Mr. Goldenthal, Ihre Frau hat den Film "Frida" gedreht, der die Lebensgeschichte der mexikanischen Malerin Frida Kahlo erzählt. Sie haben dazu die Musik geschrieben — wann haben Sie denn das erste Mal die Bilder von Frida Kahlo gesehen?
Goldenthal: Das war, glaube ich, 1968. Sie hat mich sehr interessiert, so dass ich 1972 das erste Mal nach Mexiko gefahren bin um dort weitere ihrer Arbeiten zu sehen.
Was mochten Sie an ihren Bildern?
Goldenthal: Für mich war Frida Kahlo damals die erste Künstlerin, die ein sehr reales, ungeschöntes Frauenbild zeichnete. Sie zeigte eine Frau wirklich als Frau, ohne Vorbehalte, sie zeigte zum Beispiel die Geburt eines Kindes in ihrem ganzen Ausmaß mit Blut und Mutterkuchen. Ihr Blick auf die Frau war sehr direkt, uneingeschränkt.
Wie sind Sie da herangegangen, als Sie begannen, die Musik für "Frida" zu schreiben?
Goldenthal: Der Film verlangte nach einer melodiereichen Folklore-Musik. Das entsprach in gewisser Weise ihrer politischen Haltung, die ja mehr einem sozialistischen Konzept entsprang. Da hätte man nicht mit bourgeoisem Formalismus rangehen können. Für mich war klar, dass kraftvolle Melodien in diesem Film von besonderer Bedeutung sein würden.
Der Soundtrack beginnt mit einer kraftvollen Frauenstimme — sozusagen die Stimme Frida Kahlos?
Goldenthal: Ja, ich wollte dem Film gleich zu Beginn diese kräftige, sehr feminine Stimme geben. Das ist eine zeitlose Stimme, die man so vielleicht schon vor 5000 Jahren hätte hören können.
Nun führte bei "Frida" Ihre Lebenspartnerin Julie Taymor Regie. Wie war die Zusammenarbeit, hat Ihre Frau viel beanstanden müssen an Ihrem Score?
Goldenthal: Die Arbeit gestaltet sich nicht anders, als mit anderen Regisseuren. Wenn man ein Schiff baut, dann muss man das Schiff eben auf eine Weise bauen, dass es nicht sinkt. Das gleiche gilt für die Arbeit an einem Film, da gibt es eigentlich keinen Unterschied. Ich arbeite mit Julie genauso wie mit Neil Jordan oder anderen Regisseuren. Man hat ja schließlich die gleichen Probleme zu lösen.
Haben die Regisseure, mit denen Sie bisher gearbeitet haben, alle etwas von Musik verstanden? Und — auch wenn das beim kreativen Prozess vielleicht keine große Rolle spielt — gibt es eigentlich viele Regisseure, die keine Noten lesen können?
Goldenthal: Oh ja, sehr viele können keine Noten lesen. Aber ich denke, das ist auch gar nicht so wichtig. Einige der größten Musiker dieser Welt konnten schließlich keine Noten lesen. Viel wichtiger ist, wie intim, wie sensibel die Regisseure mit dem umgehen, was der Komponist zu erreichen versucht. In den meisten Fällen hatte ich großes Glück, mit Regisseuren zu arbeiten, die sehr viel von Musik verstanden haben. Sie haben immer das Gefühl, wie die Musik in jeder einzelnen Szene ihres Films funktioniert.
Sie schreiben nicht nur Filmmusiken sondern auch Opern, Oratorien und große Orchesterwerke — konnten Sie sich für Filmmusik schon immer begeistern?
Goldenthal: Ja, ich habe Musik im Kino schon immer sehr gemocht. Dieses Genre ist eine große Herausforderung, denn der Komponist muss sich in verschiedenen Welten bewegen. Für Film zu schreiben ist für einen Komponisten sehr hilfreich und lehrreich, es ist ja auch ein sehr junges Genre, das noch nicht einmal 100 Jahre alt ist, da gibt es noch so viele Möglichkeiten. Aber ich bewundere besonders die Komponisten, die es schaffen sowohl für den Film als auch für die Oper und die Konzerthäuser zu schreiben, wie zum Beispiel Toru Takemitsu.
Gibt es für Sie Idole?
Goldenthal: Ich würde nicht sagen Idole. Aber es gibt auf jeden Fall Komponisten, die ich sehr bewundere. Dazu gehören sicherlich Prokofjew, Schostakowitsch, Copland, auch Bernard Herrmann, Nino Rota. Ich mag auch die Film-Experimente von Duke Ellington und Miles Davis. Philip Glass‚ Filmmusiken gefallen mir eigentlich auch ganz gut. Philip ist eigentlich auch so ein bisschen wie ich. Wir teilen unsere Arbeit auf in Werke für das Theater, die Konzerthäuser und den Film. Ich schreibe gerade an einer Oper, letztes Jahr habe ich eine Ballettmusik geschrieben. Philip wird mir wohl zustimmen, dass es sehr nützlich ist, in den verschiedenen Bereichen zu arbeiten.
Er schreibt meines Erachtens sehr eigensinnige Filmmusiken. Ich habe ihn im letzten Jahr in einem Interview nach den großen Hollywoodkomponisten gefragt. Er meinte, die würden ihre Musik stets nur rekombinieren aber nichts neu erfinden.
Goldenthal: Also, Philip hat gar kein Recht über Rekombinieren zu sprechen, dafür ist er nun wirklich der falsche Komponist. Ich denke aber, vielleicht kommt seine Kritik von den scheinbar immer noch bestehenden Erwartungen, dass Filmmusik so klingen muss wie Musik in Europa Ende des 19. Jahrhunderts.
Es sind ja auch heute in Hollywood noch Wurzeln des anfänglichen Studiosystems zu finden. Damals haben Komponisten aus Europa wie Korngold oder Max Steiner Musik im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts sehr reich orchestriert, wie man es eben von Richard Strauss oder Gustav Holst kennt. Das wurde fast zum Standard für das Hollywood-Kino der 30er und 40er. Erst mit Aaron Copland entwickelte sich langsam ein nichteuropäischer Sound im amerikanischen Kino.
Sehen Sie heute noch viel Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich der Filmmusik?
Goldenthal: Oh sicher, wobei das auch immer vom Projekt abhängt. Als ich an meiner Musik zu "Alien 3" geschrieben habe, da war ein großer Teil der Musik innovativ in dem Sinne, dass ich Sounds gebracht habe, die man im Konzertsaal noch nie gehört hat. Ich habe Orchesterklänge mit Musique concrète gemischt.
Aber wie sehen Sie die Möglichkeiten heute?
Goldenthal: Genauso groß wie damals auch. Nur muss man bedenken, dass es sich mit Filmmusik wie mit allen anderen Künsten verhält: 80 Prozent sind Müll. Und maximal 20 Prozent der Werke sind es wert, der Nachwelt erhalten zu bleiben.
Wo würden Sie denn jene Filmmusiken einordnen, die mit einen Oscar ausgezeichnet wurden? Gehören die zu den 20 Prozent?
Goldenthal: Nein, natürlich nicht. Es ist eben nicht jeder Filmkomponist ein Duke Ellington oder ein Mozart. Und so ist der Großteil der Werke — auch der guten Filmkomponisten — einfach Müll. Aber so ist das doch nicht nur mit der Musik, so ist es auch mit Gemälden, Skulpturen oder Bauwerken.
Wenn Sie Filmmusik komponieren, muss für Sie die Musik auch immer einen vom Film unabhängigen Charakter haben?
Goldenthal: Manchmal muss sie das, manchmal nicht. Manchmal kann man die Musik ganz einfach im Konzertsaal spielen, bei manchen Stücken sollte man aber auch davon absehen. Das sind dann Stücke, die 100 Prozent funktional sind und somit abhängig vom Film und dem jeweiligen Moment im Film.
Man muss bedenken, dass es sich mit Filmmusik wie mit allen anderen Künsten verhält: 80 Prozent sind Müll.
In Bezug auf Ihre Arbeit für die Konzertsäle — schreibt da sozusagen eine andere Hand von Elliot Goldenthal?
Goldenthal: Nein, es ist die gleiche Hand, aber ich benutze andere Muskeln.
Suchen Sie denn im Konzertsaal vielleicht einen Freiraum, den Sie bei der Filmmusik oft nicht haben?
Goldenthal: Nein, es ist nur oft anders. Ich probiere mich einfach in einem anderen Medium aus. Und generell: auch in der Einschränkung hat man ja große Freiheiten. Und umgekehrt, bedeutet die völlige Freiheit beim Komponieren ja auch eine Beschränkung.
Aber wenn Sie an einem Hollywood-Film arbeiten, lastet dann nicht ein ungeheurer Druck auf Ihnen?
Goldenthal: Wenn man in Hollywood arbeitet, dann arbeitet man generell in einer Atmosphäre großen Drucks. Doch der Regisseur ist dann oft derjenige, der versucht, dir die Arbeit so angenehm wie möglich zu machen, so dass du auch in dieser Druck-Atmosphäre deine Arbeit machen kannst.
Die wenigsten Leute wissen ja, wie in Hollywood Filmmusik entsteht. Da gibt es zum Beispiel die Praxis insbesondere bei Actionfilmen, dass der Rohfassung des Films zunächst ein bereits veröffentlichter Soundtrack druntergelegt wird.
Goldenthal: Sie meinen den Temporary Score. Ja, der ist für den Regisseur sehr wichtig. Denn nachdem der Regisseur die Rohfassung des Films fertig gestellt hat, muss er seine Arbeit erst mal dem Studio zeigen. Die bezahlen ihn ja und sind natürlich interessiert daran, wie der Film aussieht. Nur will der Regisseur den Studiobossen den Film nicht ohne Musik zeigen, er kann auch schlecht seinen Komponisten daneben ans Klavier setzen. Daher nehmen die Regisseure oft Filmmusikstücke, die aus einem der letzten großen Kinoerfolge stammen, um den Rohschnitt des Films etwas attraktiver zu machen. Man muss ja bedenken, dass die Leute, die Filme finanzieren, nicht selten dumm sind, zumindest was die künstlerischen Belange angeht.
Kommt es dann aber nicht oft dazu, dass Sie infolge dessen möglichst nah an diesen Temp-Score herankomponieren müssen?
Goldenthal: Das hängt vom Regisseur ab. Manche Regisseure lassen mich den Temp-Score gar nicht erst anhören, weil sie nicht wollen, dass ich dadurch beeinflusst werde. Aber dann gibt es auch Regisseure, die sich so sehr in den Temp-Score verlieben, dass der Komponist tatsächlich eine möglichst ähnliche Musik schreiben muss.
Lehnen Sie eigentlich viele Drehbücher ab?
Goldenthal: Ja, etwa 90 Prozent von dem, was ich angeboten bekomme.
Was ist der Grund für diese hohe Quote?
Goldenthal: Dass ich noch ein anderes Leben habe. Wenn ich mich drei bis fünf Monate einem Film widme, dann muss das ein Projekt sein, dass mich interessiert und wo ich mich ausdrücken kann. Im Fall der Batman-Filme war ich sehr interessiert an der Idee der Wegwerfkultur: wie kann ich etwas zu dieser Wegwerfkultur beitragen, was aber gleichzeitig künstlerisch wertvoll ist.
Um mal auf Ihr anderes Leben zu sprechen zu kommen. Als ich dieses Telefon-Interview eigentlich schon letzte Woche mit Ihnen führen wollte, waren Sie in Ihrem Haus in Mexiko. Das Gespräch kam nicht zustande, weil sich keine Verbindung aufbauen ließ. Wo steht denn eigentlich dort Ihr Haus?
Goldenthal: Das steht mitten im mexikanischen Urwald, in einem Naturreservat. Und damit habe ich ganz schön viel zu tun. Denn es gibt dort kein Elektrizitätsnetz, daher wird das Haus ausschließlich mit Solarenergie versogt. Da gibt es viele technische Details auf die man achten muss, wenn man so ein Haus betreibt.
Sie sind also nicht nur Komponist sondern auch Solar-Experte?
Goldenthal: Ich muss mich schon mit allen Details dieser Technik auskennen, mein nächster Nachbar wohnt schließlich eine Stunde weit weg. Da kann ich nicht eben mal rübergehen und ihn um Hilfe bitten.
Wie kamen Sie denn auf die Idee, sich mitten im Urwald ein Haus zu kaufen?
Goldenthal: Ich bin sehr an Archäologie interessiert, insbesondere an der Maya-Kultur.
Und jetzt leben Sie in der direkten Umgebung der Maya-Tempel?
Goldenthal: Ja, direkt hinter meinem Haus, da stehen ein paar Tempel, die sogar noch nicht richtig ausgegraben wurden.
Ihre Werke entstehen also meist mitten im mexikanischen Dschungel?
Goldenthal: Nein, ich schreibe eigentlich immer in meinem Studio in New York.
Ich stellte mir nur gerade die wunderbare Arbeitsatmosphäre im Urwald vor.
Goldenthal: Ja, es ist dort überhaupt eine wunderbare Atmosphäre, für mich ein ganz großer Kontrast zu New York. Der Urwald säubert meine Gedanken. Wenn ich in Mexiko bin, dann ist das wie Urlaub für meine Seele.
Gibt es eine Filmfigur, die Sie gut charakterisieren würde?
Goldenthal: Oh, das weiß ich nicht. Ich kenne mich selber nicht so gut. Das müssten jetzt andere Leute aus meiner Umgebung beantworten.
Drücken Sie sich durch Ihre Musik aus?
Goldenthal: Ich drücke mich in der Musik aus, in Worten, ich drücke mich im Kochen aus, im Malen, im Sport — in jeder Form, wie ich kommuniziere.
Aber was erfährt man über Sie in Ihrer Musik?
Goldenthal: In meiner Musik erfahren Sie, worauf ich reagiere. Ich gebe Antworten mit meiner Musik. Klare Antworten, hoffe ich zumindest. Aber das heißt nicht, dass man meinen ganzen Charakter in meiner Musik findet. Die Musik ist nur meine Reaktion. Aber, falls Sie es versuchen wollen, erfahren Sie mehr über mich in meinen Werken, die ich nicht für Film geschrieben habe, wie zum Beispiel dem Vietnam-Oratorium. Da kommen Sie schon etwas näher an meine Persönlichkeit heran.
Abschließend die Frage: Wann kommen Sie einmal nach Europa?
Goldenthal: Ich komponiere meine Scores oft in England, da arbeite ich viel mit dem London Symphony Orchestra zusammen. Und ich bin sehr oft auf dem Filmmusik-Festival in Gent. Ich bin also gar nicht so selten in Europa. Aber Sie müssen auch bedenken — diese Welt ist groß.