österreich vorgelegt und auf weit verbreitete Vorurteile hingewiesen: Sinti und Roma seien nicht zivilisiert, würden sich nicht in die Gesellschaft integrieren, betteln und stehlen. Welche persönlichen Erfahrungen hastdDu mit Vorurteilen gemacht?
Schneeberger: Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht. Ich bin nie als „Zigeuner“ abgestempelt oder diskriminiert worden. Das war auch in der Schule nie ein Problem.
Aber wie erklärst du dir, dass es diesen Rassismus immer noch gibt?
Schneeberger: Jedes Vorurteil ist Dummheit. Ein intelligenter Mensch erkennt doch, dass wir alle nur Menschen sind. Wer mit sich selbst zufrieden ist, hat es gar nicht nötig andere Menschen auszugrenzen. Manche haben eine andere Hautfarbe, eine andere Einstellung oder eine andere Mentalität, aber wo ist der Unterschied? Wir sollten alle mehr aufeinander zugehen und niemanden ausschließen. Aber ich glaube fest daran, dass sich das in der Zukunft auch ändern wird, dass die Menschen irgendwann aufwachen.
*** In der ursprünglichen Version der Frage hatten wir irrtümlich den falschen Eindruck erweckt, dass der Jazz-Gitarrist Joscho Stephan keine Sinti-Wurzeln hat. Stephan hat uns per Mail darauf hingewiesen, dass sein Großvater Roma war. Dies hatten wir bei der Vorbereitung des Interviews übersehen, wofür wir uns entschuldigen möchten.