Herr Bauermann, im vergangenen Jahr haben Sie die Basketball-WM in der Türkei als eine „Übergangssituation“ für die deutsche Nationalmannschaft beschrieben. Was bedeutet nun die EM in Litauen für den Aufbau Ihrer Mannschaft?
Unser Dreijahresplan war es, eine Mannschaft zu entwickeln, die zusammen mit Dirk Nowitzki und Chris Kaman, die jetzt das erste Mal seit 2008 wieder dabei sind, eine realistische Chance hat, sich bei der Europameisterschaft in Litauen für Olympia zu qualifizieren. Deshalb waren die Jahre 2009 und 2010 Zwischenstationen für uns und eine wichtige Entwicklungsphase. Jetzt müssen wir schauen, ob unser Plan auch aufgeht.
Für viele Deutsche wird die EM vor allem durch Dirk Nowitzkis Teilnahme interessant. Haben Sie manchmal Angst, dass der deutsche Basketball zu sehr auf einen Superstar reduziert wird, der noch nicht mal in Deutschland spielt?
Es ist schon unglaublich, wie groß die Begeisterung in Deutschland für einen Spieler ist, der noch nicht mal im deutschen Fernsehen gezeigt wird. Das erhöht natürlich auch den Mythos Dirk Nowitzki. Man muss zunächst mal eine große Chance für den deutschen Basketball darin sehen, dass wir einen Spieler seiner Qualität, seiner Ausstrahlung und Persönlichkeit haben. Neben den starken Fußball-, Handball-, Eishockey und Volleyball-Ligen in Deutschland ist es für Basketball schwierig, eine prominente Rolle zu spielen. Und jemand wie Dirk lenkt den Fokus wieder auf unsere Sportart. Diese Welle muss man reiten – so gut und so lange es geht. Man muss versuchen, in Dirks Windschatten Spieler zu entwickeln, die im Kollektiv in der Lage sind, ein hohes Niveau zu halten. Ein weiteres Ziel muss es sein, Kinder und Jugendliche mit Ballgefühl für den Basketball zu begeistern, um sie nicht an andere Sportarten zu verlieren. Da ist Dirk mit seiner Strahlkraft natürlich eine Galionsfigur.
Wenn jemand wie Nowitzki nach langer Zeit wieder zur Nationalmannschaft stößt, werden sich seine Teamkollegen ihm dann sofort unterordnen?
Sofort – und ohne wenn und aber. Dabei spielen zwei Dinge eine Rolle. Erstens: die unglaublich hohe sportliche Qualität von Dirk. Und zweitens: seine menschliche Qualität. Er macht es allen sehr leicht, in dem er keine Sonderbehandlung einfordert, er ist sofort einer von ihnen. Unsere Mannschaft besteht einfach aus guten Jungs, die mannschafts-, erfolgs-, leistungsorientiert denken. Ihnen geht es ums Gewinnen, und sie haben kein Problem damit, dass von dem Lichtkegel, der da auf die Nationalmannschaft scheint, nur ein ganz geringer Anteil auf sie fällt.
Gibt es denn derzeit Spieler, die darauf drängen, irgendwann die Nowitzki-Rolle einzunehmen?
Das sehe ich nicht. Was ich aber sehe, ist dass sich eine Generation knapp über 20 Jahre alter Spieler entwickelt, zu der Tibor Pleiß, Robin Benzing, Philipp Schwethelm, Elias Harris, Lucca Staiger und Tim Ohlbrecht gehören, die ein unbestrittenes internationales Top-Niveau haben und weiterhin haben werden. Als Gruppe ist diese Generation sehr stark, aber keiner daraus wird als einzelner der Nationalmannschaft so sehr seinen Stempel aufdrücken, wie es Dirk in den letzten zehn Jahren getan hat. Man darf aber erwarten, dass der eine oder andere von ihnen auch in der NBA auftauchen wird.
Woran es den deutschen Nationalspielern zuletzt besonders mangelte, war Schnelligkeit. Sie selbst haben als Gründe für die Niederlagen bei der WM zu langsames Umschalten und Treffen von Entscheidungen genannt …
Das ist ein Dilemma, dass uns in allen Altersgruppen verfolgt. Wenn zum Beispiel unsere U20-Nationalmannschaft gegen die Griechen, die Türken, die Litauer oder die Spanier spielt, sind diese uns athletisch immer im Vorteil.
Wie kommt es zu diesem Vorteil?
In diesen Ländern sind die schulische und die sportliche Ausbildung besser miteinander verzahnt als bei uns, die Spieler kommen dort viel früher in professionelle Strukturen. Und das macht sich dann natürlich auch im Vergleich der A-Nationalmannschaften bemerkbar. Ein 20 Jahre alter Spanier verbringt in etwa so viele Stunden im Kraftraum und in der Trainingshalle, wie unsere Jungs mit 23 oder 24. Zudem haben unsere jungen Spieler oft nicht die Erfahrung von denen aus anderen Ländern – das Talent aber allemal.
Es ist schon unglaublich, wie groß die Begeisterung in Deutschland für einen Spieler ist, der noch nicht mal im deutschen Fernsehen gezeigt wird.
Nach der EM werden Sie sich als Trainer ausschließlich um Ihren Verein, den FC Bayern München kümmern. Was waren die Gründe für Ihre Entscheidung?
Das generelle Verbot einer Doppelfunktion durch die BBL hat mich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Es gibt zwei Dinge, die dafür ausschlaggebend waren. Anders als im Fußball oder Handball, wo alle vier bis sechs Wochen ein Länderspiel ansteht, existiert die Nationalmannschaft im Basketball nur in sechs Sommerwochen. Als Trainer mit Leib und Seele kann man also auch nur sechs Wochen im Jahr das machen, was man am liebsten macht und am besten kann, nämlich in der Halle mit der Mannschaft arbeiten und Wettkämpfe bestreiten. Die Möglichkeit, beim FC Bayern Chef-Trainer zu werden und etwas ganz Besonderes zu entwickeln, zusammen mit meinem Gefühl, dass mir etwas fehlt und ich nicht ausgelastet bin, waren die Gründe, weshalb ich mich wirklich schweren Herzens entschieden habe, nur noch Vereinstrainer zu sein. Die bisherige Doppelfunktion kommt aber möglicherweise noch für ein weiteres Jahr in Frage, nämlich dann, wenn wir uns direkt oder indirekt für Olympia qualifizieren. Dann kann es sein, dass die BBL eine Ausnahmeregelung erlaubt.
Im vergangenen Jahr haben Sie das Pro A-Team des FC Bayern in der zweiten Liga übernommen, was für viele überraschend war …
Ich bin zum FC Bayern in die zweite Liga gegangen, obwohl es ein großes Risiko war und mir alle davon abgeraten haben. Aber wenn man eine Marke wie den FC Bayern ins Boot des Basketballs holen kann, dann muss man das einfach machen. Es ist ein toller Verein, in dem es so viel Spannendes und so viele gute Charaktere in der Verantwortung gibt. Das fasziniert und reizt mich, und so etwas habe ich auch noch nicht erlebt, obwohl ich wirklich schon tolle Stationen in meiner Karriere hatte.
Kürzlich haben Sie erklärt, mit dem FC Bayern im Basketball viel erreichen zu wollen – aber nicht „um jeden Preis“. Basieren die aktuellen Erfolge des Vereins nicht aber vor allem auf hohen Preisen, die der FC Bayern für spezielle Transfers selbst in der 2. Liga zahlen konnte?
Ja, keine Frage. Auch jetzt liegt das Budget des FC Bayern im ersten Jahr als Aufsteiger in etwa im gleichen Rahmen wie das von Alba Berlin und Bamberg. Daran müssen wir gemessen werden, und daran werden wir uns auch selbst messen. Mit „nicht um jeden Preis“ meinte ich aber weniger das Finanzielle, sondern wollte damit sagen, dass wir bei aller Erfolgsorientiertheit auch mit einer gewissen Bescheidenheit und Respekt an die Sache rangehen und nicht versuchen sollten, jetzt die Konkurrenz platt zu machen. Wir wissen, wer wir sind und was wir können, aber es ist eine sehr gute Liga mit hervorragenden Gegnern, und wir müssen erst mal schauen, dass wir uns durchsetzen und etablieren. Wir müssen uns den Respekt der anderen erst noch erarbeiten. Zudem müssen wir an die Jugendarbeit denken, eigene Talente entwickeln und sie an die erste Mannschaft heranführen.
Bekanntermaßen haben Sie ein sehr gutes Verhältnis zu Bayern-Präsident Uli Hoeneß, der viel Ahnung von den richtigen Transfers zur richtigen Zeit hat. Aber hat er auch viel Ahnung von Basketball?
Absolut! Er hat sich ja schon während seiner aktiven Fußballkarriere sehr für Basketball interessiert. Generell muss man sagen, dass Leute wie er oder auch ein Karl-Heinz Rummenigge die Ballsportarten generell unglaublich gut verstehen und deshalb auch die Dinge im Basketball richtig sehen. Zudem hat Uli Hoeneß ein sehr gutes Auge für Talent.
Die größte Bestätigung für Sie und Uli Hoeneß wäre sicher ein baldiger Deutscher-Meister-Titel …
Man arbeitet ja immer dafür, die Nummer Eins in seiner Sportart zu sein. Aber wir lassen uns diesbezüglich nicht unter Druck setzen. Es soll irgendwann soweit kommen – und ich bin mir sicher, dass es auch soweit kommen wird. Es wäre ein toller Augenblick für den FC Bayern, ist aber noch weit entfernte Zukunftsmusik.