Doris Dörrie

Man droht durch Geschwindigkeit sein Leben zu verpassen.

Doris Dörrie über schnelle Frauen und langsame Männer, Privates am Set, deutsche Familienpolitik, den Rückgang der Geburtenrate und ihren Film "Der Fischer und seine Frau"

Doris Dörrie

© Constantin Film

Frau Dörrie, Ihr aktueller Film ist angelehnt an das beinahe gleichnamige Märchen der Gebrüder Grimm "Von dem Fischer und seiner Frau". Wie kamen Sie auf dieses Märchen?
Dörrie: Das Märchen gibt es ja schon 500 Jahre und das Interessante daran ist, dass die Dynamik zwischen Mann und Frau damals schon sehr präzise beschrieben worden ist: dass die Frau die Schnelle und der Mann der Verweigerer ist. Und mich hat es schon als Kind immer geärgert, dass die Ilsebill am Ende des Märchens dafür so bestraft wird, dass sie so viel will – und dass der Fischer am Ende so Recht bekommt.
Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, was sich für uns Frauen in den letzten 50 Jahren verändert hat. Entscheidend hat sich unsere Geschwindigkeit verändert, eben dadurch, dass wir Frauen heute mehr machen können, dürfen und wollen. Wir müssen oder wollen inzwischen so viele Rollen gleichzeitig erfüllen, dass wir deswegen immer schneller werden und dabei auch drohen, unsere Liebsten hinter uns zurückzulassen. Das führt auf der anderen Seite dazu, dass die Männer – fast aus Protest – auch immer langsamer werden und so eine passiv aggressive Haltung entwickeln können, wie zum Beispiel der Otto im Film.

Sprechen Sie über solche Fragen auch mal persönlich am Set mit den Schauspielern? Da hat ja auch jeder seine ganz persönlichen Erfahrungen.
Dörrie: Das tut man natürlich automatisch durch die Arbeit. Aber nur in einem sehr abgesteckten Rahmen, so privat ist das dann nicht. Man versucht zusammen diese Geschichte zu erzählen und jeder Schauspieler schöpft natürlich aus seinen privaten Erfahrungen und Bildern – aber das ist nicht wirklich erkennbar. Man diskutiert jetzt nicht wirklich am Drehort, wie es denn so zu Hause ist.

Gar nicht?
Dörrie: Nein, das tut man auch deshalb nicht, weil man diese Grenze durchaus braucht, um spielen zu können. Das ist so ein professionelles Einverständnis.

Haben Sie als erfolgreiche Frau manchmal den Eindruck, dass Ihnen Männer ängstlich oder misstrauisch begegnen?
Dörrie: Eigentlich überhaupt nicht. Aber ich bin natürlich der Prototyp der Ilsebill. Ich muss mich selber immer wieder bremsen und stoppen – und darin liegt glaube ich auch eine Lösung für diese Dynamik zwischen Otto und Ida.
Dass Otto mit seinem kontemplativen Konzept absolut Recht hat, dieses wirklich nur da zu sitzen, nichtstuend – das finde ich ganz, ganz wichtig! Ich habe immer große Mühe, mich selbst zurück zu pfeifen, mal die Klappe zu halten, ruhig sitzen zu bleiben.

Lehnen Sie eigentlich das historische Modell grundsätzlich ab? Dass die Frau zu Hause bleibt, sich um die Kinder kümmert, während der Mann mit der Keule auf Nahrungssuche geht?
Dörrie: Das lehne ich überhaupt nicht ab. Nur frage ich mich: ist die Keule der Männer heute die Fernbedienung?
Nein, wir müssen heute gemeinsam damit zurecht kommen, dass sich die Möglichkeiten der Frauen verändert haben. Wir sind nicht mehr ökonomisch abhängig von Männern, das heißt, wir können tatsächlich ohne Männer überleben. Das konnten wir die gesamte Menschheitsentwicklung über bisher noch nicht. Das hat sich aber grundlegend geändert, dadurch, dass wir heute bestimmen können, wann und wie viele Kinder wir kriegen.

Nur hat die Frau noch längst nicht in allen Teilen der Erde so eine starke Position.
Dörrie: Ja, und was alle Wissenschaftler bestätigen, die damit zu tun haben: dass die Armut durch die Gleichberechtigung der Frau beendet werden kann. Zum Beispiel in Afrika ist das ganz entscheidend, wenn Frauen kontrollieren könnten, wie viel Kinder sie kriegen. Weil sich dadurch die wirtschaftliche Situation sofort dramatisch verbessern würde. Solange sie das aber nicht kontrollieren können, versinken sie auch in unglaublicher Armut, weil sie dann sieben, zehn oder zwölf Kinder ernähren müssen.

In Europa, speziell in Deutschland, steht man vor dem entgegengesetzten Problem, dass die Geburtenrate immer weiter sinkt.
Dörrie: Ja, die Prognosen sind nicht so wahnsinnig rosig. Die Beziehungen gehen immer schneller auseinander und wir trauen uns auch nicht mehr, Kinder zu bekommen – und in Deutschland kann ich das auch gut verstehen, warum viele Frauen sich nicht trauen. Denn hier wird uns besonders wenig geholfen, miteinander Familie zu bewältigen. Es ist idiotisch, wie schwierig das hier ist.

Sehen Sie da nur das Versagen der Familienpolitik der Regierung – oder ist das eher ein gesellschaftliches Problem?
Dörrie: Das ist ein gesellschaftliches Problem und damit natürlich auch ein staatliches Problem, dass wir – als einziges Land in Europa – unsere Kinderbetreuung immer noch nicht auf die Reihe bekommen haben. Man muss es sich als Frau immer noch leisten können, zu arbeiten, mit Kind. Weil die Tagesmutter und die Betreuung in den Kindergärten so teuer ist, dass man nur dafür arbeitet. Ich kann das richtig schön vorrechnen: ich habe drei Schwestern, wir haben alle Kinder und wir haben das alle durchexerziert. Wir haben dann immer staunend vor diesen Rechnungen für Kindergarten, Babysitter und Tagesmutter gestanden und gemerkt: wir arbeiten nur dafür. Da muss einem der Job dann schon verflucht viel Spaß machen, sonst ist man ja bescheuert, wenn man das macht.

Würden Sie also auch zustimmen, dass in Deutschland die Entscheidung für bzw. gegen ein Kind mehr und mehr zu einer reinen Kostenkalkulation wird?
Dörrie: Für viele ja. Es gibt auch Untersuchungen, die belegen, dass in den Ländern, in denen es für Frauen einfacher ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen, dass denen dort die Entscheidung fürs Kind sehr viel leichter fällt. Ich unterrichte ja auch an der Filmhochschule, und diese jungen Frauen, die dort studieren, um Filme zu machen, um Regisseurinnen zu werden, die überlegen sich natürlich sehr genau, ob sie es wagen sollen, ein Kind zu haben – denn das unterbricht ihre Karriere dramatisch.

Auf der anderen Seite vergessen viele, wie wertvoll ein Kind eigentlich ist.
Dörrie: Ja, das stimmt, und ich finde das auch sehr gefährlich. Dadurch, dass wir so wenig Kinder erleben, wissen wir gar nicht mehr, was Kinder wirklich bedeuten. Mir fällt das immer auf in kinderreichen Ländern, wo jede Zehnjährige bereits so viel Babys auf dem Arm gehabt hat und genau weiß, wie sich das anfühlt, wie das so ist. Bei uns dagegen gibt es sehr viele junge Frauen, die sich noch nie um ein kleines Kind gekümmert haben. Und deshalb ist die Angst dann auch sehr viel größer, diesen Schritt zu unternehmen.

Zitiert

Ist die Keule der Männer heute die Fernbedienung?

Doris Dörrie

Sie sind ein Mensch, der immer wusste, was er will – haben sich Ihre Ziele im Laufe Ihrer Karriere verändert?
Dörrie: Ja, ich glaube zum Beispiel immer mehr, dass das "sitting quietly", dieses kontemplative Leben wichtig ist. Dass man eben sehr schnell in eine Rennerei gerät und in eine Geschwindigkeitsspirale, aus der man dann nicht mehr so leicht rausfindet.
Man muss sich dann immer die Frage stellen: Was habe ich eigentlich? Und: Ist das nicht genug? – Statt sich immer zu fragen: Was fehlt mir? Weil das natürlich die Frage ist, die wir für immer mehr Konsum stellen sollen. Aber die Frage, ob wir nicht schon genug haben, ist eine ganz wichtige Frage, um innerlich nicht in so einen permanenten Mangelzustand zu geraten.

Aber sind Menschen nicht auch von Natur aus so geprägt, immer mehr haben zu wollen?
Dörrie: Sicherlich. Wir wissen ja inzwischen – aus der neuesten Glücksforschung – dass wir wohl nur dann glücklich sind, wenn wir mehr haben als die anderen. Das ist ziemlich eklig, aber anscheinend ist es so, dass wir nur im Vergleich glücklich sind. Allerdings würde das ja auch bedeuten, dass wir immer unglücklich sind, wenn wir weniger haben. Das kann man aber glaube ich schon durchbrechen. Wenn man sich überlegt, wie viel einem eigentlich dieser Moment wert ist. Der kann ja manchmal absolut genügen, jetzt, dieser Moment.

Erleben Sie denn oft solche Momente?
Dörrie: Ständig. Ich versuche auch sehr aufzupassen auf diese Momente. Weil ich merke, dass mir sonst mein Leben abhanden kommt. Man droht durch Geschwindigkeit sein Leben zu verpassen. Das merkt man dann in der Erinnerung: komischerweise kann man sich an zwei Wochen Strand, wo gar nichts passierte, besser erinnern, als an drei Monate Arbeiten wie verrückt.
Das liegt daran, dass man am Strand mit Kind und Familie wirklich ganz anwesend ist. Wenn man aber so durch die Gegend rennt, mit dem Handy am Ohr, gleichzeitig noch eMails abruft und mit dem Kopf noch irgendetwas ganz anderes denkt – dann ist man ja nicht mehr wirklich präsent.

Aber auch nach solchen Momenten ist man süchtig.
Dörrie: Ja, das ist das Problem, dass man danach sehr schnell süchtig wird. Und wenn man sich dann einfach mal hinsetzt, gar nichts mehr macht und gar nichts mehr ist, dann kann man richtig Herzflattern kriegen. Aber ich weiß einfach, dass es für mich auch eine große Gefahr ist, so süchtig zu sein nach Geschwindigkeit, weshalb ich mich richtig systematisch wieder einbremsen muss – sonst verliere ich mich.

Wie machen Sie das?
Dörrie: Ich habe zum Glück einen Mann, der mich dann auch zurückpfeift und ein Kind, das laut schreit und sagt: "Halt mal die Klappe und setz dich hin." Schluss. Aus.

Sie erwähnten bereits die Glücksforschung, beschäftigen Sie sich viel damit?
Dörrie: Ich finde es schon sehr interessant, dass uns das als Menschen verbindet, dass wir alle glücklich sein wollen. Dass natürlich auch die Menschen glücklich sein wollen, die zum Beispiel jemanden umgebracht haben: Mörder wollen auch glücklich sein. Die Glückssuche verbindet anscheinend uns alle. Was wir uns aber jeweils unter Glück vorstellen, wie groß unser Streben ist, dieses Glück zu erlangen, wie viel Schmerz dadurch entsteht – das interessiert mich alles sehr. Oder dass das Glück in der amerikanischen Verfassung verankert ist, aber niemand jemals genau gesagt hat, was das eigentlich sein soll, dieses Glück.

Machen Filme Sie glücklich?
Dörrie: Mich macht der Prozess glücklich, die Arbeit an einem Film. Und die Filme anderer natürlich.

Weniger das Resultat?
Dörrie: Ach, das Resultat, das sind dann schöne Momente bei einer Premiere, aber das vergeht natürlich auch sehr schnell. Aber dieser Zustand, mit Schauspielern und mit einem Team zusammen etwas zu erzählen und zu erfinden, das ist für mich durchaus ein Glückszustand. Das ist dann auch – ob es jetzt eine Operninszenierung ist , ein Film, oder ob es das Schreiben ist – das ist immer so ein ähnlicher Zustand, den ich versuche, zu erreichen. Ein spielerischer Zustand, in dem Dinge entstehen, die einem durchaus auch etwas über die Welt erzählen können.

Und was machen Sie, wenn sich am Set, beim Drehen solche Momente partout nicht einstellen wollen? Haben Sie da ein Rezept, wie Sie die Dinge wieder vorantreiben?
Dörrie: Ja, das ist so ein durchaus kontemplatives Training. Einfach mal abzuwarten und nicht zu versuchen, alles mit so halbgaren Lösungen zuzuschütten. Es ist auch wichtig, in so einem Moment die eigene Schwäche zuzugeben und zu sagen: jetzt weiß ich auch nicht mehr, wie es weitergeht.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Dörrie: Das Pferd vielleicht, von Lucky Luke.

Lucky Luke, das war ja immer so der rasante Typ.
Dörrie: Aber nur wegen seines Pferdes wahrscheinlich. Wobei das Pferd immer so ein bisschen müde und erschöpft aussieht, es steht auch immer so ein bisschen krummbeinig da.

Und welche Last tragen Sie?
Dörrie: Ich trage die Last der Ilsebill.

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