Ellen Page, Sie sind in Kanada geboren und aufgewachsen. Wie steht es dort um die gleichgeschlechtliche Ehe?
Ellen Page: Sie existiert schon relativ lange, seit 2005. Kanada war das erste Land außerhalb Europas, das die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt hat. Natürlich gibt es auch in Kanada Orte, an denen es für LGBTQs (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und queere Menschen, Anm.) nicht leicht ist, spätestens dann, wenn es um die Regelung bestimmter juristischer Angelegenheiten geht. Aber das ist kein Vergleich zu den Schwierigkeiten und Hindernissen, mit denen wir es in den USA zu tun haben.
Ihr neuer Film „Freeheld“ erzählt die wahre Geschichte von Laurel Hester, einer Polizistin in New Jersey, die kurz vor ihrem Tod dafür kämpfte, dass ihre Lebensgefährtin eine Pension zugesprochen bekommt. Was bedeutet Ihnen dieser Film?
Page: Zuallererst habe ich Dankbarkeit empfunden, weil ich auf diesem Weg ein kleiner Teil der Geschichte von Laurel Hester und Stacie Andree werden durfte. Ich bewundere die beiden und bin ihnen sehr dankbar für das, was sie für die Gleichstellung erreicht haben. Und natürlich macht es einen auch traurig, so etwas zu spielen, von dem man weiß, dass es Menschen wirklich passiert ist.
Hester und ihre Lebensgefährtin stießen als homosexuelles Paar auf starken Widerstand der Behörden…
Page: Ich habe das nur gespielt und bin jeden Abend nach Hause gegangen und musste an die Homophobie denken, mit der es die beiden tatsächlich zu tun gehabt haben. Ich empfinde angesichts des Films also eine Mischung aus Dankbarkeit und unvermeidbarer Trauer.
Sind Sie dadurch selbst zur Aktivistin in Sachen Gleichberechtigung geworden?
Page: Nein, schließlich waren Laurel und Stacie diejenigen, die den Mut aufgebracht haben, öffentlich für ihr Recht zu kämpfen. Ich fühle mich da eher wie eine Schauspielerin, die ihren Job gemacht hat. Aber natürlich hoffe ich, dass möglichst viele Menschen sich „Freeheld“ansehen, dass er sie bewegt und zeigt welchen Auswirkungen Diskriminierungen auf Menschen haben können. Auch wenn ich jetzt an der Doku-Serie „Gaycation“ arbeite, fühle ich mich nicht als Aktivistin. Ich tue einfach das, was sich für mich richtig anfühlt.
Es ist nun mal so, dass nur 17% der Protagonisten im Kino Frauen sind. Das ist ein enormes Ungleichgewicht.
Im Film spielt Julianne Moore die im Februar 2006 verstorbene Laurel Hester, Sie spielen Stacie Andree. Wie wichtig war es für Ihre Vorbereitung, die echte Stacie zu treffen?
Page: Äußert wichtig. Ich hatte die Dokumentation „Freeheld“ von Cynthia Wade in den letzten Jahren ohnehin schon unzählige Male gesehen. Aber tatsächlich Zeit mit Stacie zu verbringen war noch einmal etwas völlig Anderes. Es war für mich wichtig zu sehen, wie sie jenseits des Blickes durch eine Kamera wirkt, wie sie sich verhält. Man merkt dann, dass sie äußerst schüchtern ist. Sie ist sehr leise, sehr stark, freundlich und einfühlsam. Es war eine gute Erfahrung, einfach in ihrer Welt zu Gast zu sein, zu sehen, wo sie arbeitet, wo Laurel jeden Morgen ihren Kaffee geholt hat. Wir haben einfach Zeit miteinander verbracht und geredet.
Sehr schüchternen Menschen muss es eine besondere Überwindung kosten, ihr Leben so in die Öffentlichkeit zu stellen…
Page: Ich glaube aber, dass Laurel diesen Film trotzdem gewollt hätte. Die beiden haben sich vor ihrem Tod noch darüber unterhalten. Als Cynthia Wade sie für ihren Dokumentarfilm interviewte, hat sie auch gefragt: Was wäre, wenn jemand aus eurer Geschichte einen Spielfilm machen würde? Sie haben das weggelacht, aber ich denke, Laurel hätte gewollt, dass möglichst viele Menschen von ihrer Geschichte erfahren. Und für Stacie ist es wohl ein weiteres Zeichen ihrer Liebe zu Laurel, dass sie unseren Film unterstützt hat.
Sie haben „Freeheld“ nun auch mit produziert. Wie schwer war es, ihn zu finanzieren?
Page: Das Klima für unabhängige Filme ist generell sehr schwierig in den USA. Ob es uns das Thema dieses Mal noch schwerer gemacht hat, kann ich nicht sagen. Ich frage mich, ob die Leute die über solche Finanzierungen entscheiden, hinter ihren verschlossenen Türen wirklich inhaltliche Diskussionen führen. Ganz sicher hat es die Sache nicht vereinfacht, dass es hier „nur“ zwei weibliche Hauptdarstellerinnen gibt.
Auch wenn diese Hauptdarstellerinnen Ellen Page und Julianne Moore heißen?
Page: Es ist nun mal so, dass nur 17% der Protagonisten im Kino Frauen sind. Das ist ein enormes Ungleichgewicht. Im TV ist das zum Glück ein bisschen anders, da gibt es mehr Freiraum für Frauen. Und was speziell lesbische Themen angeht, hat sich international in den letzten Jahren auch etwas getan. Da gab es „Blau ist eine warme Farbe“ oder „Tomboy“ aus Frankreich, den ich ganz besonders liebe. Es gibt jetzt „Carol“ und „Freeheld“. Ich hoffe, das geht weiter so.
Sie haben in Filmen wie „X-Men“ Superheldinnen verkörpert, die gegen Schurken kämpfen. Wer ist in „Freeheld“ eigentlich der Feind?
Page: Wahrscheinlich das Patriarchat, Homophobie im Allgemeinen. Es sind ja ausschließlich Männer, die da einfach auf ihren Stühlen sitzen und einer Frau ihre Rechte verweigern. Zunächst einmal sollten niemandem seine Rechte verweigert werden. Und hier geht es auch noch um eine Frau, die als Polizistin ihre ganze Karriere dem Schutz der Bürger ihres Staates New Jersey gewidmet hatte.
Im Namen jener Bürger wurde argumentiert, Pensionszahlungen für die Witwe einer Polizeibeamtin wären „gegen die Tradition“ und könnten zudem den kommunalen Haushalt überfordern.
Page: Für mich ist das das Symptom einer Gesellschaft, die sexistisch und feindlich gegenüber allen sexuellen Orientierungen eingestellt ist, die von der Heteronormativität abweichen. Laurel Hester wurde von diesen Menschen in den letzten Wochen ihres Lebens zu verstehen gegeben: Deine Liebe ist weniger wert als unsere, du bist weniger wert als wir. Das ist wirklich schrecklich.
Das muss sich ändern und und vieles ändert sich ja bereits.
Im Film scheint zumindest der Jüngste der Freeholder eigentlich auf der Seite von Laurel und Stacie zu stehen. Haben wir es hier auch mit einem Generationsproblem zu tun?
Page: Ich denke, es ist schon so, dass junge Menschen sich eher um andere Dinge sorgen und dass sie – zum Glück – zumindest die juristische Gleichstellung in der Regel nicht mehr in Frage stellen. Es gab ja schließlich auch im letzten Sommer die Entscheidung des Obersten Gerichtes der USA, dass die Verweigerung gleichgeschlechtlicher Heirat gegen die Verfassung verstößt. Das provozierte zwar einige laute Proteste, aber ich denke, das war nur der Lärm, den eine kleine Minderheit verursacht hat. Trotzdem bin ich nicht bereit darauf zu warten, dass dieses Problem irgendwann ausstirbt. Ich habe keine Geduld mit Menschen, die mit dem Hinweis auf irgendwelche Traditionen andere Menschen diskriminieren. Denn diese Diskriminierung beeinträchtigt Menschen ganz konkret, im Hier und Jetzt.
Sie haben sich 2014 öffentlich zu Ihrer Homosexualität bekannt. Wie hat das Ihr Leben verändert?
Page: Glauben Sie mir, vor meinem Outing bin ich davon ausgegangen, dass die meisten Menschen sowieso wissen, dass ich lesbisch bin. Es fühlte sich für mich also nicht so an, als ob das eine große Sache werden würde. Es war einfach der letzte Schritt, den ich noch zu gehen hatte. Aber es hat mein Leben von Grund auf verändert. Ich bin jetzt eine komplett andere Person, rund um die Uhr, Tag für Tag.
Wie äußert sich das?
Page: Es war tatsächlich neu für mich, als „lesbische Person“ mit meiner Freundin die Straße runter zu gehen. Ich habe dann auch zum ersten Mal erlebt, dass ich schlecht behandelt wurde, nur weil ich lesbisch bin. Diese Sprüche, mit denen LGBTQs jeden Tag konfrontiert werden, diese negative Energie, die andere Leute einem gegenüber ausstrahlen, das alles war neu für mich und ist es eigentlich immer noch.
Das heißt in dem Fall ist die Gesetzgebung zumindest Teilen der Gesellschaft eher voraus…
Page: …und das wird sich sicherlich auch nicht über Nacht ändern. Aber man darf nicht vergessen: Ich bin ein Mensch, der sehr viel Glück gehabt hat. Ich lebe in Los Angeles, ich verdiene Geld. Ich bin nicht das verletzbarste Mitglied unserer Gemeinschaft. Ich bin privilegiert. Habe ich trotzdem immer wieder mit diskriminierendem Bullshit zu tun? Natürlich! Aber ich habe nicht die Probleme vieler anderer, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Sexualität diskriminiert werden. Ich meine, die durchschnittliche Lebenserwartung von farbigen Transgender-Frauen in den USA liegt bei 35. Das ist doch Irrsinn!
Wie geht es Ihnen damit, in Interviews über diese Themen zu sprechen?
Page: Tatsächlich geht es mittlerweile fast in jedem Interview auch um meine Sexualität. Das ist aber okay. Ich möchte lieber den ganzen Tag lang darüber reden, dass ich homosexuell bin, als wieder in die Zeit vor meinem Outing zurückzukehren. Ich hoffe, auch das wird sich eines Tages ändern. Dann müssen wir keine öffentliche Reden mehr über unsere Sexualität halten, sondern können Hand in Hand mit unseren Liebsten über den Roten Teppich laufen. Aber es gibt immer noch so viele Probleme. Als obdachloser LGBT kann man zum Beispiel in 31 Staaten der USA ganz legal aus den Nacht-Unterkünften geworfen werden. Das Thema wird wohl ein Teil solcher Gespräche bleiben, bis wir all diese Ungerechtigkeiten hinter uns gelassen haben.
Warum bekennen sich immer noch relativ wenige Film-Stars zu ihrer Homosexualität?
Page: Es gibt in Hollywood wohl nach wie vor die Befürchtung, dass ein Outing der eigenen Karriere schaden könnte. Das hört sich albern, altmodisch und diskriminierend an, aber dieses Narrativ existiert. Ich hoffe, dass sich das weiter ändern wird und mehr Menschen ihr Coming Out haben werden. Um unser aller Sichtbarkeit willen und auch für jeden ganz persönlich halte ich es für äußerst wichtig, aus der eigenen Sexualität kein Geheimnis zu machen und sich zu seinem authentischen Selbst zu bekennen.