Dominic Raacke

„Tatort“-Kommissare sind Stehaufmännchen.

Dominic Raacke über Parallen zwischen Comic-Figuren und „Tatort“-Kommissaren, sein Verhältnis zu Film-Partner Boris Aljinovic, vorsichtige Redakteure und warum die Arbeit am Set für ihn wie Krieg ist

Dominic Raacke

© RBB / Annegret Plehn

Herr Raacke, Sie sind ein bekannter Schauspieler und geben regelmäßig Interviews. Gibt es da eigentlich Fragen, die Sie immer wieder gestellt bekommen?
Raacke: Ja, diese frequently asked questions gibt es tatsächlich: Sind Sie so wie der, den Sie da spielen? Oder sind Sie ganz anders? Wo liegen die Unterschiede? – Die Leute kennen mich schließlich nur aus dem Fernsehen und sind entsprechend neugierig…

Nervt es Sie, diese Fragen immer wieder beantworten zu müssen?
Raacke: Nö. Das ist eine Gewohnheitssache. Wenn man viele Interviews gibt, stellt man manchmal selber mit Erschrecken fest, dass man immer wieder die gleiche Antwort gibt. Selbst wenn die Fragen unterschiedlich waren.

In Ihrer Rolle als Berliner „Tatort“-Kommissar Till Ritter sind Sie gezwungen, oftmals die gleichen Sätze zu sagen, nach dem Motto: „Wo waren Sie gestern Abend um 21 Uhr?“ und „Wer kann das bezeugen?“. – Widerstrebt Ihnen das? Als Schauspieler liebt man doch die Abwechslung…
Raacke: Als ich vor kurzem eine Folge einer anderen Krimi-Serie gesehen habe, ist mir aufgefallen, dass jeder Satz, den der Ermittler sagte, eine Frage war. Das geht also nicht nur uns „Tatort“-Kommissaren so, sondern ist charakteristisch für den Fernsehkrimi im Allgemeinen. Immer sind es Sätze mit Fragezeichen! Unsere Kunst ist es, das zu verstecken. So dass es nicht jedem gleich auffällt… (lacht). Aber man freut sich natürlich auch, wenn man mal was anderes sagen kann. Ohne Fragezeichen hinten dran.

Ist der „Tatort“ nach acht Jahren noch eine Herausforderung für Sie?
Raacke: Man muss aufpassen, dass man nicht immer wieder das Gleiche macht. Andererseits ist genau das die Aufgabe. Denn es ist immer dieselbe Figur. Ich habe auch gar keine große Lust, die Figur Till Ritter großartig zu verändern.

Nicht?
Raacke: Es muss doch auch einen Wiedererkennungswert geben. Man darf nicht vergessen: „Tatort“-Kommissare sind Stehaufmännchen, die sich am Ende des Films dort befinden, wo sie auch am Anfang gewesen sind. Wie kleine Comic-Figuren, die verprügelt werden und im nächsten Bild mit einem Pflaster und einer Krücke herumlaufen und im übernächsten Bild wieder völlig unversehrt sind. Daher müssen wir diese Kontinuität einfach haben.

Aber gewisse Vorstellungen in Hinblick darauf, wie es mit Ihrer Rolle weitergeht, haben Sie doch bestimmt…
Raacke: Was ich möchte, ist, dass Ritter wieder mehr Biss bekommt. Ich finde, der muss wieder cholerischer werden. Ein bisschen härter, bösartiger. Es gilt, die Figur zu justieren, weil sonst einfach auch Dinge verloren gehen. Ritter könnte wieder einmal ein bisschen mehr derjenige sein, der er ursprünglich einmal sein sollte.

Der „Tatort“ gilt als Experimentierfeld im deutschen Fernsehen, in Bezug auf Themen, Erzählweise, Gestaltung…
Raacke: Das Schöne ist, dass jeder ARD-Sender seinen eigenen „Tatort“ hat und sie sich untereinander auch unterscheiden dürfen. Es gibt kein standardisiertes Raster, in das alle „Tatorte" hineingezwängt werden müssen. Gerade weil der „Tatort“ so gute Quoten hat und er auf einem so berühmten Sendeplatz am Sonntagabend läuft, kann der „Tatort“ gesellschaftskritisch sein und auch mal ein bisschen unangepasstere Regisseure ranlassen. Genau das ist doch das Prinzip des Formats! Er darf auch mal etwas polarisieren. Die Leute sollen ruhig sagen: „Das war doch gar kein richtiger „Tatort“. Ich kann daher die Redakteure nur dazu motivieren, neue Wege zu gehen.

Wie sehr müssen Sie die Redakteure Ihres Senders, die des RBB, motivieren?
Raacke: In Berlin haben wir eher vorsichtigere Redakteure. Das liegt aber auch an unserer Historie. Daran, dass der Berliner „Tatort“ vor gar nicht allzu langer Zeit sehr schlecht dastand. Als ich 1999 anfing, hieß es deshalb: „Wir machen es ab sofort wie die Anderen.“ Ich finde, inzwischen sind wir so etabliert, dass wir uns auch wieder mal ein paar Experimente leisten könnten…

Machen Sie Ihrer Redaktion diesbezüglich Vorschläge?
Raacke: Ja, sehr viele. Leider werden die nicht immer angenommen (lacht). Im Moment sitze ich zusammen mit einer Autorin sogar an einer eigenen Geschichte. Jetzt bin ich sehr gespannt, ob daraus etwas wird. Was man ja nie weiß! Unsere Redaktion ist manchmal sehr eigen. Berlin ist an sich so ein tolles Feld. Da kann man unheimlich viele großstädtische Geschichten erzählen. Aber nicht alles ist gefällig bei der Redaktion. Manche Themen wollen die gar nicht haben!

Was sind das für Themen?
Raacke: Ausländerthemen zum Beispiel werden nicht gewollt. Finde ich total schade…

…warum werden die denn abgelehnt?
Raacke: Weiß ich doch nicht. Vielleicht weil sie Schiss haben? Echt keine Ahnung, warum das so ist. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Ehrenmord an der jungen türkischen Frau. Das ist ein Fall, den man in einer Stadt, die eine so große Community wie Berlin hat, längst hätte aufarbeiten müssen.

Das hat ja inzwischen der NDR gemacht. Maria Furtwängler ermittelt Ende des Jahres im Niedersachen-„Tatort“ in einem Fall von Ehrenmord…
Raacke: Tja, hätte ich halt auch gerne gemacht… Umso bedauerlicher ist es, dass wir das verpennt haben. Wir hätten das einfach machen müssen! Es ist nun mal in Berlin passiert, und das Thema ist ganz heiß und ganz wichtig. Der „Tatort“ ist dafür bekannt, dass er sich solcher Themen annimmt. Es ist eben kein CSI, wo es nur um die Technik geht und darum, wie man einen Mörder jagt und ihn überführt. Sondern die große Politik des „Tatorts“ war es immer, ein Spiegel unserer Zeit, unserer Gesellschaft zu sein! Diese Politik muss man weiter verfolgen. Auch wenn man mal ein bisschen Schimpfe kriegt und irgendwelche Politiker sagen: „Das hättet ihr jetzt nicht erzählen müssen.“

Zitiert

Ich habe keine Lust, die Figur Till Ritter großartig zu verändern.

Dominic Raacke

Sie sind selbst als Drehbuchautor tätig, für „Um die 30“ bekamen Sie Mitte der Neunziger Jahre sogar einen Preis für das beste Drehbuch. Sind Sie demzufolge besonders kritisch mit den Drehbüchern, die Sie bekommen?
Raacke: Manchmal rege ich mich wahnsinnig auf und setze mich sehr kritisch mit der Redaktion auseinander. Ich habe aber auch schon mal gesagt: „Jetzt machen wir das halt so.“ Weil es sich auch nicht immer lohnt, sich allzu sehr zu ärgern. Man muss immer wieder einen Weg, einen Kompromiss finden. Ich sage dann immer: „Ihr seid, wie ihr seid und ich bin, wie ich bin und irgendwie wollen wir zusammen arbeiten, also müssen wir das gemeinsam hinkriegen.“ Manchmal habe ich was durchgesetzt, dann auch wieder nicht. Das ist jedes Mal eine neue Verhandlung!

Was ist Ihnen wichtig, worum kämpfen Sie?
Raacke: Es geht mir um die Glaubwürdigkeit der Figur. Darum, dass es nachvollziehbar ist. Manchmal lese ich ein Drehbuch und muss mich wirklich ärgern, weil ich denke: Das ist doch gar nicht die Figur! Wieso soll der jetzt so sportlich sein? Ritter ist kein sportlicher Typ! Wenn ein Autor das mal nicht weiß, verstehe ich das ja noch. Aber es läuft immer über die Redaktion! Da wundere ich mich dann schon sehr, weil wir das jetzt schon so lange machen und ich eigentlich denken würde, dass die ihre Figuren kennen.

Inwiefern findet eine Wechselwirkung zwischen Ihnen und Ihrer Rolle statt? Haben Sie Eigenschaften von Till Ritter übernommen?
Raacke: Das Schöne als Schauspieler ist es, ein bisschen was ausprobieren zu können. Im Prinzip bin ich ein ängstlicher Mensch. Aber durch das Ausprobieren gelingt es mir, eine Idee von Gefahr oder von Mut zu bekommen. Ich bin kein cholerischer Mensch. Aber in der Figur kann ich es mal sein. Das ist ein toller Moment, in dem ich mich fürs Leben ausprobieren kann. Ein Gefühl dafür bekommen kann, wie es ist, mal laut zu sein. Mal auszurasten. Es gibt Situationen, die man im Film erleben kann, die man im Leben jedoch nicht erleben muss. Das macht den Reiz aus.

Sie leben in München, während der Dreharbeiten in Berlin wohnen Sie im Hotel. Was für ein Gefühl ist es, wenn Sie zum Arbeiten nach Berlin kommen – eher eines der Identifikation oder der Fremdheit?
Raacke: Ich bin inzwischen zum Teilzeit-Berliner geworden. Ich drehe sehr viel in Berlin, nicht nur den „Tatort“, sondern auch andere Filme. Jedes Vierteljahr bin ich da und lebe dann ein etwas seltsames Filmer-Leben. Ein Bohrinsel-Dasein: Man wird eingeflogen und alle Regeln, die sonst gelten, werden ausgesetzt, weil man ab sofort nur noch zum Drehen da ist. Im Prinzip gibt es keine Freizeit.

Ein normales Leben ist das nicht.
Raacke: Stimmt schon, aber das ist in Ordnung so. Ich fahre da ja nicht zum Urlaub machen, sondern zum Arbeiten hin. Wenn man wie wir während der Dreharbeiten innerhalb kürzester Zeit an so viele verschiedene Orte kommt, erlebt man die Stadt natürlich auch noch einmal anders. Vor allem erleben wir diese Orte, wie sie sonst kein anderer erlebt. Wer verbringt schon eine ganze Nacht im Parkhaus?

Ich nicht.
Raacke: Eben. Und außer uns wahrscheinlich auch nur noch der Parkwächter in seinem Häuschen… Wer verbringt eine Nacht auf einem Hochhausdach oder in einem geschlossenen Supermarkt? Es ist schon extrem spannend, jeden Tag, an Orte zu kommen, die sonst keiner kennt.

Wenn man sich die Palette der „Tatort“-Kommissare ansieht, fällt auf, dass viele Ermittlerduos auch privat eng befreundet sind. Sie und Ihr Partner Boris Aljinovic betonen hingegen immer wieder, dass nach Drehschluss jeder seinen eigenen Weg geht…
Raacke: Wir haben nichts miteinander zu tun! Wir sind wie die Rolling Stones, die sich das ganze Jahr über nicht sehen und dann auf die Bühne gehen und Rock’n Roll machen. Wir wissen den Rest des Jahres nicht, was der Andere macht.

Wie sieht’s denn während der Dreharbeiten aus? Kein gemeinsames Feierabend-Bier, kein privates Gespräch?
Raacke: Nö. Das gibt’s bei uns nicht. Das heißt, es gab da eine kleine Tradition, als wir noch im alten Polizeipräsidium gedreht haben. An einem der drei, vier Tage, an denen wir dort waren, sind wir immer in die Bar gegenüber gegangen. Einmal. Als einziges festes Ritual. Da haben wir dann auch ein Bierchen getrunken. Oder fünf. Oder sechs. Oder noch mehr.

Und auch miteinander geredet?
Raacke: Ja. Aber auch da meistens nur über den Job. Wir haben privat einfach nichts miteinander am Hut. Das ist einfach so. Das ist nicht erzwungen, das ist so gekommen. Es ist aber auch nicht schlimm. Warum muss ich jetzt mit Boris ein dicker Freund sein? Brauch ich nicht. Braucht er auch nicht. Es hätte sich natürlich auch ergeben können. Es gibt andere, mit denen bin ich’s. Es gibt auch andere „Tatort“-Kommissare, die total buddymäßig sind. Die Münchner, die Kölner. Aber wir haben offensichtlich nicht die richtige Chemie dafür. Solange es im Film einigermaßen klappt…

Warum ist es Ihnen eigentlich wichtig, als Drehbuchautor neben der Schauspielerei ein zweites Standbein zu haben? Was treibt Sie an?
Raacke: Es ist aus der Not heraus entstanden. In einer Zeit, in der ich als Schauspieler nichts zu tun hatte. Es ist dann ganz gut angelaufen… Nur Film- und Fernsehschauspieler zu sein, geht natürlich auch. Aber man macht sich dann sehr abhängig von der Außenwelt. Man muss immer darauf warten, dass jemand auf dich zukommt und einen Film mit dir machen will. Außerdem ist Schreiben einfach ein wunderschöner kreativer Prozess, der im Gegensatz zum Drehen sehr intim ist. Am Set sind so viele Menschen und es gilt das durchzusetzen, was sich die Anderen ausgedacht haben. Das ist wie Krieg! Schreiben hingegen ist wie ein göttliches Spiel. Eine Welt zu kreieren, Figuren leben oder sterben zu lassen, macht mir große Freude.

Götz George spielt seinen Schimanski jetzt mittlerweile seit 25 Jahren. Auf wie viele Jahre kommt Till Ritter?
Raacke: Mindestens auf genauso viele (lacht). Das Rentenalter geht ja hoch. Ich bin jetzt… (überlegt) 48. Knapp zwanzig Jahre hätte ich noch, dann hätte ich ihn überholt. Wenn man mich nicht rausschmeißt und sagt: „Jetzt reicht’s mal mit dem alten Meckerbock“…

Gründe für Sie, aufzuhören, gibt es nicht?
Raacke: Gucken Sie sich mal an, wie es in der deutschen Fernsehlandschaft aussieht! Seinen Job als „Tatort“-Kommissar aufzugeben, wäre schon arg fahrlässig. Klar, kann man machen. Hat ja auch was. Es wäre ein ziemlich mutiger Schritt, wenn ich sagen würde: „Ich geh’ jetzt!“ Als Edgar Selge mir erzählte, dass er beim „Polizeiruf 110“ aufhört, war ich baff. Ich habe ihn gefragt: „Warum hörste denn auf?“ Und er darauf: Weil die Figur auserzählt ist. Das ist natürlich oberstes Niveau. Aber hallo! Hut ab!

Wer verzichtet schon gerne auf die Sicherheit, die man mit einer solchen Rolle hat? Man weiß, dass man in jedem Fall zwei Filme pro Jahr drehen kann…
Raacke: Es ist weniger die Sicherheit. Es ist zwar schön die zu haben. Aber das ist gar nicht so sehr das Problem. Ich bin kein besonders auf Sicherheit bedachter Mensch. Ich bin durchaus risikobereit. Der „Tatort“ ist einfach zu anspruchsvoll: Immer super Regisseure! Immer die besten Schauspieler Deutschlands! In 98 Prozent der Fälle kriegst du den Schauspieler, mit dem du zusammenarbeiten möchtest. Und, eins muss man auch sehen: Auf Grund der Popularität, die ich als „Tatort“-Kommissar habe, öffnen sich für mich auch andere Türen.

Eine Schlussfrage: Was für Träume hatten Sie als Kind? Welche davon haben sich verwirklicht, welche nicht?
Raacke: Naja, es gab die klassischen Kleinkinderträume. Ich wollte Astronaut werden. Bin ich nicht geworden! Dann wollte ich wie Walt Disney Tierfilme machen. Oder Zeichentrickfilme. Hat auch nicht geklappt. Aber Sie sehen: Ich habe den Film schon immer sehr geliebt…

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