Herr von Hirschhausen, Sie sind nicht nur ausgebildeter Arzt, sondern haben auch noch eine Ausbildung als Journalist. Erfolgreich sind Sie nun jedoch als Kabarettist. Man könnte denken, Sie sitzen zwischen allen Stühlen, doch haben die drei Berufe auch eines gemeinsam: einen aufklärerischen Gedanken.
Eckart von Hirschhausen: In gewisser Weise schon. „Haha!“ und „Aha!“ hängen für mich eng zusammen. Deshalb fühlt es sich für mich nicht so an, als hätte ich drei verschiedene Berufe oder würde zwischen allen Stühlen sitzen. Ich ziehe stattdessen die Formulierung vor: Ich schlage Brücken dort, wo sich sonst keiner traut, welche zu schlagen oder wo sonst niemand die Möglichkeit dazu sieht. Das ist mir möglich, weil ich durch die verschiedenen Facetten meiner Ausbildung ein besserer Grenzgänger bin als die meisten Menschen.
Eine Aussage des Philosophen Habermas lautet sinngemäß: Unsere Gesellschaft hat sich von der Säkularisierung, die mit der Aufklärung einherging, eigentlich noch nicht erholt. Denn seit der Glaube uns immer weniger dabei hilft zu entscheiden, was wir tun sollen, sind die Menschen eigentlich völlig orientierungslos – wie unter Schock. Sie stolpern gewissermaßen durchs Leben und werden dabeiunglücklich. Sind Sie jemand, der in dieser Orientierungslosigkeit eine Richtung anbietet?
von Hirschhausen: Mein ursprünglicher Beruf ist ja Zauberkünstler. Auch während des Medizinstudiums habe ich mich viel mit der Psychologie der Wahrnehmung befasst, damit, wie unser Gehirn funktioniert und wie man es täuschen kann. Nach meiner Zeit als Arzt im Praktikum habe ich eine Ausbildung zum Wissenschaftsjournalisten absolviert und begann mit meinem ersten Kabarettprogramm, „Sprechstunde“, das sich um das körperliche Wohl drehte. Da war es naheliegend, dass ich mich irgendwann auch mit dem seelischen Wohl beschäftige. Mit Fragen wie: Was schützt uns eigentlich vor Depression oder vor Burn-Out? Was braucht eigentlich unser Hirn, um positive Signale auszusenden? Irgendwann habe ich dann kapiert, dass beispielsweise auch Glück etwas ist, was wir Menschen uns gerne vorgaukeln, eine notwendige Illusion, gespeist aus der Annahme, dass unser Leben besser sein wird als jetzt, wenn wir dieses oder jenes erreicht haben.
Das Glück ist inzwischen ja Ihr Spezialgebiet.
von Hirschhausen: Ich versuche, darüber zu informieren – aufzuklären, wenn sie so wollen – was es in der Medizin für Erkenntnisse über Unglück und Glück gibt. Und diese auch so aufzubereiten, das klar wird: Glücklich zu werden oder zu sein ist eine große gesellschaftliche Aufgabe. Insofern liegt Habermas in gewisser Hinsicht richtig.
Ist Medizin eine Art Ersatzreligion?
von Hirschhausen: Vielleicht. Denn ich glaube, dass es einen Teil des menschlichen Denkens gibt, der sehr magisch und kindlich bleibt. Insofern kann auch eine Alternative für Religion etwas ähnlich Magisches, Irrationales beinhalten wie Religion. Medizin hat sich teilweise auch aus der Zauberei entwickelt: Der Mechanismus, sich den Magen spiegeln zu lassen, wurde beispielsweise von einem Arzt entdeckt, der einen Schwertschlucker beobachtet hat. Die Idee der Narkose wiederum ist auf einem Jahrmarkt entstanden, wo Leute zur Volksbelustigung mit Lachgas experimentiert haben. Da merkte man, dass man die Menschen unter dem Einfluss des Gases nicht nur kneifen, sondern denen auch Zähne ziehen kann, ohne dass sie es merken. Das heißt, dieser Anspruch der Medizin und der Psychologie, so klinisch und kühl daherzukommen – der ist Quatsch.
Aber zwischen dem Jahrmarktzauber und Erkenntnissen der Medizin liegen doch Welten…
von Hirschhausen: Sie missverstehen mich da vielleicht. Ich möchte aufklären, habe aber auch eine große Sympathie dafür, dass Menschen auch verzaubert werden wollen. Und ich glaube, dass der Wunsch nach Glück, nach Wundern, nach schönen Illusionen, ganz tief in uns drinsteckt. Wir lieben gute Geschichten oder eine gute Illusion mehr als die Wahrheit – sogar so sehr, dass wir uns gerade beim Thema Glück an Geschichten halten, die nachweislich nicht stimmen.
Zum Beispiel?
von Hirschhausen: Zum Beispiel ist ein rein materialistisches Glücksversprechen Quatsch. Das ist eigentlich hinreichend belegt: Gemessen am Bruttosozialprodukt sind wir heute 30 mal so reich wie 1950. Wir sind aber nicht 30 mal zufriedener. Eher kann es sein, dass jemand, der 1950 geboren wurde und über Jahrzehnte erlebt hat, wie alles immer besser wird, eine andere Glückslebenskurve hat als jemand, der jetzt geboren wird und erlebt, dass viele Dinge, die eigentlich gesichert und stabil erschienen, plötzlich nicht mehr funktionieren. Der Spruch, den die Älteren oft zu den Jüngeren sagen, „Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es habt“, den kann man umgekehrt auch den Eltern sagen, nämlich: „Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es hattet.“ Dass die Jugend heute glücklicher ist als ältere Menschen, halte ich für einen Mythos.
Welche Rolle spielt denn der Wohlstand Ihrer Meinung nach für das Glück eines Menschen?
von Hirschhausen: Geld macht nachweislich glücklich – aber nur, wenn man vorher wenig hatte und der Zuwachs an Geld auch ein Zuwachs an Möglichkeiten bedeutet. Aber wie viel kann ein Mensch essen am Tag? Wie viel kann ein Mensch trinken? Wie viel Wohnfläche braucht man? Wir sind in der absurden Lage, dass der Gedanke, immer mehr haben zu wollen als der Nachbar, dazu führt, das keiner mehr zufrieden ist mit dem, was er hat. Es hat dazu geführt, dass viele Menschen in Deutschland allein auf ziemlich großer Wohnfläche sind. Glücklicher sind allerdings meist Menschen in Mehrgenerationenhäuser, Leute, die das Gefühl haben ‚Ich werde gebraucht, ich kann mich einbringen, es gibt Leute, die sich auf mich verlassen, es gibt Leute, die mich lieben, so wie ich bin‘. Und das müssen wir wiederentdecken. Deutschland zerfällt gerade in lauter Einzelinteressen. Glück ist jedoch eigentlich ein Gemeinschaftsgefühl – es kommt selten allein.
Obwohl ich von Hirschhausen heiße, bin ich nicht im Schloss aufgewachsen, sondern im sozialen Wohnungsbau.
Die Medien veröffentlichen immer wieder Studien darüber, in welchem Land die Menschen am glücklichsten sind, oft jedoch mit unterschiedlichen Ergebnissen. Wie glaubwürdig sind solche Studien?
von Hirschhausen: Auch wenn es viele überrascht, aber tatsächlich ist Glück auf verschiedene Arten und Weisen messbar. Zum einen kann man die Menschen selber fragen, wie zufrieden sie auf einer Skala von eins bis zehn sind. Wenn man sie dazu noch fragt, warum sie sich als glücklich einschätzen, kann dies auch zu einer Aussage über das Glück großer Gruppen von Menschen führen. Zum anderen ist es möglich, die Menschen durch andere einschätzen zu lassen. Sie könnten beispielsweise mich fragen, wie glücklich Sie gerade sind und ich würde dann versuchen, anhand Ihrer Körperhaltung oder ihrem Gesichtsausdruck eine Einschätzung abzuliefern.
Nur zu, wie glücklich bin ich gerade?
von Hirschhausen: Ich bin hier ja nicht als Ihr Therapeut hier, sondern als Ihr Interviewpartner. Und für so eine Einschätzung kenne ich Sie nicht gut genug. Aber das ist grundsätzlich die zweite Möglichkeit, das Glück eines Menschen zu messen. Und die dritte ist, den Menschen in einen MRT zu stecken und zu schauen, was in seinem Hirn passiert, weil unser subjektives Empfinden auch darauf beruht, dass dort bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet werden, dass bestimmte Areale im Kopf aktiv sind. Auf diesem Wege wurde beispielsweise herausgefunden, dass Menschen, die regelmäßig meditieren, ihre Glücksfähigkeit und damit bestimmte Gebiete im Stirnhirn, besser aktivieren können. Das heißt, Glück ist nicht nur messbar, sondern noch dazu trainierbar.
Sie sprachen vorhin von der Glückslebenskurve, wie sah die bei Ihnen aus? Den Zugewinn an Wohlstand haben Sie ja erlebt.
von Hirschhausen: Ja, obwohl ich von Hirschhausen heiße, bin ich nicht im Schloss aufgewachsen, sondern im sozialen Wohnungsbau. Ich habe also durchaus erlebt, dass eine Familie mit vier Kindern nicht ständig irre viel Geld übrig hat, um modischen Schnickschnack zu kaufen. Sondern ich habe früher die abgelegten Sachen meiner Eltern und meiner Brüder auftragen müssen und war dann später durchaus glücklich, mir mal etwas Neues kaufen zu können. Zudem habe ich auch als Straßenkünstler in der Fußgängerzone erlebt, wie beglückend es sein kann, mich hinzustellen und die Menschen zum Stehen, Staunen und Lachen zu bringen. Wenn die mir dafür dann noch ein paar Münzen in den Hut geschmissen haben – damals war ich in Italien, in Verona genauer gesagt und es gab noch die Lire – dann war das schon ein beglückendes Erlebnis, wenn ich davon abends essen gehen konnte.
Was haben Sie denn in Verona gemacht?
von Hirschhausen: Na, auf der Straße gezaubert.
Warum ausgerechnet in Verona?
von Hirschhausen: Weil wir in Deutschland keine Flanierkultur haben. In Deutschland ist die Straßenkunst tot. Sie kommt jetzt ein wenig wieder, aber in den Achtzigern war es sehr schwierig, ruhige Plätze für Auftritte zu finden. Es gab auch kaum Leute, die sich die Zeit genommen hätten, stehen zu bleiben. In dieser Hinsicht waren und sind die Menschen in den mediterranen Länder, in denen viel abends spazieren gegangen wird, ganz anders drauf. Das finde ich ja auch interessant, die Frage, warum sich die Deutschen mit dem Glück so schwer tun. Die Ergebnisse der von Ihnen erwähnten Studien sind ja oft, dass die Menschen in Nachbarländern wie Dänemark oder der Schweiz glücklicher sind. Das Wetter ist dort aber auch nicht besser, an der Sonnenscheindauer liegt es also nicht.
Sondern woran?
von Hirschhausen: Die Einstellung zum Leben ist dort eine andere. Das liegt am Zusammenhalt, der dort oft besser ist, was wiederum an die politische Teilhabe gekoppelt ist. Auch ein besseres Bildungssystem gehört zu den Ursachen.
Warum sind die genannten Dinge Faktoren für Glück?
von Hirschhausen: Wir wissen heute, dass die Menschen einfach glücklicher sind, wenn sie das Gefühl haben: Ich lerne dazu, ich wachse über mich hinaus, ich nutze meine Talente. Das hat maßgeblich damit zu tun, wie gut das Bildungssystem ist. Dasselbe gilt für das Gefühl, Teil von etwas zu sein, gebraucht zu werden. Die Möglichkeiten der politischen Teilhabe im Kleinen sind beispielsweise in Dänemark besser als in Deutschland, weshalb die Dänen in den Glücksstudien regelmäßig besser abschneiden als wir. Ein einfaches Beispiel: In Deutschland fühlt man sich oft bedroht, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist. In Kopenhagen werden dagegen die Radwege – auch aufgrund von politischem Engagement der Bürger – so breit gebaut wie die Straßen. Dadurch fühlen sich die Menschen mit ihren Interessen eingebunden und es macht sie nicht nur glücklicher – die Menschen sind plötzlich viel eher bereit, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Was bedeutet, dass sie mehr Bewegung haben und mehr an der frischen Luft sind – klassische Glücksmomente.
Und was müssten wir am Bildungssystem ändern, um glücklicher zu werden?
von Hirschhausen: Ich habe vor kurzem gemeinsam mit der Stiftung Lesen eine Aktion zur Förderung des Vorlesens gemacht. Denn das Traurige ist: Wir wissen zwar, dass Bildung ein großer Schlüssel zum persönlichen Glück ist. Wir wissen aber auch, dass die Bildungsunterschiede zwischen geförderten und ungeförderten Kindern, wenn sie in die Schule kommen, bereits so groß sind, dass diese Unterschiede selbst nach vielen Schuljahren noch zu spüren sind. Deshalb müssen wir möglichst früh möglichst vielen Kindern die Chance geben, dazuzulernen.
Durch Vorlesen?
von Hirschhausen: Ja, die Kinder lernen nicht nur von dem Vorgelesenen, sondern sie lernen auch einen selbstverständlicheren Umgang mit Büchern, mit dem Lesen, mit Geschichten und vielleicht auch mit dem Miterzählen und Mitausdenken. Kinder, die das erleben, sind erfahrungsgemäß sehr viel besser in der Schule und haben später bessere Ausbildungschancen. Außerdem bringt eine bessere Bildung Geld: Volkswirtschaftlich gesehen kommt jeder Euro, den wir in Bildung investieren, 25-fach zurück – weil wir unsere Sozialsysteme weniger mit arbeitslosen und unglücklichen Menschen belasten.
Und deshalb bedarf es auch eines Schulfachs „Glück“, für das Sie sich seit einiger Zeit einsetzen?
von Hirschhausen: Viel von dem, was wir später den Leuten teuer in psychosomatischen Kliniken oder Managerseminaren beibringen, könnten wir von Kindheit an üben: nämlich Entspannungsverfahren, Meditation, Körperbewusstsein, Verantwortungsgefühl, soziale Kompetenz, Streiten lernen. Also all die Dinge, die bislang höchstens durch Projektgruppen nach und nach in den Schulen vermittelt werden. Denn diese Dinge sind in mancherlei Hinsicht in meinen Augen viel wichtiger als der klassische Bildungskanon. Sie braucht man im Leben wirklich, sie bringen einem wirklich was.
Moment, ich dachte Bildung macht glücklich. Nun sprechen sie vielmehr von sozialer Kompetenz als Schlüssel zum Glück.
von Hirschhausen: Bildung ist ja nicht nur Kopfbildung, sondern auch Herzensbildung. Außerdem gibt es da Schnittmengen: Die Fähigkeit, zu singen, zu tanzen und gemeinsam Musik zu machen beispielsweise. Musik ist Teil des klassischen Bildungskanons – der Kopfbildung, wenn man so will – und außerdem ein ganz, ganz großer Glücksbringer. Ich würde deshalb auch behaupten: Männer gehen ins Fußballstadion nicht nur wegen des Spiels, sondern auch wegen der Gesänge!
Da könnten die Männer doch auch wieder in die Kirche gehen und im Gottesdienst im Chor singen.
von Hirschhausen: (lacht) Ja, vielleicht. Fußball ist auf jeden Fall auch eine Form von Ersatzreligion.
Ein anderes Thema: Gerüchten zufolge steht eine neue Sendung mit Ihnen im WDR an.
von Hirschhausen: Ja, das stimmt. Wir haben „Hirschhausen hilft“ bereits pilotiert. Dabei handelte es sich um eine Mischung aus „Harald Schmidt Show“, „Inas Nacht“ und eben Eckart von Hirschhausen. Der Pilot war zwar noch sehr roh, aber das Format ist interessant – nämlich in einem kleinen Rahmen plaudernd über Medizinthemen aufzuklären. Wir haben dort über den Sinn und Unsinn von probiotischen Joghurts geredet und darüber, wie viele Bakterien der Mensch eigentlich mit sich sowieso herumschleppt und ob die paar auf dem Löffel da einen Unterschied machen. Und darüber, warum manche Diäten funktionieren und manche nicht. Ich glaube, so etwas locker im Fernsehen zu präsentieren hat eine große Zukunft.
Heißt das, auf den Pilot wird wahrscheinlich eine regelmäßige Sendung folgen?
von Hirschhausen: Schau’n wir mal. Ich kann momentan nur sagen: Es wird im kommenden Jahr Fernsehen geben – wie viel ich davon selber bestreiten werde, sehe ich entspannt und wird in der Fernsehzeitung ausgewiesen.
Angenommen es klappt – was wäre die angepeilte Sendezeit?
von Hirschhausen: Um 21 Uhr am Freitag.
Ein prominenter Sendeplatz. Haben Sie da keine Sorge, sich zu verheben?
von Hirschhausen: Nein. Ich lebe nicht vom Fernsehen und auch nicht für das Fernsehen. In erster Linie bin ich im kommenden Jahr mit meinem aktuellen Bühnenprogramm „Wunderheiler“ auf Tour quer durch Deutschland. Langweilen werde ich mich nicht!
Hallo Herr Grundke ,
Das Gespräch, mit Herrn Herrhausen, hat mir viel Neues beschert !
Vielen Dank !
Liebe Grüße
Reinhard Kleine