Element of Crime

Für unsere erste Platte bekamen wir 70 Pfennig.

Sven Regener und Richard Pappik von Element of Crime über Plattenverträge, Inspirationsquellen, Songtexte und warum die Band nie ihren Stil ändern wird

Element of Crime

© Charlotte Goltermann

Herr Regener, Herr Pappik, vor 24 Jahren wurde Element of Crime gegründet – wie haben Sie seitdem den Wandel der Musikindustrie erlebt?
Regener: Unsere Plattenverträge damals waren ganz schön schlecht. Wir haben heute einen sehr viel besseren Vertrag. Klar, als junge Band bekommt man immer einen schlechten Vertrag, man hat ja nichts vorzuweisen.
Heute kann man das ja sagen, aber damals mussten wir Stillschweigen bewahren über unseren ersten Vertrag: Ich glaube, wir bekamen alle zusammen 70 Pfennig pro Platte. Das war damals noch Vinyl. Und 70 Pfennig, das war schon wenig. Wir sind damals mit dem Vertrag zu einem Anwalt gegangen und haben den gefragt ob das alles so seine Richtigkeit hat.

Und?
Regener: Er meinte, der Vertrag sei gerade so nicht sittenwidrig. Aber dann fragte er auch: Gibt es irgendjemand anders, der Ihnen einen Plattenvertrag anbietet? Wir: „Nein“ – und damit war das Thema durch.
Heute sind die Bedingungen für uns viel besser, weil wir viel mehr Platten verkaufen. Aber als wir damals von AtaTak zur Polydor kamen, hatten wir gerade mal 800 verkaufte Platten von unserem ersten Album „Basically Sad“ im Rücken. Damit kann man nicht gerade hoch pokern.

War die künstlerische Freiheit damals größer oder kleiner als heute?
Regener: Ganz ehrlich? Die Platte, wo wir künstlerisch eigentlich am unfreiesten waren, das war die aller erste, die wir bei AtaTak gemacht haben. Das war ein Indie-Label, die Leute, die das Label betrieben haben, waren selber Künstler, und es ist klar, dass die dann mitreden.
Bei der Polydor haben wir dann gleich gesagt: Wir wollen nicht, dass uns hier jemand reinquatscht. Und so war es dann auch. Diese ganzen Schauermärchen über Bands, die nur machen was die Plattenfirma vorschreibt, wahrscheinlich stimmen die alle, aber wir haben die nicht erlebt. Vielleicht liegt das auch an der Art Musik, die wir machen – da kann eh keiner mitreden. Höchstens gab es mal die übliche Single-Diskussion, wo jemand kommt und sagt, „Ich sehe die Single nicht“ oder: „Kann man das nochmal remixen?“ – aber dann sagen wir „Nein“ und dann ist wieder gut.

Wer wollte denn Element of Crime remixen?
Regener: Wir haben mal eine Platte bei „Urban“ rausgebracht“, dem Sublabel der Polydor. Das war ein Remix von „Sperr mich ein“ durch das „Deep Sound System“. Das waren Kumpels von uns, die einfach mal einen Remix von uns machen wollten. Die haben nur meine Gesangsspur genommen und einen Beat drunter gelegt – das ist schon ein sehr seltsames Ergebnis gewesen, muss ich schon sagen. Aber nicht weiter schlimm.

War das vielleicht eines der größten musikalischen Experimente in der Geschichte von Element of Crime?
Pappik: Das haben wir ja nicht selber gemacht.

Klar, aber gab es bei Element of Crime irgendwann mal ein größeres Experiment, wo die Band vom typischen Stil abgewichen ist?
Regener: Das haben wir nie getan. Man kann sagen, dass Element of Crime im Ganzen ein einziges großes musikalisches Experiment ist. Es macht ja auch sonst niemand Musik in dem Stil wie wir.

Und aus dem Stil wollten Sie nie ausbrechen?
Regener: Das wäre ja ein negativer Grund, so was zu machen. Wenn man sagt, man arbeitet gegen seinen eigenen Stil – das ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Ich verstehe die Frage schon, aber ich glaube, sie geht von falschen Voraussetzungen aus. Nämlich, dass es irgendeinen Sinn ergäbe, als Band gegen den eigenen Stil zu arbeiten. Dabei ist das doch das Einzige, was eine Band wirklich hat, das einzige wirkliche Vermögen. Da wäre man doch total bescheuert, zu sagen: „Wir müssen jetzt mal wie eine ganz andere Band klingen.“

Es gibt doch aber immer wieder Bands, die sich von einem Album zum nächsten stark verändern.
Regener: Welche denn?

Spontan würde mir jemand wie Fatboy Slim einfallen, seine ersten Alben unterscheiden sich schon von der Musik, die er heute macht.
Regener: Ok, man darf aber nicht vergessen: Fatboy Slim ist keine Band, sondern ein Solo-Künstler und er ist er vor allem auch Produzent. Dieselbe andere Sau, die immer wieder durchs Dorf gescheucht wird bei dieser Debatte ist David Bowie, das kenne ich auch schon.
Aber eine Band, die ihren eigenen Stil komplett umwirft – die kann sich gleich umbenennen. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Ween ist so ein Beispiel, die dann plötzlich eine ganz andere Platte machen. Die erkennt man dann aber auch nicht wieder. Warum steht dann „Ween“ drauf? Keine Ahnung.

Mir würde noch „Archive“ einfallen. Eine Band, die zuerst ein schönes Trip-Hop-Album gemacht hat, später wurde daraus eine Britpop-Indie-Band.
Regener: Das gibt es auch oft in der Popmusik, bei Musikern, die sich ihrer Hits schämen, oder denen die jedenfalls unheimlich sind. Zum Beispiel Terence Trent D’Arby, die zweite Platte – auf der ersten waren die riesigen Hits drauf, das war ihm dann vielleicht peinlich oder er meinte, er müsste bei der zweiten Platte beweisen, dass er auch ein großer Experimentalkünstler ist – das wollte aber keiner hören. Alle wollten den Terence Trent D’Arby hören, den sie vom ersten Album her kannten, das, ist doch klar.
Wir machen mit Element of Crime etwas, was sonst keiner macht. Und da gibt es überhaupt keinen Grund für uns, davon plötzlich abzuweichen. Weil sonst macht’s ja keiner.

Also lieber „Schuster bleib bei deinen Leisten“?
Regener: Nein, das ist nicht „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Das ist „Schreib einfach neue Songs“. Wir schreiben zehn, zwölf Songs und machen daraus eine neue Platte. Und wir brauchen uns überhaupt keine Gedanken um den Stil zu machen. Das wäre ein Krampf.
Ich kann natürlich sagen: Hey Leute, ich will unbedingt mal eine HipHop-Platte machen. Dann sagen die: „Du bist bescheuert!“ Und dann muss ich die alleine machen. Dann steht da „Sven Regener“ drauf, mit HipHop – kann ich alles machen, aber nicht mit dieser Band.
Was ich damit sagen will: Wenn ich das nur mache, um endlich mal aus meinem Stil auszubrechen, dann ist das ein völlig niederer Beweggrund in der Kunst. Nach dem Motto: „Ich bin Joseph Beuys und ich will jetzt endlich mal Schinken in Öl malen. Warum denn? – Eigentlich hasse ich Schinken in Öl, aber ich muss es unbedingt mal machen, um aus meinem Stil auszubrechen – und ich kann diese Fettecken nicht mehr sehen.“ Das ist Krampfkram.

Zitiert

Die Platte, wo wir künstlerisch am unfreiesten waren, war unsere aller erste.

Element of Crime

Gibt es trotzdem eine bewusste Suche nach neuen Inspirationsquellen?
Regener: Nein. Bei mir nicht.
Pappik: So ein Grundstöbern ist eigentlich immer da. Aber nicht …
Regener: Ich glaube, das ist immer ein Ausdruck von einer Krise. Ich glaube, wenn man sich auf die Suche nach neuen Inspirationsquellen macht, bedeutet das: die alten Inspirationsquellen sprudeln nicht mehr.

Was sind die alten?
Regener: Die immer gleichen. Die Liebe zur Musik, zum Song, die Ideen, die man hat. Ich muss mich nicht von außen stimulieren. Ich brauche auch keine Strapse, um Sex zu haben. Ich muss keinen Porno gucken, um mich in Stimmung zu bringen. So ist das für mich in der Musik auch. Ich brauche keine speziellen Inspirationsquellen. Ich liebe Musik, das ist mein Leben, die Inspirationsquellen sprudeln immer, ich muss mir keine neuen suchen.

Herr Regener, was bedeutet es, wenn sich „Euro und Markstücke die Hand geben“, wie Sie auf dem neuen Album singen?
Regener: Dann ist endlich alles gut.

Eine Metapher?
Regener: Ich würde denken, das ist eine Form von Versöhnung, wenn sich Euro und Markstück, zwei inkompatible Dinge die Hand geben. Das ist schon gut. Wenn überhaupt, dann so. Aber es kann auch für etwas anderes stehen. Das ist ja das Schöne, das Metaphorische hat viele Ebenen.
Es gibt aber tatsächlich in Hamburg einen Künstler, der heißt „4000“ und der hat mal so eine 5-Mark-Stück-Reihe gemalt. Da gibt es ein Bild „5-Markstück ist böse“, ein anderes heißt „5 Markstück und Euro verstehen sich gut“. Und auf dem Bild geben die sich die Hand.

Muss sich eigentlich die gesamte Band mit Ihren Texten identifizieren können?
Regener: Nein. Warum sollte sie das tun?
Pappik: Bisher ist das immer auf natürliche Art und Weise von selber geschehen. Es gab keine Reibereien mit den Texten.
Regener: Was heißt schon identifizieren? Ich weiß ja nicht mal, ob ich mich selber mit diesen Texten identifizieren kann. Aber es macht mir Spaß, sie zu singen. Ich habe die geschrieben, damit ich was zum Singen habe. Und es macht mir Spaß, wenn ich sie richtig gut finde.
Wichtig ist, dass sich die Hörer damit identifizieren, dass denen das was bringt, dass die Spaß dran haben. Warum sie das tun? – Ich habe keine Ahnung.

Verwerfen Sie beim Schreiben viele Texte?
Regener: Ich verwerfe viele Ideen. Meistens komme ich nicht so weit, zu sagen: Ich habe einen ganzen Text verworfen, das ist relativ selten. Wir haben ja immer erst die Musik und die Melodie und ich mache dann irgendwann dazu einen Text. Und ich habe diese und jene Idee, worum es in dem Text gehen könnte – die meisten davon verwerfe ich, bis auf die eine, die es dann sozusagen in die Endausscheidung schafft.

Ist es Ihnen egal, was die Leute aus Ihren Texten herauslesen, in sie hineininterpretieren?
Regener: Ja. Weil ich es nicht steuern kann. Wenn mir das nicht egal wäre, würde ich wahnsinnig werden. Selbst ich kann meine Texte auf drei verschiedene Weisen interpretieren und das ist auch gut so. Weil ich glaube, dass es nicht gut ist, wenn Texte nur eine Deutung zulassen. Das ist bei Songtexten immer langweilig und fad. Denn je nach Stimmung, Lage und Laune kann so auch mal die eine oder andere Facette im Vordergrund stehen, wie bei changierenden Stoffen, die mal diese und mal jene Farbe haben. Das ist bei Songtexten sehr wichtig, sonst wird es – auch live – sehr schnell sehr langweilig. Ich kenne das von Tourneen, es gab immer wieder Songs, die man auf Tournee irgendwann verworfen hat. Die Band hatte keine Lust mehr, die zu spielen, ich hatte keine Lust mehr, die zu singen, oft weil der Text ein bisschen fad war.
Pappik: Man bemerkt es aber trotzdem erst unterwegs, man hat es vorher nicht gewusst, man merkt plötzlich: Hey…
Regener: Ich habe es manchmal schon vermutet. Heute passiert mir das weniger, weil ich den Prozess des Songschreibens durch die langen Abstände zwischen den Platten über eine viel längere Zeit strecken kann, und man diesen Test of Time dann schon vorher durchlaufen kann. Ich merke jetzt schon relativ früh, ob irgendwo sozusagen ein „toter Fisch“ dabei ist.

Und was kann man reininterpretieren, wenn Sie singen, „Scheiß auf Metaphern, sie sind böse und heiß“?
Regener: Zunächst mal ist es doch völlig in Ordnung, es einfach nur wörtlich zu nehmen.

Aber Sie arbeiten doch so viel mit Metaphern.
Regener: Es heißt ja nicht, dass diese Aussage jetzt von mir gemacht wird. Die wird von dem gemacht, der in dem Moment dort singt. Das ist ja eine Rolle, die dort gespielt wird. Und da kann man auch zwischendurch mal sagen: „Scheiß auf Metaphern, die sind böse und heiß.“ Interessant ist ja eher die Zeile davor: „Was für Cloppenburg Pfanni ist, bist du für mich.“ Denn, dass da jemanden in dem Moment vielleicht das Gefühl beschleicht, metaphorisch zu weit gegangen zu sein, und dann wieder zurückrudert, das ist ja eine mögliche Position, die man einnehmen kann. Man kann immer noch etwas dahinter sehen. Diese Möglichkeit besteht. Man kann es aber auch wörtlich nehmen, und sagen: „Scheiß auf Metaphern, sie sind böse und heiß.“

Und die Zeile mit dem Erdbeereis, das herunterfällt – hatte die vielleicht eine konkrete Hintergrundgeschichte?
Regener: Ich habe in meinem Leben schon viel Erdbeereis auf vielen Waffeln gesehen, und ich habe auch schon oft Erdbeereis runterfallen gesehen, auch in meiner eigenen Kindheit. Aber nicht so, dass ich so sage, am 17.03.2008 ist was passiert, was mich dazu brachte, diesen Text zu schreiben. Ich bin 48 Jahre alt. Das sind viele tausend Tage und da kann man schon davon ausgehen, dass ich weiß, wovon das Leben handelt. Aber ich kann mir sonst auch alles mögliche ausdenken. Dieser Typ, der hier gegenüber das große Bild an die Wand gemalt hat (zeigt auf ein großes Wandgemälde an der Schlesischen Straße), den fragt auch niemand, wann und wo er das denn bitteschön so gesehen hat. So, aber warum fragt man mich das? Weil man uns letztendlich nicht zutraut, dass wir uns wirklich was ausdenken können. Dass wir schöpferisch tätig sein können. Man denkt, wir könnten nur abmalen, was wir so in der Natur gesehen haben. Bei dem Maler denkt das niemand.

Konkrete Bezüge Ihrer Texte streiten Sie also ab…
Regener: Es ist völlig unerheblich. Es kann nie so gewesen sein. Nie. Genau so geht es nie. Hat dieser Maler jemals jemanden gesehen, der so eine Haube aufhatte mit so einer Brille? Kann sein, kann nicht sein. Vielleicht in einem anderen Zusammenhang vielleicht im Sadomaso-Klub, vielleicht im Traum.
Wir Schriftsteller und Musiker, Songtexter, wir sind ja fast die Einzigen, denen man nicht zutraut, dass sie schöpferisch tätig werden. Man denkt, wir müssten das alles genau so erlebt haben, sonst könnten wir das gar nicht aufschreiben. Komisch ist das, ich finde das komisch…

Zum Schluss: Welches große Talent hat Sven bzw. welches hat Richard, abseits der Musik?
Pappik: Ich glaube, Sven wäre ein guter Kapitän. Er kommt ja von der Waterkant und auch seine Bezüge zur Nautik, die dringen doch immer wieder durch. Ich würde ihn schon gerne mal auf der Brücke sehen, wie er als Steuermann ruft: „Jetzt mehr Backbord!“
Regener: Richard ist ein großer Autofahrer, und auch Auto-Reparateur.
Pappik: Aber nur italienische Marken.
Regener: Dafür aber 1a magnifico, ganz große Kanone. Ich bin mir auch sicher, dass da noch eine Menge anderer Talente schlummern, von denen ich nichts weiß. Denn das ist auch wichtig: Wir wissen gar nicht so viel voneinander. Oder Richie?
Pappik: Joh, und irgendwie ist das ja auch ganz gut so.

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