Elliott Sharp, wie bezahlen Sie bargeldlos in Berlin? Mit Visa oder American Express?
Definitiv nicht mit American Express.
Ahnen Sie, weshalb ich frage?
Nein.
Als Dr. Martin Luther King jr. (MLK) 1964 Berlin besuchte, wollte er auch in den Osten reisen, um über Freiheit und Glauben zu sprechen, aber das US-State-Department zog aus Sicherheitsbedenken seinen Pass ein. King fuhr trotzdem. Als er sich am Checkpoint Charlie ausweisen sollte, tat er dies mit seiner American-Express-Karte.
Ich hätte gedacht, die Volksarmisten fragen ihn nach Geld. Als ich den 1980er Jahren über die Autobahn nach Berlin gefahren bin, wurde ich unter vorgeschobenen Anschuldigungen angehalten und aufgefordert, Geld für Geschwindigkeitsübertretung oder Ähnliches zu bezahlen – in D-Mark natürlich.
Sie waren 17 Jahre alt, als MLK erschossen wurde. Wo lebten Sie damals?
Ich ging zur Highschool in Whites Planes, einer kleinen Vorstadt nördlich von New York City. Eine durchmischte Stadt, wirtschaftlich und demographisch. Es gab zwar keine Aufstände, aber Banden schwarzer Jugendlicher, die herumzogen. Viele Weiße waren verängstigt. Ich hatte schwarze Freunde in der Schule und stand den Bürgerrechtsbewegungen positiv gegenüber. Als die Selma-Märsche-nach-Montgomery in Alabama stattfanden [siehe Info-Kasten], wollte ich dorthin fahren. Ich habe MLK bewundert.
Wer hatte die Idee für ein „Tribute to MLK ’64“?
Bert Noglik, künstlerischer Leiter des Jazzfest Berlin, und ich haben uns 2012 zusammengesetzt, um ein geeignetes Projekt zu entwickeln. Über ein Tribute to MLK waren wir uns schnell einig. Das Konzert beim Jazzfest ist die Uraufführung.
Woran denken Sie zuerst, wenn heute der Name Martin Luther King fällt?
An Jesus und Ghandi und wie MLK deren gewaltfreie Philosophie kanalisiert hat. King hat sich als Pastor und Bürgerrechtler für Freiheit eingesetzt, indem er seine Botschaften in religiöse Begriffe verpackt hat. Schwarze in Amerika haben die Möglichkeit, ihre Freiheit durch Religion und ihr universelles Gedankengut zu leben, schon immer genutzt. Das fand über Codes statt. Das Gelobte Land steht ja für Freiheit. Das muss man herausfiltern, denn es gilt für Christen, Muslime, Buddhisten und sogar Atheisten.
Ist ein „Tribute to MLK“ ein politisches Statement, ein Statement zur Freiheit oder ein musikalisches Statement?
Alles zusammen. Aber ich werde nicht zu den Menschen predigen. Ich will ihre eigenen Gedanken anregen. Kings Reden besitzen universelle Gültigkeit, sie handeln von Freiheit und Gerechtigkeit. Die Menschen sollen nicht zu etwas gezwungen werden, was sie nicht selber tun wollen.
Welchen Freiheitsbegriff vertreten Sie mit Ihrer Musik?
Für mich ist Freiheit die positive Definition von Anarchie. Keine Cartoon-Definition von Anarchie, bei der jeder tut und lässt, was er will. In einer Band gibt es auch ein bisschen Anarchie, wenn jeder für sich spielt und gleichzeitig dafür, was am besten für die Musik ist.
Wie bereiten Sie das Tribute vor?
Bert Noglik hat mir MLKs Berliner Reden geschickt. Ich mag es, Texte zu lesen, um mich einer Person wieder anzunähern. Um Bezug auf MLK und die Musik des Südens Bezug zu nehmen, habe ich mich für meine Blues-Band Terraplane entschieden. Der Blues ist eine emotionale Form, etwas darzustellen. Er kommt von Herzen, aus der Seele und auch aus dem Leiden heraus. Ich möchte Menschen dieses Gefühl auf angenehme Art vermitteln.
Wie können wir uns den Arbeitsprozess des Projektes vorstellen?
Ich habe die ersten Entwürfe mit Gitarre und Drum Machine aufgenommen und sie Eric Mingus und Tracie Morris geschickt. Beide sind wundervolle Sänger und Poeten, die eigene, persönliche Texte für die Songs schreiben. Die Songs entwickeln wir als Band in meinem Studio: Dave Hofstra spielt Bass und Tuba, Don McKenzie Drums, Alex Harding Baritonsaxophon, Terry Green Posaune und ich Tenorsaxophon, Sopransaxophon und Gitarre. Alles Vorbereitungen darauf, wie sich die Musik im Konzert anhört.
Welche Aspekte MLKs bringen Sie noch auf die Bühne?
Der Multi-Media-Künstler Luke DuBois wird zwei Interludes entwickeln, die einen Ablauf bewegter Bilder von MLKs Besuch in Berlin 1964 zeigen. Die visuelle Referenz wird sich auf die Stadt und King darin beziehen, der eine magnetische Ausstrahlung besitzt. Wir werden in den Songs aber nicht Kings eigene Worte verwenden. Es bleibt ein reines Tribute, eine Ehrung, kein Sampling. Außerdem vermeiden wir so Probleme mit dem Copyright.
Performen Sie eigentlich öfter in den USA oder international?
In den Staaten hätte ich niemals die Möglichkeit, eine große Arbeit wie die in Berlin zu präsentieren. Meine Musik wird hier als „schwierig“, „intellektuell“, „lärmend“ oder „eigenartig“ bezeichnet. Es wird immer ein Grund gefunden, sie ins Abseits zu drängen. In Europa dagegen werde ich als Künstler gesehen und mit Respekt behandelt. Aber ich will mich nicht beschweren.
Ihre Auftragsarbeiten kommen also eher nicht aus Amerika.
Obwohl mehr Anfragen aus Europa kommen, habe ich auch in Amerika einige Unterstützer, dazu zählt der Issue Projects Room in Brooklyn, für den ich eine Oper über Walter Benjamin und dessen Selbstmord geschrieben habe, die im Oktober uraufgeführt wird. Ich mag Opern. Sie sind realistischer als ein Spielfilm. Es gibt schon Netzwerke, besonders in NYC, wo ich neulich mit Nels Cline von Wilco gespielt habe. Oder ich bekomme ein Aufenthaltsstipendium, wo ich Workshops gebe und über Ansätze meiner Musik und Kompositionen spreche.
Im Januar 2015 werden Sie wieder in Berlin arbeiten.
Ich habe von der American Academy ein Fellowship bekommen und werde ab Januar 2015 für 5 Monate in Wannsee leben, um an einer Oper über Spinoza zu arbeiten. Vielleicht werde ich die Oper in Ladino, also Judenspanisch, schreiben, die die Menschen zu Spinozas Zeit in Holland gesprochen haben. (Lacht.) Nein, ich mache Witze. Es wird Passagen auf Niederländisch, Englisch, Italienisch und Portugiesisch geben, aber ich bin noch in der Recherchephase.