Fatih, dein neuer Film "Solino" ist vor allem eine Brudergeschichte. Zwei italienische Brüder, die mit ihren Eltern nach Deutschland einwandern, später im Restaurant der Familie arbeiten und die sich meist um die gleiche Frau streiten. Du hast auch einen Bruder — habt ihr euch schon mal um die gleiche Frau gestritten?
Akin: Nein, um Gottes Willen, so was war bei uns immer tabu. Ich habe auch ein ganz anderes Verhältnis zu meinem Bruder als es die Brüder im Film haben. Mein Bruder ist für mich eigentlich so ein Beschützerbruder, auch weil er ein bisschen älter ist als ich. Früher, da wollte ich eine Zeit lang immer abends mit ihm losziehen – das wollte er natürlich nicht. Ich habe auch viel von meinem Bruder abgeguckt, habe ihm immer die Klamotten geklaut, Cowboystiefel, Mäntel und so was. Aber was Frauen angeht sind wir uns nie in die Quere gekommen.
Barnaby Metschurat als Bruder Gigi träumt schon als Kind vom Filme machen – war das auch dein Kindstraum?
Akin: Ja, ich wusste bereits mit acht Jahren, dass ich unbedingt zum Film wollte, das war mir schon immer klar. Anders als im Film hatte ich aber erst sehr spät einen Regisseur als Bezugsperson. Das war Lars Becker, bei dem habe ich mit 18 am Set mitgearbeitet, Brötchen geschmiert und und und.
Es gibt noch ein paar andere biografische Eckpfeiler in "Solino", eben, dass ich einen Bruder habe oder dass ich auch mal einen Tante hatte, die vor Sehnsucht nach ihrer Heimat Krebs bekommen hat. Man hat ihr damals nur noch sechs Monate zu leben gegeben, sie ist dann zurück in die Türkei und lebt dort heute noch.
Nur diese Grunderfahrung im Film, in die Fremde zu gehen und seine Heimat verlassen, das kenne ich ja nicht, weil ich in Deutschland geboren bin. Ich bin ein Kind der zweiten Generation, was ja auch Thema meines Dokumentarfilms "Wir haben vergessen zurückzukehren" war. Wenn man den Film mit "Solino" vergleicht, bemerkt man eine gewisse Verwandtschaft, man könnte fast meinen, dass das eine Art dokumentarische Vorarbeit zu "Solino" gewesen ist, wobei ich damals von "Solino" noch gar nichts wusste.
Du hast am Drehbuch von "Solino" mitgeschrieben, oder?
Akin: Ja, aber nur äußerst wenig. Denn das Buch war so ein Optimalfall, es war schon sehr weit entwickelt, als ich es bekommen habe. Das ist für mich auch ein bisschen Luxus, wenn ich da nicht mehr groß Hand anlegen muss.
Du konntest ein wenig faulenzen.
Akin: Nein, dafür musste ich mich auf andere Dinge konzentrieren. Ich musste mich mit einer Zeit und einer Region auseinandersetzen, die ich nicht unbedingt kenne. Duisburg, Ruhrgebiet, die 60er und 70er Jahre – das kannte ich vorher nicht besonders.
Aber man liest, es hat dir dort während der Dreharbeiten sehr gefallen.
Akin: Ja, mehr als ich dachte. Duisburg ist eine sehr drehfreundliche Stadt. Wenn ich in Hamburg drehen will, das geht fast gar nicht mehr. Hier fühlen sich immer irgendwelche Leute genervt, man hat immerzu Stress. In Duisburg dagegen wurden wir mit offenen Armen empfangen, die Stadt hat uns sehr viel unterstützt und geholfen, die haben sich Arme und Beine ausgerissen für uns.
Du portraitierst im Film eine italienische Familie. Moritz Bleibtreu und Barnaby Metschurat sind nun aber keine Italiener – hast du versucht, den beiden italienisches Temperament einzuhauchen?
Akin: Also, Moritz‘ Großvater kommt aus Sizilien, und ein bisschen italienisch sieht Moritz schon aus, wie ich finde. Ich habe schon Fotos von ihm mit Drei-Tage-Bart gesehen, da sieht er aus wie Eros Ramazotti. Dann spricht Moritz fließend Italienisch, ohne Akzent, weil er länger in Italien gelebt hat – er ist eh so ein Sprachgenie, Französisch spricht er auch ganz wunderbar. Beim Lesen des Buches habe ich im Bruder Giancarlo auch gleich Moritz gesehen. Die Rolle des Gigi war da schon viel schwieriger zu besetzen, zuerst wollte ich einen Italiener nehmen, habe aber keinen gefunden. Da habe ich mich für den besten Schauspieler entschieden, den ich finden konnte, der auch in das Familien-Ensemble gut reinpasste. Das war dann Barnaby und der musste richtig viel Italienisch pauken.
Irgendwann dachte ich aber auch, dass es eine gewisse intellektuelle Ebene hat, wenn ich die italienischen Einwanderer mit Deutschen besetze. Denn die Filmbrüder wachsen in Deutschland auf, sie werden im Deutschland der 70er sozialisiert, mit Ton Steine Scherben, Can, Pink Floyd, Jimi Hendrix. Sie sind also schon vielmehr deutsch als ihre Eltern.
Mir fehlt bei den beiden trotzdem ein wenig das italienische Temperament.
Akin: Das ist aber etwas, was ich immer wieder bei Türken der zweiten Generation und auch an mir selbst beobachte. Ich habe lange nicht das Temperament meiner Eltern, ich bin lange nicht so temperamentvoll wie Türken, die in der Türkei leben. Das Temperament der Motherlands geht bei der zweiten Generation verloren, es verschmilzt mit dem deutschen Spirit – und davon erzählt "Solino".
Du hast erstmals mit Kindern gearbeitet – die im Film wirklich grandios sind. Was für Erfahrungen hast du mit ihnen gemacht?
Akin: Das war unglaublich schön, es war wahrscheinlich die schönste Schauspielerfahrung, die ich je in meinem Leben gemacht habe. Ich musste zunächst das Vertrauen dieser Kinder gewinnen, das sind ja keine Schauspieler, das sind Kinder, kleine Menschen. Wenn du mit denen arbeiten willst brauchst du deren Vertrauen. Ich musste sie beschützen und ihnen auch ein Gefühl von Schutz geben. Ich musste das ganze auch ein wenig wie einen Kindergarten gestalten, wo sie sich wohl fühlen und wo sie spielen dürfen. Durch diese Kinder habe ich so viel über Schauspielerei gelernt, was ich jetzt immer wieder auf Erwachsene anwenden kann. Vor allem habe ich eins gelernt: alle Schauspieler sind Kinder. Wenn ich früher mal genervt war durch Schauspieler, weil ich mit deren Zicken und Haltungen nicht klar gekommen bin, dann verstehe ich das heute viel besser, weil alle Schauspieler letztendlich Kinder sind, die genauso ihre Bestätigungen haben wollen und auch Schutz haben wollen.
Die Familie in "Solino" trifft sich nicht selten am Mittagstisch, es wird viel gegessen, geschmatzt …
Akin: Ich mag Ess- oder Koch-Sequenzen sehr gerne, muss ich zugeben. Essen im Film, das ist für mich wie Sex im Film. Und wenn ich mal kritisch meine bisherigen Filme angucke, dann finde ich … der Sex in meinem Film – an dem muss ich noch arbeiten. Da ich sehr gerne esse und koche und gerne gut esse, ist das vielleicht erst mal meine Form von Sex im Film.
Ein paar Kollegen aus deiner Branche haben ja schon ihre eigenen Restaurants eröffnet. Wie steht’s mit dir?
Akin: Ich hätte schon sehr gerne ein Restaurant. Aber ich könnte mich gar nicht drum kümmern, dafür wäre zu wenig Zeit.
Ich muss aber auch sagen, dass ich mit der türkischen Küche in Deutschland sehr unzufrieden bin. Die türkische Küche ist an sich ja enorm vielfältig – so etwas bekommst du hier aber gar nicht, vielleicht nur mal in Berlin in einem wirklich guten Restaurant. Sonst gibt es hier doch meistens nur diese Döner Kebap Geschichten. So richtig Istanbuler Küche, dass du dich auch mal hinsetzt und drei Stunden isst, mit mehreren Gängen, eine Flasche Raki dazu – das gibt es in Deutschland nicht und das vermisse ich hier noch.
Durch die Kinder habe ich so viel über Schauspielerei gelernt, was ich jetzt immer wieder auf Erwachsene anwenden kann.
Welche kulinarische Ausrichtung hätte dein Restaurant?
Akin: Ich würde das mischen, ein bisschen Arabisch, ein bisschen Griechisch, Spanisch, Italienisch natürlich auch. Ich denke, aus diesen verschiedenen Küchen kann man eine gute Melange kreieren.
Und was kochst du selbst am liebsten?
Akin: Ich glaube, spätestens seit diesem Film koche ich am liebsten italienisch. Ich habe bei unserem Dreh in Italien sehr viel über die italienische Küche gelernt. Wir hatten dort zwar ein deutsches Catering mit hingenommen, weil das billiger war. Aber ich dachte mir, das kann ich nicht essen, wir sind hier in Italien! Also haben mich unsere italienischen Fahrer mittags immer mit zu sich nach Hause genommen und dort wurde dann gekocht. Super, einmalig, besser als in jedem Restaurant! Ich mag jetzt vor allem Pasta, das geht schnell, du kannst viel variieren, und mir schmeckt das nie langweilig.
Ihr habt "Solino" im italienischen Dorf Leverano gedreht, wird man den Film dort auch einmal zeigen?
Akin: Das hoffe ich sehr. Es gibt ja dieses Freiluftkino in Leverano, das im Film vorkommt, und das wir praktisch durch den Film renoviert haben. Jetzt ist die Leinwand gestrichen, das Unkraut gezupft, Stühle sind da und der Bürgermeister wollte es auch wieder als Kino eröffnen. Ähnlich wie in Duisburg haben die Bewohner von Leverano wirklich alles für diesen Film gegeben, haben mitgespielt und haben sich selbst mit dem Film ein kleines Denkmal gesetzt. Ich freue mich auf den Tag, an dem wir nach Italien fahren, das Wetter ist gut, wir legen den Film ein und die Leute gucken und erinnern sich.
Barnaby Metschurat hat für "Solino" Italienisch gelernt, weil ein Großteil der Szenen auf Italienisch gedreht wurde. Die meisten Kinozuschauer bekommen den Film jetzt allerdings in einer vollsynchronisierten Fassung zu sehen, Metschurat und Bleibtreu haben sich selbst synchronisieren müssen. War dass denn auch dein Wille gewesen?
Akin: Das war sicher nicht mein Wille, aber man hat mich später überredet, überzeugt, das zu machen. Ich habe dann die Synchronregie selbst übernommen, weil ich mir gedacht habe, wenn mir jemand den Film zerstört, dann mache ich das selber. Letzten Endes aber glaube ich, man kann den Film so gucken, auch weil man in Deutschland synchronisierte Fassungen einfach gewohnt ist.
Trotzdem geht durch die Synchronisation immer eine Menge verloren.
Akin: Ja natürlich, alle Sprache die synchronisiert wird, geht verloren. Aber ich habe mich auch einer Industrie zu beugen. Das wäre eine sehr romantische Vorstellung, wenn man mit denen Diskussionen darüber führen könnte, ob man den Film im Original zeigt, oder nicht. Ein Film von dieser Größenordnung muss leider synchronisiert werden, weil die meisten Zuschauer es eben so haben möchten. Wie die Filmkritiker dem begegnen, ist die eine Sache, wie die Zuschauer dem begegnen, ist eine andere.
Aber zum Trost: Es gibt auch Kinos, wo der Film im Original läuft. Und solange ich eine einzige Fassung habe, die im Original läuft, bin ich schon zufrieden.
Du hast in Interviews deine Arbeit schon mal als "kommerziell" bezeichnet, weil du natürlich so viele Zuschauer wie möglich erreichen willst. Gute Filme gelangen aber erfahrungsgemäß äußerst selten an ein Massenpublikum – was ist dein Rezept?
Akin: Ich habe kein Rezept. Wenn ich eins hätte, dann hätten wir mit "Im Juli" vielleicht auch einen ganze Million statt nur einer halben gehabt. Ich habe kein Rezept und diese Diskussion um Kommerzialität, die berührt mich sehr. Manchmal berührt mich diese Diskussion so sehr, dass ich befürchte, gar nicht mehr frei genug für meine Arbeit zu sein. Natürlich will ich so viele Zuschauer wie möglich bekommen und ich glaube auch, dass meine Geschichten universelle Geschichten sind. Ich finde alle meine drei Filme auf ihre Weise unterhaltsam, sie geben dem Zuschauer etwas mit, probieren sich cinematographisch aus – so viele Fehler sie auch haben mögen.
Jetzt ist es aber so, wenn ich einen Film fertig gedreht habe, dann geht der Verkauf los. Mein generelles Problem ist dann aber meistens, dass ich mich mit dem Verkauf meiner Sachen nicht identifizieren kann. Ich will damit jetzt auf keinen Verleih schimpfen. Aber mein Film, den ich als Regisseur gedreht habe, der wird dann nur noch wie ein Produkt behandelt – das macht mich fertig! Ich habe das Gefühl, da wird etwas verkauft, was ich gar nicht selbst gemacht habe. Daher weiß ich auch nicht mehr, was nun kommerziell ist und was nicht. Es gibt Leute, die werfen mir vor, kommerziell zu sein, weil ich mit Moritz Bleibtreu arbeite, der eben sehr populär ist. Aber ich schwöre: als ich Solino angenommen habe, einen Film übers Filmemachen, über Gastarbeitergenerationen und die Hälfte des Films auf Italienisch – ich war der felsenfesten Überzeugung, dass dies ein Arthouse-Film wird. Jetzt lande ich aber in dieser kommerziellen Ecke und es lastet ein ungeheurer Druck auf mir. Damit habe ich im Moment keinen Seelenfrieden geschlossen.
Wenn der Film jetzt aber viele Zuschauer bekommt, hast du dann den Seelenfrieden?
Akin: Wenn der Film vielleicht eine Million Zuschauer bekommt, dann wäre das verdammt viel. "Solino" hat immerhin zehn Millionen Mark gekostet und die Arbeit am Film hat fast zwei Jahre gedauert. Wenn die Strategie des Verleihs jetzt also aufgeht, dann hätte ich sicher nicht mehr diese pessimistische ich-muss-mich-dagegen-wehren-Haltung. Wenn die Strategie allerdings nicht aufgeht, fühle ich mich in meiner Haltung nur bestätigt.
Wie würdest du grundsätzlich deinen filmischen Ansatz beschreiben?
Akin: Meine Filme sind biografische oder zumindest sehr persönliche Arbeiten. Bei "Kurz und schmerzlos" war das Motiv sehr autobiografisch, weil der Film viel mit meiner Jugend zu tun hatte. "Im Juli" hatte auch sehr viel mit meiner Jugend zu tun, Türkeireisen, Interrail, Trampen und die Liebe zum Kino. "Solino" beschäftigt sich mit der Generation meiner Eltern und wie sie sich in Deutschland zurechtgefunden haben.
Ich glaube, ich könnte auch gar keine anderen Filme machen die keinen persönlichen Bezug zu mir haben. Ich bin jetzt zwar nicht wie Woody Allen, wo für mich der Film eine Form der Selbsttherapie oder Selbstreinigung ist. Soweit will ich gar nicht gehen, aber ein bisschen schwingt das mit. Wenn ich zwei Jahre an einem Film arbeite, dann muss das irgend etwas mit mir zu tun haben, da muss ich die Chance haben, mich auszudrücken, um Fragen, die ich mir im Leben stelle, beantworten zu können.
Jetzt habe ich neulich gelesen, du wärst großer Prince Fan.
Akin: Ja, ich bewundere Prince als Musiker wirklich sehr, auch heute noch. Allerdings habe ich seit zehn Jahren keine Prince Platte mehr gehört, obwohl ich ihm damals auf seiner letzten Deutschlandtournee noch hinterher gereist bin. Er hat sich dann ja umbenannt und ich dachte, jetzt ist es vorbei. Doch dann bin ich vor kurzem auf seine letzte Platte gestoßen "Rainbow Children" und war begeistert. Er verzichtet ja heute auf den ganzen Vermarktungsmist, Videos muss er auch gar nicht mehr machen. Prince hat so viele Platten verkauft, so viele Grammys gemacht – was will er noch erreichen? Er versucht wohl nur noch, ein noch besserer Musiker zu sein. Man hört heute raus, wie frei diese Musik ist, wie befreit sie ist.
Ich hoffe, dass ich irgendwann mal ein Filmemacher sein kann, wie Prince Musiker ist – davon träume ich.
Prince hat auch schon Filme gemacht. Wie beurteilst du die als Filmregisseur?
Akin: Sein bester Film ist ganz klar der Konzertfilm "Sign’o’the times". "Under the Cherry Moon" fand ich nicht so toll, auch "Graffiti Bridge" nicht. "Purple Rain", der ging so, den fand ich als Teenager sehr gut.
Musiker müssen aber nicht unbedingt Filme machen, man sieht das ja gerade im Fall von Madonna. Ich denke auch, dass dieses zweidimensionale Format gar nicht ausreicht für jemanden wie Prince.
Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Akin: Käpt’n Haddock von "Tim und Struppi" würde ganz gut passen, weil ich immer ziemlich viel rummeckere. Phantomias wäre aber auch nicht schlecht, denn ich bin zu Hause so ein bisschen Donald Duck, schlurf schlurf, schlamp schlamp, faul faul, schlaf schlaf. Aber wenn es ums Arbeiten geht, dann vertrete ich so eine Form von Gerechtigkeit und verkleide mich – und werde Regisseur.