Eveline Hall

Alte Menschen gehören nicht auf den Catwalk

Mit 65 Jahren wurde Eveline Hall zum erfolgreichen Model. Ein Gespräch über Gene und Narben, Schönheit von innen, gefärbte Haare und die Diskussion um Magermodels

Eveline Hall

© Anja Zander

Frau Hall, Schönheit wird im Normalfall zuerst mit Jugend bzw. jungen Menschen Verbindung gebracht, insbesondere, weil wir damit Makellosigkeit assoziieren. Könnte sich daran etwas ändern, wenn mehr ältere Models wie Sie auf den Laufstegen erscheinen?
Eveline Hall: Nein. Alte Menschen werden auch künftig nicht die Laufstege fluten. So viele, die die Voraussetzungen dafür mitbringen, gibt es nämlich nicht. Die Bedingungen sind knallhart: Sie brauchen die Figur eines jungen Mädchens – und die geht normalerweise mit den Jahren flöten. Ich hatte das Glück, dass bei mir der berufliche Vorlauf gestimmt hat, ich bin Tänzerin, Schauspielerin. Wenn man ganz normal gelebt hat und dann mit Mitte 50, sagen wir mal, aus einer Zahnarztpraxis kommt und meint, man könne jetzt den Laufsteg erobern, klingt das in meinen Ohren eher weltfremd. Alte Menschen gehören nicht auf den Catwalk.

Und Sie?
Hall: Ich bin eine absolute Ausnahme und das ist gut so.

Beruht die Schönheit eines Menschen mehr auf seinen Genen – oder auf seinen Lebenserfahrungen?
Hall: Auf einer Mischung aus beidem. Erfahrungen sind wichtig, aber wenn er intensiv lebt, kann die auch ein junger Mensch gemacht haben und entsprechend ausstrahlen. Und den Spruch von den Genen kann ich langsam nicht mehr hören! Aussehen hängt schließlich auch davon ab, wie der Einzelne sein Leben gelebt hat… oder besser: die Einzelne. Im Alter können wir Frauen uns nämlich kein Hängebäuchlein, keine ungepflegten Haare, keine Aknenarben leisten. Das wird nicht verziehen – im Gegensatz zu den Männern. Frauen waren schon immer die Prestigeobjekte.

Mögen Sie das Gesicht von Iggy Pop?
Hall: Das kenne ich gar nicht – ich habe mir nur von ihm erzählen lassen. Aber: So ein gelebtes Leben hat auch eine Aussage. Diese alten Haudegen haben auf Fotos ja auch gerne mal eine Zigarette im Mundwinkel. Allerdings auch hier: So etwas kann sich nur ein Mann leisten.

Was könnten Dinge sein – abseits von Ernährung, Fitness und Faltencremes – die einem zur Schönheit verhelfen? Ein friedliches Leben? Keine Drogen? Sex? Klassische Musik? Kein Stress? Kein Fernsehen?
Hall: Von all diesen Theorien halte ich nichts. Es gibt kein Patentrezept und auch keine Hilfsmittel. Die Schönheit der Jugend geht einfach vorbei und irgendwann sieht man aus, wie man mit über 50 eben aussieht.
Man muss von innen glänzen dürfen; Schönheit muss sich entwickeln dürfen. Das geht natürlich nur, wenn man nicht zu viel Leid tragen muss. Wenn jemand ständig Angst oder Schmerzen hat, sich ständig sorgen muss, dann wird der nicht aussehen, als sei alles wunderbar. So etwas zeichnet natürlich irgendwann. Das Glück muss einen schon begleiten.

Gehören großartiges Aussehen und das Schönheitsideal vom Laufsteg und aus den Zeitschriften zusammen?
Hall: Wenn ich Zahnärztin, Politikerin oder sonst etwas bin, brauche ich andere Kleidung und ein anderes Aussehen als wenn ich Kleider vorführe. Ich würde auch nie einem Menschen, der eine wunderbare Ausstrahlung und Präsenz hat und etwas pummelig ist, zum Abnehmen auf Modelmaße raten. Dieser Mensch braucht keine Modelfigur, er ist kein Model. Man sollte keinem Model nacheifern. Ich bin ja auch nur das, was ich bin.

Die Frauenzeitschrift Brigitte hat aus diesem Grund ja einmal versucht, Profimodels aus dem Blatt zu verbannen, stattdessen wurden Modeaufnahmen mit normalen Frauen gemacht.
Hall: Das finde ich idiotisch, die Aktion wurde nach drei Jahren ja auch wieder beendet. Das war ein völliges Aufbauschen von etwas Neuem, unter völliger Missachtung der Tatsache, dass sich das Alte nie ändern wird.

Wie meinen Sie das?
Hall: In der Mode wird es niemals etwas Anderes geben als Kleidergröße 36 und die ganz normalen überschlanken Models. Anders funktioniert es nicht, weil die Modeindustrie streng nach einer Norm abläuft: Es werden Kleider hergestellt und die werden dann in Größe 36 vorgeführt. In der Größe passt alles problemlos, sieht gut aus und die Kleider können bei den Schauen ohne große Änderungen schnell gewechselt werden, deswegen hat man sich irgendwann mal auf diese Größe geeinigt. Bedenken Sie: Als Model muss man in jede Phantasie hineinpassen und dabei gut aussehen, schließlich macht ein Designer seine Mode nur aus Phantasiegründen. Das Ziel ist ambitioniert – er will die Welt verschönern – aber technisch muss es ganz einfach ablaufen.

Die Gesellschaft reagiert auf die sogenannten Magermodels aber zunehmend mit Unverständnis. Ist das Festhalten an diesem Ideal in der Modebranche ein Relikt aus alten Zeiten?
Hall: Es ist ein Relikt. Aber es spricht alles dagegen, dass es irgendwann nicht mehr da ist. Es hat sich mit Twiggy nicht geändert, mit Veruschka von Lehndorff nicht, und es wird sich auch mit Eveline Hall nicht ändern.

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Im Alter können wir Frauen uns kein Hängebäuchlein, keine ungepflegten Haare, keine Aknenarben leisten. Das wird nicht verziehen – im Gegensatz zu den Männern.

Eveline Hall

Ihre Haare sind nach eigener Aussage nicht gefärbt. Wie stehen Sie dazu, dass sich das Gros der Frauen schon im Teenageralter die Haare färbt?
Hall: Das ist vollkommen richtig. Wenn man so eine – entschuldigen Sie – Kackfarbe hat? Sofort färben! Ich war aschblond und habe mit 18 angefangen, mir die Haare zu färben. Vor vier Jahren habe ich damit aufgehört, als ich eine Strähne entdeckte und dachte: Jetzt lasse ich die mal rauswachsen, dann ist das mit der Färberei erledigt. Konnte ja keiner ahnen, dass da so etwas Schönes darunter hervorkommt!
Aber nochmal zurück zur Farbe: Es gibt niemanden, der rein gar nichts macht – schon gar nicht ab Mitte 30, wenn die ersten grauen Haare kommen. Denn wer hat im Ernst etwas von „naturbelassen“, wenn es blöd aussieht? Man kann ja nur glücklich sein, dass es so wunderbare Firmen gibt, die sich darum kümmern, dass man großartig aussieht.

Eveline Hall in Las Vegas 1970

Eveline Hall in Las Vegas 1970

Welche Berufsbezeichnung würden Sie sich eigentlich geben? Man hat den Eindruck das Ihr Leben eine Art Gesamtkunstwerk ist.
Hall: Ja, vielleicht ist es das inzwischen geworden. Ich war Ballerina an der Oper in Hamburg, anschließend ging ich nach Las Vegas ins Showbusiness und kam dann nach Hamburg zurück, am Thalia-Theater habe ich mein Handwerk als Schauspielerin gelernt. Und jetzt bin ich Model. Wenn das ein Gesamtwerk ist, kann man mich Künstlerin nennen. Sicherlich hat es viel mit Kunst zu tun, alleine diese Wege zu gehen und alle Türen zu durchschreiten, die sich mir öffneten.

Sie hatten offenbar keine Scheu vor neuen Wegen…
Hall: Ich bin jemand, der gerne riskiert – ich bin ein Abenteurer, schon immer. Mein Vater hat in seinem Berliner Jargon immer gesagt: „Kannst ja immer wieder von vorne anfangen. Nur den einen Satz darfste dir nie anhören: ‚Hätt ick man, hätt ick man.’“ Das fand ich toll von ihm. Meine beiden Eltern standen immer hinter mir und haben mich immer in allen Dingen unterstützt. Und ich habe diesen Ansporn, diesen Willen, dieses Machenwollen, von meinen Eltern immer nur in positiver Form entgegengenommen.

Wäre für Sie auch ein anderer Beruf denkbar gewesen?
Hall: Ich wäre gerne Orthopädin geworden. Das kommt mir vom Tanz sehr nahe. Ich bin in einem Umfeld groß geworden, wo der Körper mit all seinen Tücken sehr bewusst gemacht wurde. Und ich hatte in der Schule Anatomie und daneben sehr viele medizinische Bücher gelesen. Wenn ich einen Alternativberuf gebraucht hätte, wäre es dieser gewesen. Um zu sehen, wie weit der Körper mitmachen kann.

Müssen Sie denn heute selbst hin und wieder zum Orthopäden?
Hall: Nein, kaum. Mein Orthopäde ist ganz wundervoll und sagt immer: „Mein Gott nochmal, was du alles machst! Da würden andere schon längst aufgeben.“ Ich bin darauf gedrillt, es selber machen zu können, weil der Körper gefordert werden will. Er will nicht unbedingt Spritzen, er will aber auch nicht dauernd nur gestreichelt werden. Er will, dass man ihn rannimmt! Das habe ich in meinem Leben ganz positiv erfahren. Und das Resultat war immer greifbar.

Sie stehen oft neben jungen Frauen auf dem Laufsteg. Was bedeutet „Alter“ für Sie?
Hall: Die administrativen Institutionen werden mich schon lehren, wie alt ich bin. Nur kann ich darüber nicht nachdenken. Solange ich noch spüre und fühle, was in mir ist und auch das Äußere noch in der Form rüberbringen kann, kann ich mir darüber keine Gedanken machen. Weil es nicht korrespondiert; es würde platzen. Schließlich kann ich mich nicht einerseits fragen: „Moment, weißt du eigentlich, wie alt du bist? Stehst mit 15-Jährigen auf dem Catwalk – und auf der anderen Seite überlegst du jetzt mal bitte, wo jetzt die nächste Rente herkommt.“ Das passt nicht zusammen, deshalb muss ich das auslöschen.
Ich will mir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Meine Mutter ist 92 – nicht mal die macht das. Wir haben das ganz nach hinten geschoben und es tut beiden ganz gut. Irgendwann wird der Moment schon kommen, in dem ich sage: So, jetzt ist der Vorhang gefallen. Jetzt ist Schluss.

Sie haben in den USA gelebt, in Frankreich, in der Schweiz, Sie waren bei verschiedenen Menschen beheimatet. Was würden Sie als Ihre Heimat bezeichnen?
Amerika. Auch wenn das meine Mutti jetzt nicht so besonders gerne hören wird, weil meine Mutter meine Heimat ist – alles ist meine Mama – habe ich die essentiellen Dinge in Amerika erlebt: das Wiederaufstehen, die Freundschaft, das gnadenlose Ohne-Ressentiments-Arbeiten, meine Ehe. Es ist das Land, das ich abgöttisch liebe. Und die Sprache. Wenn in meinem Geist Las Vegas und New York vorbeiziehen, dann kribbelt mein Herz.

Ein Ratschlag in puncto Liebe?
Reinschmeißen! Nicht überlegen, wie alt man ist, und nicht fragen, was draus wird. Wir Frauen heute haben alle einen Vorteil: Wir können unser Geld selbst verdienen. Wir sind nicht mehr abhängig, nicht mehr wie früher, als man sagte, man heiratet und der Mann muss einen ernähren. Die Zeiten, als man sich mit den Fragen von Zukunft und Kindern und Küche rumschlagen musste sind Gottseidank vorbei. Wir können uns heute ganz auf die Liebe konzentrieren. Deshalb schlage ich vor: Konzentrieren, reinschmeißen und – leben. Ausleben! So habe ich das gemacht.

Warum trägt Ihre jüngst erschienene Autobiografie eigentlich den Titel „Ich steig aus und mach ’ne eigene Show“?
Hall: Das bedeutet nicht nur, dass ich mein eigenes Ding durchgezogen habe, sondern der Titel beruht auch auf einem Theaterstück, ein Musical, das war damals am Basler Theater meine erste große Hauptrolle. Das Stück handelte von einer Person, die sagt: „Ich mach was ganz anderes. Ich will nicht mehr das durchziehen, was ich vorher gemacht habe, sondern ich will ganz einfach das Eveline Hall Buchcovermachen, von dem ich glaube, dass es richtig für mich ist.“ Und da, habe ich gedacht, gibt es eine Korrespondenz zu mir. Deshalb der Titel. Er bezieht sich auf mein Leben mit diesen vielen Facetten: das Aussteigen, das Einsteigen, das Sich-Verändern, das Sich-Auf-Etwas-Einlassen… – es hätte nicht besser passen können.

Gibt es in darin eine Geschichte, die Sie besonders gerne aufgeschrieben haben?
Hall: Ja – das ist die, die mit meinem Namen zu tun hat. Ich wurde Ballerina und musste meinen Namen ändern: mein Mädchenname genügte nicht. Ich fand das gar nicht witzig und habe geweint. Mit welcher Sympathie und mit welchem Humor meine Eltern das mit mir durchgestanden haben und wie wir dann den Namen gesucht haben – das hat mit sehr viel Humor zu tun. Hinterher sieht man zum Glück alles mit viel Humor: die ganzen Geschichten, die einem das Leben ein bisschen zur Hölle gemacht haben, integriert man irgendwann und merkt, dass in ihnen viel Humor drinsteckte.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Hall: Singen. Ich habe immer schon gesungen, aber jetzt wird es ernst. Ich will singen, ich will Mode machen – meine eigene Kollektion -, ich will all das ausbauen, was ich vorher schon gemacht habe. Und das will ich immer weitermachen. Wie gesagt: Ich steig aus und mache meine eigene Show!

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