Herr Ramazzotti, in Deutschland herrschten bis in den April hinein eisige Temperaturen – wie gefährlich ist der Winter für Ihre Stimme?
Ramazzotti: Ich hatte schon Probleme, Halsschmerzen oder mal eine Kehlkopfentzündung. Aber ich habe hier in München einen deutschen Arzt, den kenne ich seit 20 Jahren und der bringt mich dann wieder in Ordnung.
Wie bereiten Sie die Stimme auf ein Konzert vor?
Ramazzotti: Es gibt eine Methode, die ich vor kurzem erst gelernt habe, mit meiner kleinen Tochter, die geht so: Ramazzotti streckt die Zunge ein wenig hervor und lässt sie vibrieren. Dadurch bewegt man die Stimmbänder und wärmt sie auf. Wenn man mich dabei beobachtet, könnte man natürlich denken, „der tickt nicht ganz richtig“, aber das ist wirklich eine gute Methode. Auf Tournee benutze ich auch Wasser mit homöopathischen Tropfen drin, um Schleim von den Stimmbändern zu lösen und eine Heiserkeit los zu werden. Und ich mache bestimmte Stimmübungen (singt verschiedene Vokalisen hintereinander).
Der Opernsänger Vittorio Grigolo beispielsweise sagte uns im Gespräch, er würde am Tag einer Aufführung kein Wort sprechen, um seine Stimme zu schonen…
Ramazzotti: Ja, aber das ist ein anderes Genre, dafür muss man Jahre studieren, die Stimme richtig trainieren – Opernsänger haben ganz andere Schwierigkeiten als Popsänger. Wir können kleine Fehler verbergen, aber ein Opernsänger ist zu 100 Prozent präsent, wenn der auch nur einen winzigen Fehler macht ist das für ihn wesentlich problematischer.
Machen Sie Fehler auf der Bühne?
Ramazzotti: Ja, viele. Zum Beispiel passiert es mir, dass ich mal einen falschen Text singe. Deswegen benutze ich seit 15 Jahren Teleprompter, da muss ich zumindest ein Auge drauf haben. Ich singe ja auch auf Spanisch und da komme ich oft sehr durcheinander.
Oder ich treffe manche Töne nicht und muss mich dann mit der Stimme zurückziehen. Aber im Laufe deiner Konzerterfahrungen lernst du natürlich mit solchen Dingen umzugehen.
Wie erleben Sie die letzten Minuten vor einem Konzert, ist das eine große Anspannung für Sie?
Ramazzotti: Ja. Auch wenn ich im Fernsehen nur vier Minuten auftrete, bin ich davor wahnsinnig aufgeregt.
Warum?
Ramazzotti: Das ist halt meine Natur, ich bin halt so. Diese Aufregung ist auch einer der stärksten Anreize für mich. Denn so weiß ich, dass jeder Auftritt eine wichtige Prüfung ist. Wenn ich mir zu sicher wäre, würde ich das Ganze vielleicht nicht mehr machen.
Sie haben das Live-Publikum mal als eine Art Energiequelle beschrieben. Sind Sie süchtig nach der Liebe vom Publikum?
Ramazzotti: Nein. Süchtig sind nur diejenigen, die das Star-Sein 24 Stunden am Tag leben. Mir ist wichtig, dass man als Künstler auf der Bühne das Publikum respektiert, das ja auch Geld für den Eintritt bezahlt hat. Aber wenn du dann von der Bühne runtergehst, bist du wieder eine ganz normale Person.
Doch nach einer Konzertpause zieht es Sie früher oder später wieder auf die Bühne, oder?
Ramazzotti: Ja, natürlich. Aber das darf keine Droge sein. Man muss ja auch daran denken, dass dich die Leute eines Tages nicht mehr sehen wollen. Wenn man sich damit nicht im Laufe der Zeit abfindet, ist es schwierig, den Übergang vom Bekanntsein zum Nicht-mehr Bekanntsein zu schaffen.
Woher kommt der Soul in Ihrer Stimme?
Ramazzotti: Aus dem Blut von meiner Mutter und meines Vaters. Ich glaube, die Eltern geben dir so etwas weiter.
Wer hat Sie in puncto Gesang inspiriert?
Ramazzotti: Vor allem Ray Charles. Auch Stevie Wonder, Steve Winwood und Sting.
Viele verbinden mit Ihnen romantische Musik und Begriffe wie „Kuschelrock“. Was hören Sie selbst, wenn es romantisch sein soll?
Ramazzotti: George Michael zum Beispiel. Der hat sehr schöne Lieder geschrieben. Oder auch die Eagles.
Wie reagieren Sie, wenn Sie im Restaurant Ihre eigene Musik hören?
Ramazzotti: Dann sollen die das leiser machen. Ich sitze dann ja mit Freunden dort, will etwas essen…
Es macht Sie nicht stolz?
Ramazzotti: Wenn es mir um Stolz gehen würde, dann würde ich ja ganz im Gegenteil fordern, dass man die Musik lauter aufdreht. Es ist eher, dass ich die anderen Gäste in dem Restaurant respektiere. Also, wenn ich erkannt werde und es läuft meine Musik, dann bitte ich darum, dass sie leiser gemacht wird.
Wenn du von der Bühne runtergehst, bist du wieder eine ganz normale Person.
Sie werden im Herbst (2013) 50. Wie verändert das Älterwerden Ihre Musik, wird man ernster?
Ramazzotti: Bei meinem neuen Album gibt es natürlich in vielen Stücken eine deutliche Veränderung. Aber meine Stimme verbindet alles. Ich komme mir auch nicht sehr ernst vor. Ich akzeptiere das Älterwerden ruhig und gelassen. Wenn ich zurückschaue, sehe ich, dass ich viel erreicht habe, ich bin auch immer noch hier – zufriedener kann man eigentlich nicht sein.
Zuletzt ist von Ihnen „Noi“ erschienen. Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie ein neues Album veröffentlichen?
Ramazzotti: Ich möchte vor allem eine Arbeit machen, die ich mag, die mich wieder in die Spur bringt, auf einen Weg, der mir gefällt. Das ist das Wichtigste.
Und die Charts, spielen die eine Rolle?
Ramazzotti: Ich bin nicht der Typ, der jeden Tag in seiner Plattenfirma anruft und fragt, auf welchem Platz ich jetzt in den Charts bin. Es kann ja auch sein, dass du auf Platz 1 stehst, weil du nur eine Kopie mehr als jemand anderes verkauft hast oder umgekehrt, und dann wirst du auf dieser Grundlage beurteilt. In Italien war zum Beispiel die Boygroup „One Direction“ an der Spitze, weshalb jemand zu mir gesagt hat „diese Kinder haben dich überholt“. Die Woche drauf, war ich wieder auf Platz 1 – also, das ist nicht so wichtig. Wichtig für einen Musiker ist die Beständigkeit seiner Karriere.
Wie wichtig ist es, dass die Fans Sie wiedererkennen auf einem neuen Album?
Ramazzotti: Das ist wichtig, zum Beispiel ist meine letzte Platte nicht so gut gelaufen. Da wurde ich von meinen Fans ein bisschen kritisiert.
Warum?
Ramazzotti: Keine Ahnung, einigen gefiel das Album nicht, die haben geschrieben „immer das selbe, immer diese Heulerei“ usw. Viele Kritiken gingen in diese Richtung.
Wir leben ja in einer Zeit, wo jedem diese Technologie zur Verfügung steht, deshalb bekommt man aus Blogs auch viele Informationen, du kannst dort lesen, ob du gut oder weniger gut arbeitest. Das habe ich in den letzten Jahren erst entdeckt.
Gehen Sie denn darauf ein, berücksichtigen Sie das Feedback, wenn Sie ins Studio gehen?
Ramazzotti: Diese Ratschläge sind schon wichtig. Aber das, was du in den Blogs liest, darf natürlich nicht überhand nehmen. Es ist eine Möglichkeit, sich mit den Menschen zu verbinden. Und ihre Kritiken können durchaus konstruktiv für dich sein. Leider liest man im Netz aber auch ziemlich harte Sachen, die nicht der Realität entsprechen, das ist schlimm, besonders, wenn man heftige Sachen über die Familie liest, die nicht stimmen.
Wäre es Ihnen lieber, wenn die Öffentlichkeit nichts über Ihr Privatleben wüsste?
Ramazzotti: Ja, absolut. Aber ich bin Realist, und meine Erfahrung als Künstler sagt mir: Das ist eine Utopie. Wie soll das gehen? Es ist unmöglich! Wenn du es den Medien nicht erzählst, dann erfinden sie es selbst.
Ihre Texte handeln häufig von der Liebe und sind oft autobiographisch geprägt. Da ist die Privatperson Ramazzotti für die Menschen vielleicht automatisch interessant…
Ramazzotti: Also, die privaten Sachen behält man ja für sich. Dann schreibt man ein Lied, weil man gerade einen besonderen Augenblick erlebt hat – doch diese besonderen Augenblicke können andere Menschen genauso haben. Ich schreibe ja nichts besonders Neues auf.
Es ist aber einfach unvermeidbar, vor allem wenn du in einem Land wie Italien und in einer Stadt wie Mailand lebst. Du gehst aus dem Haus und hast sofort die Fotografen um dich herum. Weil die Zeitungen diese Dinge brauchen, ist ein Privatleben wie meines leider in aller Munde. Das geheim zu halten, ist so utopisch wie der Gedanke, dass Berlusconi Italien verändern kann.
Warum kann Berlusconi Ihrer Meinung nach Italien nicht verändern?
Ramazzotti: Weil er das schon versucht hat. Er ist ein sehr guter Präsident, für einen Fußballclub. Er ist ein sehr guter Geschäftsmann fürs Fernsehen, aber den Staat muss jemand regieren, der etwas von Politik versteht. Jemand, der die Probleme der Menschen versteht.
Haben Sie Angst um Italien?
Ramazzotti: Alle Italiener haben Angst, weil wir im Moment in einer besonderen Situation sind. Es besteht die Gefahr, dass die Fähigkeit der Italiener, mit allem fertig werden zu können, dieses Mal nicht ausreicht. Wenn die Politik in unserem Land sich nicht verändert, in dem man an der Basis alles reinigt, dann ist es sehr schwierig.
Was meinen Sie mit ‚reinigen‘?
Ramazzotti: Dass das Land von jungen Leuten regiert wird, junge frische Kräfte, die vielleicht auch durch ältere, erfahrene Politiker, unterstützt werden. Das ist ein Traum, den wir Italiener alle haben, dass wir Politiker bekommen, die die Probleme des Landes lösen können.
Sie stellen in dem neuen Song „Testo O Cuore“ die Frage, ob man im Leben mehr seinem Herzen oder seinem Kopf folgen sollte. Wie halten Sie es damit?
Ramazzotti: Ich lebe heute mit dem Herzen, das Herz befiehlt dem Kopf. Früher war das umgekehrt, aber die Jahre vergehen, meine familiäre Situation hat sich geändert, es gibt ein kleines Kind, da kann ich nicht mehr den Blödsinn machen wie früher.
Steht „Kopf“ also für den Künstler, der um die Welt reist, und das Herz ist die Familie?
Ramazzotti: Genau. Und zuerst kommt das Herz. Ich bin auch froh darüber, dass es heute so ist.
Welches Klischee über sich mögen Sie nicht?
Ramazzotti: Dass ich unsympathisch bin. Ich bin überhaupt nicht unsympathisch, ich bin als Mensch sehr ruhig und offen, ich habe mich immer nur um meine Angelegenheiten gekümmert und mich nie so sehr in den Vordergrund gedrängt. Großen Erfolg zu haben, sich aber auf der anderen Seite wenig zu exponieren, so ein Verhalten führt oft dazu, dass die Leute denken: Das ist ein Depp.
Zum Schluss: Wie groß ist inzwischen Ihre Gitarrensammlung?
Ramazzotti: Ich bin bei 70 stehen geblieben. Viele dieser Gitarren kann ich ja gar nicht einsetzen, oder nur alle Vierteljahre einmal.
Von welchem prominenten Musiker hätten Sie gerne eine Gitarre?
Ramazzotti: B.B. King. Ich habe auch ein paar Gitarren, auf denen wahrscheinlich schon große Musiker gespielt haben. Die habe ich vor ein paar Jahren in Amerika gekauft, zum Beispiel eine elektrische Gibson von 1941. Oder eine akustische Gibson von ’51, bei der ist im Griff ein Loch reingebrannt, von einer Zigarette. Das muss irgendein Blues-Musiker gewesen sein.