DJ Bobo

Eurodance ist Kult!

DJ Bobo im ausführlichen Interview über aufwändige Live-Shows, 90er Jahre-Musik, Sängerqualitäten und warum für ihn „Eurodance“ kein Schimpfwort ist.

DJ Bobo

DJ Bobo, Ihre neue Show heißt „Circus“. Sie übernehmen darin den Part des musikalischen Direktors und führen durchs Programm. Was genau erwartet die Zuschauer?
DJ Bobo: Der eigentliche Star ist die Bühne mit einem 46 Meter großen Clown. Der sitzt in der Halle und in seinem Schoß befindet sich die Manege, auf seinem Hals kann man gehen und in seinen Händen hält er eine zwölf Meter hohe Geige. Das Tolle an diesem Clown ist, dass er dreidimensional gebaut ist, sprechen und sich verwandeln kann: in einen Roboter, einen Vampir und in einiges mehr. Das haben wir mit einer ganz neuen Videotechnik realisiert.

Bei Ihnen spricht man meistens zuerst von der neuen Show, als von der neuen CD. Das ist eher ungewöhnlich …
DJ Bobo: Aber ich bin froh, dass es so ist, denn dadurch bin ich unabhängig von den musikalischen Trends, die es da draußen gibt. Wenn man sich so lange, wie ich, in dieser Branche bewegt, kann man diese Trends gar nicht mitgehen. Da kommt jedes Jahr so viel Neues dazu, da würde ich ständig hinterherhetzen. Ich mache ja eigentlich Dance-Music und die ist für sich alleine genommen schon sehr schnelllebig.

Was ist zuerst da: die Ideen für die neue Platte, oder werden die Songs zum Konzept der neuen Show geschrieben?
DJ Bobo: Die Idee und das Konzept für die Show sind zuerst da und danach werden die Songs geschrieben. Man könnte also sagen, dass meine ganzen CDs der letzten Jahre Konzeptalben waren.

Aber sind Konzeptalben bei der aktuellen schlechten Situation auf dem Musikmarkt nicht eher kontraproduktiv?
DJ Bobo: Das ist so, ja. Aber ich verkaufe eh kaum noch Platten, weil die Branche sowieso am Boden ist. Warum sollte ich das mit den Konzeptalben also nicht machen? In der Schweiz würden wir sagen: Man soll keine tote Sau durchs Dorf jagen (lacht). Wenn meine Platten und meine Shows eine konzeptionelle Einheit bilden, bringt mir das musikalisch und finanziell gesehen mehr, als wenn beides losgelöst von einander existiert. Denn ich verkaufe heutzutage ungefähr ein Drittel der Platten als noch vor zwölf oder 13 Jahren. Dagegen ist das Konzertgeschäft angestiegen. Die Leute gehen heutzutage lieber auf Livekonzerte, als sich CDs zu kaufen. Insofern habe ich genau den richtigen Weg für mich und mein Team gefunden.

Zitiert

Lady Gaga hat einen noch blöderen Namen als ich.

DJ Bobo

Ist das große Show-Spektakel auch ein Grund, warum Sie sich über all die Jahre so gut im Musikgeschäft halten konnten? Im Gegensatz zu vielen anderen Acts aus der Eurodance-Ära…
DJ Bobo: Es wäre den anderen Acts gegenüber ungerecht, das so pauschal zu behaupten. Aber ein kleiner Funken Wahrheit steckt wohl schon darin. Denn der Eurodance war eine musikalische Welle und jede dieser Wellen geht irgendwann wieder nach unten oder verschwindet sogar ganz. Als wir damals gesehen haben, dass dieses Genre noch ungefähr ein oder zwei Jahre Bestand haben würde, haben wir beschlossen, dass wir raus müssen aus den Diskotheken, rein in die großen Hallen und uns neu erfinden. Es war also eine geplante Weiterentwicklung. Ob so etwas heutzutage auch noch funktionieren würde, kann ich allerdings nicht sagen.

Haben es Musiker heutzutage schwerer, sich zu etablieren?
DJ Bobo: Ja, die jungen Musiker auf jeden Fall. Damals konnte man noch Fehler machen und Dinge ausprobieren. Heute muss man gleich auf Anhieb zu hundert Prozent funktionieren, hat keine Zeit mehr zu lernen oder zu wachsen. Wenn man in der heutigen Zeit nicht gleich mit dem ersten Song einen Hit hat, dann ist man weg vom Fenster.

Woran liegt das?
DJ Bobo: Daran sind wir alle schuld. Alles ist schnelllebiger geworden, die Gesellschaft verzeiht Fehler nicht mehr so, wie damals. Ich habe am Anfang meiner Karriere mit Sicherheit auch ein oder zwei Songs veröffentlicht, die – im Nachhinein gesehen – die falschen waren. Aber damals hat man über so was noch hinweg gesehen. Heute lässt man dich fallen, wenn so was passiert, weil einfach die Loyalität fehlt.

Was vermissen Sie noch aus Ihrer Anfangszeit?
DJ Bobo: Am meisten vermisse ich die Leichtigkeit von damals. Ich konnte damals gewisse Dinge auch noch spontan entscheiden. Das wäre heute undenkbar, da ist jede noch so kleine Entscheidung ungeheuer wichtig und kann ohne Ende wirtschaftliche Folgen mit sich ziehen. Damals hatte ich noch keine 120 Mitarbeiter, die darauf angewiesen sind, dass ich da vorne sauber und ordentlich meinen Job mache. Wir waren damals fünf oder sechs Verrückte, die einen Traum hatten und das machen wollten, was ihnen Spaß gebracht hat – nämlich Musik!

Und heute ist der Spaß weg?
DJ Bobo: Nein, so war das nicht gemeint. Die Liebe zur Musik und zum Musikmachen ist noch genauso vorhanden, wie am Anfang meiner Karriere.

Die hat damals mit einem geklauten Song begonnen: „Somebody’s watching me“ von Rockwell wurde bei Ihnen zu „Somebody dance with me“. Hätte es aber auch ohne diese geklaute Starthilfe mit der großen Karriere geklappt?
DJ Bobo: Kann ich mir nicht vorstellen. Ich wäre heute mit Sicherheit immer noch ein kleiner DJ, der glücklich seine Platten in irgendwelchen Diskotheken auflegen würde (lacht).

Heutzutage braucht man ja auch nicht mehr klauen, es gibt doch Castingshows.
DJ Bobo: Na ja, ich hätte damals auch nicht zwingend klauen müssen, ich war nur einfach noch nicht so weit, um selber gute Songs zu komponieren. Das war dieser Lernprozess, den ich vorhin angesprochen habe. Ich durfte mich entwickeln und lernen. Wenn aber heute jemand eine Casting-Show gewinnt, dann muss er sofort perfekt sein und alles können. Das ist natürlich unmöglich.

Und trotzdem waren Sie bereits selber zweimal Juror in Castingshows …
DJ Bobo: Ja, das stimmt. Aber diese Formate sind einfach nur Fernsehunterhaltung. Nicht mehr und nicht weniger.

Können die Shows echte und langlebige Stars hervorbringen?
DJ Bobo: Ich denke schon, dass das möglich ist. Aber das passiert dann eher zufällig und weniger geplant. Andererseits muss man aber auch fairer Weise sagen, dass eine Castingshow kein Karriereverhinderungsgrund ist. Es gibt ja einige gute Beispiele für internationale Stars, die in einer Castingshow entdeckt wurden: Leona Lewis fällt mir da spontan ein.

In den 1990er Jahren gab es auch einige sehr erfolgreiche Boygroups, die gecastet waren: beispielsweise Take That, Backstreet Boys oder die New Kids on the Block. Von einigen dieser Bands gab es in letzter Zeit mehr oder weniger erfolgreiche Reunions. Wer braucht so was?
DJ Bobo: Die Kids von damals brauchen das in erster Linie. Und einige von diesen Bands waren ja nie weg: die Backstreet Boys zum Beispiel. Die haben immer gespielt, mal mit mehr und mal mit weniger Erfolg.

Gibt es Acts aus den 90er Jahren, von denen Sie sich gerne ein Comeback wünschen würden?
DJ Bobo: Oh ja, einige. Haddaway ist einer davon. Er hat eine tolle Stimme und sieht gut aus. Keine Ahnung, warum das bei ihm nach der Eurodance-Welle nicht weiterging.

Heutzutage ist Eurodance ja fast schon ein Schimpfwort!
DJ Bobo: Das würde ich so nicht unterstreichen. Ich würde es als Kult bezeichnen. Die Vergangenheit wird von den Menschen doch immer glorifiziert und das hat meist den gleichen Effekt: Zuerst ist etwas geil, dann ist es scheiße und dann wieder geil. Denn jeder musikalische Trend ist ein Stück Zeitgeist. Mir ist aber durchaus bewusst, dass all diese Musiker, die aus dem Eurodance kommen, immer in diese Trash-Ecke gestellt werden, weil viele Menschen das nicht als Kunst, sondern eben als Zeitgeistphänomen betrachten.

Egal, ob Trash oder nicht, Sie haben rund 14 Millionen CDs davon verkauft. Welchen Teil des Erfolgs machen Glück und Talent, wie viel harte Arbeit aus?
DJ Bobo: 80 Prozent harte Arbeit und 20 Prozent Glück und Talent. Aber das gilt nicht nur für die Musikbranche. Ich denke, beim Sport ist das genauso.

Kann man Erfolg eigentlich langfristig planen?
DJ Bobo: Man sollte es zumindest versuchen und nicht nur von einem Moment zum anderen leben. Man braucht eine Vision, um zu wissen, wohin man will. Ich würde sogar sagen, der Hauptplan sollte diese Vision sein.

Früher bestanden Ihre Songs fast ausschließlich aus Dancefloor-Beats mit entsprechenden Rap-Parts, heute gibt es auf Ihren Platten unter anderem Rock-, Reggae-, Jazz-Einflüsse zu hören und Sie singen hauptsächlich. War das auch so eine Art Plan oder Vision, um weiterhin im Musikbusiness bestehen zu können?
DJ Bobo: Ja, das war ein ganz bewusst gesetztes Ziel. Als der Eurodance damals zu Ende ging, wollte ich mich weiterentwickeln, um nicht auch von dieser Welle weggeschwemmt zu werden. Und da war der Gesang die einzige Möglichkeit, um aus der Masse heraus zu stechen.

Wie schwer war für Sie die Umstellung von Rap auf Gesang?
DJ Bobo: Nun ja, ich würde mich nicht als Weltklassesänger definieren, aber ich denke, dass mein Gesang ganz okay ist. 1996 habe ich mit dem Singen angefangen und hatte damals ziemlich Angst davor. Mittlerweile hat sich das aber gelegt.

Eine Zeitung aus der Schweiz bezeichnete Ihre Musik einmal als Mischung aus Billigtechno, Billigpop, Billigrap und Billigreggae. Wie hart trifft Sie so eine Kritik?
DJ Bobo: Gar nicht! Das ist Geschmackssache und wenn der Redakteur, der den Artikel geschrieben hat, es so empfindet, dann ist das völlig okay. Früher hätte mich so was bestimmt sehr traurig und wütend gemacht. Aber heute nehme ich so was locker.

Die Kritik zielt natürlich auch darauf ab, dass Sie den Mainstream bedienen. Was war Ihr bisher gewagtester oder experimentellster Song?
DJ Bobo: Ich würde sagen, dass „Everybody“ das gewagteste Stück bisher war. Das hat nur keiner gecheckt, und es wurde einer meiner größten Hits.

Dann klären Sie uns doch bitte auf …
DJ Bobo: Ganz einfach: das war kein Dance-Song, sondern ein Reggae-Stück! Die Leute in meinem näheren Umfeld haben damals dauernd gesagt, dass ich verrückt wäre, als vierte Single einen Reggae-Song veröffentlichen zu wollen. Aber es hat ja gut funktioniert, wie man heute weiß. Womit wir wieder beim Thema wären, dass man früher noch Dinge ausprobieren konnte …

Gibt es etwas in Ihrer Karriere, was Sie heute anders machen würden?
DJ Bobo: Na ja, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mir wohl einen anderen Künstlernamen zulegen. Aber seit Lady Gaga weiß ich, dass es jemanden gibt, der einen noch blöderen Namen, hat als ich (lacht).

Sie sind seit 2006 als „UN Botschafter gegen den Hunger“ für das World Food Program (WFP) aktiv und unterstützen unter anderem Kinderhilfsprojekte in Äthiopien. Wäre es für Sie denkbar auch innerhalb Ihrer Konzerte auf die Probleme in der Welt hinzuweisen?
DJ Bobo: Ich glaube nicht, dass das passend wäre. Die Leute kommen zu meinen Shows, um Spaß zu haben und fänden es wohl nicht so gut, wenn ich da über solche Dinge reden würde.

Wenn man so viel Armut sieht, wie zum Beispiel in Äthiopien, hinterfragt man dann ein Stück weit sein eigenes Leben und vor allem seinen Erfolg?
DJ Bobo: Ja, natürlich. Vor allem, weil ich selbst Kinder habe. Das trifft einen dann schon ganz besonders.

Haben Sie sich dann auch schon mal vorgestellt, wie es wäre, ohne den ganzen Ruhm und Erfolg zu leben?
DJ Bobo: Selbstverständlich! Ich brauche diesen Ruhm nicht, aber er gehört wohl zum Geschäft. Statussymbole wie schnelle Autos brauche ich ebenfalls nicht. Ich fahre einen Subaru, da passt die ganze Familie rein und gut ist es.

Peter René Baumann alias DJ Bobo wurde am 5. Januar 1968 in Kölliken, im Schweizer Kanton Aargau geboren. Er wuchs in Luzern auf und absolvierte dort eine Bäcker- und Konditorlehre. Bereits zu dieser Zeit stand er als DJ in verschiedenen Clubs an mehr

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