Erlend Øye

Ein gutes Konzert hängt nur zur Hälfte von der Band ab.

Der Musiker Erlend Øye bedauert im Interview mit Ralf Krämer, dass viele Konzertbesucher sich heute mehr auf ihr Handy als auf das Musikerlebnis konzentrieren. Außerdem spricht er über Schönwetterfreundschaften, seine Haare, das neue Album „Legao“ und ein konstantes Piepen im Ohr.

Erlend Øye

© CRorarius

Herr Øye, verzeihen Sie diesen Einstieg, aber Sie sehen heute sehr gut aus!
Erlend Øye: Finden Sie? Ich fühle mich ganz und gar nicht so. Ich habe den ganzen Tag Interviews gegeben. Das macht sehr müde.

Haben Sie auch mit einem Frauenmagazin gesprochen?
Øye: Ja, mit „Fräulein“.

Da ist ja kein klassisches Frauenmagazin. Man wird Sie kaum gefragt haben: Herr Øye, Sie sehen so jung und entspannt aus. Wie machen Sie das?
Øye: Das stimmt, Fräulein würde das nicht interessieren. Aber meine Antwort wäre: Ganz heimlich lese ich eine Menge guter Tipps in Frauenmagazinen.

Wirklich? Gehen Sie oft zum Arzt und lesen diese Magazine im Wartezimmer?
Øye: Nicht wirklich. Sie denken also, ich sehe auch jetzt noch recht jung aus? Das wäre eine gute Nachricht.

Mich überraschen vor allem Ihre blonden Haarsträhnen. Sind die echt?
Øye: Ja, die Sonne bleicht meine Haare aus. Im Hochsommer sehen sie noch blonder aus als jetzt. Wer das auch haben möchte, geht am besten in salzigem Wasser schwimmen und dann in die Sonne. Das verstärkt den Effekt. Schreiben Sie für ein Frauenmagazin?

Nein. Mich interessiert allerdings, ob es auf Sizilien, wo Sie jetzt leben, auch Frauenmagazine in den Wartezimmern gibt?
Øye: In Norwegen ist das so. Man findet sie auch beim Frisör, oder wenn man seine Tante besucht. Jetzt in Italien war ich bisher nur einmal bei einem Arzt. Bei einem Ohrenarzt. Er war sehr altmodisch ausgestattet.

War er gut?
Øye: Ich bin mir nicht sicher. Ich habe ihm nicht recht vertraut. Ich würde lieber zu einem deutschen Arzt gehen. (lacht)

Als Sänger sind Ihre Ohren ein Teil Ihres Instruments…
Øye: Ja, deshalb muss ich mich so gut es geht um sie kümmern. Ich habe Probleme mit ihnen. Seit den Neunzigern habe ich einen konstanten Ton auf den Ohren. Peeep!

Ist das ein Zeichen von zu viel Stress?
Øye: Nein, es bedeutet, ich habe zu viel laute Musik gehört.

Ihre Musik ist in der Regel doch eher leise…
Øye: Aber ich gehe ja auch aus. Die Leute schreien einem dann ins Ohr, um die Musik zu übertönen.

Ihr Problem ist also das Publikum, nicht die Musik?
Øye: Mein Problem ist eher der Wunsch nach Geselligkeit. Der bringt mich immer wieder in recht laute Situationen.

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In der Regel spielt man heute für Leute, die die meiste Zeit auf ihre Telefon-Displays schauen.

Erlend Øye

Das Thema behandeln Sie auch in Ihrem neuen Video „Garota“. Außerdem sieht man Sie dort immer wieder mit einer analogen Foto-Kamera herumhantieren…
Øye: Ich habe erst seit kurzem einen richtigen Fotoapparat, zum ersten Mal in meinem Leben. Ich habe mich nie besonders dafür interessiert. Ich dachte: Fotografieren? Das macht doch jeder. Da braucht es nicht noch einen, der sich damit beschäftigt… Aber nun hat sich das geändert. Wollen Sie meine Kamera sehen?

Gerne.
Øye: (Holt die Kamera aus einer Tasche und zwei Filme) Es ist so schwer auseinanderzuhalten, ob man einen Film nun schon belichtet hat, oder ob er neu ist. Wenn man damit anfängt, ist das wirklich ein harter Lernprozess. Was war nochmal Ihre Frage?

Verfolgen Sie mit der Kamera spezielle Ambitionen? In besagtem Musikvideo stehen Sie auf einer Bühne vor tausenden Menschen und fotografieren Ihr Publikum.
Øye: Das Foto wurde ziemlich gut!

Sie sagen Ihren Fans dann: Wartet zehn Tage, dann ist der Film entwickelt und ihr könnt das Foto auf meiner Facebook-Seite sehen?
Øye: Ganz genau.

Wollen Sie Ihre Fans zur Langsamkeit, zur Geduld erziehen?
Øye: Nein. Tatsächlich besteht mein Hauptinteresse an der analogen Kamera darin, den Himmel zu fotografieren. Es ist so interessant zu sehen, wie das Filmmaterial auf den Himmel, auf das unterschiedliche Licht reagiert. Aber ich könnte auch andere Motive fotografieren, andere Bands zum Beispiel.

Wie Ihr Kollege Bryan Adams?
Øye: Ja. Ganz genau wie Bryan Adams. (lacht) Ich finde es eine gute Idee, dass jemand von dem viele Bilder gemacht werden, selber Bilder macht. Man kennt dann eben beide Seiten.

Was halten Sie von Selfies?
Øye: Selfies sind eine seltsame Sache. Etwas so eindeutig egozentrisches kann doch keine besonders gute Idee sein. Die Leute sollten doch eher weniger egozentrisch werden und nicht noch mehr. Aber sogar in Italien denken sie, das wäre jetzt ein irgendwie coole, smarte Mode. (lacht) Für mich ergibt sich dadurch auch ein ganz konkretes Problem: Früher haben nach einer Show immer noch ein paar Leute aus dem Publikum auf mich gewartet und wir konnten ein wenig miteinander plaudern. Ein Fan will heute nichts mehr von dir wissen. Er will nur ein Selfie mit dir. Das ist wirklich eine traurige Entwicklung.

Lassen Sie sich dann auf das Fotografieren ein?
Øye: Ach… Die Leute werden sonst so traurig. Ich habe manchmal den Eindruck, Menschen können sterben und das würde sie weniger traurig machen, als wenn ich mich nicht mit ihnen fotografieren lassen würde. Sich da zu verweigern ist das Schlimmste was man heute tun kann. Wo sind deren Eltern? Wie sind die erzogen worden?

Hat sich auch das Fan-Verhalten während des Konzertes im Vergleich zu früher verändert?
Øye: Das kommt ganz darauf an: Bei dem Konzert in Südkorea, das zum Teil in dem „Garota“-Video auftaucht, sangen die Leute ein italienisches Lied mit, dass sie noch nie zuvor gehört hatten, auf italienisch, obwohl sie die Sprache gar nicht konnten. Das war ein wirklich gutes Publikum. Aber in der Regel spielt man heute für Leute, die die meiste Zeit auf ihre Telefon-Displays schauen. Sie trauen sich nicht zu tanzen, weil sie die Bilder ihrer Kameras nicht verwackeln wollen. Viele Leute scheinen nicht zu verstehen, dass ein gutes Konzert nur zu 50 Prozent von der Band und der Rest vom Publikum abhängt. Wenn ich zum Beispiel das Konzert eines Künstlers sehen will, den ich mag, muss ich mir vorher den Ort gut überlegen. Zum Beispiel: Prince auf dem Roskilde Festival in Dänemark – gute Idee! Prince in der großen Sporthalle in Bergen – schlechte Idee!

Was war der Unterschied? Der Sound könnte in der Halle doch besser gewesen sein?
Øye: Die Leute, die sich die Karten in der Halle leisten konnten waren sooo langweilig. Die ganzen Vierzigjährigen trafen sich da, um sich daran zu erinnern, wie es war als sie jung waren. Aber in Roskilde war das Publikum jung. Wahrscheinlich kannten viele noch nicht mal seine Musik so richtig. Aber sie hatten so viel Energie. Und dann wird auch der Musiker zu einem jugendlichen, großartigen Künstler. Das mach die Musik großartig. Wenn die Leute unmittelbar signalisieren: das gefällt uns, das andere eher nicht, damit kann man umgehen. Nur so kann aus einem Konzert ein gutes Konzert werden.

Haben Sie Ihr „Garota“-Video eigentlich in Seoul gedreht, weil der Regisseur Michael Beech dort zur Zeit wohnt?
Øye: Nein, der Grund war, dass die Schauspielerin in dem Video aus Seoul kommt: Lee Ha-na. Ich kenne sie seit Jahren. Ich habe sowieso dort ein Konzert gegeben und so hat sich die Gelegenheit ergeben, endlich etwas zusammen zu machen. Sie wird bald auch eine eigene Platte veröffentlichen.

Sie besuchen in dem Video ein Konzert von Lee Ha-na und wirken fast wie ihr Groupie. Wollten Sie versuchsweise mal die Seiten wechseln?
Øye: Naja, für mich war die Idee eher, das ich jemanden spiele, der eine Musikerin sieht und sich einfach fragt, wie sie als Person wohl sein mag. Aber ich bin dann eben auch selbst auf Tour, ziehe weiter und es bleiben nur kurze Momente, um herauszufinden, ob etwas mehr zwischen uns entstehen könnte.

Das passt doch auch zum Thema von „Fence Me In“, dem ersten Songs Ihrer neuen Platte „Legao“. Versuchen Sie da nicht, die Unmöglichkeit einer stabilen Beziehung in ein philosophisches Statement zu verwandeln?
Øye: (Schweigt)

Sie singen da zum Beispiel: „Eifersucht zerstört den ganzen Spaß“. Das ist leicht gesagt, wenn man selbst der ist, der von einem Ort zum anderen zieht und nicht der, der zuhause bleibt.
Øye: Ja schon. Aber es ist eben auch traurig, wenn man einen neuen Menschen begegnet und sich nicht näher kennenlernen kann, ohne, dass man jemand anderen in diesem Moment eifersüchtig macht. Plötzlich muss man sich rechtfertigen für „diesen neuen Freund“. In Deutschland ist das ganz besonders krass.

Sprechen Sie da von Erfahrungen, die Sie in Ihren Jahren als Berliner gemacht haben?
Øye: Die Berliner sind darin wahre Meister. Du triffst jemanden Neues und freust dich total darüber. Im gleichen Augenblick schauen dich alle bisherigen Freunde mit vielsagendem Blick an und sagen: „Aha, hast jetzt neue Freunde, oder was?“ Nach dem Motto: Wir sind dir wohl nicht mehr gut genug? Unter diesen Voraussetzungen ist es natürlich auch sehr schwer, neue Freunde mit den alten Freunden bekannt zu machen.

Leiden die Berliner unter zu wenig Selbstvertrauen?
Øye: In ihrer Eifersucht weigern sie sich einfach, zuzugeben, dass auch sie selbst gerne neue, aufregende Leute kennenlernen würden. Also drehen sie ihren eigenen unterdrückten Wunsch lieber um in eine negative Energie. In Norwegen ist das aber ganz genauso.

Vielleicht verreisen die Deutschen und die Norweger einfach so oft, dass sie zuhause lieber unter sich bleiben wollen?
Øye: Es ist zumindest auffällig, dass ich mittlerweile auf jedem Flughafen irgendwo Norweger treffe. Überall höre ich Norwegisch, Norwegisch, Norwegisch. In den Neunzigen war das noch anders, da traf man überall auf der Welt Schweden.

Woran liegt das?
Øye: Am Geld. Die Schweden haben jetzt weniger, die Norweger mehr.

Ich möchte mit Ihnen nochmal über das Album „Legao“ sprechen, auch wenn ich vermute, dass Sie das gar nicht so gerne tun…
Øye: Über die Bedeutung einzelner Songs rede ich nicht so gerne, das macht nicht so viel Sinn.

Ihre Songzeile „Deine Lügen werden ein Teil von Dir“ bringt mich allerdings zu der Frage: Welche Lügen sind ein Teil von Erlend Øye geworden?
Øye: Sie denken ich beziehe mich da auf mich selbst? Das betrifft ja genauso Leute um mich herum. Aber welche Lügen…? Nun, wenn man immer Angst hat, seine Meinung zu sagen, wenn man den Leuten nur sagt, was gerade angenehm erscheint, dann werden sie dir das irgendwann vorwerfen. Wenn du ihnen deine ehrliche Meinung sagst und sie dann sauer auf dich sind, dann warst du ihnen sowieso von vorne herein egal. Dann hattet ihr eben nur eine Schönwetterfreundschaft.

Fällt es Ihnen schwer, ein guter Freund zu sein?
Øye: Was ist ein guter Freund? Ein gute Freund ist nicht dazu da, dir die ganze Zeit die Hand zu halten. Ein guter Freund ist vielleicht jemand, denn du nur einmal alle zwei, drei Jahre triffst. Der eine andere Meinung hat als du, eine andere Sichtweise auf die Dinge und dir neue Erfahrungen vermittelt. Er kann die Geschichten von Orten erzählen, an denen du noch nie warst, er bringt dich auf neue Ideen, macht dich mit neuem Essen bekannt… Das fällt mir nicht schwer.

erlend-oye-legao-albumIhre neue Platte ist vom Lovers Rock beeinflusst, einem britischen Reggae-Stil aus der zweiten Hälfte der Siebziger Jahren. Er klingt wie ein bewusster Gegenentwurf zum Punk.
Øye: Ja, das war er auch. Punk wurde eben viel berühmter. Bob Marley war eigentlich der einzige der damals sehr bekannt dafür war Reggae zu spielen. Aber die Jungs, die Lovers Rock gemacht haben, waren von einem ganz anderen Kaliber. Es war eine sehr charmante Musik, sie klang wie Popmusik mit leicht falsch gestimmten Gitarren. Sie war nicht so schwer, wie Bob Marley. Er sang ja meistens davon, „die Wahrheit“ zu kennen. Die Lovers-Rock-Typen fragten nur: „Warum rufst du mich nicht an?“ (lacht)

Ist Reggae vielleicht die einzige Pop-Musik, die überall auf der Welt anschlussfähig ist?
Øye: Ja, das scheint so zu sein. Als ich nach Sizilien zog, konnte ich kaum Italienisch. Ich wurde ein paar Musikern vorgestellt und wir konnten sofort einen Reggae-Song zusammen singen. Obwohl wir die Sprache des anderen nicht sprachen, konnten wir kommunizieren. So entstand eine Freundschaft, ohne dass wir ein Wort miteinander gewechselt hätten. Du verstehst jemanden durch die Art wie er singt. Das ist sehr cool.

Nach dem Motto: Sing mir „No Woman No Cry“ vor und ich sage dir, wer du bist?
Øye: Nicht ganz. Eher: Sing mir einen Song von Bob Marley vor und ich sage dir, wer du bist.

Beim Techno oder Marsch wird innerhalb eines 4/4-Taktes immer die erste Einheit betont. Liegt die Popularität von Reggae auch daran, dass er diese Betonung verschiebt. Er signalisiert sozusagen: Es kommt nicht darauf an, der erste zu sein?
Øye: Ja, auf jeden Fall. Der Akzent beim Reggae liegt auf dem zweiten Schlag. Das ist das schöne an dieser Musik. Sie ist sehr entspannt, geradezu bequem. Ich habe ja auch selbst andere Musik gemacht, mit meiner Band The Whitest Boy Alive. Das war ein ganz anderes Genre. Meine neue Platte ist dagegen nun viel entspannter.

The Whitest Boy Alive haben sich vor einigen Monaten aufgelöst. Wo lassen Sie nun Ihre Aggressionen, die Sie mit dieser Band bisweilen rauslassen konnten?
Øye: Hin und wieder werde ich in der Tat wütend. Es ist dann nicht sehr lustig, in meiner Nähe zu sein.

Das klingt fast bedrohlich. Haben sie Angst vor sich selbst in solchen Momenten?
Øye: Nein. Wenn ich wütend bin, dann hat es die Person, auf die ich wütend bin auch wirklich verdient. Aber Menschen machen mich selten wütend. Normalerweise bin ich nur wütend auf Situationen, wenn zu viel Pech zusammenkommt. Das macht mich fertig.

Ein Kommentar zu “Ein gutes Konzert hängt nur zur Hälfte von der Band ab.”

  1. Barbara Helène |

    Aber es ist doch so. Liebe und Einzäunen, wie soll das zusammen funktionieren. Was soll daran ein philosophisches Statement sein.
    Und: Man kann ja wirklich nicht immer entspannt sein. Aber immerhin, ‚Legao‘, rauf und runter gehört, hilft, wenn man es versucht.

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