Frau Berger, können Sie sich eigentlich mit den Begriffen „Seniorin“ oder „Rentnerin“ identifizieren?
Dazu gibt’s eine ganz kleine Geschichte: Als ich vor fünf Jahren den Bescheid kriegte, ich möchte meine Unterlagen jetzt doch einreichen, weil ich ja jetzt Rente bekäme, habe ich zu meinem Mann damals gesagt: „Ich habe dazu überhaupt keinen Bock, ich will keine Rentnerin sein! Und ich bin auch überhaupt keine Seniorin. Ich hasse sowas!“ Und da sagte er: „Sei doch nicht so blöd! Du bist ja auch keine, aber die Kohle kannst du doch nehmen!“ (lacht)
Aber gibt es überhaupt Begriffe, mit denen Sie sich identifizieren können? Von denen Sie sagen: „Damit kann ich leben?“
Um jetzt ganz ehrlich zu sein, ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich fühle mich nicht als Rentnerin, ich fühle mich nicht als Seniorin, ich fühle mich als reife Frau. Und das ist für mich richtig. Ich möchte mich immer als Frau fühlen und als nichts anderes.
In Ihrem aktuellen Buch sind Sie dem späten Glück auf der Spur. Nach Ihren eigenen Erfahrungen und dem, was Sie aus Ihren Gesprächen mit älteren Paaren erfahren haben: Würden Sie sagen, der reifere Mensch ist der glücklichere?
Das kommt darauf an, in welcher Situation man lebt. Ich weiß, dass ich jetzt zum Beispiel in einer ausgesprochen guten Situation lebe, obwohl ich keinen Partner mehr habe. Aber ich muss sagen, wenn man mit einem Menschen, in den man sich verliebt hat, den man geheiratet hat, unwahrscheinlich lange zusammen war – dann ist das ein ganz großes Geschenk! Auf das muss man auch aufpassen, das muss man pflegen. Man muss es sich eigentlich fast täglich zurückrufen und sagen, wie schön es ist, gemeinsam alt werden zu können.
Ich kenne viele Paare, die so einige Jahre auf dem Buckel haben – und zwar gemeinsam – und das sind schon sehr glückliche Paare.
Das Glück in den reifen Jahren ist für Sie also an einen anderen Menschen gekoppelt?
Schauen Sie, ich war 33 Jahre verheiratet. Aber mir war nie bewusst, dass ich so lange mit meinem Mann verheiratet bin – oder gewesen bin. Weil es immer spannend gewesen ist mit uns. Das ist etwas sehr Schönes. Man kann dann auf eine Zeit zurückblicken, über die man sagt: Geile Zeit!
Sie gehen täglich in Ihr Büro und arbeiten und Sie entsprechen nun nicht gerade dem Klischee des Rentners, der immer beige trägt und sich mit Heizdecken versorgt…
Ich trage weder beige, noch habe ich eine Heizdecke (lacht). Ich verrate Ihnen aber etwas: Ich habe Schlafsocken! Und das finde ich ganz genial. Weil ich immer kalte Füße habe, das habe ich aber immer schon gehabt. Das hat aber nichts mit Rentner sein zu tun.
Ein anderes Vorurteil beziehungsweise bestehendes Bild in der Öffentlichkeit: der ältere Mensch wird als asexuell dargestellt.
So ein Blödsinn. Wer hat das Recht zu behaupten, ein Rentner oder ein älterer Mensch, habe keine Bedürfnisse? Das stimmt einfach gar nicht! Denn das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, nach Berührungen, nach einer Innigkeit, nach einem Kompliment, nach einer Streicheleinheit, das wird nie vergehen. Überhaupt nie.
Und wenn jemand sagt, ich brauch das alles nicht mehr, ich habe mit dem erotischen Leben abgeschlossen, dann macht er sich selber etwas vor! Oder er ist so verbittert und so enttäuscht, dass einfach nichts mehr funktioniert.
Oder aber man ist krank, man fühlt sich nicht gut oder man hat immer immer immer nur schlechte Erfahrungen gemacht – da hat man natürlich auch irgendwann die Schnauze voll.
Aber warum ist es dann so, dass wir generell Sex bei älteren Menschen in unserer Vorstellung ausblenden?
Ich kann mich noch gut an eine Situation erinnern, als ich noch klein war und meine Schwester und ich uns überlegt haben, ob unsere Großeltern das noch tun (lacht).
Da habe ich gesagt: „Na!“ Das kann man sich doch überhaupt nicht vorstellen. Das ist hässlich. Man glaubt ja schon bei den eigenen Eltern, dass die das auch nicht mehr tun. Und noch ältere Menschen?
Aber natürlich machen sie das. Was der Film „Wolke 9“ wunderbar belegt! Das ist ein sehr mutiger Film gewesen und eigentlich auch ganz schön gemacht. Obwohl ich jetzt ganz ehrlich sein muss: Ich möchte es nicht sehen.
Ich möchte allerdings auch jungen Leuten dabei nicht zusehen, wirklich nicht, das interessiert mich nicht. Jeder weiß, wie’s funktioniert, jeder weiß, wie das aussehen kann. Aber… (zögert) ich bin da wohl ein bisschen prüde (lacht laut).
Passt gar nicht zu Ihnen.
Das mag sein. Aber man muss sich im Leben Geheimnisse bewahren. Und ein ganz großes Geheimnis ist die Sexualität.
Aber in der Öffentlichkeit ist Sexualität immer weniger ein Tabu.
Wenn man heute in den Medien mit Sexualität konfrontiert wird, dann sieht man oft schöne junge Menschen, von denen ich weiß, dass zum Beispiel der Maskenbildner stundenlang hingepinselt und geknittert hat (lacht laut) bis aber auch alles sitzt. Da sagt man dann: „Ja, knackig.“ – aber das ist auch etwas Vorgegaukeltes.
Man sagt ja, im Alter wird man gelassener. Aber im Umgang mit gerade diesen Dingen, wie Falten und grauen Haaren, scheint man dann ja doch nicht so gelassen zu sein….
Also erstens ist man nicht gelassen, wenn man Falten kriegt. Man ist nicht gelassen, wenn man zu viele Pfunde auf den Rippen hat, denn die kriegst du nicht mehr weg. Und die grauen Haare, die stören natürlich auch gewaltig. Weil man dann nämlich ausschaut wie ein Handfeger. Aber man sollte doch bitteschön etwas tun und sich nicht komplett gehen lassen. Man muss sich ja nicht gleich liften lassen bis zum Anschlag und auch Botox spritzen finde ich ziemlich schwachsinnig. Soweit sollte man zu seinem Gesicht und zu seinem Körper auch einfach stehen. Denn, der ist ja so geworden, weil man ein Leben gelebt hat. Und ein Leben hinterlässt Spuren. Hinterlässt das Leben keine Spuren, ist man langweilig.
Würden wir denn den eigenen alternden Anblick ohne den Einfluss der Medien und dem vermittelten Ideal der ewigen Jugend leichter akzeptieren?
Wenn wir das Medienbild nicht hätten, würden wir uns möglicherweise leichter damit identifizieren, dass man, wenn man älter wird, einfach nicht mehr ausschaut wie mit 20. Das ist klar.
Ich glaube aber, dass Frauen auch ohne die Medien sehr oft auf ihr Äußeres achten. Man will es ja auch für sich selbst. Man darf sich nur nicht vor den Spiegel stellen und sagen: „Oh, ich sehe abscheulich aus“ – dann fällst man zusammen. Wenn man sich sagt, ich akzeptiere mich so wie ich bin, (klatscht in die Hände) dann kann das doch ganz wunderbar sein. Dann habe ich überhaupt kein Problem mit dem Älterwerden. Null.
Botox spritzen finde ich ziemlich schwachsinnig.
Das Thema Sex hat Ihr Berufsleben bestimmt und aktuell befassen Sie sich mit dem Thema Liebe und Sex im Alter. Welchen Bezug haben Sie noch zur Jugend im Zusammenhang mit der Präsenz von Sex in den Medien?
Ich habe überhaupt kein Problem, mich mit Jugendlichen zu unterhalten. Ich habe sehr viel Kontakt zu ihnen. Die schreiben mir, ich maile sehr viel, mache Chats… Das ist diese Bravo-Generation, die ganz jungen und die fragen dann: „Ja, wir wissen, wie Sex geht, aber wie ist das mit der Liebe?“ – sie wissen nichts über Gefühle.
Warum nicht, wo glauben Sie, liegt das Problem?
Erstmal schmeißen sie Sex und Liebe in einen Topf. Erst geht es nur um irgendwelche Praktiken, aber dann merken sie: (seufzt) Liebeskummer! Hilfe, was mache ich denn jetzt?
Ich glaube, das liegt auch daran, dass unsere Zeit erstens sehr schnelllebig geworden ist, und zweitens, dass sie von zu Hause nicht mehr viel davon mitkriegen, wie zwei erwachsene Menschen liebevoll miteinander umgehen. Wenn man seinen Kindern beibringen will, wie das Leben wirklich ist, also das Leben der Liebe – ich sage jetzt ganz ausdrücklich Liebe – dann muss man das seinen Kindern vorleben. Das heißt nicht, dass ich die Kinder ins Schlafzimmer hole, sondern man zeigt einfach, wie man miteinander gut umgeht. Dass man zärtlich miteinander umgeht. Dass man allerdings auch mal sagt: Jetzt reicht’s mir. Man sollte niemals Streiten vor den Kindern. Aber man sollte einfach zeigen: Pass auf, man muss immer eine Basis finden. Und so was prägt dann natürlich.
Also liegt die Verantwortung ganz klar bei den Eltern?
Ja sicher. Die Schule kann das nicht. Das kann ich übrigens auch nicht. Das kann die Bravo nicht, das kann kein einziger Ratgeber. Das muss man selbst erleben und vorgelebt bekommen.
Sind Sie der Meinung, da gibt es einen Mangel in den Familien das zu vermitteln?
Ja, weil viele Eltern einfach keine Zeit mehr dafür haben. Die ackern und ackern, gehen ins Geschäft, die Kinder sitzen zu Hause vor dem Computer oder was auch immer … – man spricht nicht mehr miteinander.
(überlegt) Also, wir haben früher ellenlange Gespräche zu Hause geführt, einfach miteinander geredet. Das fehlt heute und das finde ich wirklich schade.
Im Internet ist Sex und Pornografie enorm präsent und jederzeit für alle verfügbar. Versaut dieser Zustand, überall mit Sex konfrontiert zu werden, nicht Heranwachsende?
Ich denke schon, wobei ich jetzt nicht so hart sagen würde: „versaut“. Es stumpft ein bisschen ab. Weil, wenn sich jetzt die jungen Leute irgendwelche Pornos runterladen oder sich in solchen Foren bewegen, bekommen sie doch das Gefühl: Der Mann kann immer und die Frau ist immer bereit. Das stimmt einfach nicht! Und das nimmt dann natürlich auch viel Zärtlichkeit und das Gefühl. Und das nimmt Respekt. Man hat keinen Respekt mehr vor dem anderen, was sehr schade ist.
Ein aktuelles Thema, das in der Diskussion steht, ist die Flatrate in Bordellen.
Da musste ich so lachen (lacht laut). Als ich das gelesen und auch die Fotos gesehen habe, von den Damen, die da so angetreten sind wie eine Fußballmannschaft, habe ich also wirklich lachen müssen. Ich weiß es nicht. Die müssen sich natürlich was einfallen lassen, wenn das Zielpublikum, das sonst zweimal in der Woche dort hin ging, nicht mehr so oft kommt.
Sehen Sie so ein Geschäftsmodell nicht kritisch?
Ich finde es bedenklich. Ich finde es wirklich bedenklich. Ich meine, das ist ja wie Komasaufen. Also ganz ehrlich, damit vergleich ich das auch.
Sie hat man im Laufe Ihrer Karriere „Sex-Expertin der Nation“ genannt.
(verzieht das Gesicht)
Ich wollte gerade fragen, ob Sie diesen Titel eigentlich mögen.
Es gibt bestimmt schlimmere Titel. Aber ich kann damit gut leben, um ehrlich zu sein. Und aus „Sex-Expertin“ ist dann eine „Sexpertin“ geworden.
Das ist schon irgendwie grauenhaft, aber wie soll man mich denn betiteln? Eigentlich bin ich nur eine Journalistin mit einem Spezialgebiet.
Sie haben mit Kolumnen angefangen…
Ich habe ganz normal volontiert bei der Bild Zeitung und dann eigentlich alles einmal durchgemacht. Dann bin ich auf Fraueninterviews gekommen und von da aus dann auf die Liebes-, Partnerschaft- und Sexschiene.
Wie erklären Sie sich rückblickend Ihren Erfolg auf diesem Gebiet?
Ich habe mir einfach im Laufe meines Berufslebens sehr sehr viel Vertrauen erarbeitet.
Ich habe die Menschen immer gebremst sich vor laufender Kamera zu entblößen. Man darf das einfach nicht. Klar, wenn du eine gute Geschichte witterst, würdest du am liebsten immer weiterbohren, bis du’s endlich hast. Aber man darf es nicht tun, man muss da mit sehr viel Fingerspitzengefühl herangehen.
Haben Sie sich vorgenommen, wirklich in Rente zu gehen und zu sagen: Ich will kein Büro mehr sehen? Haben Sie sich einen Zeitpunkt dafür gesetzt?
Nein, eigentlich nicht. Ich muss ganz ehrlich sagen, dazu bin ich wohl zu sehr ein Mensch, der Erfolg braucht – das gebe ich zu. Ich arbeite gerne und bewege gerne Dinge. Und ich liebe meinen Beruf sehr. Vielleicht bin ich auch ein Workaholic – keine Ahnung.
Was würden Sie denn gerne noch bewegen?
Also, mich zum Beispiel nach Italien! (lacht) Ich würde, wenn ich die Zeit hätte, einfach gerne ein bisschen mit dem Auto durch Italien fahren und mir alles anschauen. Italien liebe ich über alles!
Wenn Sie noch mal in eine Dekade Ihres Lebens zurückreisen könnten, in welcher Zeit würden Sie landen?
Ich würde landen … (überlegt) Ja, da gibt es dann zwei (lacht). Ich würde wahrscheinlich landen am Anfang der Beziehung mit meinem Mann. Wie wir uns kennen gelernt haben, das war einfach eine wilde, prickelnde Zeit. Wir haben viele Freunde gehabt, viele Feste gefeiert, ich war damals in München und da war einfach wahnsinnig viel los! Und dann würde ich in die Zeit reisen, als ich mit 45 meine Fernsehkarriere gestartet habe (lacht). Aber dann würde ich auch wieder nach heute wollen. Weil ich wirklich – trotz der ganzen Geschichten, die ich erlebt habe – ein sehr zufriedener und sehr ausgeglichener Mensch bin!
[Das Interview mit Erika Berger erschien erstmalig am 13. August 2009.]