Frank, Susanne, wenn über junge Berufsanfänger gesprochen wird, ist häufig von der „Generation Praktikum“ die Rede. Ist das aus eurer Sicht eine treffende Bezeichnung für die Situation von Hochschulabsolventen?
Frank Schneider: Jeder Begriff ist natürlich ein Hilfskonstrukt, mit dem man nicht alles abbilden kann. Ich denke aber schon, dass die „Generation Praktikum“ ein zutreffender Begriff ist. Denn das Phänomen, dass junge Leute Praktika machen, hat deutlich zugenommen. Das belegen auch die Studien, die in diesem Jahr dazu erschienen sind. Im Umkehrschluss heißt das hingegen nicht, dass 100 Prozent eines Jahrgangs in der Praktikumsschleife hängen.
Eine Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) kommt zu der Erkenntnis, dass Praktika nach dem Studium kein Massenphänomen sind. Nur jeder siebte Uni-Absolvent absolviert demnach nach dem Studium noch ein Praktikum…
Susanne Rinecker: Das finde ich schon viel…
Schneider: Man muss auch die Frage stellen: Hat die Studie wirklich alle erfasst? Inwiefern ist sie repräsentativ? Selbst wenn man der Grundaussage der Studie vertraut, sollte man beachten, dass gerade die, die ein Praktikum machen, es eben nicht machen, weil sie es so toll finden, sondern weil sie real kein Jobangebot bekommen.
Rinecker: Die Studie sagt auch, dass die wenigsten Praktika wirklich in Arbeitsverhältnisse führen.
Praktika sind also kein Sprungbrett in den Traumjob?
Rinecker: Nein. Die Absolventen betrachten Praktika als Notlösung und nicht als Weiterbildung in ihrem Bereich. Praktika sind lediglich eine Alternative zur Arbeitslosigkeit.
Schneider: Man muss einfach mal genauer hinschauen. Ein Praktikum während des Studiums ist sicher gut und sinnvoll. Da finden sich oft auch Anknüpfungspunkte. Ein Praktikum nach dem Studium allerdings ist in den meisten Fällen nicht sinnvoll.
Am besten also gar kein Praktikum nach dem Hochschulabschluss?
Schneider: Generell würde ich davon abraten. Es gibt natürlich Situationen, in denen ein Praktikum auch nach dem Studium sinnvoll ist, aber das sind Ausnahmesituationen. Zum Beispiel, wenn man plötzlich noch einmal in einem ganz anderen Berufsfeld Fuß fassen möchte, in dem man vorher überhaupt noch keine Erfahrungen gemacht hat. Aber selbst in dem Fall sollte man dieses Praktikum einer sehr genauen Prüfung unterziehen. Es sollte maximal drei Monate dauern, man sollte eine Vergütung bekommen und vor allem sollte man durch das Praktikum einen Mehrwert haben. Oft werden Praktikanten mit der Aussicht gelockt, im Anschluss übernommen zu werden, was leider in der Realität in den seltensten Fällen vorkommt.
Bleibt nicht vielen Absolventen oftmals gar nichts anderes übrig, als ein Praktikum zu absolvieren – weil die Alternativen fehlen?
Schneider: Genau das ist eben die Frage. Es hat sich in den letzten Jahren – deshalb sprechen wir auch von dem Phänomen „Generation Praktikum“ – etwas verändert. Wenn man während des Studiums seine drei, vier Praktika gemacht hat, sollte das eigentlich ausreichen, um danach in den Beruf einzusteigen. Sei es über ein Trainee-Programm, über ein Volontariat oder mit dem direkten Einstieg.
Der CDU-Politiker Laurenz Meyer meint: „Ein Hochschulabschluss ist immer noch die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit“. Zeigt die Notwendigkeit von Praktika nach dem Studium aber nicht vor allem eines: nämlich dass die Hochschulen nicht anforderungsgerecht ausbilden und dass die Universitätsausbildung oft zu weit weg von der Praxis ist?
Schneider: Das ist ein Teil des Problems, ganz klar. Ein Maschinenbauer macht nach seinem Studium in der Regel kein Praktikum und ist deshalb von dem Phänomen nicht direkt betroffen. Aber es gibt ganz viele Bereiche, wo das Studium einen allgemeinen Hintergrund schafft, die Praxis aber oft zu kurz kommt. Das ist vor allem bei geisteswissenschaftlichen Studiengängen der Fall.
Ist es da nicht besonders wichtig, schon während des Studiums Praktika zu machen?
Schneider: Ja, und man sollte darauf achten, dass es Praktika sind, mit denen man später etwas anfangen kann. Hier sind auch die Praktikumsbeauftragten an den Unis in der Pflicht, etwas genauer hinzuschauen und die Studenten – gerade am Anfang des Studiums – besser auf die Zeit nach dem Studium vorzubereiten.
Rinecker: Wobei man auch sagen muss, dass in vielen Studiengängen vermehrt Pflichtpraktika eingeführt werden.
Schneider: Stimmt. So wird auf die Studierenden ein sanfter Druck ausgeübt, Praktika während des Studiums zu absolvieren.
Praktikanten sind vielfach fest in den Betriebsablauf eingeplant und einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, „Fairwork“ spricht in dem Zusammenhang von „Scheinpraktika“.
Schneider: Das ist tagtägliche Praxis in Deutschland. Wobei man sagen muss, dass der Übergang zwischen lernen, etwas beitragen und voll als Arbeitnehmer eingesetzt werden, fließend ist. Nicht wenige Praktikumsstellen werden im Endeffekt dazu genutzt, eine volle Stelle zu ersetzen.
„Fairwork“ setzt sich für „faire Praktika“ ein. Wie definiert ihr ein „faires Praktikum“?
Rinecker: Die Grundvoraussetzung ist, dass das Praktikum ein Lernverhältnis ist und dass nicht die Erbringung von Arbeitsleistung im Vordergrund steht. Dann sollte ein Praktikant einen Mentor haben. Jemand, der ihm zur Seite steht, und der ihm sagt, ob er seine Arbeit gut macht und was er besser machen kann. Es kann nicht sein, dass dem Praktikanten gesagt wird: „Hier ist dein Schreibtisch, setz dich hin und dann mach mal“. Sondern es geht darum, das Ergebnis kritisch zu beäugen und mit dem Praktikanten darüber zu sprechen. Nur so kann man einen Fortschritt erzielen. „Fair“ ist ein Praktikum auch, wenn sich der Arbeitgeber an die gesetzlichen Regelungen hält…
…welche gesetzlichen Rechte gibt es denn für Praktikanten?
Rinecker: Es gibt keinen eigenen Paragraphen für Praktikanten. Im Gesetz steht, dass Praktikanten in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis stecken. Daher sollten auf Praktikanten die gleichen gesetzlichen Regelungen angewendet werden wie auf Arbeitnehmer.
Schneider: Wenn jemand bis abends um zwei Uhr arbeitet, ist es nicht statthaft, dass er morgens um sieben Uhr wieder auf der Matte stehen muss. Außerdem hat man nach sechs Stunden das Anrecht auf eine Pause. Diese Schutzbestimmungen müssen auch für Praktikanten gelten. Im Idealfall ist ein Praktikum ein Win-Win-Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ein fairer Arbeitgeber gibt seinem Praktikanten auch mal einen Nachmittag frei, wenn der zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen ist. Dann muss man sich gar nicht erst auf Gesetze berufen.
Bedarf es dennoch spezifischer gesetzlicher Reglungen für Praktika?
Schneider: Ich denke, dass es sinnvoll wäre die Länge von Praktika zu begrenzen. Dass man sagt: Alles, was über sechs Monate hinaus geht, ist zu lang, ist kein Praktikum mehr.
Rinecker: Diese ganzen Jahrespraktika würden so schon mal alle wegfallen. Es gibt genügend Unternehmen, die für zwölf Monate Praktikanten suchen. Da kann man wirklich nicht mehr von Lernverhältnissen sprechen. Nach drei, vier Monaten ist der Praktikant genauso einsatzfähig wie ein anderer Mitarbeiter und stellt die restlichen acht Monate nichts anderes als eine billige Arbeitskraft dar. So etwas kann man durch Gesetze verhindern.
Besteht nicht bei gesetzlichen Regelungen die Gefahr, dass Unternehmen dann überhaupt keine Praktikanten mehr einstellen und jungen Leuten, die Erfahrungen sammeln wollen, Chancen entgehen?
Schneider: Der Vorwurf kommt immer ganz schnell. Aber ich sehe das nicht so. Ich glaube, dass faire Praktika von solchen Regelungen nicht eingeschränkt werden. Die können nach wie vor stattfinden. Wenn damit verhindert werden kann, dass junge Leute zwölf Monate lang in der Praktikumsschleife hängen, dann ist das eigentlich nur gut.
Im Idealfall ist ein Praktikum ein Win-Win-Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Wird man genau das denn wirklich verhindern können? Der FDP-Politiker Uwe Barth meinte kürzlich, Fahrraddiebstahl sei genauso verboten wie der Missbrauch von Praktikanten. Dennoch würden jeden Tag Fahrräder gestohlen. Also könne man auf gesetzliche Regelungen von Vornherein verzichten, weil es den Missbrauch weiterhin geben würde.
Schneider: Das ist ein sehr schiefes Bild. Abgesehen davon: Fahrraddiebstahl ist trotzdem strafbar. Ich kann ihn anzeigen und ahnden. Dass wir Gesetze haben, ist schon ein hohes Gut, finde ich. Wenn man so argumentiert, kann man auch gleich sagen: Wir brauchen überhaupt keine Gesetze mehr, weil jedes Gesetz irgendwie unterlaufen werden kann.
„Fairwork“ will einen Mindestlohn für Praktikanten einführen. Wie hoch soll der sein?
Rinecker: Jemand, der ein Praktikum absolviert, soll zumindest so bezahlt werden, dass er sich selbst finanzieren kann. Wir orientieren uns dabei am ALG II-Satz.
Schneider: Das sind 800 Euro für ein Praktikum, das nach dem Studium stattfindet. Bei Praktika, die während des Studiums stattfinden, würden wir uns nicht festnageln lassen. Da reicht vielleicht auch eine Aufwandsentschädigung um die 300 Euro.
In welchen Bereichen sind Praktikanten besonders schlecht gestellt?
Schneider: In der Medienbranche und in der Werbebranche, mittlerweile sind aber auch die BWLer, Architekten und Juristen betroffen.
Die Journalistenverbände haben zuletzt eine Praktika-Offensive gestartet.
Schneider: Mittlerweile werden Praktikumsverträge zum Download angeboten und es gibt Empfehlungen, wie faire Praktika aussehen. Man muss sagen: Da hat die „Fairwork“-Arbeit schon viel bewegt. Als wir vor drei Jahren angefangen haben, war das Thema noch ziemlich in der Versenkung. Es hieß immer nur: „Macht Praktika, das ist gut“. Aber so ist es eben nicht. Ein gutes Praktikum bringt einen weiter, ein schlechtes Praktikum ist im besten Fall Zeitverschwendung.
Was konntet ihr mit „Fairwork“ in der Debatte um Praktika bereits erreichen?
Schneider: Wir haben bewirkt, dass das Thema Praktikum auf der Agenda steht, dass es vielfach durch die Medien gegangen ist und dass eine Aufklärung erfolgt ist. Mittlerweile werden Praktika viel differenzierter gesehen. Nach wie vor ist klar: Ein gutes Praktikum ist eine gute Sache und das sollte man auch machen. Das ist auch immer unser Anliegen gewesen, denn wir waren nie pauschal gegen Praktika. Auch die Politik setzt sich jetzt damit auseinander. Und wir sehen, dass die Studierenden selbst kritischer geworden sind. Neben gesetzlichen Ergänzungen ist es vor allem wichtig, auf breiter Front zu informieren. Klar zu machen, wie ein gutes Praktikum aussehen sollte. Wichtig ist auch, dass man sich nicht erst damit auseinandersetzt, wenn man schon mitten im Praktikum steckt…
Gehen viele zu naiv in ein Praktikum?
Schneider: Ich glaube, viele überlegen sich nicht, wieso sie ein Praktikum machen. Dabei ist das doch die Grundüberlegung, die an erster Stelle stehen sollte. Nicht nach dem Motto: „Oh, ich muss ein Pflichtpraktikum machen, also suche ich mir schnell mal irgendeinen Praktikumsplatz“. Man sollte sich genau überlegen, was man macht und welches Ziel man damit verfolgt.
Empfehlt ihr eine bestimmte Anzahl an Praktika, die man höchstens im Lebenslauf stehen haben sollte?
Schneider: Eine zweistellige Anzahl sollte es auf keinen Fall sein. Ich würde sagen: Drei bis vier, maximal fünf gute Praktika reichen locker aus. Wenn man was gelernt hat und eine bestimmte Richtung verfolgt hat, sind auch zwei absolut in Ordnung.
Wie viele Praktika habt ihr selbst gemacht?
Schneider: Drei.
Rinecker: Ich auch drei.
Was haben die Praktika euch gebracht?
Rinecker: Ich arbeite mittlerweile in einem ganz anderen Beruf, als den ich studiert habe, insofern haben mir die Praktika im Nachhinein überhaupt nichts gebracht.
Schneider: Bei mir war es unterschiedlich. Ich habe ein Praktikum gemacht, das sehr gut war, wo ich wirklich gut betreut wurde und viel gelernt habe. Und zwei andere noch, die waren zwar nicht ganz so gut, aber auch nicht brutal schlecht.
Frank, du hast in einer Sendung von „Hart aber fair“ gesagt, du könntest aus einer Praktikums-Anzeige herauslesen, wann es sich um ein unfaires Praktika handelt. Welche Formulierung sollte mich vorsichtig werden lassen?
Schneider: Wenn im Praktikumsvertrag steht: „Überstunden sind mit dem Praktikumsgehalt abgegolten“, sollte man stutzig werden. Das ist eine Formulierung, die nicht legal ist. Ein Praktikant ist keine Führungskraft, daher ist es gesetzlich nicht vorgesehen, dass Überstunden mit dem Regelgehalt abgegolten werden.
Rinecker: Wenn von „eigenverantwortlicher Führung des Projektes XY“ die Rede ist, ist das daneben. Der Praktikant soll schließlich eine Zusatzkraft sein
Schneider: Ein absolutes No-No ist auch die Verlängerung eines Praktikums. Das wird immer wieder angeboten, gerade bei Praktika nach dem Studium. Man sollte nicht darauf eingehen und sagen: „Ich verlängere gerne, aber auf einer anderen Basis.“ Nämlich als freier Mitarbeiter oder befristet Angestellter. Wenn nach ein paar Monaten angeboten wird, das Praktikum zu verlängern, ist schließlich klar, dass man eine gute Arbeit geleistet hat.
„Fairwork“ fordert eine „Positivdefintion“ von Praktika. Haben Praktikanten einen zu geringen Status?
Schneider: Der Status ist deutlich schlechter geworden. Auf alles wird das Etikett „Praktikum“ draufgeklebt, auch wenn es im Endeffekt gar kein Praktikum ist. Eine Positivdefintion ist eine gute Möglichkeit, um erst einmal festzuschreiben, welche Kriterien ein Praktikum erfüllen muss, um überhaupt als ein solches gelten zu können.
CDU-Fraktionschef Volker Kauder sagte kürzlich: „Wir werden mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften darüber sprechen, dass aus der Generation Praktikum eine Generation Berufseinstieg werden muss“. Klingt gut, oder?
Schneider: Klingt erstmal gut, ja. Der Berufseinstieg sollte aber nicht ein zwölfmonatiges Praktikum sein, sondern ein qualifiziertes Programm und über eine Anstellung erfolgen. Ein Praktikum ist die Vorbereitung auf den Berufseinstieg, aber nicht der Berufseinstieg selbst.
Wenn ich Kauder richtig verstehe, will er an die Moral und die Verantwortlichkeit der Unternehmen appellieren…
Schneider: Eine moderate gesetzliche Ergänzung der Gesetze ist darüber hinaus trotzdem sinnvoll. Die Diskussion dauert jetzt bereits drei Jahre. Faire Praktika für alle gibt es trotzdem noch nicht. Herr Müntefering hat vor einem Jahr versprochen, sich der Thematik anzunehmen, seine Mitarbeiter sind da wohl auch dran. Wir sind mal gespannt, was für Ergebnisse da Ende des Jahres vorliegen werden.
Rinecker: Wir haben ja auch versucht, mit Unternehmen zu sprechen. Von deren Seite hieß es dann immer, es gäbe überhaupt kein Problem. Diejenigen, die sich auf unsere Anfragen überhaupt gemeldet haben, haben gesagt, alles sei ein Missverständnis. Niemand hat zugegeben, dass er unfaire Praktika angeboten hat.
Eine Schlussfrage: Wenn das Leben ein Comic wäre, welche Figur wäre der Praktikant?
Schneider: Natürlich eine absolute Klischeefigur, die mit der Mappe unterm Arm dem Chef den Kaffee auf den Tisch stellt. So schlimm sieht es in der Realität aber Gott sei Dank noch nicht aus…(lacht).