Dritte Wahl

Vom Begrüßungsgeld habe ich mir ein Verzerrer-Pedal gekauft.

Die Rostocker Punkband Dritte Wahl hat kürzlich ihr neues Album "3D" veröffentlicht – und es im Corona-konformen Rahmen auch live vorgestellt. Im Interview spricht Gitarrist und Sänger Gunnar Schroeder über bestuhlte Konzerte, Aluhüte, Diffamierung von 'Covidioten', sinnbefreite Rock-Texte und erklärt, welchen Song vom neuen Album die Band nie live spielen wird.

Dritte Wahl

© Robert Eikelpoth

Gunnar, ihr habt mit Dritte Wahl im September mehrere Konzerte gespielt – vor sitzendem Publikum. Wie ist es euch dabei ergangen?

Gunnar: Wir wollten gerne zur Albumveröffentlichung ein bisschen spielen, also haben wir das mal ausprobiert und es hat doch mehr Spaß gemacht als gedacht. Erstmal war es schön nach einem halben Jahr Stille wieder loszufahren, mit der ganzen Crew usw. Wir hatten uns ja alle eine Weile nicht gesehen und es hat gut getan wieder alle beisammen zu haben. Die Konzerte selbst haben auch riesigen Spaß gemacht. Endlich mal wieder richtig laut sein. Ich denke den Besuchern hat es auch gefallen. Ich habe sehr viele glückliche Gesichter gesehen.
Natürlich ist das irgendwie schwierig, aber immer noch besser als gar nichts. Und es ist besser, als vor Autos zu spielen (lacht). Wer weiß, vielleicht machen das nächsten Sommer alle Bands so. Wir wissen ja nicht, wie es weiter geht. Insofern sollte man für verschiedene Lösungen offen bleiben. Und am Ende geht es auch nicht nur um uns Musiker, sondern auch um die Veranstalter, die Techniker. Die sind ja auch froh, dass sie überhaupt noch was auf die Beine stellen.

Funktioniert Punk eigentlich auch als Live-Stream ohne Publikum?

Gunnar: Nein, eher nicht. Wir haben im Juni ein Streaming-Konzert in Rostock gemacht, um einen befreundeten Club zu unterstützen. Das war OK, ist aber nichts, was wir auf Dauer machen wollen.
Wenn die Pandemie-Situation mehrere Jahre andauern sollte – das wäre schon sehr übel.

Wie sehr hat Corona für euch als Bandmusiker das Leben durcheinander gewirbelt?

Gunnar: Für uns ist das schon ziemlich schwierig, da wir alle mehr oder weniger mit der Musik verbandelt sind. Unser Bassist Stefan hat eine T-Shirt-Druckerei, die für viele andere Bands Fanartikel herstellt, die jetzt natürlich kaum noch gekauft werden. Krel, unser Drummer, macht als Freelancer oft Technik bei Veranstaltungen in Rostock, die finden aber fast nicht statt. Ich mache die meiste Organisation für die Band, das Label etc. – da steht alles still. Unser Keyboarder Holger fährt für einen Öko-Bauern drei Mal die Woche Gemüse-Kisten aus, doch ursprünglich war das für ihn auch nur als Nebenjob gedacht.

Fühlt man sich wehrlos dieser Pandemie-Situation ausgeliefert?

Gunnar: Ein bisschen schon. Andererseits denke ich, dass es schon sinnvoll ist, dass Konzerte ohne Abstand im Moment nicht stattfinden. Dass man aber die Veranstaltungsbranche so alleine lässt, finde ich schwierig. Für Techniker, Messebauer, freie Musiker etc heißt es jetzt: ‚Wir machen das zum Wohle der Allgemeinheit und du kannst ja zur Not Hartz 4 beantragen.‘
Ich kann verstehen, dass nicht überall Geld da ist. Doch während manche Branchen sehr viel Unterstützung bekommen, kriegen andere fast überhaupt nichts ab.

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Pauschalisierungen sind immer scheiße.

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Seit der Einschränkung des öffentlichen Lebens gehen auch einige Menschen auf die Straße, die weniger der Regierung trauen und mehr an eine Verschwörung glauben. Nun posiert ihr auf einem recht frischen Bandfoto allesamt mit Aluhüten…

Gunnar: Die Idee zu dem Foto entstand schon vor Corona, als wir das Video „Was zur Hölle“ gedreht haben. Darin taucht eine flache Erde auf, von der wir am Ende herunterspringen, da passte das mit den Aluhüten. Das war jetzt nicht besonders ernst gemeint, es war auch an niemanden direkt adressiert. Aber es hat natürlich schon den Hintergedanken, dass heutzutage viele Leute komischen Gerüchten hinterherlaufen. – Vielleicht sind es auch gar nicht so viele, aber dafür sind die sehr laut.

Auf den Demos gegen die Corona-Verordnungen sind sie auf jeden Fall sehr lautstark unterwegs…

Gunnar: …wobei ich es dort dann aber auch schwierig finde, wenn alle möglichen Leute, die auf Demos die Corona-Regeln kritisieren, sofort als „Covidioten“ diffamiert werden.
Nehmen wir das Thema Impfstoff: Ich hoffe, der kommt bald, ich hoffe auch, dass sich viele Menschen impfen lassen. Aber ich kann ebenso Leute verstehen, die es nicht sofort machen wollen, die Bedenken haben, zum Beispiel wenn man bei der Impfstoffentwicklung an den Genpool ran geht. Solche Leute dann gleich auszugrenzen und als Idioten darzustellen – so etwas macht die Gesellschaft ein bisschen kaputt. Man muss immer noch miteinander reden.
Ich würde mich natürlich nicht auf eine Demo stellen, wo Rechtsextremisten mitmarschieren. Aber auch ich habe Leute im Bekanntenkreis, die beim Impfen bestimmte Sorgen haben. Die dann gleich als Corona-Leugner oder Idioten abzustempeln, finde ich falsch.

Welche Verschwörungstheorie stimmt deiner Meinung nach?

Gunnar: Also, an Chemtrails glaube ich schon mal nicht. Aber vielleicht werde ich ja eines Tages eines Besseren belehrt (lacht).

In „Keine Angst vor Deutschland“, einem Song aus eurer Anfangszeit, heißt es: „Warum sollte Deutschland heute in die Nato gehen, in ein paar Jahren haben wir ein eigenes System.“

Gunnar: Oh, das war noch zur Wendezeit.

Heute ist die NATO Objekt von sehr vielen Verschwörungstheorien…

Gunnar: Ja, es gibt diesen Glauben, dass Leute, die Waffen verkaufen, irgendwelche Kriege schüren. Ich persönlich weigere mich aber, so pessimistisch zu denken. Wenn das die Realität wäre, dann wäre der Welt ja wirklich nicht mehr zu helfen.
Aber vielleicht ist es so? Vielleicht bewegt die Pharmalobby alles, weil es bei der Corona-Impfung um so riesige Summen geht, wo wir die Zahl der Nullen noch nicht mal kennen?

So etwas ist in der Öffentlichkeit schon eine schwierige Äußerung.

Gunnar: Ja, klar. Und wenn mir jemand sagt, er ist sich hundertprozentig sicher, dass Corona nur eine Verschwörung ist, weil er das im Internet gelesen hat – dem würde ich auch sagen, das ist Spinnerei.

Kommen wir zu einer anderen ‚Theorie‘ aus euren Texten: „Es wird friedlich demonstriert, doch die Bullen stören wieder“ heißt es in „Greif ein“ von 2002.

Gunnar: Also, wenn ich an die Zugriffe an Polizeicomputern auf Daten von Politikern und engagierten Leuten denke – da wird einem schon mulmig. Und dass es auf Demos hin und wieder Provokateure gibt, die versuchen, von innen zu stören, mit einem Flaschenwurf – das halte ich für möglich.
Ich würde nicht pauschal sagen, dass alle Polizisten auf dem rechten Auge blind sind. Aber es gibt einige Fälle. Bestimmt gibt es auch total viele gute Leute dort. So ein generelles Polizei-Bashing finde ich schwierig.

Also nicht „A.C.A.B.“, wie es in der linken Szene oft heißt…

Gunnar: „Alle Bullen sind Bastards“? – Weiß ich nicht. Pauschalisierungen sind immer scheiße. Gut, alle Nazis sind Bastards, ja, das kann man sagen. Aber „A.C.A.B.“, das ist für mich so ein bisschen Gerede wie von 18-Jährigen. Man muss doch nur ein bisschen in die Welt schauen, und dann sieht man, dass wir in Deutschland eigentlich relativ moderate Polizisten haben, meistens jedenfalls.

Ihr erinnert auf dem aktuellen Album mit dem Song „Brennt alles nieder“ an die Brandanschläge von Rostock 1992. Wenn man diesen Hintergrund allerdings nicht kennt, ist der Refrain sehr heftig…

Gunnar: Deswegen werden wir diesen Song auch nicht live spielen. Ich kann mir nicht vorstellen, vor einem Publikum zu stehen, dass diesen Refrain mitsingt. Und das würde ja wahrscheinlich so kommen.

Mit dem Refrain „Brennt alles nieder, umstellt das ganze Haus, keiner kommt hier liebend raus“ erzählt ihr sozusagen den Mob nach, der 1992 in Rostock Ausländer attackierte.

Gunnar: Wir haben natürlich auch überlegt, ob man das in dieser Form machen kann. Aber ich fand es in der drastischen Darstellung gut. Wir haben dazu auch ein Video mit einer syrischen Familie gedreht und ich finde, es nimmt einen ganz schön mit, wenn man das sieht. Der Song ist zum Nachdenken gedacht, nicht zum Feiern. Wir bringen ihn auch nochmal als Single heraus, womit wir dann ein bisschen Geld für die Initiative „Kein Bock auf Nazis“ sammeln. Und live werden wir ihn, wie gesagt, nicht spielen.

Rechtsrock und Punk bedienen sich mitunter musikalisch ähnlicher Mittel. Gab es in der Vergangenheit mal Verwechslungen, sprich, dass Nazis eure Songs gespielt haben?

Gunnar: Ja, das hat es wohl gegeben. Mir wurde erzählt, dass auf rechten Demos unser Song „Auge um Auge“ gespielt wurde.

Wie erklärst du dir das?

Gunnar: Ich persönlich glaube nicht, dass unser Song falsch verstanden werden kann, das muss man dann schon wollen. Er enthält aber viel Kapitalismuskritik und eine Zeit lang haben die Nazis ja auch sehr viel auf Arbeiterklasse und Kapitalismuskritik gesetzt. Die haben auch Hannes Wader auf ihren Demos gespielt, wogegen er glaube ich auch versucht hat, juristisch vorzugehen. Das ist aber sehr schwierig. Wenn die eine Demo veranstalten und einzelne Teilnehmer spielen Songs von dir ab – das kann man nicht verhindern. (zur Thematik Musiknutzung auf Demonstrationen sei an dieser Stelle der der Artikel „Musik im Wahlkampf – was geht, was geht nicht?“ von Fabian Rack empfohlen, Anm. d. Red.)

Wenn man über Rostock-Lichtenhagen 1992 spricht, kommt oft die Frage auf: Wie lässt sich eine Wiederholung verhindern? Du hast dazu mal gesagt, dass man vor allem in Bildung investieren muss…

Gunnar: Der Meinung bin ich immer noch, Bildung ist dabei ein ganz wichtiges Mittel. Es ist auch wichtig, dass es kostenlose Kindergärten gibt, damit auch Kinder von sozial schwachen Familien für ein paar Stunden am Tag raus kommen, auch mal andere Meinungen hören und sehen. Man muss versuchen, die Kinder zum Denken zu bewegen. Bei den älteren, versteinerten Nazi-Typen wird man nicht mehr viel bewegen. Man muss es irgendwie schaffen, ihnen den Nachwuchs ‚abzuschneiden‘, damit eben nicht mehr so viele Leute nachkommen. Dafür ist Bildung ein probates Mittel.

Du lebst heute in Münster, wie ist dein Verhältnis zu deiner Geburtsstadt Rostock?

Gunnar: Ich freue mich immer, wenn ich nach Rostock komme, mein Bruder, unser Schlagzeuger lebt dort und ich habe noch viele Freunde in der Stadt.
In Rostock hat sich über die Jahre viel verändert, auch zum Guten. Wenn ich an 1992 zurückdenke, das war wirklich eine krasse Zeit, wo viele Nazis vor allem auch in den Trabantensiedlungen gelebt haben. Das hat sich geändert, selbst bei Hansa ist es nicht mehr so, dass da nur Faschisten zu den Spielen gehen, sondern da sind jetzt auch viele andere Leute. Insofern habe ich meinen Frieden mit Rostock im Moment.

Welche Schwierigkeiten siehst du in der Stadt aktuell?

Gunnar: Wie überall, ist es natürlich schwer, für Leute, die neu zu uns kommen, sich einzuleben und zu integrieren. Da haben glaube ich auch beide Seiten Fehler gemacht. Mit den Sprachkursen funktioniert es nicht so, wie es mal angedacht war… – und die Sprache ist eben ein wichtiger Punkt, wenn man hierherkommt.
Ansonsten ist in Rostock dasselbe los wie in jeder anderen Stadt: Der Wohnungsmarkt explodiert, es wird alles privatisiert, Leute schustern sich gegenseitig die Grundstücke zu, die Stadt wird verkauft – das finde ich schon schwierig. Irgendwann ist die ganze Stadt in privater Hand, oft sind es bloß wenige Familien, die sehr viel besitzen… Ich weiß nicht, ob das so gut ist. Wenn etwas einmal privatisiert ist, kommt das ja nie wieder zurück. Das sehe ich auch beim Gesundheitswesen sehr kritisch. Es gibt ja viele, die sagen, die Regierung hat uns gut durch die Corona-Krise geführt. Mag sein, ich habe aber eher den Eindruck, dass sie einfach noch nicht die Zeit hatten, das Gesundheitswesen noch mehr kaputt zu machen, durch Privatisierung und Profitstreben. Das wird ja immer weiter forciert und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das nach Corona ändert.

Habt ihr euch als Band auch als politische Stimme zu solchen Entwicklungen gesehen?

Gunnar: Wir machen natürlich Aktionen wie Solikonzerte, sammeln Geld… Aber ansonsten sehen wir uns vor allem als Musiker. Wir singen über das, was uns im Alltag bewegt, da sind natürlich auch viele politische Themen dabei. Aber wir sind jetzt nicht Mitglieder in irgendwelchen Parteien oder Organisationen. Mir fällt auch ehrlich gesagt kein Verein ein, der so richtig zu mir passen würde.
Wir sind Musiker, wir wollen die Leute in erster Linie unterhalten. Es soll nach dem Konzert niemand nach hause gehen mit dem Gefühl ‚die Welt ist so schlecht‘. Sondern die Leute sollen danach sagen: ‚Geiles Konzert, ich konnte mich austoben und habe jetzt wieder Kraft für die nächsten Tage.‘

© Robert Eikelpoth


Unter einem Video von euch las ich einen Fan-Kommentar „ich fand die Band mit 18 toll und heute mit 43 auch noch“. Du selbst hast mal in Bezug auf euren Musikstil gesagt: „Wir werden uns nicht um 180 Grad drehen“. Habt ihr stilistisch hin und wieder neue Dinge ausprobiert?

Gunnar: Ja, wir haben zum Beispiel 2015 auf „Geblitzdingst“ ein paar andere Sachen gemacht, weil wir da Lust und Ideen hatten. Da haben wir zum Beispiel mehr Keyboard eingesetzt… Bei den letzten beiden Platten war es aber so, dass die Song-Ideen mehr auf normale Punkrock-Songs hinausliefen. Und wenn es nicht zum Song passt, dann finde ich, muss man nicht auf Biegen und Brechen etwas Ungewöhnliches einbauen wie vielleicht irgendwelche Samples. Wir sind total offen für alles, aber letzten Endes können wir die Sachen auch nur so umsetzen, wie sie uns einfallen.

Ein bisschen die Stirn runzeln musste ich, als ich euren neuen Song „Zusammen“ gehört habe…

Gunnar: Das ist beim neuen Album ein Bonus-Track. Wir haben da mal ein bisschen auf die Schippe genommen, dass es auch im Rock Songs gibt, die im Grunde nichts aussagen, die so ein bisschen schlagermäßig daherkommen, wo alles sehr allgemein gehalten ist, „wir da unten, die da oben“, wo gar nicht klar wird, was die Band damit jetzt sagen will. Das haben wir in „Zusammen“ auf die Spitze getrieben. Wir sind ja ansonsten keine Band, die viel mit diesen „Hoo-hoo“-Chören arbeitet. Das ist ja eine große Mode geworden. Erfunden haben das meiner Meinung nach die Toten Hosen, die dürfen das auch. Aber dass es inzwischen so viele andere Bands auch machen, geht mir ein bisschen auf den Senkel. Es klingt ganz oft so, als ob der Band keine Textzeile mehr eingefallen ist und die Lücke dann einfach mit diesem „Hoo-hoo“ gefüllt hat. Insofern ist unser Song da jetzt eine kleine Spitze, aber gar nicht böse gemeint. Wir hören uns die Songs der anderen Bands ja auch an.

Im Song „Ohne mich“ vom neuen Album schaut ihr skeptisch auf die Selbstverwirklichung in der Instagram-Gesellschaft: „Einmal Blattgold auf das Steak, den kompletten Jakobsweg, das kannst du alles machen, aber ohne mich“. Am Ende heißt es dann aber, dass zumindest die Chartspitze einen Reiz für euch hätte.

Gunnar: Auch der Song ist natürlich überspitzt. Ich glaube, eine Nummer 1 ist unrealistisch für uns. Wir sind ja Autodidakten, machen alles selbst, wir sind autark als Band, uns gibt es jetzt seit 30 Jahren – und wir verstehen uns immer noch super. In den letzten Jahren sind sogar immer noch mehr Leute zu unseren Konzerten gekommen. Das heißt, wir sind eigentlich total zufrieden mit dem, was wir erreicht haben. Das mit der Nummer 1 war einfach nur eine lustige Idee für die letzte Songzeile.

Was sind denn im echten Leben Dinge, die du noch anstrebst?

Gunnar: Ehrlich gesagt: Den großen Lebenstraum, wie Jakobsweg oder einmal zu Fuß durch Australien, habe ich nicht. Ich habe im Leben schon vieles gemacht und unternommen, auch mal eine Zeit lang im Ausland gelebt… Ich bin ein freier Mensch und kann im Prinzip machen was ich will und wann ich will. Fernweh habe ich aber eher selten, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass ich nicht so gerne fliege.

Was ist mit ‚als Musiker alt werden‘?

Gunnar: Ehrlich gesagt habe ich da nicht wirklich den Plan B. Wir sind in das Musikerleben irgendwann mal so reingerutscht. Dann wurde die Band größer und erfolgreicher – und auf der anderen Seite war es nicht so, dass der Arbeitsmarkt besonders nach uns gerufen hätte.
Ich denke mir, wenn es irgendwann nicht mehr läuft mit Dritte Wahl, muss ich mir halt eine Arbeit suchen. Und das wird mich dann auch nicht umbringen.

Die Wiedervereinigung jährt sich gerade zum 30. Mal. Welche Gedanken hast du dazu?

Gunnar: Ich finde, es hat sich schon sehr viel getan. Natürlich gibt es einige Leute in Ostdeutschland, die darunter gelitten haben, die ihren Job verloren und nie wieder richtig Land gesehen haben. Aber ich denke, der überwiegende Teil der Bevölkerung hat schon profitiert von der Wiedervereinigung.
Meine Kinder kennen diesen Ost-West Unterschied auch gar nicht mehr. Die gucken mich mit großen Augen an, wenn ich von der DDR erzähle. Vielleicht wird es noch zwei, drei Generationen dauern, aber dann wird es sich für alle ganz normal anfühlen, dass es Gott sei Dank vorbei ist mit der DDR.

Ihr seid 1988 das erste Mal aufgetreten. Von welchen Ost-Bands wart ihr inspiriert?

Gunnar: Es gab zu der Zeit schon recht viel im Punk-Bereich, Skeptiker, Feeling B… und ein paar Bands haben sich ab und zu auch mal nach Rostock verirrt, was damals wirklich sehr Provinz war, weit weg von allem.
Wir haben natürlich auch Bands aus dem Westen gehört, Slime oder Hass kannte ich damals schon.

Wie bist du an deren Musik rangekommen?

Gunnar: Irgendjemand im Bekanntenkreis hatte Eltern oder Verwandte, die aus dem Westen was mitgebracht haben. Die erste Slime-Platte zum Beispiel, die hatte in meinem Freundeskreis jeder auf Kassette – aber alle hatten die Aufnahme von derselben Platte. In ganz Rostock gab es wahrscheinlich nur ein einziges Original-Exemplar, von dem sich die Leute das überspielt und dann weitergegeben haben.

Fühlte man sich bei so etwas illegal?

Gunnar: Ach, nein. Das war ja die Zeit kurz vor der Wende, da hatte die Stasi schon ganz andere Sorgen, um so etwas hat sich da niemand gekümmert. Man durfte ja auch schon offiziell Westfernsehen gucken.
In Warnemünde, erinnere ich mich, gab es auf der Promenade einen regelrechten Schwarzmarkt. Dort konnte man Schallplatten aus dem Westen kaufen, bespielte Kassetten, Bravo-Hefte… Zum Teil haben sie dort auch Bravo-Poster oder Artikel ausgeschnitten und einzeln verkauft. So konnte man dann ein einzelnes Bravo-Heft zu ziemlich viel Geld machen.

Was hast du mit deinem Begrüßungsgeld gemacht?

Gunnar: Meine erste Reise in den Westen ging in die Nähe von Frankfurt am Main, wo ich eine Großcousine besucht habe. Dort bekam ich etwas mehr Begrüßungsgeld, als wenn ich nach Lübeck gefahren wäre, 120 Mark. Ich habe mir davon für meine Gitarre ein Boss Verzerrer-Pedal gekauft. Im Osten ist man an so was ja nicht rangekommen. In Rostock gab es zwar einen Bastler, der solche Pedale selbst gebaut hat, das war auch nicht wirklich schlecht, aber die Möglichkeit, so ein Original-Pedal mal in der Hand zu haben… – damit hatte ich ja nicht gerechnet, dass ich so was in meinem Leben noch mal bekommen würde.

Das klingt jetzt so, als hättest du als Teenager gar keine Hoffnung gehabt, dass die Mauer aufgeht…

Gunnar: Nein, nicht so wirklich. Wenn man da so hineingeboren wird, sieht man das ein bisschen als gegeben an. Man wächst damit auf, ‚das ist halt so‘. Das einzige Land, wo ich hinfahren konnte war Tschechien, selbst für Polen oder Ungarn brauchte man schon ein Visum. Dann kamen natürlich irgendwann die Demos, und da hatte man dann schon so einen kleinen Hoffnungsschimmer und hat sich gedacht: Vielleicht ändert sich doch noch mal was.

Eine Schlussfrage: Mit welcher Filmfigur kannst du dich gut identifizieren?

Gunnar: Big Lebowski. Der ist einfach eine coole Sau.

3 Kommentare zu “Vom Begrüßungsgeld habe ich mir ein Verzerrer-Pedal gekauft.”

  1. ilona |

    das Interview ist ja schon ein paar Tage her – wäre mal spannend ein paar Fragen heute zu stellen und dann die Antworten zu hören – nur mal so als Anregung – lG Ilona

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  2. günni |

    Gunnar hat sich zumindest moderat geäußert zum „corona-widerstand“. Damit wird er später besser fahren, als farin Urlaub, axel kurth oder die unsäglichen zsk schwurbler. Die werden eines Tages erledigt sein, genauso wie der Großteil ihrer aus freizeitpunks bestehenden hörerschaft.

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  3. Grobi |

    Danke fuer das Interview.
    Es hat mir die Frage nach dem Hintergrund von „Brennt alles nieder“ beantwortet. Ich hatte es mir gedacht, dass es um Lichtenhagen ging, war mir aber nicht sicher.
    Falls Gunnar doch nochmal durch Ausralien latschen will kann er mal bei mir vorbei schauen auf ein Bierchen oder Kaffee (oder Tee wenn es sein muss).
    Grusz, Grobi

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